FSK-18 Himmelgrau
#26
"Also, wie krank ist meine Großtante nun wirklich?"
Es war zum Haarereißen. Hätte Orestes sich ein Leben gewünscht, das aus turbulentem Auf und Ab bestand und stetig vom Wetter abhängig war, wäre er Seemann geworden, statt Schreiber in einer Großstadt. Dennoch wusste sich seine Familie zu den ungünstigsten Momenten aufzudrängen, und ihn mit einer Selbstverständlichkeit herum zu kommandieren, die er bei jedem anderen Menschen unverfroren befunden hätte.
"Sehr, sehr krank. Es ist die Brust, wisst ihr?" Der Candarische Heiler sah so ernst aus der Wäsche, wie ein nach Schafdung riechender Großvater in einem schmutzigen Nachthemd es nur konnte. Zugegeben, eigentlich war es eine Robe, aber das machte die Flecken am Saum und der Brust, wo der Lammbraten aus dem klebrigen Bart getropft war, nicht weniger. Die Art, wie er am Eingang zu Großtante's Haus herum druckste, vermittelte eine Mischung aus Unwillen und Eifersucht, die nicht so recht zu den wohlriechenden Kräutertöpfen neben ihnen passen wollte. Und da behaupteten alle, dass die Candarier das Leben gelassener und ruhiger angingen, pah!
Orestes hätte dem Mann zu gern seinen Willen gelassen. Wäre gerne fort spaziert, statt pflichtbewusst mit dem Fremden um den Eintritt in das großtantische Haus zu schachern, aber... aber. "Und sie hat nach explizit mir gefragt, ja? Seid ihr sicher, euch nicht verhört zu haben?"
Der bärtige Alte spitzte die Lippen und richtete sich etwas auf, als sei denken und blockieren zur gleichen Zeit zuviel Aufwand. "Sofern ihr keinen Cousin in Servano habt, der ihr das Herz gebrochen haben soll, bin ich mir sicher."
Arroganter, selbstzufriedener Dorfmetzger. Die Gedanken schafften ihren Weg nicht an Orestes' Lächeln vorbei. "Dann wäre es doch von Sinn, wenn ihr mich zu meiner darbenden Tante bringt, statt Maulaffenfeil zu halten, nicht wahr?" erwiderte er mit schneidend charmantem Lächeln und einem trägen Augenaufschlag, der einer Frau vermutlich besser zu Gesicht gestanden wäre. Der schockierten Reaktion des Heilers nach hatte Orestes dessen Ursprung für die latente Abneigung ihm gegenüber allerdings richtig identifiziert; der Mann fuhr zusammen, verzog die Miene unglücklich und scheuchte ihn mit einer ungeduldigen Handbewegung durch den schlagartig passierbaren Eingang.
Das Hausinnere war kühl, aber stickig von Räucherungen und dem Geruch nach ungewaschener, alter Person. Seine Tante hatte schon zuvor nicht mehr soviel auf Wäschen gegeben, unter anderem, weil sie nicht mehr mobil genug war, um sich selbst zu schrubben, und zuviel pompösen Stolz in der Brust trug, um sich von anderen waschen zu lassen, aber dem Geruch nach war selbst das Experiment mit den stetig intensiver werdenden Parfüms und Mundwassern inzwischen den Weg alles Sterblichen gegangen.
Und natürlich thronte die Großtante in ihrem ausladenden Himmelbett wie eine verblichene Königin, gelehnt auf wahre Stapel von Kissen, die ihren voluminösen Körper mühsam in eine halbwegs erträgliche Form drückten. Sein Anblick war genug, um sie in einen Choral von kläglichen, leisen Wimmerlauten ausbrechen zu lassen, der seinen Eintritt in den Raum begleitete wie eine Ballade den Eintritt der Königinmutter.
