Galatische Wurzeln
#1
Bäume sind überall gleich. Wurzeln, Stamm, Blätterdach, das leise Wispern im Wind, das melancholische Knarren im Winter, und die erwartungsvolle Stille bei Nacht.

Das linke Auge halb verengt blickte Flynn den Stamm einer alten Eiche hinauf. Das Eichhörnchen war ihr entkommen, den Stamm hinauf geflüchtet, und versteckte sich nun irgendwo da oben in den knorrigen Ästen des alten Baumes. Er war dicker, stämmiger als alle anderen Baumstämme, die Flynn bisher in diesem neuen Land gesehen hatte, gut gewachsen, mit geradem Ansatz und hohen Ästen.
Vermutlich würde er demnächst von den immergierigen Holzarbeitern gefällt werden.
Mit einem missbilligenden Schniefen klemmte Flynn sich den Bogen über die Schulter, und wandte sich ab.
Die Wälder Servanos waren für die Augen der Galatierin etwas eigentümlich, wenn auch nicht völlig fremdartig. Überall lagen die Äste ehemals gefällter Bäume herum, Gebüsch rankte sich dort, wo künstliche Lichtungen zuviel Sonnenschein zum Boden gelassen hatten, und die meisten Stämme waren gerade einmal schlank genug, um sie nicht mehr als drei Mal zu spalten. Bis auf die Eiche mit dem Eichhörnchen darauf hatte Flynn noch keinen Baum gesehen, der auch nur im Ansatz an die altehrwürdige Macht der Ahnenbäume auf Prenne herangereicht hätte. Es schien fast so, als würden die Bewohner Amhrans die Bäume schneller fällen als sie wachsen konnten, und dass daraus nichts Gutes entstehen konnte, war zumindest für Flynn völlig einleuchtend.
Holz musste atmen, ruhen und trocknen, damit es sich nicht verzog oder zerriss, das wusste auf Prenne, ihrer Heimatinsel, jedes kleine Kind. Hier aber tropften die Bretter noch Harz, während sie schon auf Karren geladen und zu verschiedenen Baustellen gezogen wurden. Für sie war es unvorstellbar, wie Menschen guten Gewissens in Gebäuden mit solcherlei Stützbalken leben konnten, ohne bei jedem leisen Knirschen hochzuschrecken und vor die Türe zu laufen, als sei ein Kelpie hinter ihnen her.
Ein Rascheln hinter einem Gebüsch riss sie ruckartig aus ihren Überlegungen, und ließ sie mit einer Hand den Bogen greifen. Irgendetwas Jagbares musste in diesen Ländern doch noch zu finden sein!
Ein Pfeil fand seinen Weg auf Handkante und Sehne, während Flynn mit verengten Augen die Stelle fixierte, an der es geraschelt hatte. Das Jagdfieber, das sie an diesem Tag schon mehrmals gepackt hatte, nur um sie dann wieder unbefriedigt zu verlassen, schüttelte ihren Körper erneut, und ließ die Pfeilspitze etwas auf und ab zittern.
Ein weiteres Rascheln, dann das Knacken von Ästen. Große Beute mit viel Gewicht.
Ein Grunzen erklang, dann schwangen die Äste hin und her. Ein Wildschwein!
Den Bogen zur Gänze spannend hielt Flynn die Luft an, zielte, und...
verriss den Bogen im letzten Moment mit einem empörten Schrecklaut, als ein verschwitzter, dreckiger Kerl mit einem gefällten Jungstamm unter dem Arm aus dem Gebüsch torkelte, und sie verdutzt ansah.

Was zur Hölle war los in diesem Land!

