FSK-18 Himmelgrau
#24
'Wasch dir die Hände, Orestes! Was sollen die Nachbarn denken wenn sie dich so
sehen? Und mach nicht dieses Gesicht, ich habe lange genug Geduld gehabt mit
deiner Krakelei. Schau dir nur deine Fingernägel an, überall Farbe!'

Mit einem leisen Zähneknirschen zog Orestes den Eimer Seifenwasser näher, tauchte die Bürste ein und schrubbte weiter an einem der überaus hartnäckigen Brandflecken, der sich unter der Wandfackel zwischen den Auslagen gebildet hatte. Akis Haus war ein Albtraum. So ganz konnte er sich nicht erklären, wieso ihm all diese kleinen Details bisher nicht aufgefallen waren, aber mit der schauderhaften Stimme seiner Mutter in den Ohren war es schwer, den Staub, das Öl, die Flecken und den Ruß nicht zu sehen. Also putzte er.
Die Auslagen mit den Waren waren schon längst ausgewischt, die Ausstellungsstücke poliert, geölt und in nervenberuhigender Symmetrie ausgelegt, die Spinnweben entfernt und die Wände feucht gewischt, aber die Teppiche und der Boden mochten sich dem Putzwahn noch nicht so recht beugen, von dem Werkzeug gar nicht zu reden.
Besagte Teppiche waren im öffentlichen Waschbereich aufgehangen worden, und tropften nun sauberweiß-schaumiges Wasser, nachdem er sie in dem Wäscherbecken geschrubbt und gespült hatte, aber der Ravinsthaler Volkssport trieb ihn trotzdem dazu, immer dann zu einem der Westfenster zu hechten, wenn durch die geöffnete Türe Schritte erklangen; es wäre überaus ärgerlich gewesen, wenn sein Reinigungsdrang dazu führte, dass Akis Einrichtung gestohlen wurde. Das Fegen an sich war auch einfach gewesen, zumindest einen Besen hatte er ja gefunden. Was sich jedoch als hartnäckig erwies, war das Waffenöl, die Brandflecken und der Straßenschmutz, der über Monate hinweg zwischen die Steine und Dielenbretter getrampelt worden war, und sich nicht sehr kooperativ präsentierte.

'Es reicht! Die Staffelei wird verheizt, gib mir den Pinsel! Wenn dir langweilig ist,
wenn du zuviel Zeit hast, dann kommst du in die Schule! Wir betreiben vielleicht
ein Bordell, aber wir sind keine Wilden die im Dreck leben müssen! Sieh dir das an,
überall Flecken... Wasch dich, und dann schrubbst du den Boden bis er aussieht
wie neu!'

Die Bürste half, aber nicht genug. Akis Werkzeug für das Abschaben von Ruß und Erde zu benutzen erschien ihm wie ein zu großes Risiko, also benutzte er sein Stiefelmesser, wo der Dreck sich zu sehr festgesetzt hatte. Selbst die Stiegen waren mit einem feinen Film Öl überzogen, das Wasser im Löschfass schmutzig, und dann waren da noch die Scherben und Holztrümmer im ersten Stock... Soviel zutun, so wenige Stunden Zeit.
Mit jedem Gang den er durch die offene Türe in das nächtliche Tor durchführte, wuchs die Pfütze auf der Straße etwas mehr und versickerte träge und leise knisternd im durstigen Erdreich. Mit jedem Gang verschwand etwas mehr von dem Charakter des Innenraums hinaus in die Mülltonnen und den Boden, verbreitete den milden Geruch von Lavendel und Gnadenkraut, bis schließlich alle Wände, Böden, Fenster, Fensterbänke und Oberflächen gewischt waren.
Mit einem erleichterten Aufatmen lehnte Orestes sich gegen den Treppenabsatz.

Nun kann die eigentliche Arbeit endlich beginnen.

Am nächsten Morgen war von Orestes keine Spur mehr zu finden... bis auf die geschrubbten, polierten, geölten Werkzeuge, die in einer perfekten Linie neben dem Amboss aufgereiht auf einem schneeweißen Lappen lagen - ein Lappen, von dem Aki sich vermutlich genau erinnern können würde, dass dieser zuvor ölig, fleckig und mit Ruß bedeckt gewesen war -, die polierten, symmetrisch und nach Größe sortierten Werkstücke in den Auslagen, die blendend sauberen, exakt parallel ausgerichteten Teppiche mit ihren exakt frisierten Teppichfransen, die gebürsteten, gewaschenen, sauberen Felle, der gewienerte Boden, die sauberen Wände, die gewischten Regale, die in exakt gleichgroße, glatte Bündel gefaltenen Kleidungsstücke - wusste Mithras wo Orestes sie alle ausgegraben hatte -, das nicht nur frisch befüllte, sondern auch innen und außen geschrubbte Löschfass, der geschrubbte Badezuber, die exakt aufgereihten Badezutaten, die der Größe, der Thematik und dem Alphabet nach sortierten Bücher, die fehlenden angebissenen Speisen, die polierten Gläser,...

Nur auf dem Tisch, da stand zentriert und in einem (gereinigten) Krug bewässert eine einzelne Blume, zusammen mit einem Stück Papier, auf dem stand:

"Wenn du etwas nicht mehr findest,
ersetze ich es dir."
[Bild: OrestesCaetanoSignatur2017.png]
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Himmelgrau - von Orestes Caetano - 21.06.2013, 18:14
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 22.06.2013, 02:55
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 25.07.2013, 23:18
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 31.08.2013, 18:08
RE: Himmelgrau - von orikson - 01.10.2013, 13:37
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 26.10.2013, 03:13
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 08.01.2014, 00:24
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 12.11.2013, 07:34
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 20.11.2013, 12:34
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 17.12.2013, 07:16
RE: Himmelgrau - von Sherion - 30.12.2013, 05:59
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 04.02.2014, 20:27
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 06.03.2014, 01:16
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 30.05.2014, 21:05
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 29.09.2014, 23:04
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 01.04.2015, 20:34
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 06.04.2015, 02:27
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 07.06.2015, 00:05
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 27.06.2015, 18:53
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 19.02.2016, 14:45
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 10.03.2016, 10:37
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 16.06.2016, 19:13
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 21.06.2016, 22:06
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 26.06.2016, 19:23
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 12.09.2016, 02:21
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 18.09.2016, 23:34
RE: Himmelgrau - von Orestes Caetano - 29.10.2016, 05:36



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 6 Gast/Gäste