FSK-18 Der Sturmrufer
#17
"Wenn ich vergehe, will ich wieder ein Teil des Landes werden, dass mich geformt und dessen stolzer Sohn ich geworden bin. Mein Fleisch soll von meinen Knochen verwesen, wenn es nicht den hungrigen Tieren der Berge als Nahrung dient, meine Knochen sollen porös werden und sich in alle Winde zerstreuen, so dass ich eines Tages im gesamten Nordlehen verteilt bin.

Ich kehre zurück in den weiten Himmel, dessen Odem ich täglich durch meine Lungen fließen ließ.
Ich kehre zurück in die Erde, dessen Pfade mich bis in die letzten Winkel Amhrans trugen.
Und ich verlasse die Welt dazwischen, die sich die Lebenden Untertan gemacht haben, allen voran die Ulgard, deren Erbe niemals vergessen werden soll."


"Doch dieser Tag ist nicht heute." kam die Antwort seiner Gefährtin, deren nackter Leib an den des Kriegers geschmiegt war und sie aus dem Schutz und der Wärme seines Leibes heraus das prasselnde Feuer betrachtete, dass schon bald als einzige Wärmequelle versiegen würde, die sich den beiden Nortgardern in der alten Mine geboten hatte. Es hatte immerhin nicht nur dazu gereicht, sich aufzuwärmen und zu trocknen, sondern sich auch einander hinzugeben. Zwei Leiber ineinander verschlungen, hatten die Jägerin und der Krieger sich geliebt, während außerhalb der Mine ein Schneesturm seinem eigenen Land den Krieg erklärt hatte.

Es war nicht nur so, dass sich eine lange füreinander empfundene Leidenschaft entladen und die beiden zueinander geführt hatte – nein, es war vielmehr ein Bund gewesen, den beide mit dieser Nacht, mit diesem Akt fleischlicher Hingabe besiegelten und ihn wild, rau und leidenschaftlich feierten. Keine Kontur der beiden Körper, die nicht unentdeckt geblieben war, kein Muskel, kein Stück Haut, dass nicht eine Form der Liebkosung erfahren hatte. Für Skaskar und Frye war dieser Moment vermutlich der heiligste Augenblick ihrer langen Reise gewesen, die nicht erst mit dem kürzlichen Verlassen Eisenheims begonnen hatte. Keiner der beiden würde jemals aussprechen, welches tiefe Band, welche Einheit sich zwischen beiden aufgebaut hatte, denn es gab, dessen waren sie sich absolut sicher, keine Worte, die einer Beschreibung auch nur nahe gekommen wären.

Hätte man es Liebe genannt, wäre es eine Beleidigung, allenfalls der Schatten einer Facette des großen Ganzen gewesen. Nein, Skaskar und Frye, sie beide wusssten, dass sie viel mehr als nur das teilten. Es brauchte nicht mehr als die wenigen Momente, nachdem sich der Krieger in seine Gefährtin in einem Aufbäumen der Lust ergossen und die Augenblicke danach im Stillen Zwiegespräch ihrer Blicke zugebracht wurden, um einander diese Wahrheit zu schenken.

Es war wie eine Erkenntnis, die sie beide vom Anfang der Reise mit sich wie eine unsichtbare Last getragen hatten und die sich im Lösen ihrer Fesseln nun nahezu aufdrängte. Es würde der Tag kommen, da sich ihre Wege trennen würden, damit es eines Tages ein erneutes und hoffentlich finales Wiedersehen geben konnte.

Doch das waren Gedanken, die erst am nächsten Tag wieder Gewicht haben würden. Denn dieser Ort, diese Zeit, gehörte nur den beiden – den letzten selbsternannten Erben des wahren Volkes. Und während beide einander ihren Gedanken nachhingen, den Frieden und die Eintracht genießend, die so flüchtig wie das Flockenmeer des tobenden Sturmes waren, wussten sie nicht, dass ihr Begleiter auf vier Pfoten fast den Eingang der Höhle erreicht hatte.

