Von Bastarden und Hirschen
#4
Wenn wir am Ende unseres Lebens auf die Summe unserer Taten zurückblicken, wollen wir Stolz sein. Wir wollen stolz erhobenen Hauptes in die große, unbekannte Dunkelheit marschieren und Fanfaren sollen davon künden, dass wir auf ein gutes Leben zurückblicken können, das wir alles versucht haben. Wir wollen darauf zurückblicken und sagen können:“Ich war hier, ich habe ein Zeichen gesetzt. Die Welt wird ohne mich ein anderer Ort.“ Die Makel hingegen, die uns fehlbare, wankelmütige Wesen genauso ausmachen wie all' das gute, das wir geleistet haben, wollen wir übersehen. Wir wollen nicht im Wissen aus diesem Leben scheiden, dass wir genauso versagt wie gewonnen haben könnten. Wir wollen, dass unsere ehrbaren Taten diese dunklen Flecke unseres Lebens überscheinen und uns blind machen für das, was wir nicht zu vollbringen imstande waren. Wir wollen diese uns unablässig stechende Scham nicht als Begleiter unseres finalen Atemzuges wissen. Wir wollen von liebenden Menschen, von Freunden und von dem umringt sein, was uns Stolz zurückblicken lässt.

Wohin also, führte das Leben von Skaskar Sturmschlag, Wächter des Bundes, Sohn des Nordens, also nun? Entgegen aller Warnungen, entgegen aller Furcht, dass es so kommen könnte, wie es kam, hatte sich der Krieger in einer unendlichen Gestes des Trotzes und der Rebellion einer Frau zugewandt, die so viele Wahrheiten wie manche Wiesen Grashalme kannte. Und im Bestreben ihr die Sicherheit von nur einer Wahrheit, nur einem Leben, welches sie hätte leben müssen, zu geben, war er zu Boden gegangen. Er hatte immer wieder gesagt, dass sie nicht ungefährlich war, mit Worten töten konnte und sich am Ende selbst damit verletzt. Die Verletzungen wogen so unsagbar schwer, dass er selbst jetzt zu zerspringen glaubte, dachte er an die Zukunft und daran, dass er sie nicht hatte ins Licht führen können. Selbst jetzt gab es sogar einen Teil von ihm, der sich der Realität beharrlich widersetzte und darauf bestand, die Scherben eines Paares, welches nicht einmal eines gewesen war, wieder aufzusammeln. Wo sollte es also hinführen? Er wusste wo es für Sam hinführen würde: In die falsche Richtung. Wieder in eine Welt, in der sie zwischen machtvollen Männern taumelnd, sich selbst vergessen und am Ende verwelken würde, bis nichts mehr von ihr übrig war und sie zu einem charakterlosen Spielzeug derer geworden war, die sie nur nutzen aber niemals schätzen konnten.

Die heeren Ziele, denen er unaugesprochen noch wenige Tage zuvor entgegengestrebt hatte und für die ihn wahrscheinlich selbst die Frau, die sonst an seiner Seite stand, belächelt hätte, waren noch immer in seinen Kopf eingepflanzt als hätte sich nichts geändert. Als hätte nichts von dem schicksalshaften Abend stattgefunden, der alles entzweit hatte, bevor es begonnen hatte.

Die Welt, in der er sich von außen betrachtete, war mit einem Schlag zu einem lichtlosen Ort geworden. Der Ort, von dem er Lilya noch gesagt hatte, dass er genau dort kämpfen wollte, weil die Dunkelheit ihn in ihrem Herzen am wenigsten erwartete. Er hatte sich immer für einen Mann von größtmöglicher Tapferkeit gehalten und jetzt kam es ihm wie das dumme Gewäsch eines naiven Narren vor. Naivität – sie beide – Sam und Skaskar – hatte das verbunden. Der Glaube, dass aus dieser ungleichen Paarung etwas enorm starkes erwachsen konnte, nur um in einer einzigen Stichflamme aneinander zu verbrennen.

Mehr noch: Betrachtete man die einsam in seinem Haus in Hohenquell sitzende Gestalt eingehender, so würde man nicht nur die trockenen Lippen, die steife, reglose Haltung und die leeren, fokuslosen Augen sehen. Man würde vor allem einen Mann sehen, der so stark entflammt war, dass nach dem Feuer nicht einmal seine Seele noch Worte dafür finden konnte, wie es weitergehen sollte. Es war als sei er gestorben und sein Körper sich jedoch weiterhin wehrte, dessen Funktionen aufzugeben. Wie lange hatte er die Tür seines Hauses angestarrt, bis er Zuflucht bei den Juren gesucht hatte, nur in der Hoffnung, dass sie zurückkommen und ihm dadurch einen Teil von seiner Stärke zurückgeben würde, die mit jedem Atemzug mehr zu verlieren dachte.
Wie sehr hatte er gehofft, dass sie am nächsten Morgen, als er wieder dort einkehrte, die zerbrechliche Gestalt doch wieder Zuflucht unter den Fellen des kleinen Schlafraumes gesucht hatte. Aber so sind Hoffnungen gestrickt: Dafür gemacht, eines Tages zu enden – auf die erfüllende, wohltuende Weise oder eben die unerfüllte, schmerzliche Weise.

Und dieser Schmerz saß noch immer tief. Es war nicht der gute, der körperliche Schmerz, der ihm zeigte dass er am Leben war. Nicht der Schmerz, der ihm sagte, dass er ein Mann war, der die Prüfung seiner Welt einmal mehr bestanden hatte und erhobenen Hauptes durch sie marschieren konnte, als regierte über jedes Sandkorn höchstpersönlich. Nein, es war der Schmerz, den wir tausendfach bitterlicher spüren, wenn wir unsere Augen schließen und auf die verronnenen Möglichkeiten zurückblicken, die ein einzelner Moment unseres Handelns in die Unmöglichkeit gebannt hat. Dieser entscheidende Augenblick, der uns immer als schmerzhafter und dunkler Begleiter folgen wird und nur darauf lauert, aus den Schatten aufzuerstehen und uns zu beißen, wenn wir gerade denken, alles sei überstanden. Er beißt uns in Momenten der Schwäche und lässt uns von ganz oben nach ganz unten fallen – ohne Rücksicht, ohne Skrupel, ohne Gewissen.

Servano war ein Lehen der Alpträume. Aus der Dunkelheit, aus der sich Stadt und Land näherten konnte nie etwas gutes entstehen, sondern nur weiterer Makel. Zwei mal hatte er gedacht, einen wunderschönen Vogel von der Straße aufgelesen zu haben, der nur wieder fliegen würde, würde man ihm die Flügel gesundpflegen. Stattdessen waren es am Ende seine eigenen Flügel, die er sich damit stutzte. Bereitwillig. Konnte er sich diesmal wieder erheben? Und wenn ja, wo würde er das tun? Würde er wieder in den Bund zurückkehren, in die Arme einer Familie, die ihm so entfremdet vorkam wie ein Nortgarder sich eigentlich nur in Silendir vorkommen würde? In all' diesen Wirren, all diesen Wegen, die sich mit Scherben gesäumt vor ihm auftaten, war da nur noch die einsame, kleine Flamme eine Konstante. Eine Flamme, die die Schamanin der Juren gesehen hatte und die ihn daran hinderte, nicht selbst in die Charakterlosigkeit zu versinken. Sie war der einzige Weg, den er klar sehen konnte. Weil dieser Weg immer ein Teil von ihm und somit unveränderlich war.

Wir alle treffen unsere Entscheidungen und müssen mit ihren Konsequenzen leben. Skaskar traf seine und der schwarze Makel eines Tages in dem er nicht stark genug für das Wesen war, dass er eigentlich zu schützen geschworen hatte, würde stets bleiben, wie ein hässlicher Dorn, der ihn stets dem eigenen Versagen mahnte. Vielleicht würde er eines Tages verblassen und überschienen werden von den Taten die da noch kommen mögen, so wie es auch mit vergangenen Flecken seines Lebens gewesen war. Doch momentan sah der Streiter nichts als Splitter eines Lebens, das noch hätte werden können, eines Lebens in dem sich viele Alternativen zeigten und in dem nur eine Person im Zentrum stand: Die Anwärterin die zu seiner Gefährtin geworden war.
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Nachrichten in diesem Thema
Von Bastarden und Hirschen - von Somberlie - 17.03.2014, 22:55
Prolog - von Somberlie - 13.06.2014, 00:12
Splitter. - von Gast - 11.01.2015, 03:36



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