Sulis Licht
#1
Die Tage zogen dahin wie Stunden. Es kam ihr vor als hielte jemand den Finger am Zeiger und drehte... und drehte... und drehte. An manchen dieser Tage war es Elda als würde ihr alles aus den Fingern gleiten. Alles bewegte sich zu schnell und sie bekam nicht zu fassen, was sie für wichtig erachtete. Es war als wolle man Wasser greifen und Wolken fangen. Sie redete und doch hatte sie das Gefühl es käme nicht bei ihrem Gegenüber an. Sie handelte, dennoch schien es keinerlei Auswirkung auf die Welt um sie herum zu haben. Sie betete zu ihren Göttern, die sich die Ohren zuzuhalten schienen, ihre Tochter verstoßend, noch ehe sie sie wahrhaftig in ihren Reihen aufgenommen hatten.
Der Krieg war wohl ein ausschlaggebender Faktor ihres jetzigen Zustands. Es riss an den Nerven aller und nach all den Monaten des Kämpfens und Wartens und wieder Kämpfens sank auch die Moral in den Keller. Es lag wie ein schweres Gewicht auf den Schultern aller und Zwang sie unter der Last immer mehr in die Knie. Oft fühlte es sich so an, als seien sie dem Siege nah. Greifanger lag beinahe schutzlos vor ihnen, man musste nur die Hand ausstrecken und es sich nehmen. Es wirkte so kinderleicht. Und dennoch schien der Konflikt kein Ende zu finden.
Der Geflügelte hatte das Fass nur weiter zum überlaufen gebracht. Es schwankte, drohte vornüber zu kippen und in einem Schwall seinen gesamten Inhalt zu verlieren. Das Resultat aus diesem Wust an Ereignissen war, dass sie nur noch damit beschäftigt war ihrem Leben hinterher zu hetzen, in dem festen Glauben daran, das es schon irgendwie wieder Besser werden müsse, als wären die Götter es ihr irgendwie schuldig.

Dies war einer der ersten Tage gewesen, an dem sie sich erlaubte aus ihrer Rüstung zu schlüpfen und einfach nur Elda zu sein. Ihre Kraft ließ stetig nach und sie brauchte einen Moment der Ruhe. Einen langen, tiefen Atemzug frischer Luft. Natürlich nagte das schlechte Gewissen an ihr, doch was hätten sie alle davon, wenn sie endgültig den Verstand verlor? Der Rotschopf spürte wie sich feine Risse durch das Mauerwerk zogen, das sie so fein säuberlich hatte aufgeschichtet. Niemand würde wollen, dass sie ihre Selbstbeherrschung verliert. Nicht weil es sonderlich gefährlich wäre, sondern weil es an diesem Punkt vermutlich kein zurück mehr gäbe und sie in den Schatten versinken würde. Der monolithische Schutzwall ragte zu allen Seiten in die Höhe. Zu hoch, als das sie wirklich mitbekam was auf der anderen Seite vor sich ginge. Doch sie hatte es sich genau so konstruiert wie sie es brauchte. Jahr um Jahr ein Stückchen höher... ein wenig dicker. Kein Tor, keine Tür. Wer reinwollte musste klettern oder das gesamte Gebilde einreißen. Sinnbildlich stand dafür nun das Leder und Metall an ihrem Körper, das sie Schicht für Schicht ablegte. Es wurde ihr in letzter Zeit immer mehr zum Ritual. Ein weiterer, kleiner Anker der ihren Verstand vom Abgrund fern hielt. Wer Elda kannte wusste das sie nicht der sorgfältigste Mensch war. Sie hielt nicht viel von Ordnung und Struktur. Wo auch immer sie gerade hausen mochte war das Chaos der alleinige Herrscher. Sie sprach wie ihr der Mund gewachsen war und hielt sich nur dann an hierarchische Strukturen, wenn sie es selbst für angemessen empfand. Doch diese wenigen Minuten des Tages, wenn ihr nicht gerade ein Mann die Kleider von Leib riss, sondern sie sich selbst entkleidete, handelte sie mit einer Sorgfalt, die Mithras selbst anerkennend nicken lassen würde - Nicht wirklich, aber sie stellte sich gern vor dass es so wäre. Jede Schnalle und jeder Knoten wurden in einer ganz bestimmten Reihenfolge geöffnet. Und für jeden Handgriff ließ sie sich Zeit. Eine Mauer riss man ja auch nicht in wenigen Minuten ein. Jedes Stück der harten Schale fand einen bestimmten Platz. Sorgfältig gefaltet und zusammengelegt. Nie war sie verwundbarer als in diesen Momenten. Hier ließ sie jedwede Verteidigung sinken und übrig blieb nur das blasse, galatische Mädchen aus dem alten Hafen. Ihr geschundener Körper glitt in das aufgeheizte Wasser und ihre Haut kribbelte als sich ihre Muskeln unter Einwirkung der Wärme entspannten.

Ihre Mutter hatte stets Geschichten auf Lager gehabt. Geschichten von großen Helden und schönen, starken Frauen. Sagen und Mythen die sich um die einundzwanzig Götter drehten. Es waren Märchen für kleine Kinder, Lieder die auf Festen gesungen und Fabeln die bei Sermos erzählt wurden. Sie hörte nach all den Jahren noch immer ihre klare Stimme und wie Diese dahin plätscherte wie ein kleiner, schmaler Bach, der schon beim ersten Frühlingsregen drohte überzulaufen. Elda war von Sulis geküsst worden, so erzählte man es ihr später. Sie sei schon mit einem rotblonden Flaum geboren und hatte die Welt kämpferisch erkundet, als würde sie keine Herausforderung scheuen, die man ihr entgegen schleudert. Sie war das erste Mädchen gewesen das sich getraut hatte den kleinen Tyrannen Eyrik zu prügeln, als er ihre selbst geschnitzte Angelrute geklaut und zerbrochen hatte. Und sie war das erste Mädchen das man danach nicht trösten musste weil es sich weh getan hatte, sondern weil man sie von ihm wegriss ehe sie fertig mit ihm war. Sulis war stehts in ihrem Herzen gewesen. Näher als jeder andere Gott in ihrer Kindheit. Das Auf- und Untergehen ihres Sonnenrades gaben diesem kleinem galatischen Mädchen den Rhythmus, den sie brauchte um nicht vor Langeweile umzukommen. Es hielt ihre Welt in Bewegung. Gemeinsam mit der Sonne stand Elda jeden morgen auf und legte sich ins Bett sobald diese unterging. Dazwischen schien sie ihr gleißendes Licht auf den roten Schopf des Kindes und hatte ganz genau im Auge was es an jenem Tage anstellte. Elda hatte sie sich früher immer wie eine große Schwester vorgestellt. Und des Nachts, vor dem Schlafen, erzählte sie ihr immer ihre neusten Geheimnisse und ihre tiefsten Gedanken. Mutter hatte ihr von Sulis Liebesgeschichten erzählt und wie jeder Mann, der glücklich genug war ihr Antlitz betrachten zu können, am Ende doch zu Asche verbrannte. Denn niemand war Mann genug die ewige Flamme zu bändigen. Sulis wartete seit tausenden von Jahren auf ihren Sonnenkönig, dem Mann der sie berühren konnte ohne sich die Finger zu verbrennen. Doch er kam nicht. Und das war auch nicht schlimm, denn starke Frauen die Sulis Licht in ihren Seelen trugen, brauchten keinen Mann für ihr Glück.
Warum Elda genau in diesem Moment an ihre Mutter, ihre Heimat und diese Geschichten dachten, wusste sie nicht. Doch die Gedanken waren nun schon einmal da, also konnte sie auch ein wenig darin schwelgen. Prenne war so unendlich fern und ihre Erinnerungen war die einzige Möglichkeit die alte Heimat zu besuchen.

Die Geweihte erinnerte sich kaum daran wie sie aus dem Wasser gestiegen war und sich nur halbherzig abtrocknete. Wie eine Keule auf den Hinterkopf, traf sie die Müdigkeit nun kritisch und vernebelte ihren Geist. Im Zusammenspiel mit dem Alkohol in ihrem Blut ergab das genau die betäubende Wirkung, die sie in jeder anderen Nacht schmerzlich begehrte. Sie hatten sich gegen ihren Geist verbündet und verlangten ihren Muskeln den Gehorsam ab. Sie legte sich zwischen die Felle. Ein wohliges Gefühl kam in ihr auf als ihre nackter, noch klammer Körper sich auf die Bettstatt niederließ und sie sich in die weiche Umarmung des Schlafes begab. Sie konnte nur hoffen das Sulis' Kuss die Schatten für eine Weile fern halten würde.

Die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt. Bei Elda jedoch starb sie seltsamer weise immer als erstes. Und meist eines grausamen Todes. Sie schlief zügiger ein als sie gedacht hatte. Müde Knochen und ausgelaugte Muskeln forderten ihren Tribut und sogen sie in die Tiefen der Traumwelt. Und sofort landete sie auf dem harten Boden ihrer eigenen Realität. Sie würde keinen seligen Schlaf finden. Hier war sie wieder allein. Hier war sie fort von ihrer Welt, weit entfernt von ihren Göttern. Inmitten ihrer eigenen kleinen Hölle, welche die ständigen Träume ihr geschaffen hatten. Es kam einem perfiden Kreislauf gleich. Immer die selben Bilder hintereinander. Sie konnte inzwischen fast schon vor dem Schlafen benennen wer oder was heute dran sein würde. Doch in den letzten Tagen hatte sich, still und heimlich, etwas in diesen Kreislauf geschlichen. Ihn gänzlich durcheinander gebracht. Vielleicht gar gestoppt. Und sie war gefangen in der Dunkelheit. Wäre es doch nur die wohlige Schwärze eines traumlosen Schlafes gewesen!

Der Raum ist winzig. Eher einem Erdloch gleich, denn einem richtigen Bauwerk. Und doch waren die Wände behauen. Kalt und glatt, wie die Dunkelheit die hier herrschte. Wie die Worte die hier gesprochen wurden. Oder wurden sie nur gedacht? War sie allein oder lauerte Er in einer der Ecken?
'Cause it's all in the heat of the moment
It's all in the pain
So give in to the heat of the moment
Give in to the pain...


Deadhead - Devin Townsend


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