FSK-18 Yngvar
#11
Anmaßung

Es hatte erneut die Nacht hindurch geregnet als der Novize auf den Exerzierplatz hinaustrat. Er war an diesem Morgen alleine dort, da die Vorbereitungen für das Konklave den regulären Trainingsplan der Gotteskrieger wie überall vollständig verändert hatten. Es war nicht etwa so, dass er durcheinandergebracht worden war, denn die Sonnenlegion als Institution der heiligen Ordnung würde derlei kaum zulassen, vielmehr war die Form der Funktion gefolgt, so dass die eine Hälfte der kräftezehrenden Nachtwache entschlief, während die andere Hälfte vom Säubern des Tempels über Botengänge bis hin zu Sicherungsaufgaben den Tag bereits mit gutem Werk an Mithras, dem Befreier, dem heiligen Licht der Welt, erfüllte.

Yngvar hingegen hatte diesen Morgen die gottgegebene Freiheit, den Tag mit körperlicher Ertüchtigung zu beginnen. Die Bodenfliesen des Platzes, wie auch die Holzaufbauten, waren vom Regen noch feucht und glänzten im heraufziehenden Licht der Sonne, die langsam aber sicher hinter den Dächern der Stadt heraufzog und sich, hellen Federstrichen gleich, auf ihr Antlitz zeichnete und es mit lichten Flächen und Streifen versah und damit die Schatten vertrieb. Ein leichter Dunst begann sich dort zu bilden, wo Wärme auf Kälte, körperlose Trockenheit auf flüssige Feuchte traf.

Und im klanglosen, mühsamen Spiel der Elemente, sah man den Novizen, wie er, den Oberkörper entblößt, einen massiven Stamm auf Hals, Schultern und den zu den Seiten ausgestreckten Armen trug und im Laufschritt den Exerzierplatz umrundete, stets in der Richtung, in der sich auch den Tag über der sonngoldene Ball am Himmel bewegen würde. Das Gesicht des Mannes war konzentriert, das regelmässige Ausstoßen von Atemwolken glich dem Aufschnauben eines Stiers, der bald schon mit den Hufen scharren und sich, den Kopf voran, in sein Ziel werfen würde. Auf dem Männerleib bildeten sich derweil Schweißtropfen, die ungesehen ins Licht verdunsteten. „Schweiß ist Schwäche, die den Körper verlässt.“ hatte sein Lehrmeister in Nortgard stets gesagt, eine Weisheit der er nicht wiedersprechen, sie mittlerweile aber sogar erweitern konnte. Wenngleich es keine Schmerzen bereitete, so zwang der Mensch durch solch schweißtreibende Tortur die im Leib liegende Schwäche, den Makel aus dem Körper an dessen Oberfläche, wo Mithras sie hinfortbrannte, in einem Nebel aus Dunst und Salz.

Noch viele Tage, nachdem die Erinnerung an den Teufelskarren, wie Yngvar ihn für sich selbst benannt hatte, ihm wieder ins Bewusstsein gekrochen war, flammte der Schemen seiner Erinnerung in ihm nach. Und so auch an diesem Morgen. Jeder Mensch, ausnahmslos, war und würde immer fehlerhaft sein. Jeder Mensch hatte mindestens zwei Seiten – das waren zwei Lehren, die ihn dieses Ereignis dereinst gelehrt hatte und vermutlich den Grundstein für die Strebsamkeit und Disziplin des heutigen Novizen Stein gelegt hatte.

Tatsächlich hatten diese Erkenntnisse sich während seiner Zeit in der Legion noch darum ergänzt, dass dieses Ritual der Ertüchtigung am Morgen nicht nur dem Stählen seines Leibes diente, sondern ihn auch reinigte für den Makel den er in sich aufgenommen hatte und noch aufnehmen würde. Kleine Feuer brannten bald schon in ihm, je länger er den vermaledeiten Stamm auf seinem Kreuz transportierte und erst als sein Körper unter der Belastung zu ermüden und seine Beine einzuklappen drohten, ließ er das Gewicht fallen, um sich anschließend aufrecht und trotz des schwitzenden Körpers würdevoll zu erheben. Die Reinigung durch Malträtierung des Leibes hatte darüber hinaus den wundervollen Effekt, dem Geist Klarheit für den Rest des Tages zu schenken – eine Klarheit, die er derzeit täglich brauchte.

Die Zeit der Ruhe seit der Mühlenreinigung war vorbei und es galt erneut, vielen Bedrohungen zu trotzen. Unwillkürlich erinnerte sich der Novize, während er aus seiner Trinkflasche trank und dabei über den erhöhten Bereich des Kirchengeländes schritt, wie einer seiner Brüder ihn gefragt hatte, ob er seine Schwester noch begehren würde, wenn sie plötzlich vor ihm stand und er hatte dies mit einer Festigkeit verneinen können, die ihn selbst überrascht hatte. Die Erklärung hingegen, war einfach: Er begehrte nicht mehr. Zumindest nicht mehr so, wie man es als wankelmütiges Wesen außerhalb des Zugriffes des Herrn tat. Freilich konnte er die Lust des Aktes empfinden und doch – es gab dort diese Barriere, gleich einer festen, führenden aber auch liebenden Hand, die seinen Kopf stets wieder auf den Weg richtete, fernab der Verlockungen am Rande seiner Welt, die das Licht des Herrn war.

Yngvar hatte diesen Punkt irgendwann in seinem alten Leben, in seiner Zeit in der Heimat, in Nortgard, erreicht, an dem er für Vigdis alles getan hätte und er wusste, dass sie genauso empfand. Sie wären füreinander gestorben – und hätten noch weitaus mehr auf sich genommen, nur um des anderen Willen. Es war der Hebel, den ihr Vater erkannt und eingesetzt hatte, um sie letztlich trennen zu können und vermutlich hätte er nicht einmal annähernd gedacht, welche Felder er auf seinem Sohn damit bestellen würde.

Und er erkannte damit, wenn auch später als gedacht, warum die Legionäre wie auch die Priesterschaft enthaltsam leben mussten. Es galt nicht nur, nicht von ihren Pflichten abgelenkt zu werden, sondern auch nicht diejenigenn zu enttäuschen, die dachten dass sie auf gleicher Stufe oder sogar höher als Mithras stehen könnten, soweit es Yngvar betraf. Zuwendung konnte den Pfad für die Hoffnung bereiten, mit einem Gott konkurrieren zu können.

Und während der Krieger sich noch die letzten Reste der Schwäche, die sich auf seinem Leib in Schweißperlen gezeigt hatten, vom Leib tupfte, fragte er sich, wie Mithras diejenigen so unabdingbar lieben konnte, die so anmaßend waren, dass sie glaubten, so einen Kampf gewinnen zu können.

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Yngvar - von Gast - 21.12.2015, 22:09
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