Der Pfad eines Gläubigen
#1
Ein neuer Pfad - 1386 ~ 7. Julmond


Der 7. Julmond 1386 war der Tag, der sich mir für immer in meine Gedanken einbrennen würde.

Wie die letzten Wochen auch, sorgte ich dafür, dass der Kamin immer reichlich mit Brennholz gefüttert wurde, um die wärmespendenden Flammen am Leben erhalten zu können. Ich lebte mit meinem Vater in einem kleinen, unscheinbaren Dorf, im Lehen Candaria.
Besonders die Nächte waren um diese Jahreszeit bitter Kalt. Bereits drei Nächte waren vergangen, seit dem Vater wieder zurückkehren sollte. Nacht für Nacht saß ich am Fenster und schaute auf die Straße hinaus, in der Hoffnung, Vater würde zurückkehren. Ich war damals erst 12 und sorgte bereits für mich selbst, wenn Vater auf Handelsreise unterwegs war.
Ich war es gewohnt alleine zu sein, erledigte die anfallenden Arbeiten, kümmerte mich um das Haus und die Hühner und las in dem ein oder anderen Büchlein, das Vater billig gekauft mitbrachte.
Im Grunde genommen mangelte es mir wirklich an gar nichts. Lediglich die Abwesenheit meines Vaters betrübte mich hin und wieder. Doch ich verstand es, war keines der Balgen, die deswegen ihrem Vater irgendwelche lächerlichen Anschuldigungen für eine schlechte Erziehung vorhielten. Wir brauchten das Geld und der kürzlich eingekehrte Winter würde noch sehr viel mehr Silbermünzen aus unserem Beutel verschlingen.

Die besagte Julmondnacht veränderte mein bisheriges Leben komplett, offenbarte mir eine neue Seite des Seins. Drei dumpfe Schläge auf die massive Holztür, rissen mich aus meinem Schlaf. Als ich aus dem Fenster sah, erkannte ich ein Pferd bei der Stallung, das jedoch nicht das meines Vaters war.

>>Wer ist da?<<
Wollte ich mit lauter Stimme in Erfahrung bringen. Obwohl der Schneesturm einen zerreisend, lauten Wind mit sich brachte, erkannte ich die Stimme des alten Mannes wieder. Es war Lambert.
Lambert – ein älterer Mann, der das 50 Lebensjahr bereits überschritten hatte und im Auftrag der Kirche unterwegs war.
Er war einer Derjenigen, die den Glauben an Mithras predigten und den Menschen somit die neue Wahrheit offenbarte. Auf seinen Durchreisen kam er oft hier her, blieb ein oder zwei Tage und machte sich dann wieder auf. Doch ich hätte ihn nicht mitten in der Nacht erwartet, und schon gar nicht bei solch einem Wetter.
>>Lucas, ich bin es, Lambert.<<
Zügig entriegelte ich die Tür, öffnete sie mit einem lauten Knarren. Sofort peitschte mir die unnachgiebige Kälte des frostigen Schneesturms ins Gesicht. Der in einen dicken Mantel eingehüllte Lambert trat dann. Der schwarze, mit weißen Härchen übersäte Vollbart, das magere, faltige Gesicht und die dürre Statur klassifizierten den Mann.
>>Was machst du hier?<<
Hakte ich sofort nach, nachdem ich die Tür hinter mir wieder verschlossen hatte. Lambert entledigte sich zügig seines Mantels, legte ihn über einen der Stühle, welche zentral um den Holztisch platziert waren und ging zum Kamin, um sich die Hände zu wärmen.

