FSK-18 Voyeur
#11
Vergangenheit, Gegenwart & Zukunft

Was tut ein Voyeur, wenn er nichts zu beobachten hat? Er hält Ordnung, um bei Bedarf seine Werkzeuge beisammen zu haben. An diesem Tag betrifft es aber nicht sein Regal mit diversen Stöcken, Peitschen, Gerten oder Metallketten. Sondern tatsächlich nur den Ladenbereich der Schmiede. Er entstaubt die Helme, die als Dekoration dienen und säubert die Vitrinen.
Als sein Blick aus dem Fenster fällt, sieht er gerade eine Frau vorbei gehen. Mit stummer Gewissheit weiß er, dass sie zu ihm will. Er schnaubt und pfeffert den Lappen in die nächstbeste Ecke. Die schweren Schritte übertönen die ihren und kaum, dass sie einmal zaghaft geklopft hat, zieht er schon die Türe auf.
Sie sehen sich an und Aki tritt gruß- und wortlos zur Seite, um ihr Einlass zu gewähren. Mit einem sanften Seufzen greift die Frau beidhändig an die Kapuze und wirft sie zurück. Ihr lieblicher Pfirsichgeruch dringt sogleich zu ihm durch.
»So zuvorkommend wie immer.« Sie dreht sich auf den Absätzen zu ihm um und in ihren Augen steht Belustigung. Ihre Finger spielen an der Umhangkordel herum und provozieren, das sein Blick auf ihren Ausschnitt fällt.
»Was willst du?« schnaubt er, während er sich fragt, wie eine Frau den ganzen Tag lang ein so enges Korsett tragen kann. Ihre Rundungen wollen ihm förmlich entgegen springen.
»Das weißt du. Ich komme wegen meiner Bezahlung oder soll ich sagen dem Versprechen, das du noch einlösen musst?«
Aki verschränkt die kräftigen Arme vor der Brust und lehnt sich an die Wand. »Ich sagte, wenn du Erfolg hast.«
Sie lacht auf und er muss sich eingestehen, dass sie ein klares, helles Lachen hat. Er erinnert sich an ihr Stöhnen und Keuchen, das er unfreiwillig miterlebt hat. Da sie eine Hure ist, spinnt sein Kopf aber keinen weiteren Gedanken. Überlegt dir besser, wie du sie schnellst möglich los wirst.
»Sie ist hier. Welchen Erfolg hattest du dir denn sonst erhofft? Ich bin keine Närrin, Aki. Steh zu deinem Wort oder ich sorge dafür.«
Sie tritt näher und hüllt ihn wieder mit ihrem Duft ein. Die grünen Augen funkeln herausfordernd und sie wedelt mit dem Zeigefinger vor seiner Nase herum. Etwas, das er nicht im Geringsten leiden kann.
»Du solltest gehen.« Er greift nach ihrem Handgelenk und fängt sich dafür eine Ohrfeige ein. Ihr Blick wirkt aufgebracht und er spürt, wie sie seine Geduld strapaziert. Ganz zu schweigen von seiner Beherrschung. In einer entschlossenen Bewegung legt sie ihre Handfläche an seinen Bauch und reckt sich leicht nach ihm. Er lehnt den Kopf dichter an die Wand und beobachtet sie misstrauisch.
»Du hast mir nichts zu befehlen.«
»Ich rate es dir nur, bevor du es wohlmöglich bereust.« Sie schmunzelt wissend und ihn beschleicht das Gefühl, das etwas triumphierendes und boshaftes auf ihren Zügen liegt. Er reagiert zu langsam, als sie sich noch weiter reckt und ihre Lippen auf seine legt. Es liegt keine Zärtlichkeit in der Berührung und er zieht zu spät den Kopf weg.
»Verschwinde endlich.« Knurrend packt er ihre Schultern und schiebt sie zur Türe. Als er spricht, spürt er etwas Bitteres auf seiner Zunge. Intuitiv fährt er mit der Zunge über die Lippen und merkt, dass der Geschmack intensiver wird. Etwas stimmt nicht. Mit einem ruppigen Stoß drückt er die Türe auf und schiebt sie weiter aus seinem Laden. Sie lässt die Behandlung ohne jeden Widerstand über sich ergehen. Was heckst du aus, Weib?
Als ihm die frische Luft entgegen schlägt, muss er sachte Würgen. Ihm wird übel und er wischt sich rasch mit dem Handrücken über die Lippen.
»Es tut mir Leid, Aki.« sagt sie, während sie ein paar Schritte entfernt von ihm stehen bleibt und ihn beobachtet. Ihre schlanken Finger holen eine Phiole unter dem Umhang hervor und sie schnippt ihm den Korken ins Gesicht, bevor sie trinkt. Die farblose Flüssigkeit rinnt aus dem kleinen Gefäß und ihr zarter Kehlkopf hüpft leicht.
Er wundert sich, warum er nichts erwiedert, sein Kopf sendet den Befehl an seinen Mund, aber nichts geschieht. Langsam wird jeder Herzschlag mühsam und seine Beine fühlen sich schwer an. Er sieht schwarze Tintenflecken in seinem Blickfeld, die stetig nieder tropfen und dieses bedecken. Die Hure mit dem Umhang spricht weiter, als er auf die Knie fällt.
»Es sollte einen Stier in wenigen Herzschlägen unschädlich machen. Kämpf nicht dagegen an.«
Er knurrt tonlos und etwas Speichel läuft ihm am Mundwinkel hinab. Sein Körper gehorcht ihm nicht mehr und seine Muskeln zucken bei jeder Bewegung, als hätte er sie zu sehr strapaziert. Für einen Moment stützt er sich noch auf die Arme, aber die heftige Erschöpfung übermannt ihn immer mehr. Als seine Arme einknicken, spürt er, dass er nicht so hart fällt, wie befürchtet. Ihre warme Hand liegt an seiner Wange, bevor er das Bewusstsein verliert.


