[FSK-18] Grenze(n)
#1
[Bild: 14548242-fantasy-landscape-with-cliff-in-the-ocean.jpg]


Von Hingabe und Zerrüttung

Es war bereits spät in der Nacht als der kleine Mann vollkommen geschafft vom langen Tag in den Fellen lag. Links und rechts von sich lagen zwei Gestalten, eine kleinere etwa seiner Größe entsprechende Person und eine ihn weit überragende und kräftigere. Beide Gestalten lagen den Rücken ihm jeweils zugewandt, während der kleine Mann hinauf gen der Decke blickte. Ein, wie so oft in den letzten Tagen, leises Seufzen entfloh ihm.

An Schlaf war gar nicht zu denken, er kam gar nicht wirklich zur Ruhe. Seine Gedanken schweiften aus und ließen den Tag revue passieren.

Alles hatte angefangen in der letzten Nacht. Ihre Stirn war Schweiß besäht und sie war unruhig in ihrem Schlaf, etwas, was er noch nicht kannte an ihr. Sie schlief sonst immer vollkommen ruhig und tief, während sie nun das Fieber hin und her wanken ließ. Er hatte angefangen frisches Wasser zu besorgen und ihr die Stirn abzutupfen, erst am Morgen fand sie wohl selbst etwas Ruhe und schlief ruhiger.

Sein Weg führte in den Gedanken weiter durch die Straßen Löwensteins, wo er bereits auf der Suche nach einem Heiler war. Nur um dann in die Erinnerung des Gespräches mit jenem kurz anzuhalten, was er zu tun hätte, was ihr helfen würde und wie er sich verhalten sollte.
Weiter schweiften seine Gedanken wie eine Feder die im Wind hin und her schwebte, von einem Ort zum anderen. Da war der Laden in der Nähe des Marktes, neben der heiligen Kirche, in welchem er Tagsüber einiges an Arbeit übernahm. Er erinnerte sich an die vielen Möbelstücke die er von dem Laden zum Haus transportierte. Seine Erinnerungen schweiften weiter, als er die Heimstätte einrichtete und eine neue Schlafstatt errichtete.

Alle Gedanken waren so klar und deutlich strukturiert, bis zu dem Moment als er sie von ihrer alten Schlafstatt in die neu hergerichteten Felle trug. Wirr, gar konfus strauchelte er von einem Gedanken in den Nächsten, und spürte bereits seinen Herzschlag schneller werdend. Warum konnte er nicht einmal vernünftig und besonnen über sie und die Geschehenisse nachdenken? "Ist nicht so... als würde ich nicht manchmal... gerne... " ... die Worte tauchten in seinen Gedanken auf, sein Blick von der Decke ruckte herum nach rechts in den Rücken der kleinen zusammengekauert liegenden Frau. "Ich will...." ... schoß ihm erneut durch den Kopf. "Aber... es würde alles.. kaputt machen..", die Gedanken wurden immer konfuser, die Gesprächsfetzen fuhren Achterbahn in seinen Gedanken. "und wenn ich das mache... was ich gerne würde... dann geht unsere Freundschaft kaputt.." Und mit einem mal, mit einem Satz von ihm selbst wendete sie sich ab, starrend blickte er in den nun ihm abgewandten Rücken. Ihm wurde heiß, sein Herz raste, ein einziger Satz und all das war wie eine Blase zerplatzt. Bereits das dritte Mal. "Ich hab... mehrfach bewiesen, dass ich.. "mehr".. nicht kann."...Nein! Er schreckte auf und setzte sich aufrecht in die Fellstatt. Sein Blick schweifte zu ihrem Kopf der noch hinauslugte. Still griff er ein Tuch um ihr den fiebernden Schweiß von der Stirn zu wischen. "Und was war das an der Grenze?" ...hallte es in seinen Gedanken und jäh stockte er mit den Bewegungen, sah ihren Kopf einfach an. Plötzlich fiel ihm ein Gespräch mit dem Legionär ein, sein Blick zu diesem auf die andere Seite schweifend. Noch immer raste sein Herz und er sah unruhig zwischen beiden Liegenden hin und her. Still ließ er sich zurückfallen. Der letzte Gedanke, ein Bild der Grenzmauer und dem Blick hinaus auf das Meer. Ein leises vertrautes Summen im Hintergrund, war das letzte was er sah ihr rotes Haar, als ihn die Müdigkeit übermannte.

