Warten auf die Dämmerung
#2
Vogelgesang weckte sie aus einem unerholsamen Schlaf. Durch das schmale, einzelne Fenster drang etwas Licht in ihr Zimmer - ein Anblick der sie beruhigte. Es war später morgen, denn der Rauch der kürzlich erloschenen Kerze lag noch in der Luft, und sie war noch hier.

Eine andere Nacht und ein anderer Morgen, aber die dumpfe Schwere in ihrem Kopf begrüßte sie wie gewohnt, auch wenn sie von weiterem Schmerz verschont blieb.

Kein Klopfen, kein Pochen, kein Scharren, es hatte die gesamte Nacht über Stille in dem Kämmerchen geherrscht. Eine angespannte Stille, aber Stille. Sie hatte abermals keinen einzigen deutlichen Gedanken zu Pergament gebracht, das hatte sie nach einer Stunde aufgegeben und so hatte sie gewacht bis sie irgendwann beim Anblick erster Sonnenstrahlen eingeschlafen war. Sie würde im Laufe des Tages noch mehr Schlaf nachholen müssen und war sich unschlüssig ob bereits ein neues Zimmer nötig sein würde.

Sie hatte ihre Sachen schnell gepackt, da sie sie von Beginn an erst gar nicht ausgepackt hatte - nicht viel wichtiges zu besitzen dass es mitzunehmen gilt war natürlich auch von Vorteil.
So vergingen nur wenige Momente ehe Schritte wohlgemessener Eile sie in den Flur, die Treppenstufen hinab, durch den oberen Schankraum hindurch, an Tischen und Hockern vorbei, die nächsten hölzernen Stufen hinab und in den rustikalen Hauptschankraum führten.

"Ihr geht?"

"Ich komme wieder. In ein paar Tagen."

"Soll ich euch ein Zimmer bereithalten?"

"Bitte nicht. Das Ganze würde sonst keinen Sinn machen."


Violetta hatte während des kurzen Austausches kaum angehalten, aber der Wirt ließ sich nicht anmerken ob es ihn störte, und wahrscheinlich tat es das nicht. 'Ich komme wieder, in ein paar Tagen' war bei ihr ein weites Feld und der Schankwirt war sich nicht sicher ob sie es nicht mit Absicht so hielt, damit man erst gar nicht anfing zu "erwarten". Man konnte sich darauf verlassen was passierte wenn sie erschien - aber es war schwer zu sagen wann und wo sie auftauchen würde.
Für den Schankwirt gibt es da mit Abstand schlimmere Gäste.

Morgendlicher Nebeldunst war längst verflogen als sie auf die Straße trat, genaugenommen wurde es bereits Mittag. Sie war mit ihren wichtigsten Habseligkeiten bepackt aber ihre Schritte trieben sie dennoch zu einigen Läden.

Die dumpfe Schwere in ihrem Kopf wollte nicht weichen, und dass sie versuchte sich an Dinge zu erinnern, die zu sehr an andere Erinnerungen grenzten, verhieß keine rasche Besserung. Die wenigsten Außenstehenden hätten einen Unterschied bemerkt. Sie würde bald aufbrechen. Aber nicht heute.
Heute würde sie noch einmal Schlaf brauchen.

Eine andere Nacht und ein anderer Morgen. Einmal mehr war es nur das worauf sie hoffte.
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Warten auf die Dämmerung - von Violetta Winter - 26.09.2016, 10:44
RE: Warten auf die Dämmerung - von Violetta Winter - 30.09.2016, 09:35



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