Hammer und Amboss - Aus dem Leben eines Schmiedes
#18
Kapitel IX – Ogma und Chronos


Ogma wäre vermutlich einer von Orestes Schicksalsgöttern, wenn dieser Mondwächter wäre. Er ist der Gott der Magie und Sprachgewalt, Patron der Herrscher und Gelehrten und gilt als äußerst charismatisch, überzeugungsfähig und redegewandt. Vermutlich wäre Ogma der letzte Gott, der Aki als Schicksalsgott propezeiht werden würde, weswegen er verständlichermaßen sogut wie überhaupt nichts zur Umsetzung beisteuern kann. Zu seinem Glück hatte er auch hier Hilfe, überaus überraschende Hilfe wohl gemerkt. Marie Strastenberg. Sie und Orestes besuchten Aki in der Löwensteiner Schmiede, als er zusammen mit Roderik mit der kniffligen Herstellung einer Schwertklinge beschäftigt war. Er schmiedet nicht gerne in Löwenstein, denn es weckt nur alte, ungute Erinnerungen, aber in diesem Fall hat es sich gelohnt. Irgendwie kam das Statuen-Thema zur Sprache und überraschenderweise stellte sich Marie als Mondwächtergläubige heraus. Eine Schreiberin der Vogtei, Schöffin zu Löwenstein und adrette Erscheinung glaubt an die Einundzwanzig? Nicht, dass er ihr nachstellen würde oder auch nur darüber nachsinnt, die Informationen wurden ihm auf die Nase gebunden. Man erwartet doch von einer braven Löwensteinerin, dass sie an Mithras glaubt. Was soll's, sie wusste eine Beschreibung zu Ogma beizutragen, die ihm weiter geholfen hat.
Trotzdem hat er lange über der Skizze gebrütet, da ihm seine Intuition und Vorstellungskraft während der Arbeit keine Hilfe sein würde. Die Variante der Statue von Kohle auf Pergament zeigt die Gestalt eines dürren Mannes. Auf dem zerbrechlich wirkenden Hals sitzt ein Kopf mit zwei Gesichter. Demnach nimmt das zweite Gesicht den Platz des Hinterkopfes ein. Das eine Gesicht, das dort sitzt, wo sich ein Gesicht hin gehört, blickt wissend dem Betrachter entgegen, ein gar schelmisches Lächeln auf den Lippen. Das Gesicht am Hinterkopf blickt kühl und berechnend drein. Für die Gesichtsausdrücke ist Aki meistens ein Spiegel eine gute Hilfe. In diesem Fall denkt er aber an Orestes, der beide der Mimiken des Öffteren zum Besten gibt. Er ermahnt sich stumm, solche Vergleiche niemals auszusprechen.
Der Rest des hageren Körpers ist mit einem faltenreichen Stoff behangen und lässt nur schmale Körperkonturen erahnen. Nach mehrmaligem Abwägen hat sich Aki entschieden, Ogma sitzend darzustellen, wodurch sich die Knie und der Rest der Gestalt unter dem Vorhang lebhaft abzeichnet. Auf dem Schos liegt ein offenes, wuchtiges Buch, in Fachkreisen auch Schinken genannt. Der Sockel ist ebenfalls von zahlreichen Büchern sowie, zum Teil zusammen gerollten, zum Teil entfalteten Schriftrollen bedeckt. Inmitten des Wissenschaos kann der aufmerksame Betrachter eine Schreibfeder in einem Tintenfass entdecken.

Als Zweites nimmt sich der Steinmetz die Tage der Darstellung von Chronos an, einem Faungott. Angesichts der Nummer an Finggöttern, die ihm noch bevor stehen, ist er heil froh um die Abwechslung. Chronos ist ein Gott, der sich mühelos und ohne große, metaphorischen Meisterleistungen darstellen lässt. Chronos ist der Gott der Gewässer und der Gezeiten, wobei sich sogar Aki an die Darstellung eines alten Mannes mit Schlapphut und Wachsmantel erinnern kann. So wird es auch im Stein umgesetzt. Der Schmied schenkt der Statue Details, wie ein wettergegerbtes Gesicht, runzelige Hände, als wäre Chronos zu lange im Wasser gewesen und zahlreiche Wassertropfen, die vom schweren Mantel abperlen. Um den Hals baumelt an einem Band ein Anker als Anhänger.
In einer Hand hält Chronos einen Fisch, der förmlich in der zappelden Bewegung eingefroren ist. Die andere Hand hat Chronos in Richtung Sockel ausgestreckt. Dort sitzt ein Schwan, die Flügel ausgebreitet, wie zum fort fliegen, den Kopf von Chronos abgewandt. Die Sagenkunde erzählt, das Chronos sich in diesen Schwan verliebt hat und ihn sucht, seit dieser einst nach Süden gezogen ist. Abgesehen davon zieren Wellen den Sockel. Eine der Wellen bricht sich an Chronos, der wie ein Fels in der Brandung im Wasser steht. Das Wasser um den Schwan ist dagegen ruhig und friedlich.
Nachdem die fertige Statue einen Platz im Laden gefunden hat, erhascht sie öffter als die Anderen einen Blick vom Schmied. Auf unbewusste Weise ist es ihm gelungen eine gewisse, stürmische Sehnsucht in Chronos's Gesicht zu verewigen, die ihn fasziniert. Im Gegensatz zu Ogma hatte er bei Chronos eine freiere Hand bewiesen, weswegen sich in der Statue mehr Emotion wieder spiegelt. Bei einem kurzen Blick zum dürren Wissensgott, kann Aki nur hoffen, dass er ihm trotzdem gerecht wurde. Von dort aus, wo der Schmied soeben steht, hat der sitzende Ogma ihm den Rücken zugewandt und wirft ihm einen kühlen Blick zu. Aki bemüht sich das nicht als Antwort zu werten.
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