FSK-18 Tagebuch eines Monsters
#9
IX.           Episode – Silber

„Lass mich die Wunde wenigstens ausbrennen.“
Fick dich, Arellus.  Mein Mund spricht die Worte nicht aus, aber mein Gegenüber kann meine Ablehnung eindeutig in meinen Augen sehen. Mine Hand liegt auf der blutspuckenden Wunde an meiner Flanke, wo mich die Klinge von Arellus‘ Schwert getroffen hat. Das Schwert trägt meinen Stempel, meine Handschrift. Es ist Silber legiert. Und mein Körper wird die Blutung nicht stoppen können. Aber mein Entschluss steht. Lieber verblute ich, als dass ich mir von diesem Wahnsinnigen helfen lasse.
„Sei kein Idiot. Es geht nicht darum, dass du verbluten könntest aber meine Brut wird von frischem Blut angelockt. Sie werden dich zerfetzen.“ Arellus appelliert immer noch an mich. Vermutlich hat er Recht, aber es ändert nichts an meinem Entschluss. Ich wende herum und beginne zu rennen. Fort von der Burg des Werwolf-Fürsten und in die Richtung der aggressiven Rufe der korrumpierten Werwölfe.
Mir ist bewusst, wie weit die Grenzfestung von Servano entfernt ist. Doch in dem Moment konzentriere ich mich nur auf die Fortbewegung. Die ersten Stüpp lassen nicht lange auf sich warten. Eine kleine Gruppe umzingelt mich und ich schlage mir geradewegs einen Ausweg. Krallen versehren meinen Körper und schneiden tief in mein Fleisch. Der Blutverlust macht mich wütend. Alles in mir schreit danach meine Gestalt zu wandeln. Ich wehre mich mit aller Kraft dagegen.
Halt die Pfoten ruhig, Wolf. Wenn ich mich jetzt wandle fehlt mir die Kraft zur Regeneration.
Ich muss mich durch weitere Wellen von Stüpp schlagen. Sie zögern und empfinden Respekt mir gegenüber. Meine Kraft spricht Bände. Ich bin jedem Einzelnen von ihnen überlegen. Aber es hilft nicht angesichts ihrer Menge. Blutverschmiert erreiche ich die Grenzfestung und schleppe mich auf die andere Seite. Wäre ich nicht einem meiner Mitstreiter von diesem Abend in die Hände gefallen, der um meine wahre Identität weiß, wäre es meine letzte Nacht auf dieser Welt gewesen.
Ich blute wie ein Schwein. Die Schnittwunde ist tief und zu allem Überfluss muss ich sie erneut aufschneiden, um die Spuren des Silbers los zu werden. Der doppelte Blutverlust kostet mich das Bewusstsein.
Silber richtet großen Schaden an meinem Fleisch an. Aber es setzt sich nicht über die Wundregion fort, wie ein Gift. Es verbleibt lokal und man kann es herausschneiden und regelrecht abkratzen. Sobald das Silber den Einfluss auf mein Blut verliert, setzt die Regeneration ein. Gefolgt von Hunger. Aber mit entsprechendem Durchhaltewillen und Nahrungszufuhr überlebt man.
 
Dennoch hatte ich verdammtes Glück. Das ist mir selbst Monde nach dem ‚Besuch‘, besser gesagt Einbruch in Arellus‘ Burg bewusst. Mir rinnt Schweiß von der Stirn, denn es ist verdammt heiß dieser Tage. Die Nähe zur Esse macht den Umstand nicht besser. Immerhin wirft der Unterstand über mir Schatten. Ein Schweißtropfen rinnt über meine Nase und tropft in die Barrenform. Die Masse darin ist weich wie Kuchenteig, kurz bevor er in den Backofen kommt. Nur hat das geschmolzene Silber eine ungesunde Farbe im Vergleich zu Kuchen. Die Konsistenz ist perfekt, um eine Waffe zu legieren. Ich tauche das handliche Jagdmesser in die brodelnde, blasen werfende Masse und drehe es mit dem nötigen Tempo. Das Silber überzieht den Stahl dünnschichtig.
Ich hatte es mit einer normalen Legierung versucht, aber die Effektivität ist nicht die Gleiche. Silber ist zu weich, um es direkt in eine Legierung mit einzubringen. Das funktioniert bei Rüstungslegierungen wie Mondstahl oder Stelit – im Übrigen untragbar für einen Werwolf – aber nicht bei Waffen. Ebenso wenig empfiehlt es sich eine Klinge aus weicher Bronze zu schmieden. Der Überzug aus Silber tut jedoch seinen Dienst. Es ist nicht dasselbe wie pures Silber, aber durch die Verletzung mit der Klinge kommt das Silber direkt in Kontakt mit dem Blut des Verletzten.
Ich werfe die Klinge in einen Wassereimer und lausche dem Zischen des abkühlenden Metalls. Mit einer Zange fische ich die fertige Waffe heraus. Ich habe kein Interesse mich unnötig zu verletzen. Es gibt nichts effektiveres als Silber gegen meinesgleichen. Alle anderen Mythen sind falsch. Der Kontakt von Silber sorgt dafür, dass Wunden heilen, als wären wir immer noch menschlich. Verletzungen durch normalen Stahl regenerieren sich rasch, aber Silber vergiftet das Blut an der Schnittstelle.
Wie so vieles ist es mit zunehmendem Alter des Werwolfes verheerender. Mich kann Silber sogar lähmen. Mit etwas Glück und einem Treffer in eine lebenswichtige Region wird nicht nur der verletzte Bereich, sondern mein ganzer Körper bewegungsunfähig. Irgendwann ist nicht mal mehr eine ‚Blutvergiftung‘ notwendig, sondern die reine Berührung reicht aus. Zieh mir einen Silberkelch über die Rübe und meine Gesichtshälfte wird taub.
Oberflächliche Hautberührungen durch Silber sorgen für verbrennungsähnliche Wunden. Umso länger das Silber seine Wirkung entfalten kann, umso schlimmer. Einen Werwolf in Ketten aus Silber zu legen gleicht an Folter. Steckt man mich in einen Käfig aus Silber, bleibt mir wenig Hoffnung zu entkommen. Aber wer hat schon einen Käfig aus Silber im Keller? Nun ich zum Beispiel. Manche, hässliche Vollmondnächte zwingen mich dazu meine Stunden darin zu verbringen. Klingt nach Wahnsinn? Nein vielmehr Selbstschutz und Schutz derer, die mir nah stehen. Egal wie gut ich meinen Wolf manchmal unter Kontrolle habe, es gibt Momente, da wähle ich die Kontrolllosigkeit, da ich auf die ungebändigte Kraft zurückgreifen will. Blos ist es nicht so einfach sich wieder zu beherrschen, nachdem man die Ketten gelöst hat. An solchen Tagen bin ich froh um die Wirkung des Silbers, zum Wohle der Menschen, die mir etwas bedeuten.
Ebenso wird das legierte Jagdmesser dafür sorgen, dass sich ein Mensch gegen meinesgleichen erwehren kann, wenn es notwendig wird.
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Tagebuch eines Monsters - von Narbenauge - 22.03.2020, 10:44
RE: Tagebuch eines Monsters - von Narbenauge - 28.03.2020, 11:14
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