FSK-18 Tagebuch einer Kurtisane - die zwei Schwestern
#1
Quelltag, 3. Gilbhart im Jahr 1401

Es ist nun schon eine Woche her, seit wir in Servanos Hauptstadt angekommen sind. Dort, wo laut vielen die Kundschaft angeblich Schlange stünde und auch genug Geld besitzt, um die verruchtesten Wünsche wahr werden zu lassen. Eine Woche, in der viel geschehen ist.

Als ich meinen ersten Schritt von dem Schiff machte, hätte ich niemals daran gedacht, dass so viel merkwürdiges und auch spannendes passieren würde - und doch war es so. Ich habe mir daher dieses Buch gekauft, um alles aufzuschreiben und nichts zu vergessen.

Meine Schwester Destina schläft noch, der gestrige Tag war einfach zu anstrengend für sie. Es ist immerhin nicht einfach, eine Kiste herumzutragen, die an sich schon mehr als ein ganzes Mannsbild mit Rüstzeug wiegt.

Die letzten drei Nächte verbrachten wir in einem kleinen aber lauschigen Abstellzimmer auf einem schönen und gut geführten Hof außerhalb der Stadt. Nachdem unser Gastgeber, ich werde ihn nicht namentlich nennen, uns jedoch freundlich aber direkt seines Hofes verwiesen hat, waren wir einen ganzen Tag auf Wanderschaft bis wir wieder zu unserer neuen Unterkunft fanden. Ohne Gepäck wirkte der Weg doch viel leichter.

Jetzt, nachdem wir hinausgeworfen, nein, mehr hinauskomplimentiert wurden, mache ich mir Gedanken dazu. Scheinbar ist Servano genau wie alle anderen Ländereien ein Ort an dem Gerechtigkeit nicht viel zählt. Denn nachdem wir unserem Gastgeber mit unseren Körpern dafür dankten, dass er uns in dunkler Nacht noch bei sich aufnahm, wurde er plötzlich sehr ruhig und still, obwohl er noch Augenblicke zuvor lauthals genießend brummte, als er meine Schwester und mich gemeinsam nahm. Als wir alle unsere Künste nutzten, um ihn zu befriedigen. Auf dem Tisch, unter dem Tisch, an der Wand... und viele weitere angenehme Spielereien der Lust, die vielen Frauen die Schamesröte ins Gesicht treiben würden. Und scheinbar war eine Abstellkammer, die sonst eh keiner nutzte, genug Bezahlung dafür, wo andere uns bereits Geld für mehrere Monatsmieten zahlten.

Sicher, er hat uns ausgenutzt, aber das war es wert. In vielerlei Hinsicht.

Mir fährt ein eiskalter Schauer über den Rücken, wenn ich daran denke, welche Worte ich gleich schreiben werde, aber ich tue es.

Ich bin eine Hure.

Jedoch nicht aus Not, nein, mehr aus Leidenschaft und Freude an dem, was ich tue. Daher zählen meine Schwester und ich uns auch dem Stand der Kurtisanen zu, edlen und gebildeten Begleiterinnen des Mannes.

Ich erinnere mich an eine Unterhaltung mit einem charmanten älteren Hochwohlgeborenen der Stadt Löwenstein, in der er uns fragte, was uns denn nun von der gemeinen Hure auf der Straße unterscheidet. Eine Frage, die ich schon so oft hörte. Scheinbar rechnete er damit, uns in eine Fangfrage gelockt zu haben, doch musste ich nicht lang überlegen um ihm die Antwort zu geben.

Eine Hure bietet ihren Körper und Geist einem jeden Landstreicher und Gossenfürsten an, weil sie oft keine andere Wahl hat. Wie ich es bisher auf unseren Reisen hörte, umgibt sie dabei ein Gefühl der Angst, der Hilflosigkeit und der Verlorenheit. Auch genießen sie nicht den besten Ruf, da man sie scheinbar gerne mit ungepflegter Erscheinung, Krankheiten und sonstigem in Verbindung bringt.

