FSK-18 Voyeur
#4
Träume sind ehrlicher, als die Realität es jemals ausdrücken könnte. So die Erinnerung an den Traum nicht nach dem Aufwachen oder am nächsten Morgen verblasst ist, können sie auch überaus aufschlussreich sein. Die unterbewusste Verarbeitung von Gedanken, Gefühlen und aktuellen Geschehnissen formt eine aussagekräftige Szenerie. Es variiert ob man selbst beteiligt ist oder nur ein Zuschauer des Ganzen, aber völlig egal welche Perspektive der Träumende einnimmt, es bleibt ein Gefühl von Sicherheit. Ohne es in dem Zustand des Träumens zu wissen, so steht doch alles schon fest, was in dem fiktiven Augenblick passieren wird. Egal, wie intensiv dabei die Gefühle sind, die sich für den Augenblick schmerzlich realistisch anfühlen, man genießt während des Traums Immunität und kann jederzeit wieder aufwachen, als wäre nichts gewesen. Es ergibt sich jedoch die Frage ob man das Aufwachen willentlich beeinflussen kann oder ob auch das Ende des Traumes strikt vorgegeben ist. Sozusagen ein stummer Wortwechsel mit dem eigenen Unterbewusstsein, wobei der eigene Körper das letzte Wort behält.

Wäre noch irgendetwas gesund Denkendes in Aki's Unterbewusstsein erhalten, so würde er wohl von Blumenwiesen träumen und zwitschernden Vögeln. Vermutlich würde er ausgelassen und federleicht einem Häschen nachjagen und wenn er es an den Ohren hat aus der Güte seines Herzens wieder frei lassen. Das wäre wohl der realistischste Ausgleich zu seiner Persönlichkeit und vielleicht würde ihn gerade das auf dem Boden der Tatsachen halten. Aber er ist weder auf dem Boden der Tatsachen noch ein rational denkender Mensch. Sicher war er das früher einmal, in seiner Kindheit und gelegentlich schleicht sich ein Traum aus jener Zeit bei ihm ein. Jedoch hegt er daraufhin keine Sehnsucht an die Kindheit, seine Heimat oder seine Familie, vielmehr nimmt er es als Lüge auf, die ihm sein Unterbewusstsein projeziert. War er je so unbeschwert und ohne Misstrauen?

An jenem Abend, der so gut angefangen und wie in der Schwebe geendet hat – wie es so oft der Fall war – fällt die Verarbeitung durch sein Unterbewusstsein nicht weniger grausam aus.


Die Szene tut sich innerhalb eines Herzschlags vor ihm auf. Nicht wie sonst, wo sich erst Schemen und Eindrücke vor ihm auftun und langsam ihre Gestalt erhalten, sondern als würde er einen Eimer mit kalten Wasser direkt ins Gesicht bekommen. Der Anblick ist so schön, dass er für einen Moment das Gefühl hat, sein Herzschlag würde einen Moment aussetzen. Vor ihm hängt die, für ihn, perfekte Projektion eines Mannes. Sein Unterbewusstsein speist direkt aus seinen Fantasien und Vorstellungen und bringt dabei das hervor. Der, vielleicht knapp 1,80 Meter große Körper ist nicht mager aber auch nicht übertrieben muskulös. Ein ausgewogenes Zusammenspiel aus Muskeln und Agilität. Er ist jedoch derart drahtig gestaltet, dass sich keinerlei unnötiges Fettgewebe an dem Körper findet. Vereinzelte Muskelpartien sind etwas ausgeprägter als andere und schimmern unter dem zarten Schweißfilm, als hätte man die salzige Flüssigkeit wie Öl aufgestrichen, um eben jene Stellen in Szene zu setzen. Die Bewegungen des flachen Bauches sind hypnotisierend. Bei jedem Einatmen bläht sich die Bauchdecke sanft, um dann zurück zu sacken und für den Hauch eines Wimpernschlags den Muskelansatz Preis zu geben. Gelegentlich schleicht sich ein unsicheres, gar verzweifeltes Zittern in die Atemzüge und lässt das Zwerchfell erbeben.

