FSK-18 Yngvar
#13
Das Lied aus dem Hintergrund
Das Leben als Schleichfigur der Legion war nicht ohne Vorzüge. Aufstehen, waschen, beten, rüsten, ertüchtigen, waschen, beten, wachen, beten, schlafen, beten und am Ende weiterschlafen. Es war ein Tagesablauf, der in einen Vers passte und nicht viel vom Gläubigen verlangte, außer dass er ihn jeden Tag aufs neue aufsagte.

Die Zeit zog dabei am Novizen in unbarmherziger Ereignisneutralität vorüber, wie ein Mühlenrad, dass sich ohne Unterlass immer weiter dreht und nur die gemahlene Essenz dessen übrig lässt, was es die Tage und Wochen davor hatten wachsen lassen. In diesem Mühlrad hatte sich der Novize willentlich als Statist gesehen, als pflichtbewusster Streiter der Legion, der sich vor allem in Demut zu üben suchte, nachdem ihn die Ereignisse an der Mühle in Candaria und was daraus für ihn gefolgt war, nicht aus seinem Griff entließ. Am Ende, so glaubte Yngvar, dass es vielleicht aber sogar dieses Ereignis war, dass Mithras ihm zur Probe und zum Geschenk zugleich gemacht hatte.

Er hatte in Blut, Feuer, Schweiß und Tränen eine Taufe erfahren, die wenige vor ihm durchleben durften und war daraus so gestärkt hervorgegangen, wie er es nicht für möglich hätte. Er hatte sich nicht länger nur als Werkzeug des Herrn angeboten, sondern war zu einem ebensolchen geworden. So wie die schwarze Kreatur von seiner Klinge schmolz, verband er sich mit dem heiligen Zweck, dem die Legion dient. Ganz im Gegensatz zu anderen, wie sich herausstellen sollte.

Evora Askolt: Kein Lebenszeichen. Phoebe Wehmer: Kein Lebenszeichen, vermutlich heimgekehrt. Victoria Gerber: Unerlaubt ferngeblieben und unbekannten Aufenthalts. Micael: Erneut verschollen. Und selbst ihre Seligkeit und auch Hochwürden Eylis zeigten sich dieser Tage nur äußerst selten. Und, was Yngvar besonders schmerzte, selbst von Pavel war kaum etwas zu sehen.

Die Legion und auch der Klerus waren innerhalb weniger Wochen um ihren Nachwuchs beraubt worden , sofern sie nicht ohne sein Wissen einer höheren Mission dienten. Einer jedoch, stand weiterhin vor dem Tempel und hielt wache, seinem Namen die Ehre gebietend, die er verdiente: Yngvar Stein hatte beschlossen, noch immer vor dem Tempel zu wachen, selbst wenn Mithras selbst entschied, das eherne Gebäude einzureißen. Und wenn er der letzte Legionär des ganzen, verdammten Amhrans sein würde – solange er hier wachte, würde kein verfilzter Mondwächter, kein frevelnder Silendirer und vor allem kein Dämonenbuhle diese Hallen betreten.

Nun war es so, dass der Novize sich fragte, ob seine Flucht in den Hintergrund der Legion vielleicht sogar eine Mitschuld am Entschwinden der einst so vielversprechenden Novizen und Anwärter getragen hatte. Es war mithin mehr als erstaunlich, dass der Tempel innerhalb weniger Wochenläufe so verwaist darnieder lag.

Was also, konnte er, der Novize nun tun? Mit einem Brummen blickte der glatzköpfige Krieger über den Marktplatz Löwensteins und erlaubte seinem sonst so pfleglich in Härte und neutraler Mimik geübtem Gesicht einen missmutig bis entnervten Blick. Die Schafe mussten geführt und gehütet werden, die sich in dieser Stadt täglich um Gold und Nahrung schlugen. Und zumindest für letzteres war auch die Legion zuständig. Der Gedanke wurde mit einem leichten Seufzen abgeschlossen und er entschied schliesslich, dass er wohl nicht länger nur seinen Hintern in die Sonne halten konnte. Wenn die Zeiten uns zu den Trümmern einer einst glorreichen Zeit führen, dann ist es unser aller Pflicht, sich der goldenen Monde zu erinnern und den ersten Stein aufzuschichten, an dessen Ende ein prächtigerer Tempel steht, als er zuvor war.

Also galt es, die Aufgabenliste von einst wieder aufleben zu lassen. Die Priesterschaft hatte es zwar bislang nicht vermocht, dem dürstenden Novizen die Weisheit des Glaubens in dem Maße einzuschenken, wie er ihr bedurfte, aber das würde ihn kaum abhalten, nicht erneut um den Krug der Lehre zu bitten. Gleichsam würde Hochwürden Eylis vielleicht etwas Entlastung wohlwollend gegenüberstehen.
Und schlussendlich gab es da noch eine Sache, die ebenfalls unerledigt geblieben war. Yngvar blickte für einen kurzen Moment hinab auf seine Klinge, deren Knauf er fester umgriff. Das Lied war keinen Tag, keine Minute verklungen und er war nun endlich bereit, darin einzustimmen und mit den Vorbereitungen zu beginnen.

[Bild: SH1010-920-1.jpg]
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Yngvar - von Gast - 21.12.2015, 22:09
Im rechten Licht - von Gast - 02.01.2016, 13:06
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