"Orestes mein liebes Kind! Mein Herz schmerzt so fürchterlich seit deinem letzten Besuch, es mag mir glatt aus der Brust springen," krächzte die alte Schachtel jämmerlich genug um den alten Heiler in eine milde, leise Panik zu versetzen, und die Räucherschalen frisch zu befüllen. Der Rauch legte sich auf Orestes' Rachen ab wie Galle.
"Hast du mich zurück gerufen, um unser Gespräch fortzuführen, Großtante?" fragte er mit bemüht sachlichem Tonfall. Das letzte Gespräch hatte um genau zu sein niemals wirklich stattgefunden. Orestes hatte Aki erwähnt, und den Fakt dass er niemals eine Ehefrau heimbringen würde, und seine Tante hatte ihm daraufhin den Mund verboten und kein Wort mehr gesprochen, bis sie sich sicher gewesen war, dass er seine Lektion gelernt hatte, und diese schmutzigen Dinge nicht mehr zur Sprache bringen würde.
Die Tante ächzte und rückte sich zurecht, und nur der Rauch der brennenden Harze verhinderte, dass Orestes unter dem Schwall von Körpergeruch allzu offensichtlich würgen musste. Dem listigen Blick im Gesicht der Alten nach wusste sie genau um seine Gedanken diesbezüglich. Pure Berechnung. "Es ist nun ein Mond gekommen und gegangen, mein Lieber. Was auch immer für Anwandlungen, Anfälle, Launen, wie du es auch nennen magst, du hattest, sind doch nun sicherlich vorbei, oder nicht?"
"Nein, Tante. Alles ist unverändert."
"Ich werde nicht mehr lange zu leben haben, mein lieber Junge, der Heiler befürchtet schon das Schlimmste. Wirst du mir einen letzten Wunsch erfüllen, auf meinem Sterbebett?"
Orestes schlitzte die Augen. Eine Falle, und eine blatante noch dazu. Sagte er ja, würde sie fordern dass er eine Frau heiratete, und Orestes nahm seine Schwüre sehr ernst. Sagte er nein, würde früher oder später Wort zu seinen Eltern gelangen, dass er seine Großtante ins Grab getrieben hatte, und was bisher nur eine halbe Enterbung war, würde ein Verstoß aus der gesamten Familie werden. Tantenmörder.
Es galt, sich Zeit zu kaufen.
"Ich bin bei Nacht und Nebel auf ein Ross gesprungen und so schnell hierher geritten wie ich konnte, liebe Tante," log er mit einem verkniffenen Lächeln, "Lass mich dich doch erst einmal umsorgen, den Haushalt auf Vordermann bringen, eine Suppe für dich und den Heiler kochen, damit ihr beide etwas wohler ruhen könnt, und dann sprechen wir über ernste Dinge, ja?"
Nicht dass Orestes kochen konnte - oder wollte -, aber zumindest das Haus konnte eine ordentliche Reinigung wohl vertragen. Das letzte Hausmädchen hatte seine Tante verjagt, nachdem sie vom Tafelsilber gestohlen hatte, und seitdem schien niemand mehr einen Lappen, einen Besen oder sonstiges Werkzeug des Pöbels angefasst zu haben. Und dem Chaos nach würde es einige Tage dauern, bis er seiner Tante wieder gegenübertreten musste. Mit etwas Glück war ihm bis dahin eine gute Taktik eingefallen, oder zumindest eine Ausrede.
Die Idee schien zumindest seiner Tante wohl zu gefallen, und sie entließ ihn kurze Zeit später mit einem benevolenten Nicken aus der gestankerfüllten Kemenate.
Und dafür habe ich nun Aki kommentarlos versetzt. Orestes seufzte schwer. Na, besser jetzt als in einem Jahr. So wie es hier stinkt will ich das Haus sowieso nicht erben.
[Bild: OrestesCaetanoSignatur2017.png]
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Himmelgrau - von Orestes Caetano - 21.06.2013, 18:14
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