FSK-18 Voyeur
#17
Verstehen




Vor verschlossenen Fenstern und Türen war der Winter in Löwenstein eingebrochen. Entsprechend knistert ein wärmendes Feuer im Kamin und schenkt den leicht gehetzten Atemzügen etwas Hintergrundmusik. Unbewusst erinnert sich Aki an die Szenerie des Traumes, die spärliche Wohnung in Löwenstein, in der er vor vier Jahren gelebt hat. Die Einrichtung ähnelt eher einem Lagerraum und die Ösen an der Decke sowie die Seile lassen einen Flaschenzug oder eine Transporthilfe erahnen. Vorausgesetzt es würde dort kein nackter Kerl gefesselt sein. Die Handgelenke sind zusammen gefasst und mit einem Seil umwickelt, das bis zur Decke führt.
Vereinzelte Bluttropfen suchten ihren Weg den ansehnlichen, blassen Körper hinab, der mehr zitterte, als sich zu winden, wie es eigentlich der Fall sein sollte. Er ist dicht an der Grenze zum Erträglichen oder vielleicht schon darüber hinweg. Trotz Augenbinde kann sich Aki den stumpfen Ausdruck in den giftblauen Augen vorstellen, fern von Erregung und Verlangen. Die weibliche anmutenden Lippen sind fest zusammen gepresst und verraten ihm 'Du bist zu weit gegangen'.

Jahre später, als Zeuge der Situation, schreit alles in ihm danach, die Fesseln zu lösen und den Mann, seinen Mann dicht an sich zu ziehen, um auf Beruhigung zu hoffen. Hatte er das bedrohliche Knistern in der Luft nicht gespürt und die wütende Spannung in den schlanken Muskeln nicht erahnt?

Aber das Abbild seiner Vergangenheit war noch nicht fertig mit dem Hängenden. Aki erinnert sich vage, als er sich selbst zurück treten sieht, um sich an dem zurecht gelegten Werkzeug auf einem Beistelltischchen zu bedienen. Er wollte Orestes die Gedanken nehmen, den Kopf leeren, um ihm möglichst schmerzlos ein Schmuckstück zu stechen. Jedoch kann er sich kein deutlicheres Zeichen von Alarmbereitschaft vorstellen. Orestes ist hellwach und als die Nadel das zarte Fleisch trifft, spannen sich die Muskeln vor Anstrengung. Die ohnmächtige Hinnahme und das bemerkenswerte Stillhalten waren vielmehr auf die Angst vor einem Fehlstich und dem damit einhergehenden Schmerz geschuldet, als auf einen leeren Kopf.

»Aki, mach mich sofort los.« kam es kurz nach der Schmückung scharf und unnachgiebig und er beobachtet sich selbst mit überrumpelter und verwirrter Miene. Er hat kein Gehör für die verletzte Note in der Stimme, sondern hört nur die Ablehnung darin. Keinen Augenblick lang wär es ihm in den Sinn gekommen, dass er einen Fehler gemacht hat. Er besas den Sturkopf eines starrsinnigen, Stiers, der vom Rot gelockt wurde. Kein Wunder, dass ihn nach der Situation nurnoch verletzte Blicke aus Orestes Richtung trafen. Aki wandte sich anderem zu, was Orestes vermutlich einen nur noch heftigeren Stich versetzen musste. Hatte er es tatsächlich ernst mit ihm gemeint und er hat ihn derart verhöhnt? Kein Wunder, dass er den Schmuck entfernt hat.

Mit einem gedämpften Brummen wacht er auf und blinzelt verschlafen. Orestes Leib klebt noch verschlungen an ihm, so viel Nähe suchend wie möglich. Die Arme sind angewinkelt und die Hände an Aki's Brust abgelegt, während ein Bein zwischen seinen Knien klemmt. Er selbst hat die Nase tief in Orestes Schopf vergraben und als seine Sinne soweit zurück kehren, strömt ihm der hinreissende Geruch nach hitzigem Sex, Schweiß und einem kupfrigem Hauch von Blut in die Nase. Die begleitenden Schreie klingen noch in seinem Kopf nach, wohltönend und auf dem Punkt. Exakt so muss er klingen, keinen Akord anders, was ihm mittlerweile vollkommen bewusst ist.
Wenn Orestes derart stöhnt, braucht es keine Worte. Der gequälte Schrei sagt alles: 'Weiter, genau da, hör blos nicht auf, sei blos nicht sanft, bei Branwen wie gut sich das anfühlt', während er ihn zugleich stumm beschimpft: 'Du verdammter Mistkerl, warum kannst du das so gut, scheiße ich werd dich noch Tagelang spüren. Ich verfluche deinen Körperschmuck, der alles kribbeln lässt.'
Mit einem dezenten, verschlafenen Grinsen, starrt er Orestes halbwach an, die Lider träge geöffnet und murmelt etwas unverständliches. Der verhangene Blick gleitet über Orestes Brust und bestaunt die Lichtreflexion an dem Spinnennetz, welches die Brustwarze ziert. Falls überhaupt möglich, schmiegt sich Orestes noch dichter an ihn und legt den Unterarm unbewusst an die Brust, den Blick auf den Schmuck verhüllend. Durchatmend bemüht Aki sich wieder einzudösen, aber die Gedanken sind bereits zu wach.

Was hat sich in den Jahren seitdem verändert?
Mittlerweilen verstehen sie sich stumm. Es ist vielmehr Aki's Unfähigkeit zur anständigen Konversation, die nicht desinteressiert, abwertend oder verletztend wirkt, welche sie dazu gebracht hat, andere Methoden zu erwägen. Seine Kommunikationsprobleme führen zu oft zu Streit, der verletztend für Orestes endet. Emotional, nicht körperlich, was umso grausamer ist. Etwas, das er eigentlich zwingend vermeiden will. Ist es die nächste Stufe seiner Grausamkeit, wenn er seinen Liebsten nicht mehr verletzt, schlägt oder erwürgt – abseits vom sexuellen – sondern ihm ins Herz sticht?
Er bemüht sich, aber bemühen reicht manchmal nicht. Orestes tut so viel mehr. Er setzt Zeichen, winkt mit dem Zaunpfahl, dass sogar der gefühlsblinde, verständnislose Hüne es versteht. Wenn Orestes sauer, beleidigt oder eifersüchtig ist, setzt er sich auf die Vitrine mit den Teilen aus Götterstahl. Nicht nur daneben, sondern skrupellos direkt darauf. Indirekt ist es ein Gesuch nach Nähe und Aufmerksamkeit. Wenn der schwarzhaarige Schönling keine Lust mehr auf züchtiges Beieinander hat, muss er Aki nur zwicken oder auf andere Weise provozieren. Orestes kennt diese Schalter mitlerweilen, die ihn – ohne Diskussion, Worte oder Vorwarnung – direkt in den Keller verfrachten.
Wenn Aki daran ist die Beherrschung zu verlieren, beginnt Orestes sein Haar zu flechten. Ein 'Nein' oder 'Hör auf' würde ihn nur antreiben, wenn es überhaupt zu ihm durchdringt. Das Sicherheitswort, das er einst vorgeschlagen hat, wurde seit einer gefühlten Ewigkeit nichtmehr bentzt, da Orestes aufmerksam bemerkt hat, dass er Aki stattdessen auch ein Messer in den Bauch rammen könnte. Der Effekt wäre der gleiche, blanke Wut, da es für den Sadisten als grobe Zurückweisung gilt.

Irgendwann auf dem Weg zur Zweisamkeit hat er die Kontrolle und Dominanz aufgeteilt. Er nimmt Orestes für ernst und schätzt seine Ideen, Ansichten und Handlungen. Nur, wenn sie beide scharf sind, sind die Rollen eindeutig verteilt. Dennoch bleibt ein minimal herber Beigeschmack von dem Traum. Warum hat er es nochmal mit mir versucht, nach der schlechten Behandlung damals?
Die Antwort klingt noch so frisch, als wäre sie gerade ausgesprochen - besser gesagt gehechelt - worden in seinem Kopf nach 'Niemand kann so zuschlagen wie du.'
Das eigene Grinsen macht ihn erneut hellwach, zumindest denkt er das, bis er sich an Orestes bewegt und den wahren Grund erörtert. Die Laken knistern leicht, scheinbar war der nackte Mann gerade dabei, den kuschligen Fellen zu entfliehen. Was bedeutet, er ist ebenfalls wach. »Nein.« grollt Aki mit, vom Schlafen heisernen Stimme. Weitere Worte sind nicht nötig, Orestes merkt rasch selbst, das Aki wohl noch nicht mit ihm fertig ist. So wird der nötige Schlaf noch etwas aufgeschoben und die prankenhaften Hände bahnen sich ihren Weg.

[Bild: yfcsaduw.png]
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Voyeur - von orikson - 27.10.2013, 14:33
RE: Voyeur - von orikson - 30.10.2013, 14:18
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RE: Voyeur - von Aki Durán - 10.07.2018, 17:09



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