Man mag nur vermuten, was den Wolf inmitten des Unwetters getrieben haben mochte und mit Hunger lag man vermutlich kaum falsch. Was auch immer ihn seines Rudels beraubt und ihn darben ließ, konnte man nur erahnen. Sicher jedoch war, dass die Mine für den Vierbeiner in gleichem Maße Überleben hieß, wie für die beiden Menschen, die er sich leichtsinnig als Beute auserkoren hatte. Und er würde klug genug sein, lediglich Unterschlupf an diesem Ort zu suchen, den die Menschen beherrschten, in der leisen Hoffnung, dass man ihm seinen Angriff nicht vergelten würde. Der Eingang war bereits sichtbar. Das Feuer förmlich spürbar, genau wie die Müdigkeit und die Erschöpfung. Und so kam es, dass der letzte Gedanke des einsamen Wolfes der war, dass er es fast geschafft haben würde und ein weiterer Tag gewonnen war, als eine Speerspitze den Leib des Tieres durchbohrte und ihm in wenigen Atemzügen, die nicht einmal das Aufkommen von Verwunderung und Überraschung, nicht einmal das Aufkommen von Schmerz zuließen, das Leben raubte.

"Der Weg ist frei, Euer Gnaden! Es droht keine Gefahr!" bellte eine Stimme durch das dichte Schneetreiben. Und erst langsam zeichneten sich drei rote Silhouetten ab, eine davon berobt, die anderen in schwere Mäntel und Rüstzeug gehüllt, die sich dem Eingang der Mine näherten. Einer der Krieger nahm den toten Leib des Wolfes auf und kommentierte:"Nicht viel dran, aber wird für eine Mahlzeit reichen." ehe der Tierkadaver geschultert wurde. Indes hielt die Gruppe weiter auf den Eingang der Mine zu.

Skaskar und Frye indes, hatten die Köpfe gehoben, als sie Stimmen im gedämpften Tosen des Sturmes zu vernehmen geglaubt hatten und richteten den Blick auf die Biegung, hinter der der Eingang zur Mine lag.

"Mithras bewahre, dieser Sturm war von den alten Göttern geschickt um den Herrn zu verhöhnen!" fluchte der Berobte, als er mit den beiden Sonnenlegionären die Mine betrat. "Wenigstens schickte uns der Herr euren treffsicheren Speer, so dass wir immerhin eine dürftige Mahlzeit jagen konnten, Ehrwürden Brychh." Ein milde zufriedenes Grunzen folgte von dem Krieger, der den Wolf erlegt hatte, gleich nachdem der Novize der Legion, der den Wolf schultern durfte, eifrig zur Bekräftigung der Worte genickt hatte. Erst das Tapsen nackter Füße ließ die drei Mithras-Diener den Blick in das Innere der Mine richten, wo – für die drei Männer mehr als plötzlich – ein nackter, muskulöser Nortgarder stand, der zunächst verdutzt den Blick auf die Gruppe und mit wachsendem Unbehagen auf den toten Wolf richtete.

"Bei Mithras! Bedeckt Euch, Wilder!" entfuhrt es dem Priester, während sich der ebenfalls nackte Leib von Skaskars Gefährtin hinter diesen schob und die Szenerie ebenfalls zu beobachten begann. "Und ihr Weib, erst recht! Bei Mithras, was für ein Glück dass wir Euch das Licht des Herren und vor allem die Zivilisation aus dem Herzen des Reiches bringen!"

Die ersten zwei Worte pochten wie ein Echo im Kopf des Nordmannes. "Bei Mithras!" pochte es immer wieder in Skaskars Kopf, wie ein Takt, ein Klopfen, den man nicht loswird, während er weiter gebannt auf das tote Tier starrte. "Bei Mithras!" pochte es weiter. Gefolgt von einem Kanoismus, der immer wieder "Bedeckt euch!" und "Wilder" posaunte. Ein Stimmengewirr, die für den Krieger wie Beleidigungen, ja sogar wie Frevel klangen, hier im Herzen seines Landes, dessen Kinder diese Rotröcke wie Schlachtvieh über ihrer Schulter trugen. Eine Hand des Kriegers griff hinter die Biegung, was die beiden Kämpfer alarmierte. "Haltet ein und zeigt was ihr dort habt, Nortgarder!" rief der Ältere, während der Jüngere, der Novize, den Wolf wie Beiwerk fallen ließ und eine Hand an sein Schwert legte.

