Katzengold
#4
Ein Gutes hatte es: zwar schwitzte er gewaltig in der Mittagshitze, aber der Dreck auf der Straße war so fest gebacken, dass sich leicht mit einem Stöckchen darin zeichnen ließ. Von Zeit zu Zeit klopfte er den Dreck wieder glatt, wenn ihm die Zeichnungen doch nicht zusagten und begann von neuem. Fast würde man ihm die gewaltige Anstrengung nicht ansehen, die diese Arbeit von ihm erforderte, würde er nicht gelegentlich die Zungenspitze zum Mundwinkel raus schieben oder die Wangen aufblähen, nur um kurz darauf erschöpft zu seufzen. Das lag daran, dass die eigentliche Arbeit in seinem Kopf statt fand.
Gerade stellte er eine Zeichnung fertig, die jeder Zehnjährige mit mehr Kunstfertigkeit und Niveau erschaffen hätte. Sie zeigte ein Strichmännchen mit ausgeprägten sekundären weiblichen Geschlechtsmerkmalen. Zwei diagonale Striche kreuzten sich darüber.
Die zweite Zeichnung war offenbar ein Haus mit einem Loch im Dach.
Die dritte Zeichnung wurde mehrfach platt geklopft und neu begonnen, bis zwei "U" offenbar die Zustimmung des Künstlers fanden.
Es folgte das Bild eines Strichmännchens mit einem U in der Hand, genauer gesagt an dem Strich, der wohl einen Arm darstellen sollte.
Dann wieder ein übertrieben deutlich als Frau zu erkennendes Strichmännchen mit einem Pfeil, der davon weg zeigte.
Hier schien er eine Weile zu überlegen, entschied sich dann aber für Simplizität und malte einfach nur ein paar senkrechte Wellenlinien in den Dreck.

Nachdenklich kratzte er sich, sein Werk betrachtend, mit der Stockspitze am Kiefer, wobei er einen schmutzigen Streifen hinterließ. Fertig war er noch nicht, aber irgendwie kam er nicht drauf, wie es weiter gehen sollte. Nur der Schluss stand schon fest. Gedankenverloren griff er zu der kleinen Flasche, die er sich in die Schuhe gesteckt hatte, öffnete und trank. Einen Moment lang bereute er die Entscheidung. Es war eh schon heiß, da wurde es fast unerträglich, wie ihm nun die Wärme die Kehle runter floss. Aber es brachte ihn auf eine Idee.
Er malte etwas, das mit viel Fantasie als Schuh durchgehen könnte, zumindest dann, wenn man einen Schuh flach auf ein Stück Holz nageln würde.

Der Stock wurde in den Boden gerammt und noch ein Zug aus der kleinen Flasche genommen. So! Jetzt war es gut! Er nahm sich ein paar Minuten, um sich die Bilder auf dem Boden gut einzuprägen, bevor er sie wieder platt trampelte. Sollte bloß niemand auf die Idee kommen, ihm sein Lied zu klauen.
Er ging von dannen, ein Lied auf den Lippen und wer lauschte konnte vermutlich das ein oder andere Wort davon mitbekommen.

"... ich klag nich', dass die Alte ging
die fing eh schon an zu stinken
Ich find noch Schnaps in meinem Strumpf
und trinke, trinke, trinke ..."
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Nachrichten in diesem Thema
Katzengold - von Lixari Tiefenthal - 15.07.2014, 18:50
RE: Katzengold - von Julias Kerzwacht - 17.07.2014, 00:10
RE: Katzengold - von Lixari Tiefenthal - 18.07.2014, 03:48
RE: Katzengold - von Julias Kerzwacht - 19.07.2014, 21:21



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