FSK-18 Der Sturmrufer
#11
Die ersten Tage seit Skaskars Rückkehr waren zu Wochen geworden. Wochen, in denen eine Normalität einkehrte, die seine Zeit in Servano wie einen fernen Traum erscheinen ließ. Vergangene Freundschaften verblassten im Nebel dieser Traumwelt, die immer stetiger dem Hier und Jetzt wich. Gemeinhin bewunderte man im Eisenheim – ganz im Einklang mit der öffentlichen Meinung über das Volk Nortgards – die Art von Krieger, die Skaskar mittlerweile geworden war: Waffenstarrend, unbeugsam, diszipliniert.

Er hatte noch keine Aufgabe gefunden, wohl aber viele Männer, die sich nur allzu gern auf einen Kampf einließen – sei es nur der Übung wegen. Ein reduziertes Leben, allerdings eines, dass ihm die Rückkehr in seine Heimat erleichtert hatte. Selten jedoch, wurde diese Eintracht davon überschattet, dass Skaskar von einem Gefühl eingeholt wurde, als sei etwas Unerledigtes übrig. Etwas, dass ihn dazu brachte die Nächte oft an einem der Fenster des Langhauses der Sturmschlags zu verbringen und zu beobachten wie Frye, den Geist, wie sie mittlerweile von vielen genannt wurde, die Nacht zum Ein- und Ausgehen im Eisenheim nutzte. Sie mied die Bewohner ihrer einstigen Heimat so gut sie konnte und schien sich komplett aus dessen Leben zurückgezogen zu haben. In dieser Nacht erwartete Skaskar den Geist erneut – den Schatten eines Menschen, der mit mechanischer Konstanz beinahe immer zum gleichen Augenblick an dem Fenster vorbeiflug um sich die Wildnis erneut Untertan zu machen.

Doch der Moment verstrich, der Augenblick der Spannung blieb aus und beinahe hatte sich der Streiter erhoben, als ihn doch etwas zurückhielt und in die Dunkelheit blicken ließ. Das Gefühl beobachtet zu werden, stieg in ihm auf, ohne dass er es an etwas bestimmtem festmachen konnte. Es war vergleichbar mit dem Gefühl, dass man an engen Treppenaufgängen oder in verwinkelten Gassen hat, wenn man alleine unterwegs ist: Dieser Drang sich stetig umsehen zu müssen. Dieses alarmierte Gefühl im Körper, als könnte jeden Augenblick der eigene Schatten nach der Kehle greifen.

Skaskar reagierte drauf, wie man eben reagieren konnte: Er sah sich im großen Raum um, in dessen Leere nur Skaskars Kerze sich der langen Dunkelheit der Nacht entgegenstellte. Es waren diese Momente, die dem Krieger so zuwider waren, wie dem Bauern die ausbleibende Ernte: Irgendwo lauerte etwas, vielleicht ein Feind. Und er konnte nur abwarten und sich sehenden Auges angreifen lassen – konnte kein Licht dorthin bringen, wo es den Lauerer aus seiner Dunkelheit gerissen hätte.

Das Gefühl wurde indes stärker, je länger er seinen Rücken dem Fenster zuwandte, als könnte er beinahe körperlich einen Dolch fühlen, der an seinem Rücken wie eine Drohung und ein Versprechen zugleich entlangstrich. Vorsichtig, als könnte jede Bewegung sein Lebenslicht aushauchen, wenn sie nur zu rasch ausgeführt wurde, drehte sich der Sturmschlag erneut zum Fenster und sah auf den ersten Blick nichts. Die Momente jedoch, die hiernach verstrichen, ließen Unschlüssigkeit aufkeimen. Unschlüssigkeit ob es wirklich nur die Dunkelheit war, die sich über das schlafende Dorf gelegt hatte oder ob der Eindruck eines aufblitzenden Augenpaares im Schutz einer Hauswand tatsächlich auf ihn gerichtet waren. Der Mensch, dem sie gehörten, musste unendlich klein sein – oder knien, wenn es tatsächlich Augen waren.

Kampfeslust und Herausforderung sorgten dafür, dass die folgende Entscheidung schneller gefällt wurde, als der Streiter Risiken abwägen konnte: Er ging so schnell er konnte zur Tür, trat heraus und suchte die Stelle, an der er die Augen – zumindest dachte er das – gesehen hatte. Dort jedoch angekommen, fand niemanden. Zumindest niemanden der noch da war, denn die Spuren im Schnee deuteten auf eine Person hin, die hier gewesen war. Obwohl Skaskar der leichte Schneefall erst jetzt richtig auffiel und sich die Spuren langsam wieder zu schließen begannen, ließen die Spuren nur einen Schluss zu. Eine Person war hier gewesen – er hatte sich nicht geirrt und er war beobachtet worden. Seine Heimat, sein Eisenheim, das Dorf in dem er aufgewachsen wurde, war jedoch kein Ort an dem derlei üblich war – es sei denn es war wieder sein Schatten, sein Geist, die unerreichbare Frye gewesen. Die kleinen Spuren unterstrichen das, wenngleich der Krieger sich nicht vorstellen konnte, was sie damit bezwecken konnte. Was auch immer sie hier getan hatte, es gefiel Skaskar nicht und er beschloss sich wieder in die schützende Wärme und das Licht seines Hauses zurückzuziehen. Der Kopf war aufgrund des mittlerweile stärkenden Schneefalls leicht abgesenkt und er beschleunigte seine Schritte um zur Tür zu kommen.