Wir hingegen sind anders. Wir stellen hohe Ansprüche an unsere Kunden und uns selbst. Und diese bekommen dafür mehr, als sie sich erhofft haben. Denn wir haben die Liebe zu einer Kunstform erhoben und leben diese. Zudem können wir einem Käufer dabei stets gute Gesellschaft sein, denn durch unsere Bildung und Erziehung sollten wir eigentlich einen Platz in der höheren Gesellschaft besetzen, wenn es nach dem Willen unseres Herrn Vater gegangen wäre.

(Hier wurde die Feder scheinbar längere Zeit an einem Ort abgesetzt, da ein dicker Tintenklecks eine unschöne Unterbrechung des Eintrages darstellt.)

Mein Herr Vater. Als ich noch ein kleines Mädchen war, hatte ich immer gedacht, dass er Spaß machte, als er Destina und mir vorausorakelte, dass wir zu unserer Volljährigkeit an den mit dem meisten Geld verheiratet würden. Jedoch hätte ich es besser wissen müssen... denn mein Herr Vater war niemand, der gerne spaßte. Dort, wo andere Kinder spielten, mussten wir Benimmregeln lernen. Dort, wo andere Kinder Feste feierten, mussten wir Kassenbücher führen. Dort, wo andere Kinder Vergebung und Liebe für Fehler erfuhren, bekamen wir seinen Gürtelriemen zu spüren. Gnadenlos.

Unsere Frau Mutter unterstützte dieses wortlos. Nicht, weil sie es nicht wagte, sondern weil sie genau so dachte. Und schließlich gezieme es sich nicht für eine Dame ihres Standes derart aufbrausend zu sein und sich die Hände mit der Bestrafung Leibeigener zu beschmutzen. Ja, Leibeigene im Hause unserer Eltern waren wir. Nicht mehr. Und auch nicht weniger.

Zwar hatten wir durch den enormen Reichtum unserer Eltern immer alles, was wir brauchten und ständig mehr, als alle anderen Kinder, aber zu welchem Preis? Es wurde von uns erwartet, dass wir perfekt funktionieren. Zu jeder Tageszeit, zu jeder Nachtstunde. Letztendlich waren wir, Destina und Jael Wolkenstein, nichts weiter als Waren, die Eigentum des Handelskontors Wolkenstein waren, welche zu gegebener wirtschaftlicher Lage an den meistbietenden Kunden gehen würden. Ohne Skrupel.

Zum Glück gab es da noch unsere Großmutter, die uns stetiger Lichtblick in dieser kargen Kindheit war. Denn durch sie lernten wir, dass es außerhalb dieses glasgoldenen Käfigs noch andere Dinge gab. Dinge wie Freude, Liebe, Fantasie und Herzlichkeit. Auch wenn unsere Großmutter das Kontor an ihren Sohn weitergab, so war sie jedoch niemals so streng wie er. Sicher, andere würden sie für ihre Art am liebsten verdammen, da auch sie streng, unnachgiebig und überkorrekt war, doch war es bei ihr anders. Irgendwie.

Jedoch endete auch dieser Traum, dieser Strohhalm, nach dem wir griffen, und platzte wie eine Seifenblase, als ich meinen achtzehnten Geburtstag feierte.

Ich erinnere mich noch genau, als ich ein riesiges Geschenkpaket auf der Festtafel vorfand. Darin lag ein wunderschönes Kleid. Weißer Samt. Darauf waren mit Goldfaden eingestickte Ornamente, ich konnte sogar das Wappen unserer Familie erkennen. Perlen und kleine geschliffene Bergkristalle verzierten das wundervolle Kleid, welches passgenau auf meinen Körper zugeschnitten war. Enganliegende Schlaufenärmel sowie geschlitzte Elemente am Rock waren neben gekonnt eingestickten Wolleinlagen zum hervorheben der Brüste und flügelartigen Applikationen am Rücken noch zusätzliche Blickfange, die dieses Kleid alleine mehr kosten liess als manches Haus.

