FSK-18 Tagebuch
#1
Zugegeben: Ich vermisse die Heimat weniger als ich erwartet hätte. Und das trotz der unablässigen Geschnatters der Gänsehälse deren Heim ich zwangsweise teile. Die sind natürlich wie immer: In erster Linie peinlich mit ihrem Getue und ihrem Gesten. Niemand spricht über die Schmach der Flucht aus Nortgard und ich werde mich hüten das Maul aufzumachen. Jedenfalls für die nächsten Tage.

Aber das Kerbholz mit den Namen hat bereits ein paar weitere Einträge erhalten.
Ja, doch. Ich bin dankbar. Aber ich habe auch ein gutes Gedächtnis und ich werde meine Schulden zurückzahlen. Münze für Münze und Demütigung für Demütigung. Darauf mein Wort.

Mhm. Ja, das mit dem Pathos hat meine Familie traditionell ein wenig besser drauf als die Gänsehälse. Nur leider ist Pathos wertlos wenn in Stahl oder Gold gemessen wird.

Mit der Ankunft in Löwenstein sind die Karten auf jeden Fall neu verteilt worden. In Nortgard waren Freunde und Feinde bekannt, wie festgemauert im harten Fels von Zeit, Ehre und störrischer Hartnäckigkeit. Hier können die Ganters nicht auf alte Gefälligkeiten vertrauen, sondern müssen sich Erfolge mit Fleiss, Disziplin und Durchsetzungskraft erarbeiten.

Ich weiss - ein guter Witz. Es kann nicht lange dauern, bis ich unter diesen Umständen meine Ketten abgeschüttelt habe.
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#2
Ich frage mich, ob meine Mutter mittlerweile ein wenig anders über die ganze Sache denkt. Es ist nicht so als würde ich einen Funken von Mitgefühl erwarten, aber selbst ihr erzenes Herz muss beim Gedanken schmerzen, wo ich mich nun befinde.

Die Ganters. Ausgerechnet.

Soweit ich mich an die äusserst langweiligen Lektionen zur Familiengeschichte erinnere, reichte die halbherzige Rivalität unserer beiden Familien bereits viele Jahrhunderte zurück und wurde - wie so oft - Opfer eines Trauerspiel von Verrat, das vormalige Freunde auf ewig entzweien sollte.
Ich hatte diesen alten Geschichten damals bestenfalls mit einem halben Ohr gelauscht, zu vertrocknet war das dürre Männchen, das mein Vater in besseren Zeiten zur Sortierung der Familienchronik angestellt hatte und zu weit entfernt dünkten mich all diese Märchen. Aber ich erinnere mich an das Erstaunen, wenn Generation um Generation mit Namens und Lebensdaten genannt wurde, bis ich langsam selbst glaubte, dass das possierliche Tierchen mit dem hübschen Pelz nach unserer Familie benannt worden war: Zobel.

Und genau wie ein mottenzerfressener Pelzmantel hat auch dieser Name viel Glanz verloren in den letzten Jahren. Der Niedergang begann lange vor dem Indharim-Feldzug, aber dieses Abenteuer besiegelte, so denke ich, das Schicksal. Allzu begierig sich wichtig, einen guten Namen und überhaupt möglichst unentbehrlich zu machen, zog gut die Hälfte der wehrfähigen Männer in die Ferne, folgte dem Ruf eines Königs, der - soweit ich weiss - nie einen Fuß nach Nortgard gesetzt hatte.
Zurück blieben die Untauglichen, Unbrauchbaren, Feigen. Und natürlich die Kinder und jene, die keine Möglichkeit gefunden hatten in den Arsch irgendeines Adeligen zu kriechen um sich zu militärischen Abenteuern in der Ferne verpflichten zu lassen.

Damals verhinderte meine Mutter, dass ich - gerade volljährig geworden - davonzog. Es war so ziemlich das letzte Mal, dass sie wirkliches Interesse an mir zeigte. Zugegebenermaßen war sie beschäftigt: Die Familie musste zusammengehalten werden so gut es eben möglich war und ich hörte ihn - wenn er sich unbeobachtet glaubte - oft über den Krieg fluchen, der einfach nicht enden wollte.
Dreizehn Jahre sind nun verstrichen. Ich für meinen Teil erwarte nicht mehr irgendjemanden zurückkehren zu sehen.

