[Quest] Die ganze Welt zu verschlingen
#1
Am Rande der Nacht

Als die letzten Strahlen der Sonne hinter den Wipfeln des Herbstwaldes verschwanden, kroch die Kälte der nahenden Nacht heran wie ein unaufhaltsames Übel, das sich einem jeden entgegenwand, der nicht schnell genug Schutz suchte. Fröstelnd eilte der Junge weiter, den schmalen Pfad entlang. Laub raschelte unter seinen Schritten, das Knacken von Ästen ließ ihn zusammenfahren. Der heisere Ruf eines Nachtvogels schien ihm zu folgen wie eine Warnung.
Mussten nicht langsam die Umrisse des kleinen Weilers auftauchen? Nur eine Hand voll Hütten waren es, ärmlich und unscheinbar, doch einen Brief hatte er ihnen nichtsdestotrotz von seiner Herrin zu überbringen.
Er kniff die Augen zusammen. Im Schatten des Waldrandes hatte sich die Nacht bereits mit düsterem Zwielicht manifestiert, schlich sich weiter über den Pfad, verschlang Farne und Büsche, Steine und Pflanzen. Die Luft roch modrig.
Da, endlich! Hinter den kahl aufragenden Ästen eines krüppeligen Baumes duckte sich das Dach einer heruntergekommenen Kate als suchte es sich zu verstecken. Der Bursche atmete erleichtert aus und beschleunigte seinen Schritt. Der unebene Pfad wand sich um ein Dornengestrüpp um unvermittelt im Zentrum einiger windschiefer Hütten an einem Brunnen zu enden.
“Mithras’ Segen!”, rief er schon von weitem erleichtert, noch vor endgültigem Einbruch der Nacht eingetroffen zu sein. Die Gedanken an ein warmes Strohlager als Nachtlager und einer Schüssel Eintopf schlichen sich wohlig in seinen Kopf ehe er seinen Irrtum bemerkte.

Wie leere, tote Augenhöhlen starrten die dunklen Fenster in der Dämmerung auf den Burschen. Eine lose Tür schwang unter leisem Knarren im Nachtwind. Finster lag der unförmige Haufen zwischen den Häusern aufgetürmt, halb abgedeckt von dreckigen Tuchbahnen, halb rußgeschwärzt, nur zum Teil zu Asche verfallen.
Man brauchte kein Licht um zu erkennen, worum es sich handelte. Noch immer lag der Brandgeruch in der Luft, mischte sich mit dem süßlichen Gestank verwesenden Fleisches und der modrigen Erde, aus der erster Herbstnebel aufstieg. Vielleicht war das Holz, das man zwischen die Leichen gelegt hatte zu feucht gewesen, vielleicht hatte es angefangen zu regnen – jedenfalls war das Feuer wieder verloschen, und niemand hatte sich mehr darum gekümmert. Da lagen sie, ihre faulenden Körper nur notdürftig verhüllt. Keiner war zurückgeblieben, um sich um die Toten zu kümmern.

Schaudernd trat der Junge einen langsamen Schritt zurück, dann noch einen, mit zitternder Hand das Sonnensymbol in die Luft vor sich zeichnend. Dann warf er sich herum, rannte los, stolperte über einen achtlos liegengelassenen Eimer, fiel, rappelte sich wieder auf, rannte weiter. Fort, nur fort von diesem Ort, den die Keuche an sich gerissen hatte, als wollte sie ganz genau hier anfangen, nun doch die ganze Welt zu verschlingen.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss.


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[Quest] Die ganze Welt zu verschlingen - von vonSperling - 02.11.2013, 19:36



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