Zwei Stunden später ließ Flynn sich seufzend in einen Stuhl im Gastraum des goldenen Raben fallen, und warf der Schankmaid einen verzweifelten Blick zu.
Amhran war überfüllt. Überfüllt an Menschen, an Waren, an Hoffnungen und an Chaos. Selbst die Familienzwiste auf Prenne erschienen gegen das allgegenwärtige Chaos in Servano lächerlich klein, und für einen Moment stieg Heimweh in ihr auf.
Dann sah sie Caileans Gesicht vor sich, und ihre Mutter, die strahlend von einer arrangierten Ehe schwärmte, und das Heimweh erlosch schlagartig wieder. Nicht dass sie etwas gegen Cailean einzuwenden hätte, immerhin war er - wie die anderen Jungs - einer ihrer besten Freunde, praktisch schon ein Blutsbruder, aber Ehe? Niemals!
Auf Amhran zu bleiben war schon in dem Moment beschlossene Sache gewesen, als sie den ersten Fuß auf den Pier des neuen Hafens gesetzt hatte (um Sekunden später von einem Matrosen ins Hafenbecken geschubst zu werden, da dieser herausfinden hatte wollen, ob Galatier tatsächlich auf dem Wasser treiben wie Bruchholz).
Was dieses Land aber tatsächlich brauchte, waren Ordnung, Schutz, Disziplin, und ein bisschen, nur ein kleinbisschen, Zurechnungsfähigkeit. Aber bei all der Geschichte und den großartigen Bauten, die sie schon gesehen hatte, war es ihr ein Rätsel, wie es zu diesen Zuständen hatte kommen können.
Die Schankmaid stellte die Fischsuppe und einen Holzbecher Wasser vor Flynn, und riss sie einmal mehr aus ihren Überlegungen. Ein Grinsen huschte über die schmale Miene, dann begann sie zu essen.
Die Entscheidung war gefällt, und ihre Clansbrüder würden ihr sicher zustimmen.

Was Amhran brauchte, waren Anführer wie jene des Clans Crimthainn Ain. Es galt nur noch, die Bevölkerung davon zu überzeugen.
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#2
Wieder ein sonniger Tag, warm freundlich und hell, doch es war mehr als nur das verdammte Wetter das ihm zu schaffen machte. Notwendigkeit, und ein kleiner Funke Heimweh waren sicher an der Wahl seines Schlafplatzes im Wald stärker beteiligt als Tamwyn sich eingestehen wollte, doch je mehr er den Bäumen um sich seine Aufmerksamkeit schenkte, umso größer wurde seine Wut über die jetzige Situation. Amrahn war das falsche Land, Servano das falsche Lehen und Löwenstein die falsche Stadt.

Was bei den Göttern hatten sie sich nur dabei gedacht auf dieses Schiff zu steigen. Wessen bescheuerte Idee war es überhaupt gewesen? Prenne war nicht so übel, und wer weiß vielleicht wäre es nicht so übel geworden, immerhin hatte ein wenig Blutvergießen um die Herrschaft noch niemandem geschadet... nun abgesehen von denen die solch einen Streit verloren. Doch, wie man so schön sagte, gefällte Bäume liegen nunmal flach. Also hieß es weiter vorran, tiefer in dieses körperlich und geistig verseuchte Land.

Unweigerlich hefteten sich seine Gedanken an die Keuche, die Geißel die Löwenstein aufschreien lies. Egal woher sie letztlich stammte, der Blutzoll den sie forderte war gewaltig, und es schien niemand vor ihr sicher. Gebildete litten wie der Pöbel, Fromme wie Frevler, und Angst und Mangel an Bequemlichkeit begann den Menschen zu Kopf zu steigen. Für seinen Geschmack mangelte es an Ordnung und klarer Führung, aber was wollte man schon tun? Den Tag an dem die Götter diesen Fluch aus der Welt verbannen würde konnte man kaum mehr abwarten. Ohne jedoch direkt Einfluss darauf nehmen zu können blieb nur das warten und hoffen, sowie das Aufpassen auf den Rest seines Clans, der mit ihm angereist war. Vielleicht wäre es besser gesagt er war mit ihnen angereist, um dafür zu sorgen das sie sich nicht hinter der nächsten Ecke abstechen ließen. Hier waren sie Fremde, und so wenig dieses Land der Heimat glich, Fremde wurden überall gleich behandelt.

