FSK-18 Der Sturmrufer
#18
Die Sonne hatte sich bereits über den Gassen Löwensteins gezeigt und begann soeben, ihre Morgenröte abzustreifen und den sonst blauen und wolkenlosen Himmel mit ihrem Glanz kraftvoll in Szene zu setzen. Vögel zwitscherten von Dächern und Giebeln ihre Lieder und die Ratten, gierige Bewohner der nächtlichen Schatten der Hauptstadt, waren bereits in die Aborte der Kanalisation zurückgekrochen.

Während das geschäftige Treiben in der Stadt langsam einsetzte, öffnete Streiter Brychh seine Augen schlagartig als ihn das Pflichtgefühl wie eine strenge Hand aus dem Schlaf schüttelte und er sich noch im Aufwachen bereits im Bett aufgesetzt hatte. "Verdammt, die Priesterschaft wird mich öffentlich auspeitschen lassen!" fluchte der Sonnenlegionär, während die Frau neben ihm langsam zu sich kam und unter der Decke viel zu wenig Kleidung trug, um die Situation auch nur entfernt frömmig wirken zu lassen. Der Legionär indes, war beschäftigt, seinen eigenen Mangel an Kleidung zu beseitigen und hastig hinzuzufügen:"Und das nicht nur weil sie möglicherweise sehen könnten, dass ich dein Heim verlasse!" Die Frau indes, betrachtete den Krieger milde amüsiert und offenbar selbstsicher. "Sie haben es nicht gemerkt, seit du ein Novize warst, Regan. Sie werden es auch jetzt nicht merken."

Für einen Moment blickte der Kämpfer für den Zweck der Kirche konstaniert und zornig zugleich zu der Frau, mit der er eben noch die Nacht verbracht hatte, seufzte dann jedoch resignierend aus. "Wie auch immer. Zumindest werden sie mich nicht geißeln, wenn ich es noch rechtzeitig zur Kirche schaffe. Dann bleibt nämlich nur noch für die Abreise Zeit." Die blauen Augen der jungen Frau musterten den Krieger eine Weile – nicht besorgt, wohl aber mit mildem Missfallen. "Wie lange wirst du fort sein?" fragte sie schließlich. Eine Frage, die sie lange zurückgehalten hatte. Es gab zwischen ihr und Regan Brychh eine Übereinkunft, dass Kirchenangelegenheiten stets indiskutabel waren. Sie hatte nie den Mut gehabt, nach dem Grund für diese, zugegeben einseitige Vereinbarung zu fragen, vermutete aber, dass der Sonnenlegionär Mithras' Blick nicht auf Dinge richten wollte, die ihm durch die Legion verboten worden waren.

"Khristin.." kam es gequält und mahnend zugleich. "Wie lange?!" forderte sie ein. "Einige Monde vielleicht. Nortgard ist weit, aber wir werden vor dem Winter zurück sein." Ein tiefes Seufzen ihrerseits folgte nun. "Und gibt es keinen anderen, der.." "Es reicht!" schnitt Regan ihr das Wort recht bestimmt ab. "Ich bin für diese Reise ausgewählt worden und es ist eine große Ehre seine Gnaden in das Nordlehen zu begleiten. Außerdem werde ich dort wohl kaum viel zu befürchten haben. Die Nortgarder haben den Mithrasglauben gut angenommen, wie es heisst."

Damit war das Thema beendet und Schweigen setzte ein, bis Regan seine Habe zusammengesammelt hatte und im Begriff war, das Haus zu verlassen. Khristin, die Regan Brychh sogar mehr liebte als Mithras selbst, eine Tatsache die er niemals, nicht einmal ihr gegenüber offen aussprechen durfte, hatte sich mittlerweile ein Laken um die Schultern geworfen und hauchte dem Krieger noch einen Kuss auf die Lippen, bevor er das Haus verließ. "Vergiss mich nicht, stolzer Krieger." waren ihre Worte, die sie ihm stets mitgab, wenn er sie verlassen musste. "Niemals, so wahr Mithras mein Zeuge sei." antwortete er, wie er es immer tat. Dann trennten sich ihre Wege – für immer, wie sich später herausstellen sollte.

Der Legionär erreichte den Tempel der Kirche eben noch rechtzeitig und sein Novize, ein tüchtiger Bursche in dem das Feuer des Glaubens noch hell entfacht schien, hatte zu siner Zufriedenheit alle Vorbereitungen getroffen.