>>Onkel Lambert?<<
Fragte ich nochmals nach, nachdem ich keine Antwort bekommen hatte.
Er rieb sich immer noch die Hände aneinander. Die knochigen, erröteten Finger waren lange Zeit der Kälte ausgesetzt. Selbst zu diesem Zeitpunkt, als ich noch ein kleiner Junge war, wusste ich, dass Lambert nicht ohne einen besonderen Grund durch eine so stürmische Nacht reiste.
>>Wie geht es dir mein Junge?<<
Das grüne Augenpaar des älteren Mannes war auf einen unbestimmten Punkt des lodernden Feuers gerichtet.
>>Wo ist Vater?<<
Irgendwie wusste ich, dass Lambert mir die Antwort auf diese Frage geben konnte. Seine Anwesenheit konnte kein Zufall sein.
Lambert legte lediglich seine Hand auf meinen Rücken, führte mich zum Zentrum des Raumes und wies mir an, Platz zu nehmen.
>>Setz dich.<<
Schweigsam gehorchte ich, saß auf dem viel größeren Stuhl und sah den Missionar erwartungsvoll an.
>>Gestern Nacht ist etwas passiert Lucas.<<
Begann er schließlich mit seiner Erklärung. Ich wusste, dass es etwas mit Vater zu tun hatte.
>>Ist Vater tot?<<
Wollte ich dann prompt wissen. Lambert war mit dieser Fragestellung wohl überfordert, oder erwartete nicht, dass ich so direkt war. Er seufzte schwerfällig.
Warum diese direkte Frage von mir? Vater sagte mir oft, dass sein Weg in die Stadt gefährlich sein würde und vor allem Händler es nicht einfach haben würden, den Weg ohne jegliche Gefahr zu überwinden. Auch wenn Candaria einen gänzlich nahezu glanzvollen Ruf mit sich trug, so waren hier solche Verbrechen genau so möglich wie anderswo auch.
>>Er wurde auf seinem Weg überfallen Lucas.<<
Weitere Worte brauchte es für mich zum damaligen Zeitpunkt nicht und trotzdem hakte ich naiv nach.
>>Wann kommt Vater wieder? Morgen wird er kommen, ja?<<
Lambert kniete sich zu mir hinunter, sah mir für einen endlos lange wirkenden Moment in die Augen, schloss diese nach einer Zeit und schüttelte schließlich den Kopf.
>>Nein Lucas. Er wird nicht wieder kommen.<<
Er strich mir mit seiner Hand dann über den Kopf.
>>Warum denn nicht?<<
>>Dein Vater ist gestürzt Lucas. Er hatte äußerst schlimme Verletzungen.<<
Ich saß lediglich schweigend an Ort und Stelle, rührte mich nicht, erwiderte nichts auf diese Aussage.
>>Wo ist er jetzt?<<
Der Alte überlegte nicht lange.
>>Der Herr hat ihn in sein Reich Elysium aufgenommen Lucas. Er ist jetzt bei deiner Mutter.<<
Kurze Zeit zögerte ich.
>>Ich will auch dorthin. Ich möchte Mutter und Vater wiedersehen.<<
Dann legte der Missionar seine beiden Hände auf meine Rechte, welche auf meine Schoß lag. Ich erinnerte mich noch genau – die Hände waren eiskalt.
>>Du bist noch nicht so weit mein Junge. Deine Zeit ist noch nicht bereit.<<
Die Worte des Alten wollte und konnte ich nicht begreifen.
>>Was mache ich denn solange, bis ich dort hin kann?<<
Schwerfällig stieß Lambert einen Schwall Luft durch die Nasenlöcher.
>>Du wirst so lange ein wenig mit mir herumreisen, mich begleiten.<<
Es klang weniger wie ein Vorschlag. Lambert hatte für sich entschlossen, sich um mich zu kümmern.
>>In Ordnung.<<
Willigte ich naiv ein.
>>Doch nun solltest du wieder schlafen gehen Lucas. Wir werden morgen früh aufstehen müssen.<<


Seither zog ich mit Lambert durch Candaria und die Lehen von Amhran. Natürlich fragten ihn die Menschen, warum er denn einen Jungen bei sich haben würde und ob mir denn mit einer solchen fortwährenden Reise nicht etwa zu viel zugemutet werden würde.

Doch im Grunde genommen bin ich darüber froh, dass Lambert sich nach dem Tode meines Vaters um mich gekümmert hatte. Ich muss gestehen, es war kein einfacher Spaziergang, den ich mit Lambert zusammen machte. Manchmal regnete es Tage und Nächte lang durch und wenn ich krank wurde und wir unter freien Himmel übernachten mussten, wünschte ich mir den warmen Kamin in meinem Heim zurück, sagte Lambert sogar, dass ich nach Elysium gehen würde, um endlich meine Eltern wiedersehen zu können. Natürlich verstand ich damals noch nicht viel von den Lehren über die Glaubenskultur des Gottes Mithras. Wie muss sich der alte Lambert gefühlt haben, als ich ihm im Fieberwahn von meinem Wunsch, endlich in Elysium anzukommen, erzählte.
Für mich war Elysium viel mehr ein hübsches Dorf, in dem ich Mutter und Vater wiedersehen konnte. Ein Dorf, in welchem der ewige Sommer eingekehrt war. Ein Dorf in dem es solche Sorgen und Krankheiten nicht wirklich gab.
Doch so falsch lag mit dieser Wunschvorstellung wohl gar nicht. Es war das Reich von Mithras, unserem Herrn.
Am Anfang unserer Reise erzählte mir Lambert nicht wirklich viel darüber, was er in den einzelnen Dörfern machte. Ich sah ihn immer wieder mit einer großen Ansammlung an Menschen sprechen und wie jeder von ihnen gebannt zuhörte, wenn er sprach. Den Zeitvertreib des Lesens durfte ich dank Lambert auch weiterhin genießen. Immer dann, wenn es eine sternenklare Nacht gab und ich am Lagerfeuer saß, oder aber wir in einem Haushalt eines Dorfes eingeladen waren, durfte ich ein wenig in Lamberts Büchern lesen. Sie waren allesamt mit der Kirche des Mithras verbunden. So bildeten sich im Laufe der Jahre auch immer mehr Fragen, zu den spezifischsten Themengebieten.

Fragen über Mithras selbst, das Licht und seine Bedeutung, Elysium, den Abyss, Dämonen und vieles Mehr. Lambert war derjenige, der meine Erziehung ab dem 12. Lebensalter durchführte und mein weiteres Leben prägte.
Ich las in einem seiner Büchlein über eine Pilgerstätte der Mithrasgläubigen. Eine Kathedrale in Loewenstein, die an Glanz und Schönheit jedes existente Gebäude in den Schatten stellen würde. Nach dem Ableben des alten Lambert, entfernte ich mich vom Pfad des Missionars und wollte meinen eigenen Weg gehen. Ich war 26 Winter alt, als mich ein Traum einholte, in welchem ich die Kathedrale deutlich in einem Licht vor mir erstrahlen sah. Langsam öffnete ich die Tore des prächtigen Gebäudes und ein Licht, so grell und warm zugleich, lud mich zu sich ein und umarmte mich gänzlich. Ich strukturierte meinen Pfad neu und setzte ein neues Ziel - Loewenstein.
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