Ein stetes Tropfen in der Ferne weckt ihn auf. Ein Wassertropfen klatscht immer wieder aus gewisser Höhe auf den Steinboden, wo sich dem Geräusch nach schon eine Pfütze gebildet hat. Schnaufend kreist Aki den Kopf zur anderen Seite und blinzelt mühsam unter dem dumpfen Schmerz in seinem Kopf. Dabei hast du dich nicht einmal geprügelt oder betrunken.
Die Erinnerung kommt nur schwammig wieder und er keucht resignierend. Verdammte Hure.
Er kann von der Umgebung nichts sehen, da es stockfinster ist. Das Tropfen verrät ihm, dass der Boden aus Stein sein muss. Wo kann er sein, dass es so finster ist? Als er sich bewegt, hört er ein Rasseln. Erst jetzt realisiert er, dass seine Arme nach oben hängen. Er steht leicht hüftbreit und als er die Knie nacheinander anhebt, kann er ausschließen, dass seine Beine fixiert sind. Erneut zieht er an den Fesseln, diesmal heftiger. Die Ketten sind etwa zwanzig Zentimeter lang, so wie sie nachgeben. Abwägend lehnt er sich vor, zurück und zur Seite. Er ist an Ösen befestigt, vermutlich an der Decke.
Hinter ihm wird eine schwere Türe geöffnet. Aki spürt einen Windzug und muss feststellen, dass er von seinem Hemd befreit wurde. Die kalte, feuchte Luft streicht an seinem nackten Rücken entlang.  Er sieht über die Schulter und wird geblendet, als sich ein Fackelschein nähert.
»Ist es das was du willst, Hure?«
»Sie ist nicht hier.« sagt die tiefe, raue Männerstimme. Aki blinzelt und kann vage erkennen, dass der Mann einschüchternd groß ist. Die breiten Schultern sind von einem dunklen Umhang verborgen, dessen Kapuze über den Kopf geschlagen ist. Ihm schmerzen die Augen von dem Licht, aber er bemüht sich dennoch so viele Details wie möglich aufzunehmen. Die Fackel wird in eine Halterung an Wand gehangen. Die Wände sind gemauert und feucht, der Boden ist von Steinplatten bedeckt. Der Raum besitzt keine Fenster und umso mehr er sich umsieht, schließt er darauf, dass er sich in einem Keller befindet.
»Ich kann sie einfach bezahlen.« Der Mann antwortet nicht sondern tritt hinter ihn, sodass Aki ihn nicht mehr sehen kann. Stoff raschelt, während der Hüne hantiert und Aki's Herzschlag beschleunigt sich. Ihn beschleicht ein überaus unwohles Gefühl.
»Wer seid ihr?« hakt er nach, um der erdrückenden Stille zu entkommen. Ein Knarzen ertönt, er kennt dieses Knarzen. Geöltes Leder.
Der Mann macht einen Schritt zurück, aber bevor Aki den Kopf wenden kann, knallt auf brutale Weise die Lederzunge auf seinen Rücken. Er spürt den Kuss der Bullenpeitsche in einer Härte, die ihm bisher unbekannt war. Der Hieb drückt ihm die Luft aus den Lungen und lässt seinen Rücken brennen wie Feuer. Sein Schrei klingt eher nach Überraschung, als nach Schmerz, aber er spürt wie die Wut über die Kontrolllosigkeit in ihm aufsteigt. Schwer keuchend spannt er sich an, denn er weiß, dass er nicht lange auf den nächsten Hieb warten muss.
Jener kommt zwei Herzschläge später und übertrifft die Härte des ersten Schlages. Sein Körper schwingt leicht zu einer Seite, um die Wucht auszupendeln. Er ist sich nicht sicher, ob er das Bewusstsein verliert, aber plötzlich wird es ruhig um ihn und ein Nebel legt sich auf seine Augen.

