Hammer und Amboss - Aus dem Leben eines Schmiedes
#38
Ehrfurcht. Das war das richtige Wort. Zumindest war es das erste Wort das ihm einfiel als er in die lange Gallerie betrat, die den Weg zur Rabenschmiede deutete. Der kalte Stein und die dunklen Gänge hatten ihren ganz eigenen Charme. Jahrhunderte alte Abbilder, in Stein gebannt und für die Ewigkeit erschaffen. War es nicht genau das, was jeder Mann von sich selbst erhoffte? Irgendwie der Nachwelt erhalten zu bleiben, den kommenden Zeitaltern etwas zu hinterlassen, was ihn nicht vergessen und verschwinden lassen würde, sobald Morrigu ihre Krallen nach einem ausstreckte. Und hier stand er nun, von Aki geführt und von Anouk begleitet, umringt von den Statuen vergangener Zeiten, an die sich wohl kaum noch jemand erinnern konnte, welchen Zweck sie dienten oder wem die große Ehre zuteil wurde hier verewigt zu werden. Er hätte hier Stunden verbringen können, wäre da nicht das eigentliche Ziel ihres Ausflugs gewesen. Die Schmiede.


Sicher kam es ihm etwas seltsam vor, den Sack mit Rohfleisch den ganzen Weg mit sich geschleppt zu haben. Da er aber nur als Begleiter fungierte, war es nun auch nicht wichtig genug, um tiefer ins Detail zu gehen, der Schmied Rabensteins würde schon seine Gründe haben. Es dauerte Stunden des Weges, bis sich dieser Grund endlich offenbarte. Der tiefe, dunkle Schlund der Esse führte hinab in den Berg. Tiefer als man mit dem bloßen Auge erkennen konnte und irgendwas in seinem Inneren sträubte sich dagegen, dem Abgrund auf den sprichwörtlichen "Grund" zu gehen. Es dauerte nicht allzu lange, bis das besagte Bauchgefühl Bestätigung bekam von einen nun ganz realen Grollen aus der Tiefe des Berges. Und als der Schmied das Fleisch auch noch in den Abgrund kippte, dämmerte es Kordian langsam, wie das ganze ineinander griff und was es zu bedeuten hatte. Er fütterte "etwas" ... Etwas, das dort unten hauste und nun mit schmatzend, krachenden Bissen die großen Brocken an totem Wild verschlang, welches ihm von den Oberflächenbewohnern soeben präsentiert wurde. Es dauerte seine Zeit bis die gierigen Fresslaute abklangen und das Ende der Verköstigung ankündigten. Ein Geräusch, wie es wohl schon seit Urzeiten von Menschen gefürchtet wurd folgte als nächstes. Sei es das Unerwartete oder die schiere Lautstärke der tosenden Flammen aus dem Abgrund, der gestandene Krieger wich zurück, erst ein Schritt, zwei, drei. Nur das Ausbleiben eines sicherlich schmerzhaften und nicht minder unrühmlichen Ablebens in der Feuersbrunst waren ein Indiz dafür, dass was auch immer hier vorging, zumindest im groben Rahmen der Kontrolle des Schmiedes unterlag. Er fütterte "es", damit die Esse geheizt wurde. Das war unglaublich, die schiere Abstraktheit der Symbiose zwischen dem Schmied, der Esse und dem Lebewesen im Berg, lies Kordian mit offenem Mund wie einen Tölpel das dargebotene Schauspiel betrachten.


Die Tatsache, dass Aki seine Arbeit weiter verrichtete und die Glut der Esse nutze, um seiner Kunst eine greifbare Form zu verleihen, erschien für Kordian plötzlich so nebensächlich, als er die erlebten Dinge noch zu verarbeiten suchte. Es waren einfach zu viele Eindrücke, um sie mit einem einzigen mal zu verarbeiten und würdigen zu können. Irgendwann auf dem Rückweg, als die Glut und Hitze der Rabenschmiede schon abgeklungen war, beschloss der Krieger nicht das letzte mal hier gewesen zu sein. Dieser Ort war wirklich etwas, das man gesehen haben musste. Ehrfurcht war das vorherrschende Gefühl des Soldaten, als sie den Berg mit Anouk und Aki wieder verliess.
Lernen durch Schmerz
Motivation durch Entsetzen
Festigung durch Wiederholung
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RE: Hammer und Amboss - Aus dem Leben eines Schmiedes - von Kordian - 06.06.2017, 21:13



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