FSK-18 [Mitmachthread] Eine Zuflucht..?
#1
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Licht, Schatten oder Nebel

Es war einer jener Momente der absoluten Stille. Der Blick des kleinen Mannes sah noch für einen kurzen Augenblick aus dem Fenster hinaus und folgte der Frau mit dem rotbraunen Haar, welche noch vor wenigen Sekunden hüllenlos in das nur sanfte Kerzenlicht des Zimmers getaucht, gestanden hatte.Alles an ihr hatte so viel Ähnlichkeit und doch war es nur ein perfides, schattenhaftes Abbild, das warme Lächeln hatte gefehlt. Ohne sie auch nur angefasst zu haben hatte er sie fortgeschickt, ihm waren ihre mal lauteren und leiseren Tiraden gleich. Er hatte sich nach Nähe gesehnt, nach körperlicher Wärme, die sein kaltes Inneres erreichte, aber wie so oft erkannte er, ehe es zu irgendetwas kam, dass es eine Illusion war zu glauben, dass ein anderer Mensch als sie es schaffen konnte.
Die einen sagten ihm, er solle sie los lassen, solle Lanyana endgültig in die Hände dieses Straßenköters übergeben und sich abwenden, um seiner eigenen Seele willen. Andere, wie Garion, sagten ihm, es bestünde Hoffnung, wenn auch nur minimale und nur mit sehr viel Aufwand verbunden. Er selbst hatte daran geglaubt, dass es eine Zukunft geben könnte, ein gemeinsames Wir.
Doch das, was er sich vorstellte, genau das sah er nun bei ihr und jenem Straßenköter. Er hatte sie beide lange Zeit beobachtet, auch bei der Versammlung der Mitglieder des Hauses. Die Verbindung, die Liebe zwischen den beiden hatte sich so sehr verstärkt, wie er es erahnt, wie er es Garion bereits einmal vorausgesagt hatte. Der Köter machte Lanyana so blind, dass sie vieles nicht sah, so vieles nicht mitbekam und einfach exzessiv darauf los lebte.
Hatte sie sich überhaupt wirkliche Gedanken darüber gemacht, was es bedeutete das Kind nicht zu auszutragen, sondern es mit der seltenen Tinktur, die er ihr beschafft hatte, abzustoßen? Er glaubte nicht, nicht ausreichend. Doch er hatte ihr jene Tinktur zukommen lassen, dem zum Trotz, was er selbst spürte. Er gab einen weiteren Teil seiner eigenen Seele für sie auf.
Für einen Moment spürte er den Schmerz seiner Vergangenheit. Kälte die in sein Mark traf wie eine Lanze aus purem Eis, welche sich tief in ihn bohrte. Ächzend und vorgekrümmt hielt er die Hand auf die linke Seite seiner Brust. Er hatte es irgendwo getötet - egal ob es von dem Straßenköter oder sonst wem geschaffen worden war - es fühlte sich nicht richtig an. Kurz drängt sich ein altes Bild in seine Gedanken und ließ markerschütternden Schmerz durch seine Haut fahren. Es war die Erinnerung, die ihn von allem Gelebten am stärksten treffen und niederwerfen konnte. Er fiel vom Stuhl und ging ächzend zu Boden, nur noch zu wenigen Krümmungen seines Rückens fähig. Seine Fingernägel schabten über die hölzernen Dielen, als die eisige Hand der Erinnerung ihn packte und die letzte aller Masken für einen Wimpernschlag anhob.
Lorelay. Tränen sickerten aus seinen Augenwinkeln, sein Körper fing an zu beben. Warum bei den verfluchten Göttern tauchte jener Name in ihm erneut auf? Er hatte ihn verbannt, tief in die dunkelste Ecke seiner zersplitterten Seele. Er hatte Schlösser und Riegel davor geschoben. Er hatte alles Erdenkliche getan, einen Teil seines Selbst abgestoßen, um diesen Namen zu verbannen. Das Bild eines Neugeborenen durchbrach seine Erinnerung und schob sich undeutlich, schlierenhaft vor sein inneres Auge. Er bäumte sich auf.
Nein! Sie hatte es aus Angst getan, aus Vernunft! Während Amala nur Hass und das Ziel seinen Willen zu brechen gehabt hatte, war sie nicht einmal davor zurückgeschreckt, vor seinen eigenen Augen – ihre Tochter, seine Tochter - dafür zu gebrauchen! Atemlos blickte er zur Decke, ließ all die Geschehnisse der Vergangenheit durch die letzte Grenze sickern. Es schien ihm, als gefriere jede einzelne seiner Adern, als würden tausende, verdrängte Eindrücke zurück in sein Leben brechen. Wie zahlreiche Splitter, welche sich zu einem Ganzen formen. Er wollte es alles beenden und doch gelang es ihm nicht – wie so oft.

