Das Mädchen im Zuber
#4
Gwendolyn hatte am Fenster gestanden, eine Spule in der Hand, die sie geistesabwesend aufwickelte, als der stille Transport eines stillgewordenen Körpers erfolgte. Sie zog sich viel zurück diese Tage und suchte nicht nach Gesellschaft. Ihre Beschäftigung war möglichst geistlose Arbeit. Fäden aufwickeln, Flaschen sortieren, Salzkörner zählen. Sie schlief viel und versuchte, nicht an die Entschwundenen zu denken, nicht an Janusch, nicht an Lucius, nicht an Viktor. Eigentlich versuchte sie, gar nicht mehr zu denken.

Löwenstein schlief aber selten so ganz, und auch in dieser Nacht waren die Straßen von Unruhe beherrscht. Da ein Ruf nach einem leichtbekleideten Mädchen, dort ein unflätiger Kommentar, danach eine scharfe Ermahnung irgendeines Wichtigtuers. Absolute Stille fand sich selten im Haus an der Kreuzung ein. Gwendolyn blieb stehen und starrte die bunten Butzenscheiben an, monoton Wollknäuel um Wollknäuel aufwickelnd. Erst als die Kerze verlosch, wurde sie wohl oder übel aus ihrem bilderlosen Wachtraum verjagt. Draußen nur fahler Laternenschein. Dann zwei aufrechte Gestalten, die eine Bahre trugen. Ein Aufruhr nebenan im Badehaus. Eine Weile später erkannte sie die beiden Träger. Das Sonnenzeichen wurde spätnachts im Hause Veltenbruch geschlagen. Welche arme Seele hatte der Herr zu sich gerufen?
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Das Mädchen im Zuber - von Cleo Graupel - 04.09.2013, 19:14
RE: Das Mädchen im Zuber - von Gwendolyn Veltenbruch - 08.09.2013, 23:34



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