[FSK-6] Amhraner Märchenstunde
#9
Das Ende

Das Ende einer Geschichte - immer ist es ein schwieriger Punkt. Vieles mag nicht gesagt worden sein das von Bedeutung ist, aber dann wiederum... was ist in einer Geschichte von Bedeutung? Es ist doch, was die Leser und die Zuhörer an Bedeutung in diese Geschichte steckten. Dieses Märchen - nun - viel ist von diesem Märchen nicht bekannt und viele Teile werden von zukünftigen Generationen wohl anders erzählt werden. Aber das Ende - das wunderschöne Ende, der einzige zuverlässige Freund im Rahmen dieses wirren Narrativs - vielleicht mag es von Bedeutung sein. Und vielleicht ist man sich daher nicht umsonst bezüglich des Endes einig. Was davor war? Nun... lasst mich euch sagen: Genug um die Lebenszeit einer Krähe zu füllen. Einer Krähe die mehr war als eine Krähe - oder weniger.:


...und als das Lied der Nachtigall schwächer wurde, konnte die Freundin das Geräusch mächtiger Schwingen vernehmen. Und während das Lied der sterbenden Nachtigall so schön klang wie niemals zuvor, war alles was die Freundin hervorbringen konnte ein Krächzen – ein tränenloses Krächzen, denn leider ist es Krähen auch nicht vergönnt zu weinen. Und als die Todesbotin landete, deren Schwingen die Freundin hörte, schlug deren Herz in einem Rhythmus unendlicher Trauer. Die Todesbotin sah die Trauer ihrer Artgenossin und sie richtete das Wort an sie: „Du bist die eine der unseren die Mitleid empfindet. Einst rettetest du meine Mutter und versorgtest mich und meine Geschwister.“ Doch die Freundin antwortete nichts darauf, denn Mitleid schüttelte ihr Herz. Mitleid darüber, dass die Nachtigall nun sterben soll, ohne je wahres Glück gekannt zu haben. Die Todesbotin sah den Gram der Freundin und ein kleiner Funke jener für Krähen dummen, närrischen Emotion begann sich im Herzen der Botin auszubreiten als sie erwiederte: „Du warst immer gut zu uns und auch wenn die Götter mich dafür verfluchen werden, will ich dir deinen sehnlichsten Wunsch erfüllen.“ Unfähig auch hierfür eine Träne des Danks zu vergießen beugte sich die Freundin über die sterbende Nachtigall und sprach die einzigen Worte, die je von Bedeutung waren: „In deinen grauen Augen, habe ich den blauen Himmel gesehen...“ Und als der Schmerz der Nachtigall schwand, flogen die Botin und die Freundin fort. Die Botin hielt ihr Versprechen. Jemand war gestorben – eine Seele wurde auf die andere Seite gebracht. Doch war es nicht die Seele der Nachtigall. Und so war die Seele der Freundin die Seele der ersten Krähe, die aufgrund des Mitleids, ihren Weg ins Himmelreich fand.
Die Götter waren verwirrt als sie die Seele der Krähe empfingen und sie waren bestürzt als sie sie ergründeten. Einen Tag erschien auf der Welt die Sonne nicht, als die Götter sich berieten. Und als am nächsten Tag die Sonne aufging, sahen alle Krähen, außer der Freundin, zum ersten Mal den blauen Himmel, auf dass kein Wesen fortan mehr ohne Hoffnung leben sollte.
Werden wir eine Seele wie die der Freundin jemals wieder auf Erden erblicken? Wahrscheinlich nicht, nicht heute und nicht in tausend Jahren. Es sei denn wir haben Hoffnung.
"We are your voodoo vampire neighbours."
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RE: [FSK-6] Amhraner Märchenstunde - von souvenance - 04.12.2013, 17:36



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