Mit einem letzten Blick empor zur Sonne erhob Tamwyn sich aus seinem improvisierten Nachtlager und setzte sich in Bewegung den Rest zu suchen und zu sammeln, bevor sie etwas selten beknacktes taten wie das Lieblingshaustier irgendeines Barons zu braten. Wenn ihm nur wieder einfallen würde wer die dämliche Idee den nun hatte!
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#3
Selbst fragmentiert und versprengt waren Familien doch etwas, auf das man sich immer, überall und jederzeit verlassen konnte. Die Geschehnisse der letzten Tage waren mit ein Auslöser dafür gewesen, den steinernen Schrein der Götter nach dem Sermo aufzusuchen, aber ihre Familie - ob nun blutsverwandt oder nur verblutsbrüdert - war der Grund dafür, dass sie ein kleines Opfer erbrachte.
Perfekte Pfifferlinge, drei Stück, und sie hätten vermutlich hervorragend geschmeckt, hätte sie sie mit einem Ei in der Pfanne gebraten... Aber das hier war wichtiger.
Die Pilze auf dem Schrein ablegend kniete sie sich nieder, entzündete mit ein paar Ästen ein winziges Feuer, und sprach leise: "Anu, diese Pilze seien dir geweiht. Sie entspringen deinem Schoß, sie sollen eingehen in deinen Schoß. Sei bedankt für meine Familie und deren Bereitschaft, selbst Dummheiten mit durchzustehen. Sulis, Göttin des Feuers, sei bedankt für deinen Schutz und dein Wachen über meinen Clan. Gerade in Zeiten wie diesen, wo ein jeder entwurzelt und verloren scheint, hast du uns zusammen geführt und um dein Herdfeuer geeint. Dieses Feuer sei dir geweiht."
Es war nicht viel, und wahrlich keine große Zeremonie, wie sie bei Feiertagen gezeigt wurden, aber es kam von Herzen. Und wie ihr Dorfdruide immer zu sagen gepflegt hatte: Das war wichtiger als Pomp und Schmuck. Nicht dass der alte Mann ein glühendes Beispiel gewesen wäre - er hatte seine Roben nur selten gewaschen, und dementsprechend geduftet, aber das hatte dem Respekt ihm gegenüber keinen Abbruch getan.
Für einen Moment erschien es ihr, als würde die Nacht schwärzer werden, und der Wind kälter, aber das kleine Feuerchen wärmte selbst in diesen luftigen Gebirgshöhen. Es war für Flynn genug Zeichen dafür, dass ihre Opfer mit Wohlwollen angenommen worden waren - und damit gab es keinen Grund mehr, noch länger zu verharren.

Dem steinigen Pfad folgend passierte sie den Weiher, und trat leise durch das Zeltlager des Rabenkreises hinaus auf die Straße. Diese Leute wollten sich noch nicht so recht einschätzen lassen, und es hielt Flynn davon ab, sich in ihrer Mitte zur Ruhe zu betten... also galt es, der Nacht zu trotzen, alle Angst vor Dunkelheit abzuschütteln, und den Heimweg in die Stadt anzutreten.
Vielleicht war es unfair von ihr, einen Großteil dieses Druidenzirkels am Verhalten einer Person festzumachen, die sie noch dazu in der denkenswert schlechtesten Situation kennengelernt hatte, aber ein Mensch war eben ein Mensch. Leicht gekränkt und schwer zu beruhigen, vor allem wenn man sich ungerecht behandelt fühlte.
Selbst nach drei Tagen spürte Flynn immer noch jene Art Zorn in sich aufbrodeln, den ihre Clansbrüder im Spott zu gerne "Hirnaussetzer" nannten, und der vermutlich auch der Grund dafür war, warum sie sich überhaupt so oft in misslichen Lagen wiederfand. Ja, höchstwahrscheinlich misstraute sie dem Rabenkreis völlig zu Unrecht, wenn sie solche Kleinigkeiten wie üble Nachrede bereits in solche Wut versetzten.
Es war wohl das Vernünftigste, zwischen all den politisch motivierten Spaziergängen auch einmal den Druiden aufzusuchen, der ihr ein klärendes Gespräch angeboten hatte. Man musste den Leuten zumindest die Möglichkeit bieten, sich zu beweisen, bevor man sich abwandte. Und niemand konnte sagen, dass Flynn nicht mit sich reden ließ.
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#4
Es war früher Morgen, und eiskalt. Tau hing an den Gräsern, die in der unerwarteten Frühsommerkälte traurig ihre Ähren hingen ließen, und der kurze Marsch durch die Wildwiese hatte dafür gesorgt, dass ihre Beine bis fast zu den Knien durchnässt waren. Flynn fror erbärmlich, wenn sie ehrlich war, aber noch wollte sie die Stadt nicht einfach betreten.