"Schön, dass ihr euch zu uns gesellt, Ehrwürden." mahnte die Stimme des Priesters. Eine milde Schelte, die er angesichts dessen, was ihn anderweitig erwartet hätte, gerne auf sich nahm. "Entschuldigt, euer Gnaden. Es wird nicht wieder vorkommen." "Das will ich auch hoffen. Was für ein Beispiel gebt ihr ab, wenn euer Novize pünktlicher ist, als ihr. Betet, dass Mithras euch ein besseres Zeitgefühl eingeben möge." "Natürlich, euer Gnaden." folgte die geflissentliche Antwort, wenngleich Regan insgeheim die Worte "Aufgeblasener Popanz" dachte. Von allen Priestern, die man nach Nortgard hätte entsenden können, um sich der Sache der Kirche zu versichern, hatte man ausgerechnet den jüngsten und unerfahrensten Priester ausgewählt, der dafür bei jeder Gelegenheit seine Überlegenheit in der Kirchenhierarchie durchscheinen ließ. Regan hatte mehr Prüfungen bestanden und mehr Ungläubige gerichtet, als dieser junge Mann vermutlich jemals zu Gesicht bekommen würde und dennoch gebot es das Gesetz der Legion, ihm stets Schild und Stütze zu sein.

Nachdem der Legionär die Vorbereitungen seines Novizen überprüft, die Vorräte gesichtet und alles für ausreichend befunden hatte, setzte sich der kleine Tross in Bewegung. Einzig der junge Novize war gebürtiger Nortgarder und sowohl für den Priester als auch Regan war es eine Reise in ein unbekanntes Lehen. Die direkte Nähe zu Silendir und die große Entfernung zu Löwenstein machten es jedoch umso wichtiger, von Zeit zu Zeit eine Delegation dorthin zu entsenden, die sich davon überzeugte, dass man Mithras auch im den Berglehen Amhrans nicht vergass.

Als sie die Grenze zu Hohenmarschen passierten, sah Regan bereits, dass der Priester bereits begann, sein Pferd näher an die beiden Krieger zu führen. Dieses offenkundige Zeichen von Angst, zumindest aber Unbehagen, ließ Brychh unwillkürlich milde Lächeln. "Der Panzer des Glaubens ist bisweilen doch nur dann undurchdringbar, wenn man sich im Schutz der heiligen Mutter Kirche wähnt." dachte der Streiter bei sich, gleich gefolgt von dem Gedanken, wann er begonnen hatte, so abfällig über einige Diener der Kirche zu denken. Vielleicht, so dachte Regan, war es doch wahr, was die Priester über die Hingabe zu den Weibern sagtenConfusedie lenkten ab und ließen die sonst so makellosen Streiter bisweilen Zweifel hegen, wo sie ohne sie ein standhafter Schutzschild der Kirche gewesen wären.

Vielleicht war das der Grund gewesen, warum die Wahl auf Regan und seinen Schildträger gefallen war. Vielleicht hatte Mithras in seiner unendlichen Weisheit vorausgesehen, dass der Krieger nur im fernen Norden wieder zurück zu seinem Glauben finden konnte.

Dass sie in den Schneewehen des Nordens zuerst ihre Pferde und schliesslich alle ihr Leben verlieren sollten, diese Aussicht kam keinem der drei Männer zu diesem Zeitpunkt in den Sinn. Als sie Tage später die Grenze nach Nortgard überquerten, lag Brychh noch immer im Widerstreit mit sich, ob er sich die Gedanken an seine Khristin gestatten durfte oder ob es besser für ihn und seinen Dienst an Mithras war, sie zumindest für diese Mission gänzlich zu vergessen. Doch egal wie sehr er sich anstrengte, seine eine Liebe kehrte stets in seine Gedanken zurück. Und noch bevor die Delegation der Kirche in den Sturm geraten sollte, hatte Regan entschlossen, nach Beendigung der Reise den Dienst an der Kirche niederzulegen, um die längst überfällige Entscheidung zu treffen, seine Khristin zu ehelichen.

Vielleicht würden sie einen Hof bewirtschaften, Kinder kriegen und zusammen alt werden. Ja, das waren gute Gedanken und eine Zukunft mit der er leben konnte.

Als der Schneesturm, in den die Gruppe von Mithrastreuen ein gutes Stück weiter auf ihrer Reise geraten sollte, sich verzogen hatte, verließen Skaskar und Frye die Höhle. Der Krieger hatte dem toten Wolf das Fell abgezogen und es sich um den Arm geschlagen, an dem sein Rüstzeug förmlich auseinandergefallen war. Sie beide blickten über die nun weite, weiße Ödnis, die sämtliche Spuren von Mithras-Dienern, Wölfen und Nortgardern weggewischt und mit Schneewehen bedeckt hatte. Die Welt wirkte wieder mit sich selbst im Einklang, gerade so, als hätte sie sich selbst neu geboren und lud die Sterblichen, die ihr Unwetter überstanden hatten, dazu ein, das "neue" Nortgard zu erkunden.

Nachdem sie die Überreste des Vierbeiners vor der Höhle gleich einer Opfergabe abgelegt hatten, blickte Frye über die Schulter, zurück in die alte Mine, die von Mithras-Dienern zunächst für einen Segen ihres Gottes gehalten wurde und sich recht schnell als Todesfalle entpuppt hatte. "Ich frage mich, wen sie in der Heimat zurücklassen." Nun war es Skaskar, der milde, beinahe väterlich lächelte, als hätte Frye etwas sehr naives gesagt.

"Nur Beute, Frye. Nur Beute."

[Bild: t64f089_frau-strand--meer-einsamkeit-melancholie.jpg]
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