"In der Fremde"
#11
Das zurückliegende Monat war ein einziges Auf und Nieder für die Wachmannschaft Neustadt, in der ich nun als Zeugmeister im Rang eines Wachmanns arbeitete.
Wir bekamen einen Haufen von Millizionären der Landwehr Zweitürme als temporäre Verstärkung dazu, die uns nun auf zwei Monate befristet als Rekruten dienen würden. Wenn man mich fragte, so empfand ich wenig Sympathie für den Haufen. Sicher, wir Stadtknechte waren mehr oder weniger städtische Büttel, doch pflegte selbst der gemeinste Stadtknecht Ressentments gegenüber - Millizionären. Das waren Freizeit-Kämpfer, die meisten jedenfalls, besser im Pflügen oder Holzfällen, als im Kampf. Nicht, dass man allzu oft im Wachdienst kämpfen müsste.
Zumeist genügten harsche Worte und ein paar Schläge mit dem Knüppel oder Schlagstock, damit Ruhe einkehrte.
Dennoch... die Vorurteile waren da. Und das spürte man.

Von diesem zweischneidigen Auf.. ging es auch zu einem Nieder, in Form einiger Ausfälle.
Im Zuge der Sturznacht, die ich zu meiner Schande fernab der Truppe verbringen musste, hatte es wohl einige Verwicklungen gegeben. Bislang hatte ich nur grobe Gerüchte in der Wachstube gehört, von eingeworfenen Fensterscheiben, Prügeleien und Pöbeleien. Das übliche Sturznacht-Theater eben, das mit disziplinarrechtlichen Lohnkürzungen für diejenigen endete, die sich hatten erwischen lassen.
Unüblich war dabei nur, dass einige Betroffene die Wachmannschaft verließen. Der Wachmann Amberg, ein ziemlicher Idealist, auch wenn ich für ihn seit meinem Einstandsritual was übrig habe, und seine Anverwandte, Rekrutin Elynia Farell zogen ab. Waren sie vielleicht eingeschnappt und zogen den Schwanz ein? Vielleicht war es auch nur eine Taktik gewesen, um Schaden von der Wachmannschaft fernzuhalten.
Wenigstens blieb Wachmann Colin, ein Landsmann von mir, in der Wachmannschaft, obwohl er zu denen zählte, die erwischt worden waren. Er machte nun mal aus Makrelen keine Wale.

Die Zu- und Abgänge hielten sich in diesem Monat letztlich die Waage. Die Lhnzahlungen liefen weitestgehend problemlos, Ausrüstung war in zufriedenstlelendem Maße vorhanden. Als Zeugmeister konnte ich zufrieden sein. Wenn man von der gestrigen Deplatzierung der Wache bei der Gerichtsverhandlung gegen Dendrion einmal absah - sich dem Orden unserer statt anzubiedern! So schnell wollte ich das nicht vergessen.
Nachdem der Prozess zu Ende, ich die Stockhieb-Strafe an Dendrion fachgerecht (der fähige Seemann weiß, solcherlei Strafe mehr Schein, als Sein zu lassen) durchgeführt hatte und eigentlich in den Feierabend gehen wollte, wurde wie allzu oft nichts daraus.
Ein all von Hausfriedensbruch, der sich später als falsch herausstelte, rief mich in den Neuen Hafen.
Das Ende vom Lied, zu dessen Beginn mich noch pure Mordlust antrieb, war schließlich eine gütliche Einigung. Noch einmal Stockhiebe. Und eine Gefälligkeit.
So konnte ich wenigstens mit einem zufriedenen Gemütszustand in den Feierabend gehen - und mir Sorgen über meine Schwester machen, die Askir und den Bund verlassen und einer Sinnkrise verfallen war.
Genug für Recht und Ordnung geprügelt für heute - nun war die Familie an der Reihe.
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#12
Nach langen Wochen der Einsamkeit die ich in den Wäldern Servano's zugebracht hatte, zog es mich gen Löwenstein, Askir sehen, mit ihm sprechen, vielleicht sogar sein Verständnis und Mitgefühl für meine Beweggründe erlangend. Ich kannte ihn zu gut um zu wissen, dass er seine Liebe zu mir getötet hatte, begraben und mich in den Abyss seines Gottes wünschen würde, doch trotzdem musste ich ihn sehen, auch wenn es mein letztes Mal wäre.
Der Weg in die Stadt schnürte mir mit jedem Schritt den ich mich dem Hause näherte,die Kehle zu, mit pochendem Herzen stand ich kurz davor, als ich aus den Schatten heraus Ceras vor der Taverne sitzen sah, einige kurze Worte mit ihm wechselnd, nach Askir fragend, wo ich gewesen sei, zur Antwort bekommen, Askir würde mich nicht sehen wollen... mir wurde schlecht, dass waren nicht die Worte die ich gebraucht hätte, nahm allen Mut zusammen und ging zum Hort, die Tür öffnen wollen, doch mein Schlüssel wollte nicht mehr passen. Ja, Fremden wurde der Einlass verwehrt, und ich gehörte nun zu jenen, zu denen die hier nicht mehr hingehörten.
Innen brannte Licht und ich klopfte. Askir öffnete, er schien allein, beinahe ungläubig sein Blick als ich vor ihm stand, er sprach meinen Namen etwas gespielt die Fassung wohl haltend sagte er : "Was willst du hier, Arys? Glaubst du es ist richtig wieder aufzutauchen? Willst du deinen Bogen abholen?"
Mein Herz schien ein weiteres mal zu brechen ob seiner Kälte, seiner Ablehnung, doch kämpfte ich um Haltung, versuchte mich ihm zu erklären, erneut meine Gründe aufführend " Du hast gedacht, ich ging weil ich dich nicht mehr liebte, das ich dich verriet, alle Schwüre brach? Askir, ich erzählte dir von meiner Herkunft, meiner Familie, der Verruchtheit. Du hättest alles geopfert für mich, ich dagegen opferte unsere Liebe, damit du im Bund hoch erhobenen Hauptes weiterwirken kannst, dich nicht zu schämen brauchst ob deiner Frau und deren Blut."
Doch Askir holte meinen Bogen, ihn mir reichend und drückte die schwere Eingangstür auf.
"Du wirfst mich hinaus?" In diesem Augenblick dachte ich mein Herz setzt mit dem Schlagen aus,
"Ich bitte dich hinaus, ja. Ich habe keine Kraft und keinen Nerv darüber weiter zu reden. Du hast deine Gründe und ich die meinen dass es mich immer noch schmerzt"

Der Boden unter mir wankte, doch mein Herz schlug weiter, die Götter schienen mir den Tod nicht zu gewähren, mein Blick ging ein letztes Mal die Treppen hinauf zur Fuchshöhle die Askir und ich einst voll Liebe geteilt hatten, dann sah ich seinen Blick, distanziert, vorsichtig als sei ich die Keuche in Person.
Er hatte mich noch nicht einmal gesucht, mir nicht nachgeeilt, was war mit den Bergen, den Tälern die er versprochen hatte zu überwinden um mich bei sich zu halten? Liebe, was war das für eine Liebe die so schnell vergessen wurde?
Schweren Herzens , doch mit dem Stolz des galatischen Volkes, ging ich zur Tür hinaus, mit den Worten: " Vergiss den Fuchs nicht. Und unser Kind werde ich auch ohne dich durchbringen Askir!"
Und ich verschwand in den Schatten der nächtlichen Gassen Löwensteins, meinen Bruder suchend, mehr sterben, als leben wollend.


[Bild: 282823_494908853916972_487364686_n.jpg]
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#13
Sie bemerkte den Bären erst viel zu spät. Ein Sprung, eine rettende Drehung, und doch erwischte sie die Klaue des geifernden Monstrums welches da aus dem Dickicht stob. Der Harnisch gab den messerscharfen Klauen nach, tief schnitten sie sich ins Fleisch, ein Schmerz wie sie ihn nie zuvor gekannt hatte ließ sie an den Rand des Wahnsinns geraten, sie hörte sich schreien, ein heißer Schmerz durchzog ihre Eingeweide, mit aller Kraft wandt sie sich heraus, lief, stolperte, stürzte einen Abhang hinab, den Bären scheinbar nur so verlierend, sein Grollen im Ohr.
Stolpernd, mit letzter Kraft die Hand auf den blutüberströmten Leib pressend, fand sie sich am Adlerhof wieder, Angus und eine Frau im Gespräch erblickend, schleppte sie sich die letzten Schritte hin, dann umgab sie gänzliche Dunkelheit.

[Bild: Baumlr.jpg]
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#14
Die Büsche raschelten verräterisch, noch bevor sie aus ihnen auf die Straße trat. Ungeduldiger als sonst zog sie an den Zügeln ihrer Stute, bis auch diese in voller Größe mittig auf dem vielbereisten Handelsweg stand. Ailís jedoch hatte keinen Blick für die schimpfenden Reisenden, die nun einen Bogen um ihre zerzauste Gestalt und das stämmige Pferd machen mussten... sie suchte ihre Seelenschwester.
"Arys Ní Domhnaill, du Hündin! Wo bist du nur?"
Ailís biss sich verärgert und verzweifelt auf die Lippen. Sie hatte die Freundin das letzte Mal gesehen, als sie dieser von ihrer kommenden Sinnsuche gemeinsam mit dem Vetter erzählt hatte - doch Arys hatte nur Schmähworte für sie übrig und kränkte sie derart damit, dass sie davonstob, wie eine Herde Wildpferde auf Reinos. Lange schon nagte an Ailís, dass die beiden zu auseinander gegangen waren... mehrfach hatte sie sich überlegt, sie im Bund zu besuchen, doch wurden ihre Pläne mehrfach durchkreuzt... hier gab es etwas zu tun... dort stellte sich ihr etwas in den weg.
Nur durch Zufall traf sie auf den am Boden zerstörten Askir - und nach dem klärenden Gespräch mit ihm, wurde ihr Herz deutlich schwerer.
Was bei allen Göttern ist nur in sie gefahren? Hoffentlich hatte nicht ein finaler Knacks in ihrem Kopf Arys vollends verrückt gemacht. Ailís brauchte diese Freundin noch... sie drohte den Göttern, sie schrie der Sonne entgegen!...

Und dann brach sie wieder auf. Ein schlechtes Gewissen und ein mulmiges Gefühl in der Magengegend im Gepäck. Ailís brauchte mehrere Tage dafür, das Lehen Servano zu durchstreifen... ging sogar in die Steppe am Fuße des großen Gebirges, obwohl es unwahrscheinlich war, Arys hier zu finden, wo sie ihre Liebe zu Baghatur gelebt und gelassen hatte.
Man hörte die kleine, wilde Galatierin auch auf den Hauptwegen und lichteren Wäldern wüst fluchen - und immer wieder den Namen ihrer Seelenschwester brüllen.
"AAAARYS!"
Ich muss sie finden... sonst seh ich sie vielleicht nie wieder.

[Bild: Wald-augen-montage-Fantasy-Forest-flood-forest-510.jpg]
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#15
Das Fieber brannte, mehr und mehr schienen die Götter mir die Tür zurück zum Ursprung allen Seins zu öffnen.
"Ailis, oh Ailis, meine Schwester, das du nun hier bist, hier bei mir", das Sprechen fiel mir schwer, Schmerzen, die Luft blieb weg... " Sag Askir, dass ....", und plötzlich wurde alles leicht, ich schien zu schweben ... ich fühlte die Sonne, das Licht.. und ich ging ...

[Bild: sonne.jpg]
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#16
"Arys ist tot."

Diese letzten Worte aus Koris Mund ließen die Befürchtung Gewissheit werden, die mich während unseres Gesprächs beschlichen hatte. Nach dem Appell hatte Koris mich in die Wachstube mitgenommen und ernst, angespannt, zu erzählen begonnen. Davon, was mit Arys passiert war. Dass meine Schwester von einem Bären halb zerfetzt worden war. Dass meine kleine Arys tot war.
Zuerst hatte ich es nicht glauben wollen, doch Koris war niemand, der morbide Späße trieb - und wußte, dass er einen Galatier nicht mit der Familie reizen sollte. Er sprach die Wahrheit, das wußte ich ab dem Moment, da er den Mund aufmachte. Ailis hatte ihm davon berichtet. Sie war es, die sich um die Aufbahrung von Arys gekümmert hatte, als sie die Tote vom Hof des Ordens abgeholt hatte. Der Orden... wie wenig Sympathie ich auch immer für ihn empfand - dass sie versucht hatten, meine Schwester zu retten... das wollte ich in Erinnerung behalten. In Amhram war es keine Selbstverständlichkeit, dass man meinen landsleuten so viel Aufmerksamkeit schenkte.
Wie hatte sie nur an einen Bären geraten können, so nah an ihn, dass er ihr gefährlich werden konnte? Sie war doch eine gute Jägerin gewesen! Hatte sie zumindest immer von sich gesagt.

Gleich, nachdem Koris mir die schlechte Nachricht gebeichtet hatte, war ich davon gestoben wie ein seelenloser Widergänger, hatte den armen Einäugigen im regen stehen lassen. Dabei konnte er nichts dafür.
Irgendwann später.. ich wußte nicht, wie lange ich gelaufen war, wo ich entlang gegangen...was ich getan hatte - fand ich mich vor der Hütte beim Rabenkreis wieder, die Koris mir beschrieben hatte. Meine Stiefel starrten vor Dreck, waren nass und klamm, wie meine Uniform, die ich noch vom heutigen Appell trug. Wen kümmerte schon, dass ich so herumlief? Wäre mir der Oberleut begegnet und hätte sich beschwert, ich hätte ihn an Ort und Stelle getötet.
Denn meine Schwester war nicht mehr.

An der Türschwelle blieb ich stehen und starrte in das fahle Halbdunkel der Hütte, die nur von einer schwachen Öllampe erhellt wurde - die Nacht war bereits hereingebrochen. Der Odeur des Todes lag in der stickigen Innenluft; die typische Mischung aus verbrannten und aufgeriebenen Kräutern und süßem Verwesungsgeruch. Letzterer war noch nicht stark, nur eine feine nuance, die man nur bemerkte, wenn man sie kannte. Weiter hinten in dem niedrigen Raum - die Hütte bestand nur aus einem großen Wohnraum mit getrampeltem Erdboden - lag sie.
Auf einem Fellbett aufgebahrt, in ein weißes Nachthemd gehüllt. Die Haut ebenmäßig, fahl und kalkweiß. Arys.
Schneidend zog ich die Luft durch die Nasenflügel ein und trat zu ihr hin. Mehr fiel ich neben ihr auf die Knie, denn dass ich es geziemend vorsichtig getan hätte. Doch wie hätte man da noch ruhig bleiben können? Sicher, die Gebete an die Götter, allen voran ihre drei Schutzgötter, vollzog ich in der notwendigen leisen Ernsthaftigkeit, die es bedurfte. Wo meine Stimme folgte, versagte mein Leib jedoch. Nur unter großer Kraftanstrengung schaffte ich es, meine zittrigen Hände so weit zu beruhigen, um meiner toten Schwester die letzte Ehre zu erweisen. Drei Amulette von den vielen, die ich um den Hals trug, sollten ihr im Tod gehören. Die ihrer drei Schutzgötter Sulis, Artio und Branwen.
Wenig später zierten die Amulette von Sulis und Artio ihre Handgelenke und Handinnenflächen, das Branwen-Amulett Hals und Brust.
So verharrte ich noch eine Weile neben ihr, vollzog die notwendigen Rituale und - verabschiedete mich. Sie würde nun wieder Teil dessen werden, aus dem sie kam. Den Göttern, der Erde... der See.
Ich musste einen Druiden finden...ein herrenloses Boot aus dem Hafen - und Ailis. Es galt, Arys baldmöglichst zu verbrennen, ehe die Verwesung begann. Auf dem Meer, wie es sich für eine Domhnaill gehörte.

"Wir Domhnaills lebten schon immer von der See..und zur See kehren wir heim!"
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#17
In meinem mir liebgewordenen Zelt wurde es langsam ungemütlich.
Der Winter nahte, so regenreich und stürmisch wie die letzten Wochen waren - zudem hatten die meisten Laubbäume mittlerweile ihr Blätterkleid eingebüßt. Hätte ich noch ein eigenes Boot gehabt, wäre es spätestens jetzt an der Zeit gewesen, es an Land zu ziehen und einzumotten. Da man mir meines allerdings schon vor langem genommen hatte, um damit Keuchenkranke zu transportieren, blieb nur noch das Zelt. Es musste winterfest werden.
Weder blieb mir dafür viel Energie, noch Zeit. Seit dem Tod meiner Schwester schlief ich wenig und schlecht, nahm Nachtschichten in der Stadtwache, wo ich sie nur erwischte. Wenn ich ohnehin nicht schlafen konnte, wollte ich wenigstens die Stille der einsamen Nachtschichten nutzen, um nachdenken zu können. Außerdem wurde so auch das Risiko, sich mit der Keuche anzustecken, vermindert. Eine Schande war es wirklich, dass man die Gefängnisinsel einfach zur neuen Quarantäneinsel umfunktioniert hatte! Dabei war es selbst der Landratte Gotmar sonnenklar gewesen, dass Hulks die beste Methode zur Verwahrung der Keuchekranken wären - oder, sie via Boot/Schiff auf die alte Quarantäneinsel zu schaffen und dort einfach abzuladen. Von dort aus zu schwimmen, noch dazu gegen die Strömung, konnte ein Gesunder schon nicht denken, wie dann erst ein Kranker?
Aber aus irgendeinem Grund schien der Obrigkeit eine einfache und unpopuläre Lösung (Hulks waren deswegen ideal, weil man sie bei Bedarf einfach abfackeln konnte, samt allem, was sich darin befand - und nur ein, zwei Mann zur Sicherung brauchten) nicht Recht zu sien. Und so gefährdeten sie sämtliche Einwohner Löwensteins und brachten die Kranken mitten nach Löwenstein! Und das auf ''unsere' Gefängnisinsel, obendrein! Wenn der verdammte Mist vorbei war, müsste man sämtliche Böden herausreißen und erneuern, alles ausräuchern und mit Essig waschen, Mobiliar und derlei Kram direkt in's Feuer... schöne Scheiße.

Aber was taten die hohen Herren nicht, um bei ihren "Maßnahmen" vom Volk gesehen zu werden, denn wie sollte man sonst auch später sagen können: "Wir haben euch gerettet!"
Die Herren in Amhran waren alle gleich. Was brachte es auch, sich darüber aufzuregen, es stand mir nicht zu. Denn ich war kein Herr - Leutnant hin oder her. Also schluckte ich meine Kritik hinunter und ging weiter ordnungsgemäß meine Wachgänge. Nacht für Nacht.

Als ich dieser Tage das Zelt mit dickeren, geteerten (und dadurch fast brettharten) Segeltuch-Bahnen, Tauen und Stützen verstärkte, sehnte ich mich nach Galatia und meinen svesuer König, meine Sippe und Ältesten zurück, wie lange nicht.
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#18
Bereits zum vierten oder fünften Mal betrat der Jure in der vergangenen Woche die Stadt, öfter wie er es in den letzten sechs Monden zusammengenommen getan hatte. Seit dem letzten Streit mit Arys hatte er sich in die Berge im Südosten von Servano zurückgezogen. Dort hatte er den Kontakt mit anderen Menschen gemieden - vor allem den von Arys oder Anderen die ihn kannten - und vor sich hin gelebt, die Erinnerungen an seine Heimat stark und schmerzhaft. Vor allem in den letzten Monden als es zunehmend Kälter wurde und weißer, seltsamer Regen vom Himmel fiel spürte er erneut wie Fremd Amhran noch immer war und das er nicht hierher gehörte. Die ganze Zeit über hatte er Zwiesprache mit den drei Göttinnen gehalten, wegen derer er vor all jenen Monden nach Amhran geflüchtet war, hinfort vor seiner Bestimmung als Stammesseher. Erst auf Amhran hatte er sich mit diesem Schicksal abfinden können. Einerseits gab es keinen anderen Ort wohin er noch hätte fliehen können, andererseits hatte ihm Arys die Kraft gegeben sich seinem Schicksal zu stellen. Arys, die er auch in all den Monden in den Bergen nicht vergessen hatte.

In den letzten Wochen wurden die Träume jedoch stärker, wurden zu Albträumen. Die große Wölfin jagte ihn im Traum durch die Steppen der Juretai und die Raubkatze stellte ihm, versteckt hinter großen Felsen, die endgültige Falle. Beide rissen ihn zu Boden und hielten ihn dort fest bis die große Stute kam. Vorsichtig zog sie ein Amulett mit ihrem Maul unter dem Harnisch hervor und sah ihm tief in die Augen. Immer wieder träumte er davon, immer wieder erwachte er schweißnass unter dem Baum den er als Schlafplatz nutzte. Die Träume hörten erst auf als er die Stadt zum ersten Mal betrat um Lysander zu suchen. Lysander, der ihm vor vielen Monden das Amulett als Teil eines Schwurs gab. Ein galatisches Amulett zu ehren eines seiner Götter die dem Juren Fremd waren. Der Schwur war einfach gewesen: Arys zu beschützen. Er war es, der den traditionsbewussten Lysander dazu gebracht hat die Verbindung zwischen ihm und Arys wenigstens zu akzeptieren.
Aber es war ein Schwur den der Jure kläglich vernachlässigt hatte - er hatte Arys seit Wochen nicht gesehen und wusste ebenso nicht wie es ihr ergangen war. Und nun drängten die Göttinnen ihn dazu, den Schwur wieder aufzunehmen.

Es hatte erst eines Briefes bedurft um Lysander zu kontaktieren. Baghatur konnte zwar schreiben - jurische und amhransiche Schrift - aber er machte es nicht gerne. Schließlich aber schrieb er Lysander, dass er zu ihm kommen würde um dessen Urteil entgegen zu nehmen und schickte ihm das Amulett mit dem Brief. Das Urteil für einen Schwurbrecher. So hatte er ihn dann schließlich - doch per Zufall - in seinem Zelt im Armenviertel getroffen. Viel sprachen die beiden Altbekannten nicht miteinander. Es waren vor allem drei Worte die das Gespräch dominierten.

Arys ist tot.

Schwer lagen ihm diese Worte im Kopf und im Magen. Ein Bär hätte sie getötet. Das bedeutete, dass er ein Schwurbrecher der schlimmsten Sorte war. Langsam stand er von dem Baumstamm auf auf welchem die Beiden saßen. Er legte seinen Speer mit den Adlerschwingen vor Lysander auf den Boden und kniete sich selbst in den Schlamm. Er setzte sich auf seine Fußballen, die Hände auf die Knie gelegt und den Blick zu Boden gesenkt.
Dann liegt mein Leben jetzt in deiner Hand.
Viel mehr gab es nicht zu sagen. Lysander sprach noch einige Worte und führte ihn dann fort, in den alten Hafen. Den Speer hatte der Galatier mitgenommen, der Jure selbst trug nur das Knochenmesser aus Juretai bei sich.
Lysander führte ihn zu einem kleinen Stück Strand im Hafen. Irgendwo dort draußen ruhte Arys jetzt, erzählte er ihm. Die Beiden scherzten noch kurz wie alte Freunde: Wie sehr das Meer dem Juren nie gefallen konnte und wie sehr der Galatier im Gegenzug der Steppe nichts abgewinnen konnte. Schließlich trat Lysander hinter ihn und kurz darauf spürte er wie sich etwas heftig und schnell in seinen Rücken bohrte. Vor dem Umfallen durch Lysanders freie Hand um seine Schultern geschützt unterdrückte er den lauten Schmerzensschrei so gut er konnte, dennoch drang ein deutlich hörbares Geräusch über seine Lippen.

Langsam glitt er, noch immer gehalten von Lysander, in den nassen und kalten Sand. Kein Vergleich mit dem warmen, trockenen Staub Juretais. Unter Husten und hervorquellendem Blut zwang er sich noch einige Worte heraus.

Es tut mir Leid, Lysander.
Lysander nickte und erwiederte es.

Wenigstens geht es im tot zurück in die Juretai. Zu den Dreien.

Schließlich schloss er die Augen, die rechte Hand von Lysander gehalten und die Linke um das Amulett geschlossen das dieser ihm kurz vor dem Todesstoß wieder gegeben hatte.

Es...tut mir Leid....Arys.

Einige wenige Atemzüge später war der Jure tot. Zurück zu den Ahnen. Zu den Göttinnen. Rennen mit der großen Stute, jagen mit der Wölfin und raufen mit der Raubkatze.
So blieb er liegen. Baghatur, geflüchteter Seher des Stammes des geflügelten Speers. eine große Blutlache im Sand unter ihm, die spiralförmige, blaue Kriegsbemalung auf der linken Wange durch das herabgeronnene rote Blut verwischt.
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#19
Der Tag hatte so gewöhnlich begonnen, wie die meisten. In Folge der letzten Frühschicht war ich des späten Nachmtitags am Vortage hinaus in den Südwald, zu meinen Leuten - den Céad Glúin - gegangen, um Abstand von Löwenstein zu bekommen. Mittlerweile war mir unser kleines Lager im Südwald ein angenehmer Rückzugsort geworden, wenn mich die Stadtluft, das Pack, welches einem den Alltag als Stadtknecht schwer machte und der ewig wiederkehrende trott im Wachdienst anfochten. Der Umstand, dass unser Lager auf jurischem Gebiet unter Duldung dieses räuberischen Steppenvolkes bestand, geriet da beinahe in Vergessenheit.
Als ich mich am 03. Hartung dann auf den Heimweg gemacht, in Löwensein ein paar Geschäfte getätigt und mich gerade zum Wachdienst fertig gemacht hatte, überraschte mich vor meinem Zelt im Armenviertel ein Jure, den ich schon für tot geglaubt hatte: Baghatur, vom Stamm des geflügelten Speeres.
Er war der Lebensgefährte meiner kleinen Schwester Arys gewesen, als sie noch lebte. Ein Lebensgefährte, den ich keineswegs als solchen akzeptiert, sondern vielmehr toleriert hatte. Denn so sehr ich das jurische Volk auch vrachtete und ihm misstraute, zeichnete sie eine Eigenschaft aus, die ein Galatier nicht übersehen konnte - sie hielten ihre Eide genauso streng, wie meine Landsleute. Also hatte ich ihm seinerzeit mit Widerwillen einen Eid abgenommen: Wenn er schon mit meiner Schwester leben wolte, dann sollte er sie bei seinem Leben beschützen.
Besiegelt hatten wir diesen Schwur mit Blut und dem Austausch von Amuletten unserer jeweiligen Götter.
Doch Baghatur war eidbrüchig geworden.
Denn meine Schwester war letztes Jahr gestorben, zerrissen von einem Bären im Wald. Und wo war der Jure? Wer weiß wo!

Dementsprechend schwer fiel es mir, ruhig zu bleiben, als er so plötzlich vor mir stand. Wir sprachen miteinander am Lagefeuer, wie es sich gehörte - dort teilte ich ihm auch mit, wie es um Arys Schicksal bestellt war. Wo auch immer er sich in der Zwischenzeit herumgetrieben hatte - bis zu diesem Moment wußte er offenbar nicht, was mit seiner einstigen Gefährtin passiert war. Der lautere Zorn wallte dadurch nur umso mehr in mir auf. Erst die Geste der Unterwerfung, Baghatur kniend vor mir, und das zurückgegebene Amulett besänftigte mich etwas.
Sicher, sein Leben war verwirkt, das wußten wir beide sehr wohl. Unsere Bräuche gaben uns einen sicheren Pfad, der zudem sicherstellte, dass kein Beteiligter sein Gesicht verlor. Also zog ich ihn hoch, denn "ein freier Mann sollte nicht vor anderen knien" - ganz besonders nicht im Tode.
Den verzierten Speer, den er abgelegt hatte, nahm ich an mich und führte ihn in den alten Hafen. Nicht, dass ich Gegenwehr fürchtete - sonst hätte ich ihm auch seinen Knochendolch abgenommen. Er hatte mir den Speer überlassen... so war es nur Recht. Die Nacht brach schon herein und hüllte uns zunehmend in das graue Einerlei, in dem alles und jeder gleich aussah - niemand war auf den Straßßen, geschweige denn am Kai. Selbst die Spelunke zum baumelnden Wachmann war stockduster und menschenleer in der Ferne. Seit Nikos Verschwinden war es nicht mehr dasselbe im alten Hafen.
An der Bucht angekommen ging ich mit ihm wortlos hinaus zu einer der verfallenen Piers. Dort standen wir eine Weile nebeneinander und sahen hinaus auf die sich zum Meer hin öffnende Bucht. Dann sprachen wir von unserer jeweiligen Heimat und wie wenig wir doch,im beinah freundschaftlichen Spaße, von der Heimat des jeweils anderen hielten. Von Steppe und See. Gewiss, er war ein Eidbrüchiger und Jure - trotzallem hatte ich Respekt vor ihm, seiner Willensstärke und Entschlossenheit. Die meisten Amhraner wären geflohen oder hätten geleugnet, je einen Eid geschworen zu haben. Doch nicht Baghatur, der Jure.
Die Zeit am Pier nutze ich aber nicht nur für sentimanetale Gespräche über Arys oder unsere Heimat. Vielmehr prüfte ich das, weswegen ich eigentlich mit Baghatur hergekommen war: Der alte Hafen war ein fehlgeschlagener Versuch einer Hfenanlage, versandet und Opfer der Tide. Die Strömungen eben jener Tide waren der Grund: Sie drückten an dieser Stelle die meiste zeit des Tages von See her Richtung Land. Doch es war immer noch ein Spiel von Flut und Ebbe - es gab auch den Sog hinaus in die See. Auf eben diesen spekulierte ich.
Meiner Sache sicher, trat ich schließlich hinter den Juren und löste das Amulett, das ich ihm einst zum Eid überlassen hatte und er mir vorhin zurückgegeben hatte, um es erneut an Baghatur zu geben. Wenn er zu seinen Göttern ging, sollte er es aufrecht tun. Mein Großvater hatte mich gelehrt, Rache nicht mit Hass und Zorn zu verbinden, denn sonst würde daraus rasch Willkür und Unbill, die auf die eigene Sippe zurückfallen würde. Ich vertrieb jeden Zorn aus meinem Inneren, atmete tief ein und aus, bis ich ruhig und besonnen war - dann zog ich den Katzbalger aus der Scheide an der Koppel meiner Dienstausrüstung. Wenige Augenblicke, nachdem Baghatur das Amulett wieder um seinen Hals gelegt hatte, umfing ich ihn fest mit meinem linken Arm um die Schultern und trieb ihm mit einer kräftigen, fließenden Bewegung den Stahl von unten her durch den Brustkorb hinauf. Damit er nicht in Schande starb, stützte ich ihn beim Niedersinken und trug Sorge, dass sein Gesicht nicht den Sand berührte. Hand in hand kniete ich so neben ihm, bis das Leben aus ihm gewichen war.

Baghatur war tot. Arys, meine Sippe, meine Ahnen - waren gerächt.

Ich rollte den Toten hinein ins Wasser und stieß ihn mit dem Speer hinaus, wo ihn die Tide erfasste und hinaus Richtung Meer fortzog. In nur zwei Atemzügen war er in der schwarzen Masse der See verschwunden.
Der See, in der auch Arys ihre letzte Ruhe gefunden hatte, ehe sie zu den Göttern zurückkehrte.

Den vom Blut getränkten Sand scharrte ich mit den Stiefeln und Baghaturs Speer ins Wasser und wusch die Blutspritzer, die sich trotz meiner Vorsicht an Ärmeln, Handschuhen und dem Wappenrock fanden, sorgfältig ab. Ebenso reinigte ich die Klinge des Katzbalgers penibel. Hernach sah ich zwar immer noch aus, als hätte ich mich mit jemandem geprügelt - aber das war in Ordnung. Stadtknechte verprügelten schließlich oft genug Missetäter und gemeines Pack.
Zufrieden und in dem Wissen, die Ehre der Domhnaills und das Gesicht Baghaturs gewahrt zu haben, begab ich mich in Richtung Wachstube und trat den Dienst zur Nachtschicht an, als wäre Nichts gewesen. Baghaturs Speer würde einen Ehrenplatz bekommen - das war ich dem stolzen Krieger schuldig.
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