Schnelle, eilige Schritte führten den Krieger zurück zu seinem Haus, dessen Tür er beinahe schon geöffnet hatte, als aus der Dunkelheit mehrere, schnelle Schläge den Krieger an die Tür drückten. Instinktiv versuchte der Körper des Streiters sich zusammenzuziehen und anzuspannen, um sich zu schützen, während Skaskar das einzige tun konnte, was er in diesen Situationen gelernt hatte: Dorthin sehen woher die Attacken kamen und kämpfen. Die Irritation jedoch, in das Gesicht der Frau zu blicken, die für viele im Eisenheim mehr als nur unnahbar gewesen war, gab ihr genügend Raum, um seine Versuch einer Defensive bereits im Keim zu ersticken. Polternd überwältigte die Frau den Krieger so leichtfertig und so schnell, dass seine Gedanken selbst im Kampf noch immer Mühe hatten, sich auf die neue Situation einzustellen. Er konnte spüren, wie er sie – im Drang sich zu befreien mehrfach traf und wie sich seine Fäuste schwer in ihr Gesicht und ihren Körper gruben, sie diesen Körper jedoch einfach ignorierte und ihn nach und nach vollständig zu überwältigen begann.

Die Dunkelheit half nicht dabei zu erkennen, was sie tat, doch hatte Skaskar das Gefühl, zusehends in einen Schraubstock zu geraten. Die lebendige Wärme der Frau umschlang den Körper und nahm ihm nach und nach, gleich einer Würgeschlange, jede Bewegungsfreiheit. Diese unbändige Dominanz mit der sie vorging ohne dabei nachzudenken, sondern ihn einfach, einem unausgesprochenen Urteil gleich, vereinnahmte, raubte ihm auch den letzten Rest seiner Kraft, seines Kampfeswillens. Auf dem Boden liegend, von der Frau über ihm vollständig in Griffen gefesselt, die er weder kannte, noch sie vermutlich nachvollziehen konnte, konnte er nicht mehr als sich ihrem Blick auszuliefern.

Der hingegen, wirkte nicht zornig oder mordlüstern, wie er es erwartet hatte, sondern verwirrt und betroffen. Die Überraschung stand ihr förmlich ins Gesicht geschrieben, über das – oder denjenigen – den sie hier erlegt hatte. „Frye..“ machte Skaskar den gepressten Versuch, sich ihr zu entwinden, was lediglich dazu führte, dass der Druck stärker wurde und sie ihn, mit Verzweiflung und offener Überforderung in ihrer Stimme anherrschte:“Nicht reden..!“ Skaskar musste sie angesehen haben, als verlangte sie unmögliches von ihm, wenngleich er es nicht wagte, sich der Aufforderung zu widersetzen. So lagen sie dort und Momente der Stille gingen ins Land, in der die Betroffenheit und die Verwirrung einem erforschenden Blick und einer faszinierten Neugier wichen. Er spürte die Wärme ihres Handrückens, wie sie damit an seiner Wange entlangstrich und dabei seinen Namen aussprach, einem Hauch gleich, den sie dem schmalen Wind auftrug, welcher durch das Dorf hindurchwehte und den Schnee weiter dorthin trug. Nun, da sie seinen Namen ausgesprochen hatte und wieder Stille einkehrte, begann ein kurzes Lächeln die so vielschichtige Mimik der Frau zu überkommen und sich der Griff um ihn langsam zu lösen, dem sich der Streiter unmittelbar entriss und seine Freiheit zurückerlangte, wie ein um Luft schnappender Ertrinkender.

„Morgen Nacht, am Fuß des Pfades, der auf die Zwillinge führt.“ sagte sie daraufhin nur, als sie ohne ein weiteres Wort in die Nacht entschwand und den Krieger geheimnisvoll mit mehr Fragen zurückließ, als er in dieser Nacht und auch lange danach noch hätte fragen können. Vor allem waren es Fragen, die ihm im Eisenheim niemand beantworten konnte – also war bereits sicher wo Skaskar sich in der kommenden Nacht befinden würde und hoffte, dass ihn der Griff dieser Frau nicht in einen Abgrund reißen würde, aus dem es kein Entkommen mehr gab.

[Bild: wildtierspuren-im-schnee_jpg_620x320_q75_ctf.jpg]
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