Einerlei. Meine jüngeren Geschwister fanden rasch auf einen geordneten Weg - sie hatten ihre Begabungen und machten das Beste daraus. Das war meine Sache einfach nicht: Ich war zwar in vielerlei Dingen halbwegs geschickt, aber nirgendwo wirklich gut. Ich focht in den Jahren manch harten Strauss mit meinem alten Herren und dem Drachen von Mutter den Mithras mir bestimmt hatte. Nichts persönliches - aber sie verlangten, dass ich meinen Teil beitrug, wie sie das von Jedem verlangte. Und irgendwann fand ich in den zwielichtigeren Ecken der Stadt tatsächlich .. etwas: Das Glücksspiel.

Mhm. Kein rühmlicher Abschnitt meines Lebens. Und am Ende wurde ich betrogen und verlor viel mehr als ich hatte. Viel mehr als ich hoffen konnte auch nur in ein oder zwei Jahren zurückzuzahlen. Da sollte ich lernen, wieviel die stolzen Begriffe von Blut und Ehre wirklich bedeuteten: Gar nichts. Ich sei nicht länger sein Sohn, verkündete meine Mutter mit steinernem Gesicht vor den Gläubigern. Die Schulden die ich aufgehäuft hatte, würde ich allein tragen müssen. Allein.

Ich denke sie wird diese Aussage bereut haben, als er hörte, dass ausgerechnet die Ganters einen Teil dieser Schuld tilgten und mich dafür einkauften wie einen nicht mehr ganz frischen Fisch. Natürlich nicht aus Nettigkeit oder weil sie unbedingt Bedarf hatten. Sondern einfach um der Fehde ein wenig neue Würze zu geben. Und ich kann nur hoffen, dass dieser Stich gesessen hat.
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#3
Eine Woche ist lange nicht genug um Löwenstein in Gänze zu erforschen, noch weniger wenn man wie ich die Tage damit zubringt im Dienste der Gänsehälse zu schuften. Ich habe nichts gegen schwere körperliche Arbeit - solange ich sie nicht tun muss.

Scherz beiseite: Ich hatte nie Angst davor mir die Hände schmutzig zu machen. Das ist eine Eigenheit, die die meisten Menschen in Nortgard teilen: wenn das Land rauh und hart ist, müssen die Menschen genauso sein oder sie werden von Wind und Wetter weggespült. Aber ich mochte es nie unter Berge zu arbeiten: Das Gefühl all des Steins über meinem Kopf und dazu die dräuende Ahnung, dass es vielleicht nur eines falschen Schlages mit der Hacke oder dem Bergeisen braucht, damit sich Sprünge zu Rissen weiten und all das herabstürzt. Im Norden, wo die Stollen oft eilig gegraben werden und ein Menschenleben ohnehin billig ist, geschieht das nicht gerade selten. Der Berg holt sich seinen Anteil und das Erz, das ihm schliesslich entrissen und zu Stahl geschmolzen wird, hat bereits Blut geschmeckt bevor es auch nur zu einer Klinge geformt wurde.

Das ist in Servano etwas anders und der einzige Grund warum ich es überhaupt ertrage dort zu arbeiten: Die Bergwerke hier sind älter und gut ausgebaut, wahrscheinlich waren sie so lange kaum in Gebrauch wie es billiger war gutes Metall aus den anderen Lehen einzukaufen. Nun sind die Grenzen geschlossen, aber der Hunger Löwensteins nach gutem Stahl ist nicht viel geringer geworden. Also strömen die Tagelöhner jeden Tag aus der Stadt und wühlen sich durch die Eingeweide der Berge. Allein durch deren Menge springt wahrscheinlich einiges heraus, auch wenn die Erzadern längst nicht so ergiebig sind wie in der Heimat. Zuviel Glitter und Krus. Zuwenig wirklich brauchbare Stufen. Zuviele Idioten, die sich mit der Hacke anstellen als wäre es ihr Wunsch so bald wie möglich in Mithras' Elysium Einzug zu halten. Und ich bin mittendrin.

Tja. Das habe ich wohl verdient.

Ich versuche nicht daran zu denken wie hoch meine Schulden sind. Wie lange es dauern wird sie abzutragen. Wahrscheinlich wird von diesem Berg nichts mehr übrig sein. Aber ein Zobel begleicht seine Rechnung, das werden die Ganters schon noch merken. Alle.