Da drin sind die Wahnsinnigen...

Flynn schloss schaudernd die Augen. Bisher hatte ihr Glaube ihr keine Probleme bereitet, aber das war wohl eine reine Glückswelle gewesen. Und sie hatte ja gewusst, dass die Leute hier ziemlich intolerant gegenüber anderen Religionen waren, aber wie verrückt diese Mithrasdiener sein konnten, hatte sie sich im Traum nicht ausgemalt. Und wie korrupt Macht jemanden machen konnte, der eigentlich als Vorbild für die Gesellschaft fungieren sollte, hatte sie in diesem Ausmaß auch noch nicht erlebt.
Es schien fast so, als sei eine rote Kutte Grund genug für die Diener des Königs, lieber weg zu sehen, als sich mit den hysterischen Drohungen von Novizen herumschlagen zu müssen. Das Problem daran war allerdings jenes, dass sich zumindest für Flynn nun die Frage stellte, wieviel Respekt und Gesetzestreue ein Machtapparat verlangen durfte, der sich auf der einen Seite Ordnung und Recht auf die Flaggen schrieb, und auf der anderen Seite eine Sonderbehandlung bei Delikten verlangte.
Die ganze Angelegenheit war skurril.
Mondwächter, die im Rabenkreis ihren Glauben stolz präsentierten, aber es nicht wagten, einem Mithrasdiener die Segnung im Namen des Sonnengottes zu verweigern.
Mithrasdiener, die Mondwächter mit Weihwasser überschütteten, wenn man sie einen Lidschlag lang aus den Augen ließ. Und schneller mit der Hand am Dolch waren, als eine rechtschaffene Person es sich vorstellen konnte.
Stadtwachen, die unter den Drohungen von Küken, Frischlingen, Novizen zusammensanken wie Salz im Wasser, anstatt Recht und Gesetz des Königs zu befolgen - Mit einer roten Robe konnte man in Löwenstein vermutlich Mord begehen, und niemand würde jemals auf die Idee kommen, etwas daran zu kritisieren, alleine schon aus Angst, der Blasphemie, Ketzerei oder Häresie beschuldigt zu werden.

Nunja, hätte sie der Novizin mit dem Wassereimer für die Beschüttungsaktion keine Ohrfeige verpasst, hätte sie diese Schattenseite der Stadt wohl nie entdeckt. Hätte weiter in der Traumwelt leben können, dass die Stadtwache ihre Arbeit für den König verrichtete, statt für die Kirche. Dort, wo Mondwächter sich nicht aus Angst vor Repressalien mit der Weihung Mithras' zwangsbeglücken ließen.

Flynn wollte eindeutig nicht zurück in diese widerliche Stadt... Aber ihr Besitz war dort drin verstaut, und ausserdem war es kalt und nass. Mit einem angewiderten Schlucken schüttelte sie sich, straffte die Schultern und stapfte los. In dem Moment wo die Grenzen wieder geöffnet wurden, würde sie dieses Lehen und seine Offizien hinter sich lassen. Und bis dahin würde sie wohl einfach einen weiten Bogen um die Rotröcke machen müssen.
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#5
Das Gefühl von Engagement war Flynn nicht fremd, aber nach den letzten Tagen hatte es einen neuen Beigeschmack. In einem kleinen Meer aus Stühlen stehend rieb Flynn sich das Gesicht, dann die Schläfen, verzweifelt gegen die wachsenden Kopfschmerzen ankämpfend.
Das Treffen der Landwehr war schon recht anstrengend gewesen, mit einer Note von beleidigter Unzufriedenheit, aber zumindest war es an dem Abend um ein realistisches, vernünftiges Ziel gegangen. Das hatte das Durchstehen der verbalen Rangkämpfe zwar um nichts einfacher gemacht, aber es hatte sich weniger nutzlos angefühlt, als das Treffen am nächsten Tag.
Mit einem Aufschaudern gab sie sich einen Ruck und begann die Stühle zu stapeln und in Ecken zu schieben. Dass sie die große Sitzecke nicht benötigt hatte, war im Nachhinein gesehen zwar unangenehm, aber auch mehr als erleichternd.