Er hatte alles für sie aufgegeben. Er ertrug die Wahrheit seiner Vergangenheit für sie, nur um der wahrhafte Mensch hinter der Maske zu sein und aufzuhören andere, sie und sich zu belügen.
Er hatte so sehr auf Wahrheit, Vertrauen und Geduld gesetzt.
Er hatte so viel in ihre Hände gelegt, in der Hoffnung, dass sie ebensolche Schritte auf ihn zuging, wie er auf sie.
Vor noch wenigen Wochen hatte er mit Garion darüber gesprochen, dass wahre, dauerhafte Liebe nur dann entstünde, wenn sie sich erst auf seelischer und geistiger Ebene bis in den letzten Teil der Gedanken und Träume, Sehnsüchte und Gefühle entwickelte. Erst danach sollte die körperliche Liebe folgen, denn so würde das Band zwischen zwei Menschen so eng verschlungen werden, dass nicht einmal der Tod es brechen konnte. Er glaubte daran, dass ein solches Band jenen finsteren, fast vergessenen Namen in seinem Kopf auf alle Zeit verhindern konnte. Dass es Bestand in alle Zeit hatte und dafür hatte er fast alles aufgegeben.

Langsam kehrte vollkommene, harmonische Ruhe in ihm ein. Fast als hätte die Oberfläche der See in seinem Inneren sich wieder beruhigt und die Vergangenheit wieder in die Tiefen des Wassers gedrängt, in welche keiner Einsicht hatte. Schwach hörte er seinen eigenen Herzschlag, der so matt in den letzten Tagen geworden war, dass er befürchten musste, dass der finstere aller Gesellen ihn bald in seinem Griff hatte. Aber selbst wenn das so wäre… Er hatte seinen Glauben fast aufgegeben.
Mithras offenbarte sein wahres Antlitz und jene die sich Götter unter den Mondwächtern nannten, auch die schienen nichts Positives für sein Leben bereit zu haben. Nicht einmal die Diener all dieser Göttlichen konnten oder wollten ihm zuhören. Sicher, Garion und Carlos waren irgendwo für ihn da, aber beide mit Vorurteilen belastet. Garion wollte einzig die Sicherheit Lanyanas. Inwiefern der Legionär die Freundschaft zu ihm wertete, wusste er nicht. Garion war klug, was das Lenken anging und wusste weit mehr als er offenbaren wollte, das hatte er im letzten Gespräch erfahren. Aber sie alle verstanden nicht im Geringsten, was er wirklich fühlte, was er wirklich dachte und was er tat.

