FSK-18 Jeder stirbt für sich allein
#1
„Kein Risiko. Die müssen draußen bleiben.“ Falkners Stimme hallte in Harls Kopf nach, während seine Schritte ihn zurück in die Reihen der Kämpen lenkten. „Kein Risiko“ – Das Echo der Worte legte sich über den harten und raschen Herzschlag der den Leib bereits begann anzuspornen.

Der Söldner merkte nicht wie nervös seine Finger im Nichts nestelten, als würden sie nach Etwas greifen wollen das die Zweifel fortblies und die Zuversicht wie ein Steinmetz in das brüchige Gerüst seiner Entschlossenheit meißelte. Was die grünen Augen vor der Nordpforte der Palisaden erblickten weckten Erinnerungen an ein altes Leben. Die schiere Maße der aufgezogenen Feinde zwangen Harl zurückzublicken.

Zurück auf einen jungen Mann, der sich bei jedem aufkommenden Ärger davongestohlen hatte. Ein junger Ravinsthaler, der selbst seinen eigenen Bruder zurückgelassen hatte, als es ihm hätte an den Kragen gehen können. Harl Krähenaug, Hauptmann Siebenschneids Mann, feige und berühmt für seine schnellen Füße, seinen festen Schlaf und seine Leichtlebigkeit. Und nun sah dieser Harl nach Süden. Dorthin wo das Leben wartete, wo es nicht nach Blut riechen würde, wo er am Abend sein Krug heben könnte und ein paar Heller beim Würfelspiel verlieren würde.

Nur vage nahm er die bläulichen Waffenröcke der Männer des Bundes wahr, die sich gemeinsam mit den stolzen Farben der Sonnenlegion in den eigenen Reihen formierten. Die meisten von ihnen würden hier und heute sterben…und es würde nicht mehr lange dauern. Aber nicht er…nein er würde sich umdrehen, loslaufen und einfach weiterleben. Seine Rechte hob sich um den Mann neben sich zur Seite zu drücken und sich den Weg in die Sicherheit zu bahnen. Im Hintergrund, recht nah aber in unbewusster Ferne, erklang das rhythmische Trommeln des Feindes.

„Stahl und Gold ihr Hunde!“ raunte an der Nordpforte eine raue Stimme mit nortgarder Akzent. Sie gehörte einem Mann in schwerem Kettenhemd. Sein Gesicht verschwand hinter dem Helm, den er sich über das Haupt hob und auf seinen Schultern lag ein grauer Umhang. „Stahl und Gold…“ wiederholte einer der zwei Männer zu dessen Rechten. Auch sie hatten das matte Grau angelegt. In ihren Farben gingen sie im Spiel von Rot und Blau in den Reihen beinahe unter, hätten sie nicht an vorderster Front gestanden.

Der andere Harl erkannte sie. Harl Krähenaug, Hauptmann Tharaus Mann. Harl, der Grauwolf, bekannt dafür, dass er mit seinen Kameraden scherzte und lachte, ein Blick auf sie hatte und ein Stück Achtung vor sich gewonnen hatte, auch wenn die Leichtlebigkeit geblieben war.
Mit einer Mischung aus kameradschaftlichen Stolz und Sorge sah er zu Marquard, Aryn und Grimwulf an der Pforte wie sich auf den Aufprall der Feindflut vorbereiteten.

Marquard mit dem er in den letzten Wochen so viel gelacht hatte wie in seiner gesamten Zeit in Siebenschneids Schar nicht. Der ihm die Pflichten stets erleichtert hatte und auch nach den Tagen der Arbeit bereit war den Alltag abzuschütteln und sich in kleinere Abenteuer zu stürzen. Und sei es nur sich in den Dreimaster zu schleichen um an die Reste einer Hochzeitsfeier zu gelangen. Ohne ihn würde es trostloser werden und Harl war nicht gewillt sich diesem Unmut hinzugeben.

Aryn, der wenn er nicht redete oder umhertappste seine Nase tief in seine Bücher oder zwischen die Schenkel von irgendwelchen Frauen steckte. Für Harl war er zu einem wahren Wechselbalg geworden, dem er mal anerkennend auf die Schulter klopfen wollte und ein anderes Mal mit rollenden Augen seine Stirn in sein Gesicht rammen wollt nur damit er endlich schwieg. Hier und jetzt war er jedoch einfach nur Aryn und Harl würde viel dafür geben wollen, dass er es auch morgen noch war.

Grimwulf war gerade heute einer der ihren geworden. Zumindest auf dem Papier. In der Wirklichkeit war er der erste Kerl der ihm damals von Axis empfohlen worden war. Jenem Schicksalstag, an dem er selbst seinen Wolfsbrief unterzeichnet hatte. Grimwulf war fürderhin eine Anlaufstelle weit über das Schmiedehandwerk hinaus gewesen. Seine beherzte Art mit der er dem Leben freudig lachend ins Gesicht spuckte ließ Harl sich hin und wieder fragen, was passiert wäre, wäre er in Nortgard ins Leben gepresst worden.