Ein Ältestenrat. Es gibt nicht einmal eine wirkliche Sippe ab von uns, und dann wollen sie einen Ältestenrat.

Die Absicht hinter dem Galatiertreffen war durchaus lobenswert und im Ansatz auch vernünftig gewesen, aber das hatte nichts daran geändert, dass man ein Rudel völlig Fremde an einem Platz versammelt und dazu aufgefordert hatte, den "Besten" unter ihnen zum Sprecher zu wählen. Ein Sprecher, der für alle Galatier sprechen sollte, war etwas, das nicht einmal in Galatia jemals funktioniert hatte - die vielen Kriege und Fehden zwischen Sippen, Häuptlingen und Inseln waren dafür das beste Beispiel. Nicht dass es niemals klappen konnte, das war es nicht, eher...

Die Stühle waren fertig zur Seite geschoben, die Sonne schon lang hinter dem Horizont verschwunden. Mit einem Seufzen machte Flynn sich daran, die Lichter im Haus zu entzünden, und sei es nur, um den Heimweg ihrer Sippenbrüder ein wenig einfacher zu machen.
Immerhin gab es eine Sippe auf Amhran. Eine Sippe, die schon Einigkeit gefunden hatte, jemanden hatte, der ungestraft für sie alle sprechen konnte. Vielleicht war es dieser krasse Kontrast zwischen der Ordnung in ihrem eigenen Leben, und dem verwirrenden Chaos der Sippenlosen, das ihr an diesem Abend so sehr an den Nerven gekratzt hatte. Was auch immer es aber gewesen war, es hatte dazu geführt, dass die gesamte Sippe Crimthainn Ain nicht nur ein perfektes Feindbild für die Sippenlosen gebildet hatte, sondern sich auch der Wahl eines Sprechers entzogen hatte.

Zum Eklat war es allerdings erst gekommen, als die restlichen Galatier beschlossen, ihre eigene Unentschlossenheit gegenüber den aufgestellten Kandidaten durch den impromptu-Einsatz eines Druidenanwärters zu überspielen.
Der arme Mann war dazu abgerufen worden, einen Kandidaten zu erwählen... ohne Vorbereitung, ohne Ritual, ohne die Kandidaten überhaupt zu kennen, und jeder, der ein geregeltes Sippenleben erlebt hatte, wusste, dass man damit nicht nur die Götter herausforderte, sondern auch das Ergebnis ähnlich akkurat gestaltete, wie Blind einen Pfeil in den Himmel zu schießen, und den Getroffenen als Göttererwählten zu benennen.
Ihre Sippe war gesammelt abgerückt, um den Frieden nicht endgültig zu brechen. Die andere Möglichkeit wäre es gewesen, ein Handgemenge zwischen den aufgekratzten Galatiern auszulösen, und daraus wäre im besten Fall eine Feinschaft und im schlimmsten Fall eine Blutfehde mit jedem anderen Galatier auf Amhran geworden.
Ersteres hatten sie zwar nun trotzdem auf sich gezogen, aber gesunde Ablehnung war immer noch besser als ein offener Streit. Keine noch so unvernünftige Wahl konnte immerhin die Treue zum eigenen Volk stören, selbst wenn manche dieses Volkes es nun vermutlich anders sahen.

Und das genau zu dem Zeitpunkt, an dem Tamwyn und Gwaidir endlich davon zu überzeugen gewesen waren, dass Crimthainn Ain neues Blut benötigte... die Sterne standen dafür nicht mehr so vorteilhaft, wie vor drei Tagen. Nicht dass Flynn sich davon bremsen lassen würde.