Am Morgen schreckte er hoch und sein Blick schweifte unweigerlich zu ihr...
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#2
[Bild: IMG_8014.jpg]



Still saß er dort auf der Klippe an der Grenze am Südwald und blickte hinaus auf das Meer, welches im fahlen Mondlicht schimmerte. Leise, als würden selbst die Laute der Natur zur Nacht gedimmt, klang das Rauschen des Meeres an sein Ohr.
Immer wieder durchfuhr den kleinen Mann ein Zittern. Die Beine hatte er angewinkelt und an seine Brust gezogen, die Knie umarmend.

Er hatte einen wahren Freund gefunden. Die große Trauer des Legionärs hatte ihn heute zerrissen. Er spürte wie es ihm erging, er wollte ihm helfen und doch war alles was er tat falsch. Sein Freund hatte etwas lenken wollen, sie ihn Schutz nehmen wollen und er selbst wusste davon und hatte geschwiegen. Auch wenn er sie nicht abgemeldet hatte, wusste er, dass allein der Gedanke sie nicht zu fragen, sie nicht vorzubereiten auf eine mögliche andere Wendung, falsch war. Er hatte sie nicht allein gelassen, hatte gedacht, dass er auch in solchen Momenten bei ihr sein musste. Doch sie wollte keine Aufpasser. Sie wollte allein sein, ihre Ruhe haben. Und er hatte keinen Zugang mehr zum Laden, offenbar hatte sie dem Schreiner gesagt, ihm den Zugang zu entziehen, damit sie allein sein konnte.

Er vestand nicht, warum er nicht einfach sagen konnte was ihn bewegte, verstand nicht, warum er ihr nicht einfach sagen konnte was er wollte. Dabei wollte sie es auch und doch, war dort eine Barriere, wie die Grenze, die die Bewohner Löwensteins und Servanos von den anderen Lehen fernhielt. So nah und doch so fern. Warum konnte sie es anderen so leicht zeigen und tat sich so schwer bei ihm, er verstand es nicht. Er hatte schon viele Kämpfe in seinem Leben geschlagen, schon viele Schatten überlebt. Doch dieser Kampf war anders, zerreißender. "Geh weg! Lass mich in Ruhe!" Hallte es durch seinen Kopf und augenblicklich verkrampfte sich sein Bauch. Fest drückte er die Lippen aufeinander. Er glaubte sich am Ende seiner Kräfte. Und doch hatte ihm sein Freund etwas gesagt. "Du kannst gehen oder bleiben, doch ich glaube nicht, dass du ein Gott bist um einfach gehen zu können." Nein, ... ein Gott war er wirklich nicht.

In das Rauschen des Meeres und die nächtlichen Klänge mischte sich das Geräusch von schlagenden Flügeln, als ein roter Milan vor ihm auf der Brüstung der Grenze Platz fand und die Schwingen anlegte. "Shirka, ich wünschte ich könnte fliegen wie du." Erklang seine brüchige Stimme leise, als er mit dem Rücken des Zeigefingers sachte über das rote Gefieder seines Freund strich. Er war so frei, konnte tun und lassen was er wollte, ohne all jenen Makel dieser Welt. Still griff der kleine Mann eine der roten Federn von seiner Kleidung und legt diese dem Milan in die Krallen. Er wusste wohin er fliegen musste.

Die Nacht über und am Morgen, sogar bis die Sonne am Zenit stand kreiste der große Vogel über den Dächern der Stadt. Als er seine Beute erspähte begann der Sturzflug hinab. Die rote Kleidung und das rote Haar waren unverwechselbar für den Milan. Sauste er hinab und machte gerade so auf Schulterhöhe neben ihr einen Bogen hinauf und verschwand zurück im Himmelszelt am Horizont. Einsam segelte eine rote Feder vor die Füße der rothaarigen, sonst so aufgeweckten jungen Frau.
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#3
[Bild: fackeln-am-weg.JPG]



Die nächste Nacht war bereits angebrochen, als der kleine Mann mit einem riesigen Bündel voller Fackeln die Straße gen Südwald zur Grenze entlang ging. Einhundert Fackeln hatte er geordert, welche er an seinem Bestimmungort langsam einer langen Allee gleich aufstellte. Jeweils zwei, welche er gegenüber stellte, sodass ein Korridor vor 2-3 Schritt Weite zwischen den Fackeln entstand.

Als die junge schwarzhaarige Frau in die Stadt ritt, und die letzten Sonnenstrahlen über das Firmament verstrichen und vom letzten goldenen Hauch in die nächtliche Stille glitten, begann er die zahllosen, einhundert, Fackeln anzuzünden.

Die Worte die er sagen wollte waren bereits zurecht gelegt und ihm wurde etwas unwohler in der Magengegend. Gespannt stand er am Ende dieses vom Fackelschein gesäumten Korridors, harrend und wartend. Und immer wieder ging er die zurecht gelegten Worte durch.

Eine unüberlegte Tat zur falschen Zeit,
Brachte dir schon wieder ein Herzensleid.
Es passierte so schnell das ich verletz',
Diejenige, die ich doch so sehr schätz'.

Die Last der Reue sich nun auf meine Seele legt.
Ich sehe zu dem Platz an meiner Seite - er ist unbelegt.
An Schlaf vermag ich jetzt gar nicht zu denken,
Wollte ich dir doch nur dein Lächeln wiederschenken.

Ich stehe nun hier vor dir und seh dich an,
Und ich denke mir nur die ganze Zeit - Oh, man.
So will ich gar nicht mehr so sehr lauern,
Sondern nur noch aus tiefstem Herzen bedauern.

Nun steh ich hier, so direkt vor dir,
Und das auch ohne ein Glas Bier.
Ich fühle mich, als hätt' man mich getreten
Und stehe hier um dein Verzeihen zu erbeten.

Die Minuten verstrichen, eine nach der anderen. Bis auf zwei Schaulustige, welche den Weg zu ihm fanden und dann wieder davonkehrten, blieb der Korridor leer. Eine volle Stunde hatte er dort gestanden, Minute um Minute hatte er verstreichen lassen. Nichts regte sich.

Still ohne eine Wort zu verlieren sammelte er die inzwischen verloschenen Fackeln eine nach der anderen auf und brachte sie zum schlussendlichen Restholzverkauf in die Stadt. Trübsinn und Nachdenklichkeit begleiteten ihn. Und selbst das Gespräch mit einem Freund verhalf ihm nicht weiter, wusste er doch, dass sie fort war. Er hatte das Pergament mit seinen Worten an sich genommen, ob das so gut war, wusste er noch nicht. Vielleicht hätte er sie einfach ins Feuer werfen sollen. Das eigene Heim leer, wohnte sie nun wohl bei ihm. Nein, "Bei uns." ... hatte er gesagt.

Vielleicht war es ihm bestimmt allein zu sein.
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#4
Viele Tage waren vergangen als der schwarzhaarige hochgewachsene Mann im Schatten der Grenzwacht auftauchte, kurz nachdem der kleine Rotschopf verschwunden war.

Keine Worte wurden gewechselt, keine Fragen gestellt. Beide wussten was sie erwartete - zu lange waren sie die selben Pfade gegangen um nun nicht zu wissen, was geschehen würde.

Und so schien der kleine Mann, der einst so sehr von Lebensfreude und Lebensmut triefte im Schatten seiner alten Gesellschaft zu verschwinden. Die einen nannten ihn den Winzling, die anderen nannten ihn Deagen, wieder andere nannten ihn Dragan. Er hatte soviele Namen in seinem Leben gehabt, dass er ganz vergessen hatte wie sein wahrer Name war.

Auf seiner Bettstatt an der Grenze blieb einzig und allein eine kleine Puppe mit rotem Haar und ein Lavendelzweig zurück.

"Du wirst sie wieder sehen, Jonas." Auf die Worte des schwarzhaarigen Mannes hin nickte der kleine Mann nur, doch ob er jenen Worten glauben schenkte, wusste er noch nicht.

So wurde es still an der Grenze zu Candaria.
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