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Er spürt eine brutale Hand in seinem Nacken. »Du kleiner, misratener Scheißkerl.« Aki stockt der Atem, als er gegen die Werkbank gestoßen wird. Seine Gedanken pendeln zwischen Widerstand und Resignation. Er ist klein, weswegen seine Knie gegen das Seitenstück der Werkbank prallen.
»Da schicke ich dich nach Rabenstein und was tust du? Vergehst dich an einem Mädchen?«
Aki wimmert, als er die unnachgiebige Hand zwischen den Schulterblättern spürt, die ihn auf die Arbeitsplatte drücken. Er weiß, was ihm bevor steht und er schluchzt leise.
»Eduart, was tust du?« die besorgte und gehetzte Stimme seiner Mutter. Sie eilt ihm zur Hilfe und packt seinen Vater an dem kräftigen Oberarm.
Er ist siebzehn und wurde mit einer Lieferung nach Rabenstein geschickt. Dort hat er sich mit 'Haselnuss' getroffen, einem Mädchen, dem er bei jedem Besuch im Dorf nachspioniert hat. Endlich hat sie ihn zu sich eingeladen und sie haben zueinander gefunden. Jedoch jeder anders, als der Andere es erwartet hat. Als er zum Fenster hinaus gestiegen ist, wie er auch zu ihr kam, lag sie regungslos auf dem Bett. Er war sich nicht sicher, was er angerichtet hatte, bis jetzt.

Eduart, Aki's Vater schubst Miriam von sich und sie stolpert über ihren Rock und sinkt auf die Knie.
Sie veharrt so, aber kriecht wieder näher heran. »Ich bitte dich, tu das nicht.«
»Er hat ein Mädchen getötet.« grollt die tiefe, bedrohliche Stimme seines Vaters. Aki zuckt auf der Werkbank und schluchzt schlimmer. Sie ist tot? Er zieht den Kopf ein, als er hört, wie Eduart den Gürtel aus den Schlaufen der Hose zieht. Seine Atmung wird unruhig und er hat Angst vor dem Schmerz.
»Papa..« quiekt er panisch, aber dann trifft ihn bereits der erste Schlag auf den Hintern. Das abgetragene Leder fängt lange nicht so viel von dem Schmerz ab, wie es ihm recht wäre und er schreit und wimmert. Die wiederstrebenden Laute seiner Mutter, mischen sich in die seinen.
»Hör auf! Das reicht! Du richtest ihn ja zu!«
Sein Vater schlägt wieder und wieder zu und spart seine Kraft nicht. Als das Leder an seinem Hintern in Fetzen hängt und sein Körper jeden Wiederstand aufgegeben hat, wird er auf den Rücken gedreht. Die drei Hiebe direkt in den Schritt fühlen sich an wie Schnitte mit dem Dolch. Er schreit, dann sackt er auf dem Boden zusammen und rollt sich schützend ein, als er los gelassen wird. Weinend bleibt er dort liegen, während seine Mutter ihn schluchzend beobachtet. Sie weicht leicht aus, als Eduart die Schmiede durchquert, sobald er das Interesse verloren hat. Den blutigen Gürtel wirft er achtlos bei Seite. Erst als die schweren Schritte die Treppe hoch stapfen, kniet sich seine Mutter neben ihn.
Ihre Berührung ist warm und zärtlich, aber er schlägt ihre Hand fort. Er hat Angst vor der Nähe. Sie schrickt zurück und ihre Augen füllen sich auf erschrockene Weise mit Tränen.
»Aki, ich bin es doch.« Er rutscht von ihr weg, auch wenn sein malträtierter Po schrecklich schmerzt dabei.
»Nein, bitte lass mich. Lass mich alleine!«
Ihre fürsorglichen Augen sind groß und er sieht den Schmerz darin, den er fühlt. Sie zuckt zurück und erhebt sich langsam. Er spürt den Schmerz des Verlusts in seinem Herzen. Ihm wird bewusst, dass er sie verletzt hat. Sein Gewissen verschließt sich vor der Emotion, denn sie schmerzt.