Noch heute hörte Skaskar das leblose Aufklatschen des Wolfes, wenn er an diese Situation zurückdachte und wie geschändet es ihm vorgekommen war, diesen Räuber, dessen Geschichte er niemals hatte lernen können, zu diesem leblosen Haufen Fell und Fleisch reduziert zu sehen und dessen starres Augenpaar einzig noch sagen konnte:"Fast. Fast hätte ich es geschafft." Als er mit Aeiir in der Hand einen Schritt auf die Gruppe zumachte, herrschte der Legionär ihn erneut an:"Fallenlassen, Nortgarder. Oder du und dein Weib werdet hier sterben, so wahr es der Wille des Einen ist!"

Ein Knurren war zunächst die einzige Antwort des nackten Kriegers, der kurz darauf mit einem Satz auf die kleine Gruppe zusprang. Der Legionär, zweifelsohne kampferprobt, hatte den Sprung vorausgesehen und stach in Richtung des Kriegers, der zu dessen Überraschung jedoch nicht zu einem Schlag angesetzt, sondern den Speer beiseite geschlagen, nach dessen Stange gegriffen und den Krieger damit nun nah zu sich herangezogen hatte. Noch bevor dessen Novize ihm zu Hilfe eilen konnte, rammte Skaskar seinen Schädel auf den Kopf des Legionärs, so dass dieser benommen zur Seite taumelte und nicht kommen sah, dass Skaskars Rabenschnabel ihm seitlich den Schädel zertrümmerte. Als Blut und Hirnmasse seitlich aus dem Kopf des Legionärs wie aus einer geplatzten Weintraube schossen, brüllte der Krieger den beiden verbliebenen Rotroben entgegen:
"Ehre für die Stämmme, Ehre für das wahre Nortgard, nieder mit dem falschen Götzen!"

Der Priester versuchte noch, nun von Furcht übermannt, aus der Mine zu fliehen, als ihn ein Pfeil im Unterschenkel traf, der aus dem hinteren Teil der Mine an Skaskar vorbeigeflogen war. Während der Priester noch im Fallen wimmerte und sich dennoch, entschlossen, dieser Todesfalle zu entkommen, kriechend in Richtung Ausgang bewegte, stand der Novize dort: Unschlüssig, ängstlich, überfordert.

Skaskar, von einem Augenblick der Generosität übermannt, nahm den Speer des Legionärs und beendete das Hadern des Novizen, indem er den Speer einmal in einem einzigen, todbringenden Stoss durch seinen Körper trieb. So blieb dem Novizen am Ende nur die eine Option: Keuchen und dabei zusehen, wie der eigene Lebenswille mit dem wachsenden Blutmangel konkurriert und tatenlos beobachten, wie der nackte Krieger, den sie für einen unzivilisierten Wilden gehalten hatten, dem davonkriechenden Priester den Schädel einschlägt. Wieder. Und wieder. Und wieder.

Und als die letzten Augenblicke des Novizen anbrachen, hörte er das leise, beinahe liebevolle Säuseln der nackten Frau, die nun neben ihm stand und ihm beim Sterben zusah:

"Du wirst hier sterben, mein Junge. Du wirst nicht zu deiner Kirche zurückkehren, Mithras kann dir nicht helfen und wir brauchen auch keine Rotroben um unsere Fackeln zu entzünden.

Dein Fleisch soll hier verwesen, aber es soll keinem Tier als Nahrung dienen.
Deine Knochen sollen hier porös werden, aber ihre Asche nicht vom Wind davon getragen werden.
Du kehrst nicht zurück in die Himmel, die dir den Odem schenkten,
noch kehrst du zurück in die Erde, über die dich deine Füße trugen.

Denn die Welt dazwischen hat dich längst vergessen."


Dann wurde es schwarz um den Novizen.

[Bild: maya-massengrab-unibonn-500x300.jpg]
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