Ich habe den verworrenen Stammbaum meiner .. Gastgeber .. noch nicht ganz durchblickt. Bei diesen vielen Verbindungen zwischen Geschwister, Onkeln, Tanten und Schafen ist das aber auch gar nicht so einfach. Es macht die Sache nicht besser, dass die Gänsehälse offenbar voll entschlossen sind sich in Löwenstein einzurichten und bereits eifrig begonnen haben neue Diener und Angestellte zu rekrutieren. Das bedeutet: Jedes Mal wenn ich nach meinem Tagewerk zurückkomme,ist irgendein neues Gesicht da und der für meine Schlafstatt zur Verfügung stehende Platz ist wieder ein wenig geschrumpft. Genau das, was ein Mann braucht, wenn er nur noch seine Ruhe und einen Ort haben möchte um kleine Steinsplitter auszuhusten.

Die beste Zeit jedes Tages ist ganz früh - in jener kurzen Spanne zwischen Aufwachen und Aufstehen, wenn die süßen Träume der Nacht noch nicht zu leeren Schemen verblasst sind: Die Ratte Njal würgen bis er quiekend verreckt. Godwins Schädel mit der Spitzhacke an die Wand nageln. Irgendeinem Ganterweib einen Bastard machen. Damit lässt es sich in den Tag starten.
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#4
Auch heute war mein Frühstücksei genau richtig und auch wenn ich bei dieser Sache mehr eingesteckt als ausgeteilt habe, bin ich doch .. zufrieden. Das war in dem Moment als ich auf dem Boden lag und mich vor Schmerzen krümmte nicht so, aber ehrlich zugegeben: Ich hatte es auf die Spitze getrieben. Möglicherweise auch ein klein wenig darüber hinaus.

Das fing an sich ganz harmlos an: Eine der neuen Angestellten, Jakobine Dunkelfeder hatte auf dem Markt ein Schaf erstanden und dafür mit ihrem Körper bezahlt. Genauer: Der bedauernswerte Lüstling von vorherigem Besitzer war es schon zufrieden einmal über ihr Haar zu streicheln und gab dafür das Stück Vieh her, das ihm zweifelsohne vorher die einsamen Stunden versüsst hatte. Nachdem ich von dieser Übereinkunft gehört hatte, lag es natürlich nahe das gute Fräulein ein wenig damit aufzuziehen. Kurz und knapp: Sie konnte das natürlich nicht einfach akzeptieren, sondern musste gleich zum grossen Godwin Ganter laufen und jammern, als würde ein spöttisches Wort über ihr Treiben mehr wiegen als die Sache selbst.

Ab da wurde es in typischer Gänseart .. verworren. Natürlich hielt der Obergänserich sich nicht damit auf vielleicht zu erfragen was tatsächlich genau vorgefallen war und ordnete an, dass dem Fräulein Dunkelfeder ein Hieb freistehe. Diese Nachricht überbrachte Gideon Ganter und warf sich dabei in die Brust, als wäre er kein kastrierter Ganter, sondern ein kastrierter Hahn.
Ein Hieb. Lächerlich.

Leider überhörte man meinen Wunsch dann doch bitte einen Mann herbeizuholen, damit der Schlag auch ein Schlag sei und ich konnte dann einfach nicht widerstehen die gute Jakobine noch ein wenig mehr zu reizen. Das Resultat .. mhm.
Das waren sicherlich nicht meine besten Minuten als ich auf dem Boden lag, mich krümmte wie ein Wurm auf den jemand getreten war, atemlos darauf wartend, dass die Schmerzen aufhörten.
Hätte ich da aufzustehen vermocht - ich hätte dem Weibsstück den Hals umgedreht.

Hieb! Sie hatte einen Hieb frei und keinen verdammten Tritt in meine nun nicht mehr ganz so edlen Teile!

Damit war die ganze Geschichte noch nicht ausgestanden. Zum Einen, weil ich - sobald mein Wunsch zu Töten abgekühlt war und ich wieder laufen konnte - darauf bestand meinen Hieb zu bekommen. Den bekam ich und es war wie nicht anders zu erwarten mehr ein Streicheln als ein Schlag. Ich bin mir nicht sicher, ob Fräulein Dunkelfeder der Meinung ist, dass wir damit quitt sind. Falls ja .. wird sie noch eine Überraschung erleben.

Aber das meine ich nicht. Als Godwin Ganter davon erfuhr, müssen ihm wohl einige Adern geplatzt sein, denn er verteilte gleich ein paar neue Strafen: Zwei weitere Hiebe mit einer Haselnussrute für mich. Dafür sollte Jakobine mir nun eine Woche lang jeden Tag ein Ei zubereiten - zu würzen von Gideon Ganter, der wahrscheinlich bis jetzt noch nichts davon weiss. Und es ist nicht meine Aufgabe ihn darauf hinzuweisen.

