FSK-18 Der Sturmrufer
#14
Wann immer er sich im Kampf verletzte, wurde Skaskar Sturmschlag beschenkt. Nicht nur, dass sein Körper den Beweis führte, lebendig zu sein und mit jeder Faser seines Körpers durch das Aufwallen des Schmerzes seine Präsenz in das Hier und Jetzt schrie, nein. Auch der Prozess der Wundheilung noch, kam dem Krieger der Bescherung eines Fürsten gleich, der seine Untertanen mit Weisheit und Erkenntnis beschenkt. Jeder Kratzer, jede Schnittwunde war eine Lehrstunde im Makel einer sonst perfekten Choreographie im Töten, die Skaskar mahnen sollte, wo seine Grenzen liegen.

Frye hatte es vermocht, diese Grenzen nicht nur auszuloten, sondern in der Dämmerung seines eigenen Schmerzes auch die Pforte in eine tiefere Erkenntnis aufzustoßen, die alles Zukünftige überlagern sollte. Wenngleich der Krieger noch immer im Begreifen, im Erkennen war, erntete sein Leib bereitwillig die von der Jägerin geführten Früchte des Kampfes, indem der Winterwolf sich einer Bestie des Nordens nach der anderen stellte, während der Winter um sie beide seinen frostigen Griff immer stärker schloss. Mit Wohlwollen beobachtete seine Gefährtin, wie der Sohn des Nordens, wie man ihn später in den schwachen Lehen Amhrans nennen sollte, Hieb um Hieb wieder zu den Wurzeln seiner Heimat zurückfand. Skaskar hatte beim gemeinsamen Jagen und Töten immer wieder dieser passende Vergleich eines Muttertieres beschlichen, die ihrem Wurf, noch jung und unerfahren, die rechten Techniken im Stellen von Beute vermittelte und den Sprösslingen gleichermaßen die tiefere Erkenntnis über die Regeln der Natur beibrachte, zu der Stadtmenschen in aller Regel nicht mehr fähig waren: Sei stark oder ende als Beute.

Skaskar hatte mittlerweile das Gefühl dafür verloren, wie lange er und sie nun die eisige Ödnis des Nordens durchstreiften. Tage, Wochen, Monate – all' das hatte an Bedeutung verloren, wenn man sich von seiner Heimat prüfen ließ und am Ende des Tages noch lebte und sich am Lagerfeuer Geschichten alter Zeiten erzählen konnte. Eine dieser Geschichten war die Geburt von Aeiir und Iyri, von Entschlossenheit und von Treffsicherheit.

Keine Tradition des Nordreiches an sich, hatte sich doch in der Familie der Sturmschlags der Brauch gefestigt, dass eine Waffe wie der Spross von Mann und Weib, erst geboren werden musste um mit seinem Herrn eine unzertrennliche Einheit zu bilden. Und so gab es für die Sturmschlags stets einen festen Ritus aus dem Sammeln des Materials, aus dem eine Waffe später entstehen sollte, aus der Fertigung und der tatsächlichen Geburt, die das Mordwerkzeug durch den Kampf bezeugen sollte. Ein Schriftkundiger der Familie begleitete in aller Regel jeden Schritt auf diesem Weg und nachdem eine Waffe durch ihr Werden auch ihren Namen erhielt, wurde dessen Geschichte von ihrem Träger bewahrt und fortgeschrieben. Unsere Geschichte beginnt mit einer der wenigen Ausnahmen, in denen eine Sturmschlagwaffe nicht nur einen Namen erhielt und an eine Außenstehende gereicht wurde, sondern auch gleichzeitig mit einer anderen Waffe verbrüdert wurde. Während der Mann einen Rabenschnabel erhalten sollte, wie es Tradition war, wurde ein der Familie naher Bogner begleitet und betraut, für eine dem Hause nahe Frau einen Bogen zu arbeiten, der in Qualität den Stahlarbeiten der Sturmschlags in nichts nachstehen sollte.