Der nackte Körper hängt ausgeliefert an einem Seil, dass sich um die Handgelenke schlingt und an einer Öse an der Decke befestigt ist. Das Seil wurde dabei gerade soweit gespannt, dass der Hängende mühelos auf den Fußsohlen stehen kann. Solange er nicht in Bewegung ist. Er kann sich das Gefühl kaum ausmalen, wenn der Körper von einem Schlag nach vorne gedrängt wird. Die Füße scharren über den Boden und suchen nach Halt, als der Körper schon wieder in die Ausgangsposition zurücktaumelt. Mit der Zeit geht der verzweifelte Versuch Halt zu finden jedoch zurück, bis schließlich ein Punkt erreicht ist an dem der Körper bereitwillig die einzige Stütze annimmt, die ihm noch geboten ist. Dieser Punkt ist mittlerweilen erreicht und der Körper hängt kraftlos in den Fesseln und nimmt den zarten Schmerz dabei auf sich, den er sich selbst damit verursacht.

Ein solides Seil ist die Vorraussetzung für seine Arbeit. Er setzt viel Wert auf die Qualität und kann sich die Freude kaum verkneifen, wenn eine Schneiderin voller Eifer versucht, die bestmöglichste Variante für sein Vorhaben zu finden. Es darf nicht zu stark sein aber dennoch nicht nachgeben. Weich soll das Gewebe sein, auch ohne das Öl, das er später noch penibelst einarbeitet. Die fleißige Schneiderin empfohl ihm ein Fangseil und schien nach der Beschreibung hin wohl der festen Überzeugung, er wolle entweder einen Brunnen bauen oder ein entlaufenes Tier einfangen. Parallelen sind vorhanden, das muss er sich eingestehen.
Dieses Seil, das er vor wenigen Tagen noch liebevoll mit der richtigen Menge an Öl behandelt hat, liegt nun unnachgiebig um die fremden Handgelenke. Es schneidet nicht ein oder verletzt die Haut mit einer rauhen Oberfläche, viel mehr ist es das darauf lastende Gewicht, welches Schmerzen hervorruft. Oder zumindest Unbehagen. Dazu die Angst, die Finger könnten Absterben, wenn die Blutversorgung derart gehemmt ist. 'Du unterschätzt deinen Körper, ich bin da und weiß, wann es bedenklich wird. Du willst es nicht wahr haben, aber ich bin um dein körperliches Wohlergehen besorgt. Du sollst keinen Schaden davon tragen, den ich nicht willentlich verursachen möchte.'


Er nimmt langsam und abwägend die drei Striemen der Peitsche zwischen die kräftigen Finger und drückt das geölte, leicht blutige Leder mit einem Knirschen zusammen. Der Rücken der Gestalt strafft sich, jedoch zittern die Schulterblätter unter den schwindenden Kraftreserven. Er macht einen kleinen Schritt vor und bekommt sofort die erwartete Reaktion. Die Atmung seines Gefangenen wird rascher, dann setzt sie aus, als er schwerfällig schluckt und mühsam versucht, die Angst vor dem nächsten Hieb zu überspielen und sich stattdessen zu wappnen.
Aki verharrt hinter der gesichtslosen Gestalt. Der Traum verschleiert das Gesicht, wobei zusätzlich eine straffe Augenbinde auf den Lidern aufliegt, die im verschwitzen Haar zu einem Knoten zusammengefasst ist. Zu sehen, trübt nur die Eindrücke. Jedoch mit Orientierungslosigkeit und Dunkelheit konfrontiert, dabei noch frei hängend, macht jedes Geräusch und jeden fremden Atemzug zu einem prickelnden Erlebnis.

