FSK-18 Himmelgrau
#13
Die Wunde am Arm schmerzte, wie es nur Wunden tun konnten, die man selbst versorgt hatte. Vielleicht lag es aber auch daran, wie Sherion mit den Krallenspuren umgesprungen war, bevor er zitternd und bleich wie ein Leichentuch davon getorkelt war, solcherlei Dinge konnte Orestes nur schwer endgültig deuten. Vielleicht hätte er sie auch nähen lassen sollen, statt sie nur zu reinigen und dann zu verbinden, aber aus irgendeinem Grund hatte er sich dazu nicht durchringen können, und die vielen Vielleichts machten ihn sowieso nur unruhig, wozu sich also darüber den Kopf zerbrechen?
Das inzwischen fast ausgekühlte Wasser im Badezuber dampfte nur noch milde, und er war nackt wie seine Mutter ihn geschaffen hatte... und mit Schmuck behangen, wie Sherion es entschieden hatte. Armringe, Fußringe, Armreif, Verlobungsring, und Augenringe, die durften nicht fehlen. Selbst ohne Bekleidung konnte Orestes wohl niemals wieder behaupten er sei nackt, und Sherion hatte zu mehr Dingen an ihm Schlüssel, als nur zu seinem Herzen. Er schmunzelte auf, wie er es immer tat, wenn er über Sherions seltsame, versteckte Vorlieben nachdachte, denn hier konnte ihn niemand sehen. Es war nicht recht dabei gesehen zu werden, wie man sich in den eigenen Gedanken verlor. Seine Mutter nannte solche Menschen "Guckindielufts", und die Art wie sie dieses Wort aussprach ließ keinen Zweifel darüber offen, dass es nicht als liebevolle Neckerei gemeint war, sondern eher als vernichtendes Urteil.
Und Orestes? Der wusste zu gut wie vernichtend seine Mutter auf manche Verhaltensweisen herabsah, und hätte sich wohl tot nicht in einer Situation erwischen lassen, die seine Mutter die Nase rümpfen hätte lassen.
Ein Handtuch half gegen die letzten nassen Stellen an Rücken und Bauch, dann marschierte er zum Schrank und besah die Auswahl an Kleidung, die Sherion für ihn besorgt hatte. Orestes konnte sich sehr spezifisch erinnern, wann er selbst das letzte Mal ein Kleidungsstück für sich gekauft hatte, weil es so ungemein selten vorkam. Die meiste Zeit - nein, fast immer - war es Sherion, der für ihn Kleidung aussuchte, seinen Schrank füllte und sein Aussehen beurteilte. Und Orestes, der sonst äußerst hochnäsig und wählerisch mit seiner Ausstattung umging, akzeptierte es widerstandslos. Ärger noch, er ließ sich sogar die Haare wachsen, und das nur auf eine Andeutung Sherions hin, er hätte gern mehr 'zu greifen'.

Waren es all die Momente, in denen er sich willenlos Sherions Einfällen beugte, die ihn diese Phantasien haben ließen?
Das Blut war abgewaschen, aufgelöst im lauen Wasser des Badezubers, fortgewischt wie eine Erinnerung aus einer durchzechten Nacht. Sherion würde wohl kaum das Wasser kontrollieren bis Orestes es ausgoss, und selbst wenn der Blonde vorbei käme, der feine rosa Schimmer würde ihm wohl kaum auffallen. Man sah die Reste fortgespülter Sünde nur, wenn man wusste wonach man Ausschau halten musste, und die blutige Kleidung war schon lange kleingeschnipselt und im Kamin verbrannt worden. Keines von den Kleidungsstücken, die Sherion ihm geschenkt hatte, natürlich - das wäre ihm dann wohl doch aufgefallen. Nein, stattdessen benutzte Orestes billige Wollkleidung für seine vereinzelten nächtlichen Exkursionen, solche die zu Hauf verkauft und nie vermisst wurde. Und er schleppte seine Studien auch nicht an die Akademie, wo andere ihn sehen hätten können, obwohl so manches Mal helfende Hände nützlich gewesen wären.
Es gab Dinge, die musste man einfach alleine machen. Und zu diesen Dingen gehörte das, was Orestes an so manchem Monatsende wenige Stunden vor dem Morgengrauen in den Minen Zweitürmens anstellte.
Es gab auch Dinge, die er Sherion wohl nie offenbaren können würde, und dazu gehörte auch das, was seine Kleidung mit Blut besprenkelte, wenn er sich gen' Monatsende still und heimlich aus dem Haus schlich.
Bisher war es kein Problem gewesen, seine Forschungen bei pechschwarzer Nacht geheim zu halten - nun aber war der Drang da es öfter, ausgiebiger, intensiver zu tun, und Orestes zweifelte daran, dass es sich bei diesm irrigen Interesse tatsächlich um die Lust am Forschen handelte. Nein, es musste etwas Tieferes sein, etwas Dünkleres, etwas, das von seinem gesitteten, ordentlichen, manierlichen und ruhigen Hausleben herrührte. Mit einem leisen Schnauben zog er sich eines der Hemden über, die Sherion für ihn ausgesucht hatte, und dazu sein Wams und die Hose, die Sherion für ihn gekauft hatte. Noch während er die Falten glättete und den Stoff an seine korrekte Position zerrte, die Haare richtete und selbst die Haare der Augenbrauen zurecht schob, wuchs die Neugier in ihm schon wieder zu alter Größe heran, und kratzte mit materielosen Krallen an seiner Bauchdecke.
Es gab Dinge, die man nur allein tun konnte. Aber das hieß nicht, dass es nicht vielleicht doch jemanden gab, der zu zweit alleine nach dem Geheimnis hinter der Existenz forschen wollte. Und irgendwann würde Orestes diesen Zweiten wohl auch finden.
[Bild: OrestesCaetanoSignatur2017.png]
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Himmelgrau - von Orestes Caetano - 21.06.2013, 18:14
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