Ich war so glücklich. Meine Verwunderung, weshalb ich mit meinen Eltern alleine an der Festtafel saß, wurden zur Seite gespült, als ich es anprobieren wollte, dies jedoch verboten bekam und mein Herr Vater mir eröffnete, dass dieses Kleid mein Hochzeitskleid sei und ich nun artig folgen sollte, dass sie mir meinen zukünftigen Ehemann vorstellen können.

Eine Welt brach für mich zusammen, als 10 Jahre Androhungen plötzlich Wirklichkeit werden sollten. Ich folgte still, wie man es von mir erwartete und selbst, als ich nach einer kurzen Kutschfahrt den widerlichsten Mann meines Lebens sah, blieb ich ruhig. Er hatte Warzen, stank auf zwei Meter erahnbar aus dem Mund und auch, wenn er nicht dick war, nein, so war er so furchtbar ungepflegt. Und als er bei unserer Vorstellung in seiner Nase bohrte und seine Ausbeute in den Mund steckte, begann ich innerlich und äußerlich zu weinen, was meine Eltern ihm als Freudentränen versicherten.

Ich fühlte mich so unfassbar ängstlich, hilflos und verloren. Eigenschaften, die ich weiter oben den Straßenhuren zusagte. In diesem Moment unterschied sie nicht viel von mir, bis auf die Tatsache, dass ich eine Geldhure war, als meine Eltern von diesem Mann einen großen Beutel mit Münzen bekamen und das Anwesen verließen. Ohne mich. Und ich würde nicht einmal mehr erfahren, für wieviel Geld sie mich verkauft haben. War ich eine gute Tochter und teuer? Oder war ich eine Last an ihrem Leben und war billig zu veräußern, Hauptsache weg?

In dieser Nacht spürte ich, wie ein Teil meines Herzens starb. Ich wurde verkauft, an meinem eigenen Geburtstag. Doch entschied ich für mich, dass ich das nicht mehr wollte. Zum ersten Mal in meinem Leben werde ich egoistisch sein. Und ich werde meine Schwester Destina davor bewahren, ohne ihren Willen wie ein Stück Ware verkauft zu werden.

Also floh ich. Es war nicht schwer. Ich liess alles behindernde hinter mir: Meine Kleider, den Schmuck, ja selbst meine geliebten Abendschuhe. Nur weg von hier. Das Anwesen meines "Gatten" hatte nur fünf Wachmänner, die trantütig Karten spielten und wenig auf ihre Arbeit gaben. Daher war es ihnen auch egal, als eine Tür ins Schloss fiel und mein einziger Fluchtfehler somit unbestraft blieb.

Ich holte meine Schwester von zuhause ab. Und wie es das Schicksal wollte, band uns auch ab dieser schicksalhaften Nacht nichts mehr an unser Elternhaus, denn unsere Großmutter verstarb in ebendieser Nacht und liess nur unsere strengen Eltern zurück.

Also brachen wir auf in ein neues Leben. Ein Leben, weg von unseren Eltern. Ein Leben, das wir schon immer leben wollten. Freudig, leidenschaftlich und vor allem frei. Wir haben die letzten sechs Jahre nicht bereut und werden auch die kommenden nicht bereuen. Denn auch, wenn der Krieg viele Männer mit sich nahm, gibt es noch immer genug, die ungestillte Sehnsüchte haben, die ihnen ihre Frauen und Gespielinnen einfach nicht erfüllen. Dafür sind wir nun hier.

Denn eines frage ich mich immer wieder:

Wenn Männer dafür bezahlt werden, Menschen zu töten, wieso ist es dann sündig, wenn wir bezahlt werden, Menschen Freude und Lust zu bereiten?

In Liebe,

Jael
o°˜"ª¤.¸ღ¸.¤ª"˜Une fois n’est pas coutume ˜"ª¤.¸ღ¸.¤ª"˜°o
Je ne veux pas dire que je te l'ai dit, mais je te l'avais dit que tu m'aimeras -
alors goute le péché de ma peau.
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Tagebuch einer Kurtisane - die zwei Schwestern - von Jael Wolkenstein - 04.10.2014, 21:01



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