Genussvoll lässt er den Blick an dem geschundenen Rücken hinab gleiten. Zart glühend zeichnet sich ein Muster von Striemen ab, teilweise mit zarten, rubinroten Blutstropfen geschmückt. Wie ein Maler, der sein fortgeschrittenes Werk betrachtet, sucht er nach der Unvollständigkeit des Bildes. Es zehrt an ihm und als er die Stelle gefunden hat, an welcher seiner Meinung nach ganz eindeutig noch ein Pinselstrich fehlt, durchströmt ihn ein Gefühl von Glück. Gleich, gleich ist es vollendet, nur noch dieses letzte Mal. Die dreischwänzige Peitsche wird etwas eifriger geknetet, während er die Vorfreude noch etwas füttert. Der junge Körper wird unruhiger, wissend, dass der letzte Hieb schon zu lange her ist. An der Reaktion kann sich Aki ausmalen, dass sein Gast mittlerweilen begriffen hat, dass die Länge der Pause die Härte des Hiebes bestimmt.

Kurz davor auszuholen bemerkt er eine Unregelmäßigkeit. Die Atmung ist zittriger geworden und er kann die Bewegung der Lippen und Zunge förmlich hören, bevor die kratzigen Worte an sein Ohr gelangen. 'Genug ... bitte, ich hab genug.' Den Flehenden begrüßt augenblicklich eine Gänsehaut, als Aki einen Schritt näher tritt und dicht gegen den fremden Nacken atmet. 'Das hast du nicht. Dein Körper hält noch mehr aus. Ich entscheide, wann du genug hast.' Er tritt wieder den Schritt zurück und betrachtet nochmals den Körper, der sich wissend verkrampft. Ein Wimmern verrät, dass er resigniert und weitere Worte keinen Sinn hätten. Der kräftige, verlängerte Arm holt weit über den Kopf aus und genehmigt sich noch einen kehligen Atemzug, wobei die Kraft förmlich in seinen Adern prickelt.

'Aki, hör auf.' Die Stimme ist klar und zurechtweisend und er erstarrt in eben jener Position. Der Körper vor sich ist still, zittert nur unter dem angesetzten Schlag. Aber er müsste nicht einmal nachfragen, es ist eindeutig eine andere Stimme, eine Stimme in seinem Kopf. Er kann sie nicht zuordnen, aber sie trifft ihn und scheint ungemein wichtig. 'Nur noch ein Schlag' antwortet er sich selbst im Geiste. 'Ich sagte es ist genug. Du wirst jetzt aufhören.' Weiterhin steht er mit gespannten Muskeln da, während die Stimme ihn förmlich fesselt, unfähig weiter zu machen. Die Worte hallen in seinem Kopf nach und er kann sich die Lippen vorstellen, welche die Worte formen. Der Tonfall ist eindringlich und rechtschaffend, wobei die Worte mit zorniger Gestik untermalt werden. Ihm fehlt das Gesicht dazu und die Klangfarbe der Stimme. 'Raus aus meinem Kopf!'

Erst als die nächsten Worte auf ihn einströmen, erkennt er, dass sie aus dem Zusammenhang gerissen sind. Sein Körper konfrontiert ihn mit etwas Anderem. Unabhängig von dieser Situation. 'Wir werden das nicht wiederholen. Diese Sache funktioniert nicht.' Ihn beschleicht das greifbare Gefühl sich rechtfertigen zu müssen. Die Situation klar stellen, um den Trümmerhaufen zu verhindern, der kurz bevor steht. Jedes Wort bleibt ihm im Hals stecken und gerade als ein Anflug von Trotz durch seinen Arm zuckt, setzt ein unangenehmes Fiepen in seinen Ohren ein. Erst leise und sanft, als wüsste er nicht einmal, ob es wirklich vorhanden ist. Als es lauter wird zuckt er innerlich zusammen, bis es weiter anschwillt und ihm in ohrenbetäubender Lautstärke jeden klaren Gedanken nimmt und ihm reinen, klaren Schmerz verursacht.



