De profundis clamavi ad te, domine
#5
[...]
Es war ein unwirklicher Moment. Für einen Augenblick schien die Welt still zu stehen, die Zeit nicht zu vergehen. Mein Blick ruhte gebannt auf dem Feuer, das für das Ritual entfacht wurde. Und ich vermochte ihn nicht zu lösen.
Wo eben noch das Kampfgetümmel und klirrendes Metall zu hören war, gab es nun nur noch Ruhe. Um mich herum tobte weiterhin die Schlacht, aber ich fühlte in diesem Moment einen Frieden, wie ich ihn bisher nur einmal erlebt hatte.

Damals hatte seine Seligkeit Sonnenfeld mich und Alina mit zu dem Friedhof vor Löwenstein genommen und in die kleine Kapelle geführt. In der Mitte dieser stand eine Feuerschale, um der wir uns versammelten. Alina und ich standen uns gegenüber, blickten uns an, während der alte Mann etwas Stroh mit einer Kerze entzündete, die er in einem Halter von der Kathedrale mit hergebracht hatte. Dieses Stroh wiederrum nutze er, um die Feuerschale zu entzünden. Ab dort verblasst auch schon an meine Erinnerung an das was um mich herum geschah, denn ich folgte gebannt seinen Worten, die mit dem entzünden der Flamme einher gingen. Es war als würde sich, durch die Symbiose dieser Stimme und des Feuers, mein eigener Leib von der Welt lösen. Aber das Fleisch stand noch dort, den Blick in das Feuer gerichtet, nur der Geist schien ihm entsprungen und an einem anderen Ort zu weilen. Es gab nur noch das reine Licht, das mich umhüllte, und jeglichen Ton zu verdrängen schien. Es gab keinen Schatten und kein Geräusch. Nur das Gefühl, dass dort eine Verbindung zu etwas zu sein scheint. Ich war dort nicht alleine…

Und nun überkam mich wieder dieses gleiche Gefühl wie damals. Aber es war intensiver. Als würde es mich einfangen und nie mehr loslassen wollen. Das Licht wurde stärker und heller; Mit jedem Schlag der Wimpern nahm es zu. Bis es mich plötzlich durch diese grelle Wand stieß und ich, wie von ihr geblendet, nur Schemen vernahm. Ich war wieder in der Kapelle, in der ich früher war. Ich sah mich dort stehen. Aber es waren nicht meine Gedanken, die in diesem Moment durch meinen Kopf schwirrten. Und noch bevor ich dies alles weiter ergründen konnte, riss mich ein gewaltiger Ruck von dort fort.

Nach einem erneuten Schlag der Augenlider sah wieder das große Feuer vor mir, neben dem Lisbeth stand und eifrig ihre Psalme sprach, während ich am Boden lag. Getroffen von einem mächtigen Hieb, der zu meinem eigenen Glück die Rüstung nicht durchdrang. Es mögen wenige Sekunden gewesen sein, die ich abwesend war. Aber in diesem kurzen Moment, aus der schier unendlichen Friedlichkeit wieder zurück in die Schlacht geworfen worden zu sein, fühlte es sich unwirklich an. Auch wenn mein Körper seiner Pflicht nachkam und sich wieder hochdrücken wollte, den Schmerz des Hiebes nahezu ignorierend, hatte mein Geist noch nicht realisiert, was gerade Geschehen war. Aber dafür blieb auch keine Zeit. Die nächste Welle der Kohorten des Abyss stand vor uns und musste daran gehindert werden, das Ritual zu stören…

Erst später, als wir wieder in Löwenstein waren, fand ich Zeit für mich. Zeit nach Erklärungen zu suchen und Antworten zu finden. Zeit mir gewahr zu werden, was überhaupt geschehen war.
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RE: De profundis clamavi ad te, domine - von Alexander Bernau - 18.01.2016, 16:09



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