Also machte man sich an die Arbeit. Die Chronik beider Stücke liest sich, so kann man mit Fug und Recht behaupten, wie das Entstehen von Bruder und Schwester, unzertrennlich und doch grundverschieden. Während das Erz für den Stahl des Rabenschnabels aus einer einzigen Ader geschürft wurde, die sich alleinstehend und auf sehr engem Raum durch den Berg zog, so schien sich das für den Bogen passende Holz förmlich dem betrachtenden Auge entziehen zu wollen und gleichwohl man zu diesem Zeitpunkt nicht viel aus dem Entstehen dieser eigentlich toten Gegenstände lesen konnte – zumindest sagen das Zweifler bis heute – konnten die Wahrhaften, nachdem man ihnen die Geschichte von Aeiir und Iyri erzählte, bereits hier sehen, dass mitunter die Waffen selbst vor ihrer Existenz zu wissen scheinen, wer ihr künftiger Herr sein wird.
So wird es kaum verwundern, dass der Rabenschnabel in einer einzigen Nacht und ohne eine Pause des alten Hrothgrim Sturmschlag gefertigt wurde, als sei der alte Sippenvater selbst getrieben, von den ominösen Kräften, welche die Familie ihren Sprösslingen in Stahl und Holz zudachten. Der Bogen indes, schien seinem Meister alles abzuverlangen und ihn lange und genau arbeiten zu lassen. Später würde er behaupten, es sei einer der besten Bögen gewesen, die er je gefertigt habe. Man wird jedoch vermuten dürfen, dass er das während seines Lebens diverse Male zu diversen Zeitpunkten gesagt hat, auch wenn die Arbeit dieses Urteil nicht wirklich unterstrichen hätte. In jedem Fall aber, so kann man sagen, waren die Sturmschlags und die spätere Trägerin des Bogens zufrieden mit der Arbeit.

Nachdem beide Waffen schließlich gefertigt waren, wurden die Waffenträger mit ihren Werkzeugen auf die Reise geschickt. Drei Tage im Mindesten, sollten sie eine Beute suchen, die es wert war, mit diesen Ergebnissen wahrer Handwerkskunst erlegt zu werden. Am Ende, so stellte sich heraus, sollte es der fünfte Tag sein, an dem er und sie der Fährte eines Wolfes gefolgt waren, der sich schlussendlich als gerissener aber auch weitaus überheblicher herausstellte, als er versuchte, sich die beiden Jäger als Beute zu nehmen. Im Bestreben, seiner Jagdgefährtin viele Schuss zu ermöglichen, zog der Mann, den man später als Skaskar Sturmschlag kennen sollte, immer wieder den Groll des Tieres auf sich, indem er entschlossen und furchtlos immer wieder den Kontakt zu dem garstigen Tier suchte und dabei diverse Bisse bereitwillig in Kauf nahm, bis schlussendlich ein einzelner Pfeil den Nacken des Tieres durchbohrte und sein Leben damit beendete. Der Geschichte nach, so überlieferten es die Waffenträger, war es der einzige Schuss, den Frye damals abgab und der den Wolf traf, als er auf den im Angriff befindlichen Skaskar zusprang. Ob ein Glückstreffer oder pure Übertreibung, das wird wohl außer den Waffenträgern nie mehr jemand sagen können. Die beiden hingegen, schrieben den gesamten Kampferfolg dem Vorhandensein ihrer mächtigen Waffen und der Tatsache zu, dass sie von nun für lange Zeit an sie gebunden sein würden.

So nannten sie den Rabenschnabel fortan Aeiir und den Bogen von Frye Iyri, die Waffen des Kriegers und der Jägerin, den Donner und den Blitz in den Urgewalten der Kämpfe, die sie damit noch lange Jahre nach der Waffenweihe entfesseln sollten.

Wieviele der Sturmschlagwaffen tatsächlich unter ähnlich erzählenswerten Umständen geschmiedet wurden, vermag heute kaum jemand mehr zu sagen – fest steht, dass ihren Geschichten nach, alle durch mindestens bemerkenswerte, zuweilen sogar heldenhafte Geschichten geboren wurden, welche die Familie Sturmschlag zweifelsohne zu einer Dynastie aus Helden gemacht hätte, entsprächen sie alle der Wahrheit. Aber – und vermutlich wussten dass die Träger der Waffen im Mindesten selbst – neigen sowohl Schreiber als auch die Überlebenden einer Geschichte bisweilen zu Übertreibung. Und sei es nur um die wirklich wichtigen Punkte einer Erzählung noch präsenter zu machen. In diesem Fall nämlich, war es im Grunde einerlei wieviel Wunden Skaskar erlitt, bevor die unerwähnte Schwäche in seinen Körper floss und ihn beinahe verbluten ließ und wieviele Pfeile Frye tatsächlich verschoss, bevor der eine Pfeil schließlich traf. Wichtig allerdings, blieb und würde immer bleiben, dass hier ein Band zwischen zweien gestärkt und neu geschlagen wurde, die einander nie wieder vergessen würden, selbst wenn eines Tages die Welt über ihnen im ewigen Eis Nortgards zum Stillstand kommen würde.

[Bild: eiswald-64025831-be66-4a70-a41a-2e3d0fdbf2c8.jpg]
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