Cogitatio
#4
Adailoe saß in der Rotte, ein Stapel Pergament sowie ein Tintenfass vor sich aufgebaut, die Feder in der Hand. So saß sie schon seit Stunden und versuchte, eine Abhandlung zu verschriftlichen. Abhandlung… beinahe verächtlich verzog sie das Gesicht. Eben jenes war der Grund, warum sie der Akademie, wie sie nun bestand, den Rücken gekehrt hatte. Und nun sollte sie den gleichen Unsinn für die Zunft erstellen. Wenn jemand etwa wissen wollte, dann konnte er fragen, man musste es nicht verschriftlichen. Schriftstücke waren gut dazu, Leuten in die Hände zu fallen, welche die Sachen nichts angingen. Bei unwichtigen Sachen, gut. Da war es nicht weiter schlimm. Aber bei wichtigen?

Erneut, wie schon viele Male zuvor, strich sie beinah wütend das Geschriebene durch und knüllte das Pergament, welches dann als Kugel durch den Raum flog. Es waren schon einige dieser Pergamentknäule im Raum verteilt und der ein oder andere Söldner, der in den Schlafraum oder zu seinen Truhen wollte, war bereits von einem solchen Geschoss getroffen worden. Aber dies war ihr gleich.

Immer wieder gingen ihre Gedanken in die jüngste Vergangenheit, zu den letzten Tagen. Und immer wieder versuchte sie sich davon los zu reißen, um dann in dieser Zeit das nächste Papiergeschoss zum fliegen zu bringen.

Aber es war wirklich seltsam. Es war nur so wenig Zeit vergangen, und dennoch war so viel geschehen. Sie hatte sich offenbart, zumindest einen Teil von ihr. Sie hatte Cathia erzählt, was sie bewegte und, wo sie schon mal dabei war, auch wer oder was sie war. Cathia, die sonst durch nichts zu erschüttern war, wie es schien, war mitsamt Stuhl nach hinten umgefallen. Doch nachdem sie diesen Schreck überwunden hatte und auch glaubte, dass Adailoe keine böse Hexe war, beruhigte sie sich wieder. Das Wort Hermetiker brachte sie nicht über die Lippen, so dass Adailoe es schließlich auf sich beruhen ließ, dass sie immer wieder sagte, sie wäre ja eine gute Hexe, was nicht so schlimm wäre, wie eine böse Hexe.
Ein leichtes Schmunzeln zog bei diesen Gedanken über ihre Züge, ehe sie sich wieder dem Pergament zu wandte und zum gefühlten hundertsten Male die Überschrift verfasste. „Gefahren in der Gelehrtenkunde“.
Und doch, so überlegte sie, wusste sie nicht einmal, warum sie ihr das alles erzählt hatte. Wohl weil sich einfach zu viel aufgestaut hatte. Sie wusste nicht mehr weiter. Der Rat, einfach zu ihm zu gehen und ihm alles zu sagen, damit konnte sie nichts anfangen. Natürlich würde sie das nicht tun. Das machte ja alles nur noch schlimmer. Viel schimmer. Man würde sehen, was sich ergab, doch hatte es gut getan, mit jemandem darüber zu sprechen und wenigstens zu einem Teil ehrlich zu sein.

Gefahren… es gab viele, was sollte man da schreiben? Warum zeigte man es den Lehrlingen nicht einfach, anstatt ihnen ein Buch unter die Nase zu legen? Kontrollierte Explosionen als Abschreckung funktionierten besser als langweilige Abhandlungen. Und sie wirkten auch nachhaltiger… sie seufzte leise auf und machte sich an den nächsten Satz, ehe ihre Gedanken wieder abschweiften…

Der Abend war auch sehr interessant gewesen. Zum ersten Mal hatte sie sich länger und intensiver mit Aryn unterhalten. Er hatte ihr auch vieles erzählt, vieles aus seiner Vergangenheit. Aber was sie wirklich verwundert hatte, war, dass er damit gerechnet hatte, sie würde nun Angst vor ihm haben, oder ihn verurteilen. Warum hätte sie so etwas tun sollen? Es gab keinen einzigen Grund dafür. Er sagte auch, dass Andere dies schon getan hatten, doch dies war ihr unbegreiflich. Er war ein Mensch, ein liebenswerter dazu, warum sollte man Angst vor ihm haben, nur weil er eine Vergangenheit hatte? Die hatte sie auch und sie wusste nur zu gut wie es war, jene nicht unbedingt einem jeden auf die Nase zu binden. Doch wenn andere das anders sahen… Menschen waren teilweise zu dumm. Die meisten konnten nicht weiter sehen als bis zu ihrer Nasenspitze, was allgemein ein großer Vorteil war, denn dann waren sie leichter zu manipulieren. Und doch war es auf der anderen Seite erschrecken, wie viel Dummheit existieren konnte und teilweise auch durfte.
Sie hatte ihm gesagt, dass sie es für Unsinn hielt, dass sich an ihm und seinem Wesen nichts änderte, und dass sie gewiss keine Angst vor ihm hatte. Jeder hatte eine Vergangenheit, jeder musste damit leben, jeder musste damit zurecht kommen. Und ein jeder musste für sich selbst entscheiden, ob und wem aus seinem Umfeld, er diese Vergangenheit anvertraute. Doch konnte man so die Spreu vom Weizen trennen. Und unter diesen Umständen wurde noch offensichtlicher, was sie seit Jahren wusste: Es gab mehr Pack unter den Menschen, als jene, die es wert waren, dass man sich mit ihnen beschäftigte. Die meisten waren maximal als Spielzeug zu gebrauchen….

Erneut riss sie ihre Gedanken von der Vergangenheit los und versuchte, sich auf die Gegenwart zu konzentrieren, um widerwillig ihre Abhandlung zu verfassen.
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Cogitatio - von Adailoe Tharan - 07.08.2013, 09:41
RE: Cogitatio - von Adailoe Tharan - 09.08.2013, 17:16
RE: Cogitatio - von Cathia Eilenbogen - 10.08.2013, 00:04
RE: Cogitatio - von Adailoe Tharan - 15.08.2013, 08:41



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste