Das Spiel mit dem Tod
#1
Das war die Gelegenheit. Eine von jenen Fügungen, von denen Biriana nicht wusste ob sie die wichtigste Chance seit langem war, die Eine, auf welche sie schon ihr halbes Leben gewartet hatte, oder ob sie einfach nur den sicheren Tod verhieß. Alles was sie wusste war, dass diese Gelegenheit zu wichtig war, um sie tatenlos verstreichen zu lassen. Ja, lieber würde sie das Schicksal selbst in die Hand nehmen, als ein Leben lang zu bereuen vor der Angst kapituliert zu haben.

Eilig legte sie sich die geschmeidigen, gut gearbeiteten Lederhandschuhe auf dem Tisch zurecht, welche sie zuvor von dem eifrigen Schneider gekauft hatte. Sie wusste nicht einmal seinen Namen. Dabei hatte er gute Arbeit geleistet. Direkt neben dem handförmige Leder fand das kleine, hölzerne Döschen seinen Platz, in welchem sie ein Stück Leinen aufbewahrte. In verdünnten Weingeist eingelegt und versetzt mit allerhand wohlriechenden Kräutern, würde es die schreckliche Seuche hoffentlich aus ihrem Körper aussperren. Viel zu oft hatte sie es in den letzten Mondzyklen gebraucht.
Eine einfache Robe aus derbem Leinen, die Ärmel eng geschnitten. Der Stoff schmeichelte ihrem drallen Körper nicht, wie ein Sack hing er an ihr, doch für das was sie vor hatte war das egal. Sie würde den Fetzen ohnehin am Ende der Nacht verbrennen.

Diese Gelegenheiten – warum kündigten sie sich nie an? Kaum ein halber Tag blieb ihr, um alles vorzubereiten, vielleicht zum letzten Mal. Ihr Blick wanderte durch den Raum. Sie hatte nicht vor zu sterben. Nicht jetzt. Nicht heute. Nicht in nächster Zeit.

Die Flammen züngelten am schweren Eisenkessel hinauf, in welchem das Wasser bereits brodelte. Sauber aufgereiht warteten verschiedenste Kräuter darauf, aufgekocht zu werden. Sie hatte keine Ahnung, wie man diese Krankheit heilen sollte. Wie einen schweren Husten? Wie ein heftiges Fieber? Eine Krankheit des Blutes? Vielleicht alles.
Ein paar leuchtend gelbe Blüten der Königskerze und etwas Huflattich gegen den schrecklichen Husten, welcher den Tod ankündigte. Eine Hand voll Brennesseln und getrocknete Heidelbeeren um das Blut vom Gift der Plage zu reinigen, denn Blut war es, was die Todgeweihten spuckten. Etwas Mädesüß und Johanniskraut, um den armen Seelen ein wenig des Schmerzes und des Fiebers zu nehmen das sie plagte und die Atemwege genesen zu lassen. Zuletzt noch ein paar Salbeiblätter und Kamille für den Hals.
Nachdenklich richtete die junge Frau ihren stumpfen Blick auf die Blätter, wie sie auf der Oberfläche des kochenden Wassers herum tanzten. Sie würde noch etwas Wacholder und Baldrian mitnehmen, um die üble Luft zu verbreiten und um sich zu beruhigen - denn Beruhigung, die würde sie brauchen.

Zweifel. War sie nicht glücklich mit dem, was sie hatte? Gute Freunde, vergnügliche Abende, warme Mahlzeiten? Gab es nicht auch genügend andere Leiden die auch Aufmerksamkeit brauchten? Sollte sie sich nicht lieber um die Krankheiten und Beschwerden kümmern, denen sie auch gewachsen war?
Die Gesetze verboten es, die Vernunft verneinte es, der Tod bestrafte es... es schien alles andere als ratsam zu tun, was sie diese Nacht tun würde.


Still blickte Biriana durch den leeren Raum des Hauses, das sie seit kurzem ihr Zuhause nannte. Das rundliche Gesicht, von zahllosen Sommerprossen bedeckt welche dazu einluden sie zu zählen, zierte heute nicht jenes warme Lächeln, dass die Frau sonst immer trug. Zögerlich griffen ihre weichen, feinen Hände das leere Pergament und den Federkiel. Viel Zeit blieb nicht, doch gab es da etwas, dass sie schon viel zu lange aufgeschoben hatte. Ihre Schrift würde fürchterlich sein, so wie sie zitterte...


Zitat:
Letzter Wille von Biriana Nachtschatten

Diese Zeilen sollen über meine persönliche Habe entscheiden, so mich eines der endlosen Schrecken einholt die zu bekämpfen ich mir zur Aufgabe gemacht habe, oder mich der Tod auf andere Weise unverhofft dahin rafft.

Da ich keine Blutsverwandten hinterlasse, soll mein ganzer Geldbesitz zu gleichen Teilen an meine lieben Vertrauten Gideon Ganter und Sonja Nachtschatten übergehen, waren sie mir doch seid dem Tode meiner Mutter die Nächsten und wertvollsten Freunde überhaupt und haben mir nicht nur einen Namen, sondern auch Zuversicht geschenkt.

Der Heilerszunft der Roten Rose hinterlasse ich meine Heilerwerkzeuge, gesammelte Kräuter und Salben, Verbände sowie die Notizen meiner Arbeit, auf dass sie in Zukunft auch ohne mich dienlich seien.

Jegliche verbliebenen Habseligkeiten mögen ebenso an Gideon und Sonja übergehen.

Biriana Nachtschatten,
Löwenstein zum Brachet des Jahres 1400.


Nachdem alles eingepackt war und der Brief sorgfältig zwischen ihren persönlichen Sachen im Haus in der Altstadt versteckt worden war, machte sich Biriana auf.

Wer den Tod fürchtet, hat das Leben verloren.
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