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Ihm klatscht eine Ladung Wasser ins Gesicht. Keuchend schnappt er nach Luft wie ein Fisch am Trockenen.
»Weichei.« knurrt die Stimme unweit von ihm. Aki antwortet mit einem Knurren. Der Fremde muss bemerkt haben, dass ihn die Schmerzen auf seltsame Weise beruhigen. Durch die Provokation kommt die Wut jedoch langsam zurück. Er spannt sich an und streckt den Rücken, wobei ihn tausend Nadelstiche quälen. Für die Zeit eines Herzschlages sieht er in die kalten Augen unter der Kapuze, aber der Schatten verhüllt zum Großteil das Gesicht. Der ergraute Bart prägt sich jedoch ein.
Der Hüne umrundet ihn wieder und tritt aus seinem Blickfeld. »Du hast viele Narben.« stellt er trocken fest. »Viele sind hässlich verwachsen. Eine Abscheu gegen Heiler?«
Aki lauscht den Worten irritiert. Er weiß nicht was er darauf antworten soll, während er sich der Analyse unterzieht. Spar dir lieber deine Kraft, falls er dich weiter schlägt. Schwäche scheint ihn zu mehr zu provozieren.
Ein paar Momente ist es ruhig, dann hört er ein Gluckern dicht an seinem Nacken. Er reagiert reflexartig und beugt sich vor, was ihn aber nicht von dem Alkohol bewahren kann, der seinen Rücken hinab rinnt. Er schreit auf und zerrt an den Fesseln. Der Schmerz beruhigt ihn ab einem gewissen Punkt und er legt den Kopf leicht in den Nacken. Aki schnauft in schweren, tiefen Atemzügen und lehnt sich leicht in die Fesseln. Als er in der Pose in Richtung Decke sieht, nimmt er zum ersten Mal den schlichten Holzrahmen wahr, an dem die Ösen befestigt sind.
»Findest du es nicht beschämend, wie du dem Schmerz ausgeliefert bist?«
»Dann sind wir bereits zu zweit.« schnaubt er und lässt die Ketten leicht rasseln.
»Was sagst du da?« Neugierig geworden umrundet der Fremde ihn wieder, wie ein Wolf seine Beute.
»Du empfindest ebenfalls Genuss und Genugtuung an der Grausamkeit des Schmerzes und an den Schreien der Anderen. Ich hab es an deiner Atmung gehört.«
Für den Vorwurf erhält er einen kräftigen Hieb in die Nierengegend. Er keucht auf, kann sich ein stockendes Auflachen aber nicht verkneifen. Die Reaktion des Anderen ist Zustimmung genug.
»Der Rausch ist gefährlich, also pass auf, was du sagst.«
Als der Mann ihn wieder umrundet, erreicht ihn die bittere Gewissheit, dass er nicht aufhören wird. Er denkt nicht darüber nach, ob es machbar ist, sondern konzentriert sich. Mit festem Blick sieht er zu den beiden Ösen hinauf und ruft sich die Wut ins Gedächtnis, die ihn ergriffen hat, als er gefesselt aufgewacht ist.
Aki lehnt den Körper zurück, dann wirft er sich brüllend und mit aller Kraft nach vorne. Einmal, dann noch einmal. Das Holz knarzt unter seinem Gewicht und der fremde Alte brummt auf, als er das Vorhaben bemerkt. Er spürt die kräftige Pranke an seiner Schulter, was ihn aber nicht hindert sich erneut nach vorne zu werfen. Die eine Seite des Balkens gibt nach und Aki zieht den Arm rasch zu sich hinab.
Einseitig an der einen Kette hängend, knallt die Peitsche auf ihn hinab. Aufbrüllend reisst er an der zweiten Kette und als ihn die Peitsche ein weiteres Mal trifft, landet er auf den Knien. Keuchend krabbelt er auf allen Vieren vorwärts, wobei er die Ketten rasselnd mit sich zieht, die noch an seinen Handgelenken hängen.
»Wo willst du hin?« knurrt die Stimme des Alten und er hört wie Zorn daraus spricht.
Mit einem plötzlichen Ruck und roher Gewalt wird ihm der Peitschenriemen um die Kehle gelegt. Intuitiv greift er mit den Fingern danach, als ihm ein wuchtiger Tritt zwischen die Schulterblätter stößt. Er landet bäuchlings auf dem Steinboden und bemerkt, wie sich der Mann mit dem Umhang schwerfällig auf ihn hockt. Die Peitsche knarzt, als sie sich immer fester um seine Kehle schmiegt. Röchelnd kämpft er um Luft, die ihm aber nicht mehr gewährt wird. Aki spürt, wie sich der schwere Körper vor lehnt und er stößt mit letzter Kraft den Ellenbogen zurück. Er trifft, denn der Alte keucht auf und der Druck um seine Kehle nimmt ab. Eilig packt er die Peitsche und reisst sie von sich, um dann seinen Angreifer abzuwerfen.
Sie stürzen sich aufeinander wie hungrige Wölfe und die Fäuste donnern ungebremst auf den Körper des jeweiligen anderen. Er übertrumpft den Alten zunehmend, denn eine gewisse Gebrechlichkeit zeichnet sich doch ab, nun wo der Schmied ihm nicht mehr ausgeliefert ist. Aki schlägt weiter auf den Mann ein, bis er die Gelegenheit findet ihm die Kette um den Hals zu wickeln. Erst jetzt beginnt der wahre Kampf, als der Mann sich wegdreht und abmüht, um ihn abzuschütteln. Aki zieht ihn dicht an sich und übt konzentriert Kraft auf die Kette aus, trotz der Hiebe, die er einstecken muss und der Fingernägel, die sich schließlich in seine Unterarme graben. Als der Fremde erstickt Luft holt, knackt die Kette leise an dessen Kehle. Er würgt und bringt stöhnend noch ein Wort heraus. »Sohn, wart-« Das zweite Wort geht in einem Würgen unter, bevor die Kraft aus dem Körper weicht.

