Glanz und Gloria
#1
Gloria stand im Erker des Verbindungsganges und beobachtet die Straße und das Kommen und Gehen, das ewige Herbei- und Wegschaffen von Material, das jenseits des Einganges einem unbestimmten Zweck zugeführt wurde. Das geschäftige Treiben der Familie und ihrer Angestellten, ihr unermüdliches Arbeiten, um etwas wie ein neues Heim für sich und die Generationen, die noch kommen sollten, zu errichten, ließen sie mit einem Eindruck von Nutzlosigkeit betreffend ihrer eigenen Person zurück. Sie wollte ja den sogenannten Beitrag leisten, aber als sie vorhin versucht hatte, etwas aufzuheben, war es ihr zu schwer gewesen und der Kratzer in den Holzdielen des Fußbodens würde für alle Zeiten der einzige Zeuge ihrer missglückten Ambitionen bleiben. Nachdem sie dann eine Weile vergebens bemüht war nicht im Weg zu stehen, beschloss sie ihr körperliches Dasein einem anderen Ort zu überlassen und nun stand sie also im leicht hervorspringenden Erker und folgte dem abendlichen Treiben der Ganters von einem Punkt weit außerhalb des Geschehens. Sie erkannte in dem nachlässig gekleideten und gepflegten Mann einen Angestellten des Hauses und in seinem Tun den Versuch die Risse im Verputz der Hauswand auszubessern. Jemand ließ einen Korb an einem Seil aus dem Fenster des oberen Geschosses in die Hände eines anderen sinken und dann war da noch jemand, der sich nur den Anschein gab zu arbeiten und auch nur dann, wenn er wachsamen Blicke in seinem Rücken spürte.

Die Dunkelheit im unbeleuchteten Gang verdichtete sich zunehmend um ihre Gestalt und irgendwann war die Laterne unten an der Ecke die einzige Lichtquelle, die ihr etwas über den unermüdlichen Betrieb auf der Straße verriet. Sie spürte allmählich wie die Müdigkeit in ihren Gliedern sedimentierte und sie klamm und steif werden ließ. Als sie schließlich zurück in das Haus kehrte und all die angefangene und längst nicht beendete Arbeit sah, das Durcheinander, in dem sie keine zweckmäßige Ordnung mehr feststellen konnte, überkam sie ein tiefes Gefühl von Unruhe und Besorgnis. Mit dem Anblick der Enge in den Zimmern nistete sich die beklemmende Ahnung von bevorstehendem Unglück in ihr Herz und sie begriff nicht, warum all das Streben der Familie nicht darauf ausgerichtet war diese Räume freundlicher und farbenfroher zu gestalten.

Sie suchte zwischen all den herumstehenden Kisten nach ihrem Krempel und den wenigen Habseligkeiten, die sie aus ihrer alten Heimat in diese neue Welt gerettet hatte und fand ein paar ihrer Zeichnungen, die sie dann an die Wände des Zimmers ihres Vaters nagelte. Wer die Resultate ihrer künstlerischen Ambitionen kennt, der wird im kubistischen Stil der Malereien leicht auf den Urheber schließen können. Landschaften, ihre Familie, Szenen aus dem Alltag sind zu einfachen, ungegenständlichen, geometrischen Linien geronnen, die im Sinne der Materialgerechtigkeit farbenfroh ausgemalt sind. Ein paar Farbkleckse in einer dunklen, trostlosen Welt.


[Bild: 64789239.jpg]
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