Harl erwischte sich wie ihn der Funke des Stolzes erfüllte mit den dreien zu stehen. „Stahl und Gold Jungs….und Scheiß auf Einar!“ Wie sehr er ihn hier vermisste… Sie hatten in den Übungsgängen ihre eigene kleine Rivalität aufgebaut und Harl hatte sich oft genug zu seinen Scherzen über den Nortgarder hinreißen lassen. Aber Einar war mehr und mehr über sich herausgewachsen und strafte seinen Worten kaum mehr Lügen. Die Ruhe die er dabei ausstrahlte hatte etwas Brüderliches an sich. Im aufkommenden Getümmel hätten sie vermutlich ihr ganz eigenes Spiel gespielt, nur um den anderen zu überragen. Dabei wusste Harl nur allzu gut, dass Einar ihm mittlerweile im Kampf überlegen war. Aber wie jeder kleine Bruder wollte er es dem größeren zeigen. Ja, er vermisste ihn.

Der stechende Geruch von Rauch drang in die Nasen. Die östliche Palisade brannte. Doch darüber blieb keine Zeit mehr nachzudenken. Der Feind stürmte heran. Irgendwo brüllten Leute Befehle. „Schilde hoch!“, „Haltet stand!“, „Sie haben Schützen!“.

Dann waren sie da und die Woge von Banditen und Räubern prallte gegen den Schildwall. Prallte gegen Aryn und Marquard die sie mit ihren Schilden zurückstießen, während Grimwulf seinen gewaltigen Hammer über ihre Köpfe hinweg schwang und einem der Angreifer den Unterkiefer mit lautem Krachen zertrümmerte. Die anderen Verteidiger versuchten die immer wieder entstehenden Lücken zu schließen und lenkten ihr Können gegen die vereinzelt durchbrechenden Feinde. Irgendwo in der Masse mussten auch Askir und Falkenhain stehen. Zwei Männer des Bundes die Harl zumindest einen Teil seiner Vorurteile geglättet hatten.

Harls erster Pfeil traf einen der Angreifer in der Brust als er auf Marquard zustürmte. Er taumelte und die Klinge des Nortgarders durchtrennte seinen Lebensfaden mit sauberem Hieb. Ein zweiter Pfeil verfehlte, ein Dritter, ein Vierter. Immer mehr Feinde drangen vor und immer mehr brachen durch. Der Söldner verfluchte seine nervös zitternden Hände und wollte einen erneuten Pfeil einlegen. Um ihn herum schrien Männer und Frauen, ob Feind oder Freud konnte er nicht mehr sagen. Als er sich umsah erblickte er wie sich die eigenen Reihen weiter zurückgedrängt wurden. Die Pforte war frei und die Wellen des Feindes begannen ohne Erbarmen hindurch zu fluten. Harl ließ seinen Bogen fallen und zog den Säbel gerade noch rechtzeitig um den ersten Hieb eines der herannahenden Briganten zu parieren. Sein zweiter Hieb schnitt tief in den Oberarm und durchschnitt einen Teil der bereits am selben Tag genähten früheren Wunde. Vielleicht war es der Schmerz der ihn aus der Taubheit des Kampfes löste, vielleicht war es auch einfach nur Glück als er den dritten Hieb auspendelte und die Säbelschneide dem Angreifer ins Fleisch der Flanke treiben konnte. Dieser sackte stöhnend zu Boden. Ob er im Sterben lag oder nur verwundet war, war nicht wichtig.

Unter der Aussichtlosigkeit des Kampfes ließen sich mehr und mehr Verteidiger nach Süden zurückfallen. Harl konnte nicht mehr sagen ob Furcht oder Erkenntnis der Auslöser gewesen war ebenfalls den Rückzug anzutreten. Es war ein rascher und ungeordneter Rückzug, der fast schon einer Flucht gleichkam. Irgendwo glaubte er das Grau der anderen wahrzunehmen. Ein Stück Erleichterung. Er rannte und hinter ihm folgten weitere Verteidiger…so dachte er. Er irrte.

Es gab ein dumpfes Geräusch als sich der Pfeil ihn von Hinten durch seine Schulter bohrte. Im brennenden Schmerz wankte der Söldner nach vorne und kam ins straucheln, während die Augen zunächst ungläubig auf die tropfende Pfeilspitze starrten die aus dem Fleisch ragte. Ein kurzer Blick über die Schulter ließ ihn in ein halbes Duzend wütender Fratzen blicken, die mit erhobenen Klingen auf ihn zustürmten. Einer von ihnen hielt einen Bogen in der Hand, legte einen weiteren Pfeil ein und legte auf sein auserkorenes Ziel an. Dieses Mal irrte Harl nicht, als er sich klar wurde auf wen sich der Pfeil richtete.

