Hammer und Amboss - Aus dem Leben eines Schmiedes
#22
Kapitel XII – Anu

[Bild: ryvqgbd3.jpg]

Es gibt Schicksalsgötter, auf die Aki fünf Gulden hätte wetten können, dass sie niemals als die seinen prophezeit werden. Darunter sind Ogma, Bridig und Anu. Er kommt nicht umhin sich zu fragen, ob er sich nicht einen seiner Schicksalsgötter als seine letzte Arbeit aufheben hätte sollen. Aber der Tatendrang war am Anfang einfach zu stark.
Als er über Anu, der Göttin der Mutterschaft und Erde brütet, fragt er sich was für ein Gefühl es in ihm auslösen sollte. Soeben führt er den feinen Meißel für die Feinarbeit über die Gesichter. Anu selbst besitzt ein gütiges Gesicht, das jedoch nicht lächelt und dadurch eine gewisse Strenge besitzt. Ihr langes Haar ist zu einem Zopf gebunden, der bis tief auf den Rücken hängt, jedoch ist ein Teil vom Kopftuch verborgen, das sie zweckdienlich trägt. Trotzdem hat das Kleinkind auf Anu's Arm ein Bündel an Strähnen unter dem Stoff befreit und hält es mit der winzigen, schrumpeligen Faust umschlungen. Aki musste dem Kind so viele Haare zumuten, da sonst der Steinstrang zu schlank und zerbrechlich gewesen wäre.
Das Kind auf Anu's Arm blickt verspielt und heiter drein, die Bäckchen dick vor Freude und die Augen vertrauensvoll geschlossen. Aki hat sich Bilder von Kindern zur Hilfe genommen, in den tiefen der Löwensteiner Bibliothek ausgegraben, als er bei Orestes zu Besuch war. Seine Vorstellung gibt ihm kein Bild, wenn er an ein lachendes Kind denkt. Allgemein ist sein Horizont dahingehend eingeschränkt. Aki's Einstellung zu Kindern ist schwer zu beschreiben. Er mag sie nicht, aber er hat auch keine direkte Abneigung, solange er nicht damit in Berührung kommt. Egal sind sie ihm auch nicht, denn eine gewisse Toleranz braucht man für die nächste Generation, nicht wahr?
Wenn er in das Gesicht und die damit einhergehenden, großen Augen eines Kindes sieht überkommt ihn Überforderung und Unwohlsein. Viel anders ergeht es ihm nicht beim Erschaffen der Statue. An Anu's rechtes Bein klammert sich ein Junge von etwa drei Sommern, der sachte an der Schürze zieht, die ihren schlichten Rock ziert. Er sieht spitzbübisch zum Betrachter voran, ein Blick der gleichermaßen unschuldig als auch neugierig wirkt. Während vielen beim Anblick eines solchen zarten Gesichts das Herz aufgeht, löst es in Aki nur Unbehagen aus. Er ist nicht dafür gemacht Vater zu sein und vermutlich wird er auch nie einer werden. Aber es ist nichts, was er vermissen würde. Wenn er an seine eigene Kindheit denkt, erinnert er sich daran was für ein schlechter Vater der seine war. Aki war Eduart, seinem verstorbenen Vater, in vielen Hinsichten ähnlich. Vermutlich gehört die Unfähigkeit ein guter Vater zu sein ebenfalls dazu. Man muss es wohl gewissermaßen in sich haben und manchen Menschen liegt es einfach im Blut. Cahira beispielsweise, welche die perfekte Mutter verkörpert. Er denkt an die bodenständige, fürsorgliche Bäuerin und Kämpferin, als er Anu's Gesicht den Feinschliff verpasst.
Die Fürsorge und Hingabe arbeitet der Steinmetz ebenfalls in die Statue ein. Zum einen hält Anu das Kind im Arm schützend umgriffen, zum anderen deutet ihre Hand in behütender Geste zum Sockel hinab, die Handfläche nach unten gedreht und die Finger leicht abgeknickt, als würde der Handrücken ein Dach symbolisieren. Auf dem Sockel recken junge Pflanzen ihre Knospen in die Höhe und gedeihen unter Anu's Blick.

Als er das letzte Mal Hammer und Meißel beiseite legt und zum Pinsel greift, entfährt ihm ein lockerer Atemzug. Die Mammutaufgabe ist geschafft und es fühlt sich etwas fremd an nach den Monatsläufen, die er für die Statuen geopfert hat zum Ende zu kommen. Er ist sich sicher, dass es nicht das letzte Vorhaben in dieser Dimension war, denn das Handwerk stellt ihn jeden Tag vor neue Herausforderungen.
Trotzdem ist er von dem aufkeimendem Stolz überrascht, als er daran denkt, die Statuen an den Treppen zum Ratssaal des Rabenkreises aufzustellen. Er kann nur hoffen, dass die Statuen den ein oder anderen zum Innehalten und betrachten motivieren. Selbst wenn nicht, ist es ein imposantes Bild, wie die einundzwanzig aus Stein über Rabenstein wachen.
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