Die Türe klappte, dann vernahm sie eine weibliche Stimme von unten. Kaitlin war zurück... Und wenn es nach Flynn ging, würden ihr noch viele weitere Neuzugänge folgen. Zumindest, sobald diese Versammlungsmiserie vergessen worden war. In zwei oder drei Jahren.

Sicherlich. Kann sich nur um Äonen handeln.
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#6
"Noch nie wurden so viele Seher geboren wie in dieser Zeit."

Die Worte Sareshs hallten noch lange nach ihrer Heimkehr durch Flynns Kopf. Die halbe Nacht hatte sie am Feuer der Juren verbracht, ihre Gastfreundschaft in Anspruch genommen, und wortwörtlich über Götter und die Welt geplaudert. Vielleicht war es keine gute Idee gewesen, sich den Kopf so spät Nachts noch mit Flausen und Ideen füllen zu lassen, denn immerhin ging inzwischen bereits die Sonne auf, und Flynn wand sich immer noch verschwitzt in den Fellen.
Vielleicht war es aber auch gar nicht die omenhafte Aussage Sareshs gewesen, die sie so lange wach hielt, sondern eher der Anblick des ziemlich unbekleideten, ziemlich wohlgeformten Oberkörpers des Juren.
Mit einem zornigen Knurren rollte Flynn sich herum und presste sich eine Hand gegen die Stirn, leise auf die Präzision ihrer Erinnerung fluchend. Natürlich war es die Sache mit den Sehern, die sie jedes Mal beim Einschlafen wieder mit seltsamen Ideen wach rüttelte, nicht der Überbringer dieser Botschaft!

"Noch nie wurden der Sippe soviele befähigte Druiden geboren, wie in dieser Generation."

Die Worte des greisenhaften Druiden ihrer Sippe in Galatia legten sich wie ein grauer Schleier über die Worte des Juren, und verschmolzen zu einer Einheit. Es schien fast schon zu offensichtlich, zu beunruhigend, wie sich die Ereignisse auf zwei so weit voneinander entfernten Kontinenten überschnitten und glichen. Überall wurden jene mit der Sprache der Götter geboren, und das in Zahlen, die man zuvor noch nicht gesehen hatte. Selbst Flynn hatte von ihrem Vaten die Prophezeiung erhalten, dass sie eines Tages mit den Eichen sprechen würde, wenn sie nur ihr flatterhaftes Temperament in Zaum legen konnte, aber bis zum Gespräch mit dem Juren hatte sie keinen weiteren Gedanken darauf verschwendet.
Ja, gut, sie hatte immer davon geträumt, die Epen der Geschichte mitverfolgen und darüber berichten zu können, hatte sich immer für die kleinen Zeichen und Omen interessiert, die Vögel beobachtet, dem Wind gelauscht, den ihr Schicksalsgott Midir ihr gerne entsandte, um ihr Ideen und Einfälle zuzuflüstern, aber all das war stets eine kleine Selbstverständlichkeit gewesen. Nicht weiter zu beachten.

Es sind noch nie zuvor auf der ganzen Welt soviele Druiden in einer Generation geboren worden, wie in dieser.

Mit einem Ruck setzte Flynn sich auf, und schälte die schweißverklebten Felle von sich. Nicht einmal nackt zu schlafen hatte an den Hitzewallungen und den verwirrten Halb-Träumen etwas geändert, und nun wo die Sonne aufging, würde sie sowieso nicht mehr schlafen können.
Was, wenn all diese Druidengeburten nichts als eine Vorbereitung auf etwas Großes waren? Was, wenn all diese Druiden in weiser Voraussicht der Götter berufen worden waren, um ein großes Unheil abzuwehren? Und wenn soviele Druiden benötigt wurden, um dieses Unheil zu verhindern, war es dann wirklich gut und recht, der eigenen Laune folgend auf seine Berufung zu verzichten, und einfach in den Tag hinein zu leben, als gäbe es kein Morgen?
Hatte sich ihr Galates und sein Schlummer vielleicht deshalb verweigert, damit sie ihren eigenen Fehler erkannte?