Sein Blick glitt hinab zu der kleinen Kerze, als sich ihm die Erinnerungen der letzten zwei Monde aufdrängten. Er hatte alles für sie aufgegeben, sogar einen Teil von sich selbst. Sie hatte nicht einmal bemerkt, wie viel eigentlich.
Er hatte sie so oft schon beschützt, so oft schon Gold dafür gezahlt, dass man ausgerechnet sie von allen Frauen in dieser Stadt in Ruhe ließ.
Er hatte über sie gewacht, Tag ein, Tag aus.
Er hatte seine Zeit mit ihr verbracht, aber so viel Zeit nur, dass sie zu ihren Zielen und Träumen gelangte.
Er hatte ihr stets zugehört, hatte ihr immer geholfen, hatte ohne Rache zu nehmen und auch nur daran zu denken den Angriff des Nebenbuhlers überstanden.
Er hatte ihr ein Haus gefunden und es ihr schön eingerichtet.
Als sie krank wurde, hatte er sie gepflegt und ihr in den Stunden des Fiebers beigestanden.
Er stand an ihrer Seite als sie am Turnier die Enttäuschung ertragen musste.
Er war bei ihr, als sie in dem Haus gegenüber der Ganters ihre Nächte mit jenem Mann, den er um so vieles beneidete, schlief.
Er war bei ihr, selbst als er erfuhr, dass sie schwanger war.
Er hatte ihr immer und immer wieder kleine und größere Aufmerksamkeiten gemacht, keine die er einfach kaufte, nein, Dinge die er mit ihren Träumen und Wünschen verband, Dinge vom Herzen.
Er hatte ihr das Reiten wieder ermöglicht, hatte sein Leben für sie ein ums andere mal riskiert, auch als er den Bären getötet hatte.
Er hatte für sie, jenen sanften Teil seiner Seele aus der Vergangenheit zurückgeholt, einen wahren Teil - und die Masken hatte er abgelegt.
Er war eisern geblieben, selbst als sie so körperlich nah beieinander waren. Erst der Geist, dann der Körper. Immer wieder hatte er sich das gesagt.

All die Dinge, die er ihr gegeben hatte, hatten Bedeutungen.
Die Gugel als Zeichen des Rückzugs.
Der Lavendel als Zeichen seiner Anwesenheit.
Lina als Zeichen für die Freiheit, die sie leben sollte.
Das Haus am Neuen Hafen als Zeichen der Heimkehr und Sicherheit.
Das Kissen als Zeichen der Ruhe und Nähe.
Die Schnittmuster als Zeichen der Wertschätzung und Aufmerksamkeit, hatte sie ihm doch gesagt, sie würde der Schneiderzunft wegen nicht mehr so leicht daran kommen.
Er hatte das gemeinsame Heim aufgegeben, um zusammen mit ihr und ihm, in die Zuflucht zu ziehen.
Er nahm die großen Mühen immer und immer wieder für sie in Kauf.
Er rannte nicht mehr fort, obwohl es ihn so sehr schmerzte.
Er hatte ihr sein Armband geschenkt, sein einziges Erinnerungsstück an wahre Geborgenheit.
Insgeheim wurde sie ein Teil der Gemeinschaft des roten Milans, als die kupferne Plakette an ihrem Armband baumelte, verbunden mit einem Teil seines eigenen Haares. Er hatte sie aufgefangen, als sie verraten wurde und sie dennoch wieder zum Verräter gehen lassen.
Er hatte ihren Weg in die Stadtwache geebnet, obwohl es Stimmen dagegen gegeben hatte.
Er hatte sich selbst verleumdet und damit seine Kontakte im alten Hafen verloren, als er die Wahrheit über ihn zu finden suchte.
Er hatte die Nächte über sie gewacht, ohne Schlaf zu finden.

Nie hatte er sich beschwert, nie ein kritisches Wort erhoben und es still ertragen, dass sie ihn nicht sah. Er hatte sich sogar wieder auf den Frieden in der Zuflucht eingelassen, allein für sie. Nicht, dass sie bemerkt hätte, dass er sein eigenes Zimmer, welches er mit ihr selbst teilen wollte, für ihn und sie aufgab.
Nicht, dass sie bemerkt hätte, dass er sich selbst keinem Zimmer zu geordnet hätte. Nicht, dass sie bemerkt hätte, dass er gegangen war.
Er hatte seine Freundschaft mit Ryodan aufs ein oder andere Mal stark überspannt.
Er hatte seinen Pfad als Meister der Wege, als Meister des Wissens, verlassen, war dieser Weg für eine Zukunft mit ihr zu gefährlich und mit zu vielen Lügen behaftet. Er hatte sie zum Lachen gebracht, sie aufgefangen, wenn sie strauchelte und sie ihren Weg bestreiten lassen, auch wenn sie ihn sich manches Mal zu schwer machte. Nicht, dass sie all das jemals erkannte.