»Was hast du gesagt..?« Aki erstarrt und lässt die Kette so rasch los, als hätte ihn der Blitz getroffen. Er rollt den wuchtigen Körper zurück auf den Rücken und reisst die Kapuze fort. »Ach du scheiße..« Das Gesicht, das friedlich wirkt, hat große Ähnlichkeit mit dem seinen. Bart und Haare sind ergraut und die Narbe an der Augenbraue fehlt, aber die Gesichtszüge sind von der gleichen, grimmigen Strenge gezeichnet wie seine.
Augenblicklich finden seine Hände auf die Brust des Mannes und er beginnt Luft in die Lungen zu pumpen. Er keucht schwer vor Anstrengung, bevor er sein Gewicht nutzt, um den fremden Brustkorb wie einen Blasebalg zu behandeln.
»Nein, nein verdammt! Warum tust du so was?« Schließlich schlägt er mit der Faust auf den Brustkorb, aber es erfolgt keine Reaktion. Mit zitternden Fingern fühlt er den Puls und ein verzweifeltes Beben durchfährt ihn. Er starrt in das regungslose Gesicht und sinkt auf der Brust seines Vaters zusammen. Die Tränen kommen stumm und unerwartet und er klammert sich in den Umhang.
Schwer keuchend durchfährt ihn dann nochmals Entschlossenheit und er beginnt ein weiteres Mal zu pumpen, ohne das sich etwas regt. »Bitte, lass mich nicht derjenige sein.« Hilflos gibt er sich dem bitteren Schmerz hin und sinkt neben seinem toten Vater gegen die Mauer. Sein Gesicht verbirgt er in seinen unkontrolliert bebenden Fingern. Vielleicht hätte er Antworten gehabt?