Mit dem Taumel der Schlaflosen schlurfte Flynn die knarrende, steile Treppe des Sippenhauses hinab, trottete nackt hinaus in die Wildnis, und ließ sich vornüber in den kleinen, klaren Quelltümpel nahe des Hauses fallen. Die eisige Kälte raubte ihr für einen Moment jeden klaren Gedanken, nur um sie Momente später mit wachem Geiste, schlotternd und hustend wieder auszuspeien.
Vielleicht wäre es das Beste, mit einem Druiden über ihre Sorgen zu sprechen - immerhin waren es die Druiden, die solche Visionen zu deuten wussten.
Und vielleicht konnte ein Druide ihr auch die Flausen ob des Juren aus dem Kopf treiben!
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#7
Es war das erste Mal seit sie ein kleines Mädchen gewesen war, dass Flynn sich vor der Dunkelheit fürchtete. Das in sich war bemerkenswert genug, immerhin liefen dort draußen Wölfe und Bären herum, die ihr viel mehr antun konnten als das, was ihr widerfahren war, aber es war auch nicht die physikalische Gefahr der Nacht und Wildnis, die sie so in Aufruhr versetzt hatte.
Gwen war es.

Oder eher, was Gwen in dieser Nacht getan hatte. Die liebe, schusselige, kleine Gwen, die wie ein Bluthund plötzlich in den Wald geschossen war, die Augen starr und die Miene leer - auch das wie bei einem Bluthund auf der Fährte - und schließlich das, was am Ende ihrer plötzlichen Reise auf sie gelauert hatte.
Flynn war kein Angsthase. Dingen die sie sehen konnte, konnte sie auch die Stirn bieten, aber es waren die unsichtbaren Dinge, die übernatürlichen Mächte, die sie bis aufs Mark ängstigten. Was sollte man gegen eine unsichtbare Präsenz tun? Oder gar gegen eine unsichtbare Präsenz, die ihre Zeichen so überdeutlich in der Welt legte, dass nicht einmal ein Mithrasgläubiger sie ignorieren hätte können?
Selbst sie als Gläubige hatten die Zeichen des Flüsterwaldes verschreckt, und dabei waren es keine feindseeligen gewesen. An etwas zu glauben und etwas zu sehen waren eben doch zwei paar Schuhe, und seit dieser kurzen, stillen Begegnung war es Flynn, als könne sie die Stimmen im Wind das erste Mal wirklich hören, das Flüstern der Bäume verstehen, wenn sie nur gut genug lauschte.
Es machte ihr Angst, so klar an die Götter und deren stetige Anwesenheit erinnert zu werden, und das war es, was sie durch die Nacht hetzen ließ, auf die Lichte der Stadt zu, wo keine dunklen Nischen mit geheimnisvollen Kreaturen auf sie lauern konnten.
Gerade vor drei Tagen war sie sich so sicher gewesen, dass sie bald ihre Ausbildung beenden können würde, und so schnell war sie an ihren Platz verwiesen worden. Nicht zu vergessen, dass sie in ihrer Erschütterung nicht einmal gewagt hatte, vor den Augen der anderen ein Opfer zu leiten - schiere Nervosität reichte scheinbar aus, um sie zu lähmen und es ihr unmöglich zu machen, die simpelsten Dienste an den Göttern zu vollbringen. Zum Verzweifeln war das!
Erst als die ersten Laternen ihr den Weg erleuchteten, und Kopfstein den gefrorenen Erdboden ablösten, und die Fronten von Häusern das Dickicht und die Bäume verdrängten, konnte Flynn wieder aufatmen. Die Schritte wurden entschlossener und ausgreifender, und die Treppen zu ihrem Haus erklomm sie mit großen Sprüngen... der sicherste Ort auf Erden war die Heimat, und wenn sie die Zeichen des heutigen Abends deuten sollte, musste sie zuerst diese ängstliche Erschütterung überwinden. Nicht abschütteln, denn der Götter Werk sollte erschüttern und Ehrfurcht auslösen, aber überwinden.
Etwas Met würde dabei helfen, aber so schnell konnte dieser Abend nicht in Vergessenheit geraten - weder für sie, noch für einen der anderen Teilnehmer.
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