Vollkommen in sich gekehrt zogen all jene Erinnerungen der letzten zwei Monde an ihm vorüber. Seine Kräfte waren an einem Punkt angelangt, den er seit zehn Jahren nicht mehr erreicht hatte. Alles zehrte an ihm, selbst das kleinste falsche Wort traf. Er hatte tatsächlich geglaubt, dass die Liebe für die er in dieser Welt soviele Jahre gekämpft hatte, wahr werden würde. Aber er konnte wie so oft nur andere Herzen zusammenführen und für andere da sein, sich selbst mehr und mehr aufgebend. Ihr Zuhause sei bei Koris, hatte sie gesagt. Nicht bei ihm, wie er es gehofft hatte. Sie wäre da, wo es jenen Mann hin verschlug.
Ein leises Seufzen drang tief aus seiner Lunge, seiner Seele. Mehr und mehr glitt seine stille Hoffnung wie Sand durch seine Finger, ehe er nur noch ein einziges kleines Sandkorn in den Händen hielt. Er sah seine Wege in dieser Stadt nicht länger. Es schien ihm, als würde mit seiner Hoffnung auch alles andere schwinden, auch die Vorstellungen seines Wirkens in dieser Stadt wurden davon geweht. Er hatte noch vor wenigen Stunden versucht mit den Mitgliedern der Kirche zu
sprechen, doch diese hatten ihn fortgeschickt. Sie hätten gerade keine Zeit, hatten sie verlauten lassen. Die Mitglieder des Bundes der wachenden Schwerter hielten soviel von Ehre und machten sich direkt über seine geringe Größe lustig. Wie ehrenvoll, die Ehre anderer so zu treten. War sein eigener Weg überhaupt noch in dieser Stadt?
Er glaubte zusehends nicht mehr daran. Er erwog den Anführer der Briganten draußen im Flüsterwald aufzusuchen, für einige Informationen könnten diese ihn sicherlich fort bringen, hinter die Grenze. Irgendwo in die Ferne, Silendir oder sogar in die unbekannten Teile des Landes. Fern, fort und sein wahrhaftiges Ich ein für alle Mal in Löwenstein lassend. Alle Gedanken um die Zukunft formten sich zu undurchschaubarem Nebel in den er orientierungslos hineinstarrte. Oder wäre ein Weg hier in der Legion? Ein Weg, um den Menschen in der Kirche ihr eigenes Fehl zu offenbaren? Ihnen den wahren Pfad Mithras' zu deuten? Andererseits, kannte er selbst den wahren Pfad Mithras' überhaupt? Vielleicht sollte er auch einfach die Gesellschaft Umbinors übernehmen. Zwei von dessen einstigen Dirnen waren ohenhin schon für ihn tätig. Warum also sollte er das nicht ausbauen und den Herrscher des alten Hafens herausfordern, dann wäre zumindest Ryodan einmal zufrieden, wenn er selbst wieder sein Spiel aufnehmen würde.
Licht, Schatten oder Nebel.

In keinem dieser Wege erkannte er mehr das Bild von Dralan, es hing einzig und allein als von ihm deklarierte Illusion in seinen Träumen.
Still drehte er sich um und schlief ein, darauf wartend, welchen Pfad die Welt für ihn bereit hielt.

Licht, Schatten oder Nebel.
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[Mitmachthread] Eine Zuflucht..? - von Deagen - 11.07.2013, 14:04
Vertrauen - von Lanyana - 24.07.2013, 22:49
Zeitflug - von Lanyana - 25.02.2014, 22:06



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