Also .. am ersten Tag war das Ei quasi roh: Ekliges Geglibber wie ich es aus meinen schlimmster Säuferzeiten in unangenehmer Erinnerung habe. Aber seitdem .. wurde es besser. Viel besser. So gut, wie es nur sein kann, wenn die Ganters ihre Flügelchen heraushalten.

Ich bin ziemlich sicher, dass sie die Sache mit dem Tritt im Nachhinein bereut. Und das ich daraus meinen Vorteil ziehen kann.

Und dann ist da noch Njal. Die kleine Ratte hat es geschafft ebenfalls einen Teil Strafe abzubekommen: Vier Hiebe von meiner Hand. Das ist schon verlockend, aber gleichzeitig .. nein. Die Ratte ist Schläge genauso gewöhnt wie ich und hat eine dicke Haut. Aber ich bekomme ihn anders zu packen. Er mag Gwen .. das ist offensichtlich .. und sie ihn.

Mhm ..
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#5
Zwei Monate Leibeigenschaft. Und fast ein viertel Jahr seit dem Tag, da ich zum letzten Mal diese verfluchten Karten in der Hand hielt und fassungslos auf das zusammengestellte Blatt starrte. Daran erinnere ich mich am Besten: Dieser Augenblick vollkommener Demütigung als ich begriff, das ich gerade alles verloren hatte. Der Lärm umher, das Lächeln des Mannes auf der anderen Seite des Tisches, die schmierige Oberfläche des zerkerbten Tisches - all das ist verschwommen.

An guten Tagen hege ich Zweifel, ob ich in noch einmal soviel Zeit noch am Leben sein werde. An schlechten hoffe ich, dass es nicht mehr so lange dauern wird.

Nüchtern betrachtet trage ich die Schuld daran zum grössten Teil selbst. Die Ganters sind eben was sie sind: Ein Haufen einfältiger Trottel ohne das geringste Gespür für Takt oder Subtilität. Aber ich fordere die Stockhiebe und Schläge dann auch noch heraus, obwohl ich genau weiss, was passieren wird. Wer also ist der grössere Idiot?

Ich habe den Verdacht, dass es einfach an dieser verdammten, stupiden Arbeit liegt. Wenn man den ganzen Tag im Bergwerk steht und nackte Wände anstarrt, hat man einfach zuviel Zeit Zorn zu hegen und zu pflegen. Daran ändert auch die Erschöpfung nicht viel, ganz im Gegenteil: Wenn alle Muskeln schmerzen ist der Geist das Einzige, was nicht ermattet ist.

Mhm. Dazu kommt noch dieser verdammte Husten.
Und ich jammere bereits wie ein Löwensteiner.

Eine .. Veränderung ist unerlässlich, ich habe nur keine Vorstellung in welche Richtung sie gehen müsste und wie sie überhaupt anzustossen wäre. Und es ist einfach so schwer all den Blößen zu widerstehen in die man so leicht stechen kann - diesem Moment seichter Zufriedenheit bevor ganz unvermeidlich die Strafe kommt.
Abgesehen von schlechter Laune und einer spitzen Zunge habe ich nicht gerade viel zu bieten und auch wenn ich mich mit der Hacke anstelle als wäre es mein grösster Wunsch mich selbst zu erschlagen, ist das mittlerweile wohl so ziemlich meine grösste Befähigung.

Von der Schmiedekunst will ich nicht anfangen: Damit stümpere ich ohne jede Verbesserung umher und das liegt nicht nur an dem minderwertigen Material, das aus diesen Servanoer Bergen gewonnen wird, sondern auch an meiner eigenen Ungeduld. Also auch an dieser Stelle: Wenig Hoffnung auf Verbesserung.

Es gibt ein paar andere, unverdiente Lichtblicke. Ich bekomme zwar inzwischen kein Frühstücksei mehr, aber Jakobine ist wirklich in Ordnung. Sie ist netter als ich es verdient habe und freundlicher als gut für sie ist. Ein wenig dünn für meinen Geschmack, aber ich denke sie würde die Beine schon für mich breit machen. Wenn ich nur nicht jeden Abend so zerschlagen wäre ...

Sogar die ruppige Liesel habe ich irgendwie für mich eingenommen - sie verzichtet darauf mich unmässig zu scheuchen, lässt mir kleine Aufmerksamkeiten zukommen und ich sonne mich in dem Gedanken, dass das nicht nur ist um meine Arbeitskraft optimal zu bewahren. Und seitdem ich sie im Auftrag Godwin Ganters verprügeln sollte, habe ich sowieso einen Stein im Brett bei ihr.

Andere sind schwieriger. Gwen werde ich lieber aus dem Weg gehen: Sie hat einfach so wenig Gefühl für richtig und falsch, dass sie in den unmöglichsten Momenten das falsche herausplappert und es reicht mir völlig aus, wenn das Njal den Kopf kostet. Ich muss meinen Hals wirklich nicht auch noch in diese Schlinge stecken.
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#6
Der Regen ist nicht viel mehr als ein Nieseln, eben genug um die Pflastersteine feucht und rutschig zu machen. Nicht ausreichend um den Schmutz fortzuspülen, um all die Reste, die die Gäste des Festes zurückgelassen haben. Und ich habe noch eine Stunde um zu ruhen, eine Stunde bevor es gilt erst diese Hinterlassenschaften zu beseitigen und sich dann dem Trott des Tagewerkes zu stellen.

Eine Stunde und ich bekomme noch immer kein Auge zu, die ganze zurückliegende Nacht ist wie ein Strom treibender Gedanken die einfach nicht in der gewohnten Tiefe des Vergessen versinken wollen, uferlos umherirren.
Das letzte Mal lag ich rastlos bis zum Morgen nachdem ich meine Freiheit verspielt hatte und damals spürte ich den würgenden Griff der Furcht kalt an meinem Hals. All meine Hoffnungen und Träume .. zerstoben wie Sternenstaub.

Und wer sind wir .. ohne Träume? Ohne die in der Brust klopfende Hoffnung auf bessere Tage. Ohne das Versprechen: Was du suchst .. ist nur einen Sonnenaufgang entfernt.
Was bin ich ohne Träume?
Nur schmerzende Muskeln und scharfe Galle - wie ein tollwütiger Hund, der rasend um sich beisst.

Wenn ich leben will, muss ich mehr sein als das.

Noch eine Stunde und ich spüre Beklommenheit wo jeder andere Tag mit der Glut von Zorn und Enttäuschung begann. Noch immer nieselt es, wie ein Versprechen von richtigem Regen und ich kann den kommenden Schein am Horizont nicht einmal erahnen. Alles ist kühle Dunkelheit.

Gib mir dein Strahlen. Gib mir dein Licht. Gib mir diesen weiteren Tag. Ich brauche nicht viel mehr.
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#7
Was als Nieseln begonnen hatte, war in den nächsten Tag zu heftigem Regen gewachsen: Dicke Wolken schleppten sich mühsam über den Himmel bis sie gegen die Berge stiessen und dort ihre Last verströmten wie ein abgestochenes Schwein sein Blut. Und tatsächlich schwoll der kleine Bach zu blutrotem Tosen an als er gurgelnd über die Ufer trat, Lehm und Rost ebenso mit sich reissend wie die kleine Brücke, die sicherlich seit zwei Generationen hier gestanden und den Einschnitt in den Felsen überspannt hatte.

Im ersten Augenblick empfand ich das als eine grossartige Geste: Der Bruch mit Löwenstein, mit Servano - ach was: Der ganzen Welt. Alle Verplichtungen gingen im schäumenden Gurgeln des zum Fluss gewachsenen Baches unter und obwohl ich keinen trockenen Faden am Leib mehr hatte, fühlte ich mich .. frei.
Eine Illusion, aber eine die ich auskostete, bis der aufkommende Wind mich in den Schutz des Bergwerkes trieb.

Die Stollen waren ebenfalls alt, möglicherweise bereits vor Jahrhunderten in den Fels getrieben waren sie über lange Zeit verlassen gewesen, denn es war einfacher und billiger gutes Erz aus Nortgard zu erhandeln, als hier in den steinernen Eingeweiden zu wühlen. Das Schliessen der Grenze hatte nicht nur den Handel zum erliegen gebracht, sondern auch wieder Leben in diese längst aufgegeben Höhlen.

Darin lag manche Gefahr: Was damals stabil und sicher gewesen war, hatte sich im Laufe der Zeit verzogen, die Berge selbst schienen sich zwar unendlich langsam zu bewegen - aber doch so, dass sich Spalten und Risse in den Jahren vergrösserten. Dann brauchte es neue Balken um die Decke abzustützen und Pumpen, um das Wasser aus den tieferen Stollen zu bekommen. Unterließ man diese Pflege, dann vergammelte das Holz und der Berg wandelte sich zu einer Todesfalle, die jederzeit zuschnappen konnte. Von genau dieser Art war mein Berg auch.
An guten Tagen war nur etwa die Hälfte des alten Werkes zugänglich, denn noch hatte niemand sich die Mühe gemacht das stille Wasser herauszupumpen und es gab Gänge, durch die unablässig Wasser rieselte. Aber es gab Erz zwischen all dem tauben Gestein: Eisen, bisweilen sogar ganze Adern von Silber, die sich einem ungeübten Auge leicht entzogen. Von den Löwensteinern wagten sich nur selten einige hierher und auch von den nortgarder Zuwanderern mieden die meisten diese schroffen Felsen und folgten damit dem besorgten Rat der erfahrenen Bergleute. Direkt vor dem gähnenden Maul des Berges gab es eine kleine Hütte, mehr ein Notunterstand als etwas Anderes, eben mit genug Platz für einen Mann um sich auszustrecken und auszuruhen. Die verzogenen und verwitterten Bretter reichten für Schutz vor der Sonne, aber nicht vor dem unablässigen Regen, der alle Erde von den Hängen spülte und nur rohen Stein zurückliess.

Da glaubte ich unter der Erde einen besseren Schutz zu finden. Hier würde ich einfach aushalten und arbeiten, bis der Regen ein Ende fand und der Fluss wieder zum Bach wurde. Dann konnte ich den gewohnten Trampelpfaden zurück bis zum Fuße des Berges folgen und dort die Strasse nach Löwenstein betreten. Zunächst hatte ich Glück: Ich eröffnete eine alte Abzweigung neu und fügte dem beständigen Lied von tropfendem Wasser in der Dunkelheit Schläge mit der Hacke hinzu, trieb das Stemmeisen in Engen und Spalte bis eine halbe Wand herunterstürzte und mein Grubenlicht begrub. Ich stolperte minutenlang fluchend umher, bis ich die Ersatzlampe gefunden hatte, die ich nur wenige Schritt entfernt zusammen mit dem Rest meiner Ausrüstung abgelegt hatte. Das müde Öllicht kam nur schwer gegen den wallenden Staub an, aber reichte doch um den scharfen Bruch zu beleuchten, den ich so unversehens aufgetan hatte. Silber.

In Nortgard gab es diese dünnen, sich durch den Stein ziehenden Fäden selten, dort brach man häufiger dünne Blättchen aus dem Stein heraus. Aber das war Silber, daran konnte kein Zweifel bestehen - genausowenig daran, dass es für mich unmöglich sein würde das ohne Hilfe zu fördern. Andererseits hatte ich Zeit und die weggerissene Brücke würde dafür Sorge tragen, dass mich so bald niemand stören würde. Da ahnte ich noch nicht, dass das bald mein geringstes Problem sein würde.
Wie berauscht schlief und ass ich im Dunkel des Berges, hämmerte unablässig an den bereits herausgebrochenen Steinen um die dünnen Fäden herauszubekommen, bis ich es schliesslich aufgab und einfach begann jene Brocken aufzuschichten, die mir am erfolgversprechensten erschienen.

Ein erfahrener, besonnenerer Mann als ich hätte die Warnzeichen vielleicht bemerkt. Das Flackern des Lichtes. Den anschwellenden Gesang der Tropfen. Aber wie gewöhnlich war ich blind für diese subtilen Hinweise. Erst als das Wasser mir in die Schuhe schwappte wurde ich gewahr, das es die Feuchtigkeit nicht nur durch das den normalen Eingang eindringen konnte: Überall musste es Risse geben, in die das Wasser nun kroch, vielleicht hatten sogar meine Hiebe blockierte Kanäle wieder geöffnet. Schon stand ich bis zu den Knöcheln in der unablässig weiter steigenden Nässe.

Mein Licht!
Ich kam eben noch rechtzeitig um die kleine Laterne zu retten und wich dann in ohnmächtiger Wut weiter zurück. Das Wasser verfolgte mich ohne Eile aber unablässig, quoll irgendwann an das Licht eines wolkenverhangenen Tages. Diese Grube würde niemand mehr leerpumpen.
Als die Sonne an diesem Tag unterging, war mir von meinem Fund nicht mehr viel geblieben als eine Handvoll silbererzhaltiger Brocken und ein durchnässter einsamer Fleck am Berge ohne die Möglichkeit der Rückkehr. Selbst die mürben Vorräte waren durchweicht, zu ekligem Teig aufgequollen der in der Kehle noch weiter zu wuchern schien.

Sieh nach vorn, Durias. Du hast ein paar Tage Ruhe. Es ist beinahe schon lächerlich, dass dieser Gedanke tatsächlich wirkte.
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#8
Unversehens hat sich alles verkompliziert.

An diesem Punkt glaubte ich mich bereits Anfang der Woche, als ich die wenigen, aus dem ersoffenen Bergwerk geretteten Silbererzbrocken in Löwenstein vorsichtig zerstrümmerte und dann erhitzte, bis die Metallfäden weich wurden und sich herauskratzen liessen. Was ich am Ende an Material erhielt war kaum der Rede wert, aber ich war dennoch .. aufgeregt. Mein Weg in die Freiheit würde lang und schwierig sein, aber dieses Silber war der erste von vielen wirklich konkreten Schritten. Ich würde es irgendwo verstecken müssen, wo es vor Langfingern sicher war - und am Ende würde Silber auch bei Weitem nicht ausreichen um meine Schulden zu tilgen. Ein Anfang, den ich in der Hand wiegen konnte. Für diesen Moment war ich zufrieden.

Dabei sollte es nicht bleiben - und mittlerweile sind meine Arme nicht das Einzige was schmerzt: Das Kopfweh hat sich als ungebetener Gast ganz heimlich dazugestohlen.

Es wäre einfach nun einen Namen hier hin zu schreiben, ihn zu unterstreichen und ein "Schuldig!" anzufügen. Da ist dieser .. Wunsch nach Rechtfertigung, der an mir nagt wie Biberzähne an einem ohnehin schon morschen Baum. Nur wäre es eine Lüge, nicht mehr als eine Ausflucht.

Das Einzige, worauf ich stolz sein kann, schmerzt.
Und das, was .. sich gut anfühlt, ist .. verwerflich.

Wie viel einfacher wäre alles, wenn ich frei wäre. Frei zu wählen. Frei zu gehen wohin ich möchte. Das ist etwas, was man erst zu schätzen lernt, wenn man das Joch der Leibeigenschaft getragen hat.
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#9
Wurzeln, das betonte mein Vater stets, sind das Wichtigste für einen Menschen. Er muss wissen woher er kommt. Er muss wissen, wo er steht. Wer das nicht kann, der ist nur Herbstlaub das der erste heftige Wind mit sich nimmt.

Wenn ich mir die Wurzeln meiner Familie anschaue, dann stelle ich fest, dass sie in erster Linie die Geschichte von Mittelmässigkeit und zahllosen Misserfolgen beschreiben.
Wir Zobels haben vielen Herren gedient, waren Berater und selbsterklärte Weise, versuchten uns in Politik und im Küssen von Ärschen.
Aber wenn man es ehrlich betrachtet, zahlte es sich nie aus und es schien nie eine Rolle zu spielen, ob der jeweilige Kopf der Familie besonders fähig oder besonders dumm handelte.

Das Pech haftete, was das anging, an meiner Sippe wie an den Händen eines Dachdeckers.
Gut - andere traf es schlimmer.

Immerhin haben die Zobels das Privileg auf eine lange Linie zurückblicken zu können, aber der Wunsch irgendwann einmal ein Wappen führen zu dürfen blieb bis jetzt unerfüllt.
Am nahesten kamen wir, so schätze ich, kurz vor Beginn des Indharim-Feldzuges nachdem sich aus dem Zug gegen die Ganters ein paar Jahre zuvor schon kein Kapital hatte schlagen lassen.
Aber auch damals glitten die erhofften Titel und Würden wie Sand durch die zupackenden Finger.

Für sich selbst, so denke ich, hat meine Mutter diese Hoffnungen bereits aufgegeben, aber sie plant für ihre Kinder. Jene zumindest, die noch zur Familie gezählt werden. Und damit stellt sich die Frage nach meinen Wurzeln.

Was ich hatte ist abgeschnitten. Vertrocknet. Ich kann nicht anders als bei diesem Gedanken mit den Zähnen zu knirschen und die Hände zu Fäusten zu ballen. Ich bin besser als mein armseliger kleiner Bruder.
Schön, ich habe meine Fehler gemacht - aber man gewinnt nichts, wenn man sich ängstlich hinter dem Rücken des Alten versteckt und darauf gemüht ist ja keine eigenen Fußabdrücke zu hinterlassen.