Erneut folgte das Surren und Harl sackte nach unten, als das kalte Eisen der Pfeilspitze sich in seinen Schenkel senkte. Der Schmerz presste ihm einen Schrei aus der Kehle. Die anderen fünf preschten weiter auf ihn zu. Ein paar Augenschläge blieben noch. Es würde nicht enden. Hier und jetzt wollte er nicht sterben. Nicht auf eine solch belanglose Art. Der Griff um den Waffenknauf verstärkte sich als Harl sich hochdrückte. Sein Säbel hob sich eine Handbreit als der erste Mann bei ihm war und ihm den Knauf seines schartigen Schwertes ins Gesicht hämmerte. Der Geruch von Blut begleitete den explosionsartigen Schmerz. Eine kurze Nacht legte sich um ihn. Für einige Momente glaubt er zu fallen und Irgendetwas in der Seite zu spüren. Als der Blick wieder klar wurde, waren die Männer bereits an ihm vorbei. Kurz fragte er sich warum sie ihn verschont hatten…dann fühlte er wie das Leben aus seiner Seite rann.

Einer seiner Angreifer hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht den langen Dolch aus Harls Flanke zu ziehen, nachdem er sie im Vorbeirennen tief hineingestoßen hatte. Dann war sie da, die unausweichliche Furcht. Die Panik bemannte sich seiner Glieder, ließ seinen Arm krampfen und die Hand zittrig nach dem Dolch greifen um ihn aus der Wunde zu ziehen. Er hatte solchen Schmerz noch nie erlitten und doch blieb er unfähig zu schreien. Das erste Mal seit Jahren dachte er an seine Mutter, dachte an Rabenstein und dachte an seinen Halbbruder Arran. Er wollte bei ihnen sein. Wollte seine Mutter in die Arme nehmen und weinen. Wollte dass sie ihn hielt wie sie es immer tat und ihm sagte, dass alles wieder gut werden würde.

Um ihn herum war die Schlacht zu kleineren Scharmützeln geworden. Keiner beachtete ihn, als er sich vorwärts zog. Irgendwo, vielleicht fünfzig Schritt entfernt, die ihm wie zahllose Meilen vorkamen, sah er Aryn über den Weg hinter den nahen Höfen rennen. Die anderen Grauwölfe mussten ebenfalls dort sein. Er wusste nicht ob es überhaupt Sinn machte gegen das Unvermeidliche anzugehen. Die Taubheit legte sich bereits in seinen Unterleib. Er hustet, spuckte Blut und winselte seine Angst in die Luft. Er wollte nicht alleine sein wenn er starb.

Mit letzten Reserven drückte er sich empor. Die Beine versagten dem geschundenen Körper den Dienst, als er dieser sie wieder knechten wollte und folgten dem Willen. Er konnte es schaffen, wenn er nur einen Schritt nach dem anderen…

Eine grobe Hand stieß ihn um. Der Aufprall presste ihm einen Teil der Luft aus der Lunge, ein Tritt in die Seite den letzten Rest. Ohne Kraft lag er nur noch auf dem Rücken und blickte mit schmaler werdenden Augen zu demjenigen auf, der es beenden würde. Der Kerl stand breitbeinig über Harl, hob seine Klinge und schenkte ihm sein widerlichstes Lächeln. „Is nich dein Tag…“ meinte er salopp. Harl merkte wie der Boden unter ihm warm und nass war, wie es ihm weiter rot aus der Seite sickerte. Ihm war kalt und plötzlich... war alles egal.

Hinter dem Mann der ihn töten würde wuchs ein Schatten. Dann glaubte Harl etwas wie einen Stiefel wahrzunehmen der von hinten geradewegs zwischen die breit gestellten Schenkel des Mannes getreten wurde. Der Tritt in die Weichteile und der Schmerz den er bereiten musste, war das was der Mann mit auf seinen Weg nahm, als eine Schwertklinge sich von hinten durch die Brust schob. Harl begann der Welt zu entgleiten, als er der Bandit mit ungläubigem Blick zur Seite fiel. Irgendwo in der Ferne keuchte eine raue Stimme. „Alter Nordmann…“. Als Marquard ihn an der Schulter fasste und seinen Namen sprach wusste Harl eins: Er war nicht allein. Es gab ihm Trost als die Dunkelheit sich über ihn legte.
[Bild: rgkq.png]
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Jeder stirbt für sich allein - von Harl Kraehenaug - 10.07.2013, 17:43



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