Götterreisen
#14
Anu:

Manchmal ist es nur ein kleiner Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Oder ein Sandkorn, welches die Waagschale in die ein oder andere Richtung ausschlagen lässt.
Manchmal erwischt es einen, wenn man sich entspannt und geborgen fühlt. Wenn man sich an Daheim erinnert und wie es damals war.
Manchmal kommt der Schlag so unerwartet, aus dem Nichts, dass man ihm nicht mehr ausweichen kann. Dann trifft es einen umso härter.

An diesem Abend war es nur die Beleidigung einer heuchlerischen, dummen Mißgeburt eines Mannes, der ihr buchstäblich nichts bedeutete und der sie mit etwas Spucke und einer dummen Bemerkung auf die Bretter schickte. Normalerweise hätte sie das mit einem Lächeln abtun können, aber sie war offen, freundlich, verletzlich und unvorbereitet. Und so brach alles zusammen.

Sie wollte nur noch fort, heim, zu ihrer Familie. All das hinter sich lassen. Heim zu den Menschen, denen sie vollkommen vertrauen konnte. Wo sie nicht hinter jeder Ecke Missgunst, Habgier, Arroganz und Gleichgültigkeit vermuten musste. Heim zu den Menschen, die sich nicht nur in ihrer Egozentrik als den Nabel der Welt sahen.
Selbst die Menschen, die ihr hier näher standen, als alle anderen, konnten sie in ihrem Leid nicht trösten, die Schranken waren gebrochen und all ihr Kummer stürzte in einem Strom aus Tränen hervor.

Und so gaben die Götter ihr ein Zeichen: Mit nur wenigen Wehen wurde Marlene Margarete Jehann geboren. Unvorbereitet und zu früh. An einem Ort, den man wohl nur als Heuschober bezeichnen konnte, mit undichtem Dach, durch das der Wind pfiff und die Kälte eindrang. Ein winziges, schrumpeliges Mädchen, einem Fröschlein ähnlicher, als einem Säugling.

Als es vorbei war und sie ihr Kind in den Armen hielt, wusste sie das noch etwas getan werden musste. Aber die Person, die es hätte tun sollen, war bereits gegangen. Sie hatte sich alles so anders vorgestellt, es sich anders gewünscht. Als alle gegangen waren, wusch sie sich, zog sich um und nahm das blutige Laken mit der Nachgeburt in die eine und eine Laterne in die andere Hand und ging die wenigen Schritte in den Wald, zu dem großen Felsen. Sie kniete sich hin und begann mit bloßen Händen eine kleine Kuhle zu graben, direkt am Fusse des Menhirs, legte das Bündel hinein


[Bild: anu338ksz.png]

und erhob ihre Stimme zu Anu:

"Mutter Anu, höre mich an!"

[Bild: anu2ckk2t.png]

[Bild: anu1x7kb0.png]

Als die frischgebackenen Eltern endlich am unteren Hof in die ungewohnten Betten fanden, die Kleine zwischen sich, kreisten ihre Gedanken weiterhin um das Zeichen. Was hatte es zu bedeuten?

Bleiben oder gehen?

Bleiben, um diesen schwächlichen Säugling aufzuziehen, ihm all das zu geben, was sie nun brauchte? Oder gehen, weil sie ihre Schuldigkeit getan hatte? Sie hatte das Kind - eine Jehann - zur Welt gebracht und die Familie würde sich gut um sie kümmern, das war sicher.

Bleiben oder gehen?
Bleiben oder gehen? ...
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Götterreisen - von Magdalena - 25.09.2013, 16:21
RE: Buße - von Magdalena - 26.09.2013, 17:39
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