Also. Was ist mit meinen Wurzeln?

Derzeit .. bin ich niemand. Ein leibeigenes Nichts, dessen grösstes Aufbegehren gegen die Umstände die tägliche Rasur ist. Erst wenn ich meine Freiheit wieder habe, so lautet der Schwur, will ich wieder voller Stolz die Zier eines Mannes tragen. Und solange trage ich die Schande im Gesicht wie einen Schild, wie eine aus Haut gemachte Wehr - mein ganz persönliches Wappen. Das ist doch etwas?

Dann ist da .. Ehrgefühl. Ja, wirklich. Ich hatte darüber nachgedacht mich einfach nach Hohenmarschen in die Sümpfe abzusetzen. Kein hübscher Ort um zu wohnen, aber ich hätte frei sein können. Auf die falsche Weise: So eine Flucht wäre die endgültige Kapitulation gewesen. Das Eingeständnis, dass mein alter Herr doch Recht hatte mit seiner Einschätzung. Und das? Nein. Ich bin eine Nordfichte, kein schwammiges Sumpfgestrüpp. Und wenn der Sturm kommt, dann will ich lieber brechen als mich in den Morast beugen.

Grosse Worte für einen Leibeigenen. Noch dazu für einen, der so brav gehorcht. Aber ich vergesse nicht. Und die Rechnung wird am Schluss geschrieben.
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#10
Die Dinge geraten in Bewegung. Und eigentlich war das auch unausweichlich.

Servano ist nicht Nortgard und Löwenstein ist ein Kessel in dem die Überzeugungen und Vorstellungen vieler grundverschiedener Menschen zu einem Eintopf gekocht werden. In den Gestank von Erbrochenen mischt sich der Duft von Freiheit, die einfach aus dem Schutz der Menge entsteht. Hier ist man nur ein Gesicht von vielen, ein weiteres in die Hauptstadt geworfenes Schicksal, das darum kämpft nicht im Armenviertel unterzugehen oder im Alten Hafen ausgeweidet zu werden.

Es ist schwierig an knöchernen Traditionen festzuhalten, wenn so viel frisches Blut in das Haus gespült wird. Wenn man jeden Tag sieht, dass es auch anders geht, ohne dass die Welt untergeht. Das ist es, was den Alten wahrscheinlich am meisten stinkt: All ihre Autorität baut auf Furcht, während sie sich gleichzeitig wie hungrige Wölfe gegenseitig belauern. Es wird nicht lange dauern, bis die Jungen entscheiden dieses Spiel nicht mehr mitzumachen.

Das hat bereits begonnen: Gideon scheint ernsthaft entschlossen eine Frau zu heiraten, für die er unter anderen Umständen niemals den Segen des alten Knackers erhalten hätte. Und ich wäre nicht zu verwundert, wenn Godwin es auch noch gestattet.
Ausgerechnet Liesel hat es geschafft sich mit der Bindung an die Kirche aus dem ganzen Wahnsinn zu lösen. Wenn sie dort mehr Anerkennung erfährt als hier, wo sie immer nur der Bastard eines Hingerichteten ist, kann es nicht lange dauern, bis auch diese brüchigen Bande noch zerbröseln. Ich wünschte ich hätte die gleiche Möglichkeit - aber zugegebenermaßen behagt mir die Vorstellung mich der Kirche zu unterwerfen, überhaupt nicht. Diese roten Roben machen mich .. nervös.

Da sind sie auch nicht das Einzige.

Wäre ich nur so unbekümmert wie früher, liesse sich das alles viel einfacher an. Nimm mit, was du kannst. Denke nur an das Heute und nie an das Morgen. Unkompliziert. Andererseits ist es genau das, was mich hierher gebracht hat und ich spüre überdeutlich, wie sich .. etwas zusammenbraut.
Dafür habe ich keinen Namen, keine Buchstaben. Nur ein Gefühl von Beunruhigung, wie ich es manchmal bei Tieren Stunden vor einem heftigen Gewitter gesehen habe.


Bla .. bla .. bla. Ich lese diese ganze Sülze und frage mich, ob Jakobines Tritt mir wirklich die Eier zermalmt hat.

Am Ende ist doch nur die Frage, in wen man seinen Schwanz steckt. Und wie oft. Feierabend.
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