Der Traum ebbt so schnell ab wie er gekommen ist und lässt ihn windend auf den Fellen zurück. Sein Kopf dröhnt und es fühlt sich an als würde jemand stetig gegen seine Schläfe hämmern. Die Wunden am Bauch und an der Flanke machen sich bemerkbar und stimmen in den Kopfschmerz mit ein, verbünden sich zu einem unausweichlichen, penetranten Gefühl. Er muss wieder einmal feststellen, dass diese Empfindung, völlig gleich wie störend sie ist, ihn beruhigt. Sein Herzschlag wird ruhiger, der Kopfschmerz etwas weniger hämmernd und es wagt sich wieder der ein oder andere klare Gedanke in sein Bewusstsein.
Die Eindrücke des Traumes hallen noch nach und er öffnet die Lippen einen Spalt, um einen tiefen Atemzug zu nehmen. Aufhören? Er kann nicht aufhören, erst recht nicht wenn er schon so weit fortgeschritten war. Es ist der Hang zur Perfektion, der Drang das zu vollenden was er angefangen hat. Und ab einem gewissen Zeitpunkt entschwindet der Gedanke einfach, wieder aufhören zu müssen. Wie ein Süchtiger, der sich nach dem nächsten Zug sehnt, das Gefühl nochmals spüren will, wie der kratzende Rauch die Lungen fühlt.
Wie soll er im Stande sein jemanden zu beschützen und zu gehorchen, wenn er sich nicht im Geringsten unter Kontrolle hat? So sehr ihn der Gedanke auch reizt nützlich zu sein - ein privater 'Zorngolem', wie er von seinem zukünftigen Auftraggeber betitelt wurde – wie will er sicher stellen, dass er auf die richtige Person los geht? Er kennt die Antwort und er spürt den Trotz in seinem Kopf, als er sich die Option ins Gedächtnis ruft. Der Blick wird ausdruckslos und er erinnert sich an das Gefühl von gestern Abend, als er sich das Angebot nützlich zu sein fast zunichte gemacht hat. Oder vielleicht liegt es schon in Trümmern und er versucht nur den Haufen etwas zusammen zu stauchen? Mit einem leisen, nachgiebigen Seufzen greift er nach einem spitzen Dolch und macht sich ans Werk. Und für einen kurzen Moment beschleicht ihn das Gefühl er wäre genau dazu provoziert worden.

[Bild: 10853195726_92e43732f0_n.jpg]
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Voyeur - von orikson - 27.10.2013, 14:33
RE: Voyeur - von orikson - 30.10.2013, 14:18
RE: Voyeur - von orikson - 31.10.2013, 13:26
RE: Voyeur - von Aki Durán - 14.11.2013, 14:48
RE: Voyeur - von Aki Durán - 26.11.2013, 13:38
RE: Voyeur - von Aki Durán - 12.02.2014, 20:06
RE: Voyeur - von Aki Durán - 25.02.2015, 14:25
RE: Voyeur - von Aki Durán - 28.03.2015, 12:46
Träume - von Aki Durán - 15.10.2015, 14:53
Die Gehörnte - von Aki Durán - 01.12.2015, 12:48
Marionette - von Aki Durán - 19.06.2016, 23:03
Kontrolle - von Aki Durán - 26.09.2016, 18:11
Nähe - von Aki Durán - 26.11.2016, 21:03
Beherrschung - von Aki Durán - 27.01.2017, 23:56
RE: Voyeur - von Aki Durán - 10.02.2017, 21:00
RE: Voyeur - von Aki Durán - 09.07.2017, 13:24
RE: Voyeur - von Aki Durán - 02.12.2017, 15:29
RE: Voyeur - von Aki Durán - 04.01.2018, 18:10
RE: Voyeur - von Aki Durán - 10.07.2018, 17:09



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste