Briefe an G.
#2
Zitat:Werter Onkel,

Die Lage in Löwenstein hat sich beruhigt, die untote Kreatur wurde ganz offensichtlich besiegt und auch wenn noch immer Unruhe auf den Strassen zu spüren ist, herrscht nicht mehr länger Kriegszustand. Es kann nur eine Frage der Zeit sein, bis die Sorgen des Alltags jene Ereignisse in den Hintergrund drängen. Gut für das Haus Ganter, das die eine oder andere gute Münze während der verzweifelten Suche nach Waffen und Wehr gegen die untote Plage verdient hat.

Am gestrigen Abend fand dann das angekündigte Ritual der Bestätigung statt. Eure Braut sah recht bezaubernd aus in dem weissen Kleid, das Godwin extra herbeischaffen liess und war zufrieden und aufmerksam bei der Sache. Natürlich wurde die Verlobung bestätigt.

Ganz anders sah das bei allen anderen Bünden aus und auch wenn Godwin halbwegs gute Miene machte, bin ich doch sicher, dass er nicht die geringste Freude daran hatte zu sehen, wie die von ihm bestimmten Verlobungen aufgelöst wurden. Ich bin noch nicht sicher, ob er die richtigen Schlüsse daraus ziehen wird, dass sogar der verkrüppelte Haushofmeister die Hand Garisannes zurückwies - aber ich beginne zu verstehen, warum er das verreckte Hermelin mehr liebte als seine eigenen Kinder.

Meine eigene Position ist ungewiss wie eh und je und nun, da die Bedrohung durch den Untoten vorüber ist, wird Godwin nicht länger über meine Anwesenheit hinwegsehen können. Das Ritual der Bestätigung war ein Wendepunkt, soviel ist sicher - ich muss mir einen Platz suchen, der es mir erlaubt Wurzeln zu schlagen. Die ein oder andere interessante Möglichkeit habe ich bereits im Auge.

Darüber aber vielleicht in meinem nächsten Schreiben.

Das Gefühl der Übelkeit war mit den ersten Schatten der Nacht gekommen und während der stillen Stunden nicht gewichen, hatte den Schwarzschopf dazu gebracht das Lager in aller Heimlichkeit zu verlassen und den vertrauten Strassen und Gassen Löwensteins zu folgen. Alles war besser als dort zu harren, wo die Wände zuviel Blut getrunken hatten und die Gefahr bestand, dass er am Ende doch noch Godwin - oder schlimmer Gwendolin - über den Weg lief.

Nicht kühler Verstand hatte ihn dazu verleitet die Hand des armseligen Mädchens fahren zu lassen, sondern heisser Zorn, der über dem hässlichen Zwiespalt loderte und die Eingeweide sich seitdem wieder und wieder zusammenziehen liess. Aus der ohnmächtigen Wut war Furcht geworden, eine gesichtslose Drohung, die sich in jedem Schatten zu verstecken schien und gerade jenseits der Grenze des Hörbaren von unsagbaren Schrecken flüsterte. Die Dunkelheit, das hatte er früh gelernt, war kein Freund des aufrechten Menschen, aber Scham und Schuld gediehen herausragend in den Abgründen.

Mit dem Morgen kam der Nebel, liess die Pflastersteine feucht glänzen, trieb klamme Feuchtigkeit in den Mantel und die Farbe aus den Fingern. Das drängende Gefühl der Unruhe blieb wie ein bestehen als ebenso unwillkommener wie zuverlässiger Begleiter auch als die Strassen sich langsam wieder füllten. Jene, die ein Tagewerk zu erfüllen hatte, eilten vorbei ohne einen zweiten Blick für den übermüdeteten Schwarzschopf, der sich schliesslich von den Füßen zurück zur Schlafstatt tragen liess.

Das Mädchen war nicht da.
Nicht im Schlafsaal. Nicht im Haus. Nicht in einem der Keller.

Eine gute Stunde später war aus der flackernden Besorgnis Entsetzen geworden, kaum verborgen hinter einem Lächeln und höflichen Grüssen.
Niemand hatte Gwendolin gesehen, niemand hatte sie gesprochen und während er nickte und seufzte, echote im Schädel ein um das andere Mal ein Fetzen der am Abend zuvor geführten Unterhaltung, kehrten die leichtfertig gesprochenen Worte zurück, die so ohne weiteres von Flucht getönt hatten.
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Briefe an G. - von Gerlach Ganter - 14.10.2013, 13:57
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Zwischenspiel - von Gerlach Ganter - 28.10.2013, 11:22



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