Aki weiß nicht, wie lange er dort sitzt, aber schließlich betrachtet er nochmals das Gesicht seines Vaters. So lange hatte er nach ihm gesucht. Warum hatte er nichts gespürt? Für seine unbeherrschte Wut war er nur ein Angreifer, wie jeder andere.
Mühsam rappelt er sich hoch und geht zu der Türe. Als er die Treppe empor steigt findet er sich in einem schmalen Schacht wieder, der mit einer Metallleiter erschlossen ist. Der Schacht ist auf schlichte Weise mit einem Metallgitter abgedeckt und mit Efeu überwuchert, wie viele, wenig benutzte Stellen des Dorfes. Aki stößt das Gitter auf und orientiert sich kurz, bevor er wieder in den Keller hinab steigt.
Dann macht er sich langsam und schwer ächzend auf den Weg, um den Körper, der ihm in Größe und Gewicht in nichts nachsteht aus dem Keller zu schleppen. Als er die Leiter absolviert hat, lässt er seinen Vater los und sinkt atemlos in den Dreck. Der Kellerabgang befindet sich neben dem Friedhof, etwa bei der Küste. Aki lässt den Körper im Gebüsch liegen und greift sich eine Schaufel. Es dämmert bereits und so hebt er einigermaßen ungesehen ein ausreichend großes Loch aus. So groß wie dein eigenes Grab.
Er muss sich zusammen reissen, während er einen halben Stundenlauf lang gräbt, denn die Finger zucken unkontrolliert. Ich möchte dich nicht begraben, ich möchte das du lebst, verdammter Mist. Obwohl Aki dachte, dass er seinen Vater verabscheut, spürt er tiefe Trauer. Eine tiefe Emotion, die ihn seit Jahren nicht mehr erreicht hat.
Die letzten Momente mit seinem Vater nutzt er, um ihm den Umhang abzunehmen und zu durchsuchen. Er findet etwas Silber, ein Bündel Papier und einen Edelstein. Aki streicht versonnen über den dreckigen, ungeschliffenen Diamant. Sicher hat dieser seinem Vater etwas bedeutet. Er selbst weiß um die Bedeutung der Steine, kleine Glücksbringer, die für den ein oder anderen eine bestimmte Eigentschaft inne haben.
Dann hievt er den Körper in das Loch. Mit schweren Bewegungen schaufelt er die Erde zurück in das Loch, bis das friedliche Gesicht im Erdreich verschwindet. Sachte schaufelt er weiter, bis das Grab eben ist mit der Umgebung. Er zieht den Hammer aus dem Gürtel und legt ihn auf das Grab.
»Ich werde dir einen Grabstein besorgen.« raunt er besonnen. »Ich hoffe nur, du willst hier liegen. Ich würde es so wollen.«
Schließlich führen ihn seine Schritte fort von der Stätte. Als er das Dorf betritt, weicht er dem Blick des Gardisten aus. Im Laden angekommen setzt er sich mit dem Bündel Papier an den Tisch und legt achtsam den Diamant ab. Er entzündet eine Kerze und durchsucht das Bündel nach Antworten. Seine Finger beben leicht, als er die Handschrift sieht, die sich seit seiner Kindheit nicht verändert hat. Er findet eine Skizze, die einen prunkvollen Harnisch zeigt. Sein Vater hatte schon immer ein Händchen für Zeichnungen. Daneben findet er einen angebrochenen Brief, der nie beendet wurde. Der wweite Brief aus dem Bündel ist an ihn gerichtet. Er atmet tief durch und besinnt sich, bevor er es wagt das Schriftstück zu lesen. Die letzte Verbindung zu seinem Vater.


Lugh und Lyon mit dir Aki,

wenn du diesen Brief liest, bin ich vermutlich tod.
Das klingt pragmatisch aber es ist so, denn ich würde dir diesen Brief nicht freiwillig übergeben.
Gewisse Dinge spricht man nicht gerne aus, wie du dir vermutlich denken kannst.

Als du nach Rabenstein zurück gekommen bist, habe ich dich beobachten lassen. Ich habe Anna auf dich angesetzt, die Hure aus dem tanzenden Troll. Wie sollte ich wissen, dass du kein Interesse an Huren hast? Es sind die einzigen Frauen, die uns ertagen, da sie grobe Behandlung gewohnt sind. Außerdem bezahlt man sie anständig dafür, dass sie es ertragen.
Es kann sein, dass du einen Bruder oder eine Schwester hast, das kann ich dir nicht sicher sagen, aber du sollst es wissen. Wenn du danach suchen willst, dann versuch es in Rabenstein. Es gab nie einen Grund, der mich aus dem Lehen hätte locken können.

Ich möchte, dass du zwei Dinge weißt. Zum einen habe ich deine Mutter immer geliebt. Ich war der größte Narr, sie weg zu jagen und diese Entscheidung hat mich mein ganzes Leben lang verfolgt. Es gibt sehr wenige Frauen für mich und vermutlich auch für dich und wenn du eine von diesem Schlag findest, dann halte sie bei dir, koste es was es wolle. Es ist das Einzige was das Leben lebenswert macht. Ich empfinde Reue was deine Mutter angeht und das ist keine Schwäche.

Die zweite Sache ist die, dass ich dich beobachtet habe. Du bist unbeherrscht und emotionslos, so wie ich. Wenn ich gewusst hätte, dass ich dir ein so schweres Leben gebe, dann hätte ich dich als Säugling in die Esse geworfen. Ich sage dir das sehr ungern, aber es gibt keine Möglichkeit dagegen zu wirken. Du wirst dich immer nach den Schmerzen anderer sehnen, töten ohne Gewissen und irgendwann dem Wahnsinn verfallen, wenn dich vorher keiner umbringt. Trotzdem und selbst wenn du das weißt, wirst du es nie selbst beenden und bis zum letzten Atemzug kämpfen wie ein Stier.
Ich bin zu dir gekommen, weil ich es Leid bin.
Wenn du Reue empfindest, dann halte daran fest. Bewahre dir die Emotion und klammere dich daran. Ein Leben ohne Herz ist reine Qual.

Zuletzt sollst du wissen, dass ich stolz auf dich bin. Ich hätte immer einen Laden in Rabenstein gewollt. Erhalte dir das Schmieden, du warst immer ein Naturtalent im Handwerk.


Eduart Durán


Er knüllt den Brief leicht zusammen, nur um ihn dann wieder glatt zu streichen. Du hast ihm also einen Gefallen getan? Er schüttelt den Gedanken ab und versucht sich auf das Gefühl des Verlusts zu konzentrieren. Der Schmerz kommt zurück und er gibt sich ihm hin. Er möchte fühlen und nimmt die Emotion in sich auf, ohne Angst davor zu haben. Ich möchte nicht so enden wie mein Vater. Und deshalb muss ich um ihn trauern, wie ein Mensch es tut. Ich bin kein Monster. Die Worte klingen plausibel, aber das Gefühl ist noch so fremd. Er hat die Zeit sich darauf einzulassen, weswegen er sich aufs Bett wirft und sich den Gedanken hin gibt.
Zu gern hätte er seinem Vater gesagt, dass Miriam, seine Mutter ihn auch geliebt hat. So sehr, dass sie keinen anderen Mann mehr an sich heran gelassen hat. Wenn du einknickst reisst du alles mit dir in die Tiefe. Vielleicht gibt es doch etwas wie Bestimmung.
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Voyeur - von orikson - 27.10.2013, 14:33
RE: Voyeur - von orikson - 30.10.2013, 14:18
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Träume - von Aki Durán - 15.10.2015, 14:53
Die Gehörnte - von Aki Durán - 01.12.2015, 12:48
Vergangenheit, Gegenwart & Zukunft - von Aki Durán - 24.04.2016, 11:42
Marionette - von Aki Durán - 19.06.2016, 23:03
Kontrolle - von Aki Durán - 26.09.2016, 18:11
Nähe - von Aki Durán - 26.11.2016, 21:03
Beherrschung - von Aki Durán - 27.01.2017, 23:56
RE: Voyeur - von Aki Durán - 10.02.2017, 21:00
RE: Voyeur - von Aki Durán - 09.07.2017, 13:24
RE: Voyeur - von Aki Durán - 02.12.2017, 15:29
RE: Voyeur - von Aki Durán - 04.01.2018, 18:10
RE: Voyeur - von Aki Durán - 10.07.2018, 17:09



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