FSK-18 Was danach kommt...
#1
13. Hartung 1399 - Südwald

"Ackermann!" Rief die bekannte Stimme und ich wischte mir einmal den Schweiß aus dem Gesicht, den mir Sonne und Arbeit in die Züge trieb und der meine Augen brennen ließ. Daraufhin presste ich meine Rückhand gegen die Stirn und sah mit zusammengekniffenen Augen der Abendsonne entgegen und dem Schatten, der durch sie immer näher kam. 
"Ackermann! Das musst du sehen, es ist zum Totlachen! Der Müllersjunge wird von seiner Mutter übers ganze Feld gejagt, mit einer Pfanne, stell dir das vor!" Ich konnte nicht reagieren, so schnell hatte mich Albert am Handgelenk gepackt und zog mich stolpernd hinter sich her. Er lachte bereits obwohl wir noch nicht einmal da waren und ich fragte mich kurzzeitig ob er mich überhaupt wirklich kannte. 
Als wir ankamen standen bereits die anderen Kinder von den nahe liegenden Höfen in Reih und Glied und zeigten mit dem Finger in die Richtung des Jungen der weinend über das Feld rannte um seiner ausdauernden Mutter zu entkommen. Das Gelächter nahm mehr und mehr zu und als er die Pfanne auf den Hintern bekam war es um die Gaffer geschehen. Sie jubelten und hielten sich vor Erschöpfung die Bäuche. Nur ich stand da und starrte ohne irgendwie darauf einzugehen. Ich fand es nicht witzig. 
"Ackermann, das ist komisch, nun lach'!" Albert boxte mir leicht gegen die Schulter und deutete erneut in die Richtung des Schauspiels, als hätte er angenommen ich hätte es nicht gesehen und würde deswegen nicht reagieren.
"Lass sie, Albert. Sie hält sich für was besseres." Rief dann eines der Mädchen. "Oder sie ist zu dumm, einfach zu dumm!" Rief ein weiteres Mädchen und das Gelächter nahm erneut zu. Albert wirkte verhalten, sah unbeholfen zu Boden und nuschelte irgendwas. Er meinte immer er würde gerne reagieren wenn sie so gemein wären aber er hatte Angst. Ich verstand nicht einmal warum er mit mir sprach, ich hatte nicht einmal etwas gegen ihn in der Hand. Also nichts weswegen er nett zu mir sein musste. Aber er war auch nicht sonderlich ansehnlich, vielleicht wollte er sich alles offen halten und kurzzeitig dachte ich, dass das eigentlich ein kluger Schachzug von ihm wäre, bis die Mädels, deren Namen ich mir nie merken konnte, erneut in meine Richtung sprachen: "Ey, Ygritte, bist du dumm oder so?"
"Ich gehe." Ich glaube das war das erste was ich an diesem Tag gesagt hatte, vermutlich wirkte es deswegen wie ein Krächzen und als ich mich abwendete hörte ich noch wie sie Mutmaßungen anstellten ob ich nun weinen würde. Und das verstand ich noch weniger als die Tatsache, dass es lustig ist wie ihr Freund von seiner Mutter den Arsch aufgerissen bekam. Aber sie lachten auch über die Tochter vom Bäcker, die einfach dick war weil sie eben gerne das kostete was ihr Vater backte. Ja gut, dann war sie dick, den Witz hatte ich halt trotz allem nicht verstanden. Sie waren aber auch nicht so wertvoll in meinem Leben, als dass ich mich genauer informieren wollte. Es interessierte mich nicht. Also stellte ich mich wieder aufs Feld und zog die nächsten Kartoffeln aus der Erde um sie in den Korb zu werfen. 

"Hast du was schönes erlebt heute, Ygritte? Ich habe dich bei den anderen Kindern stehen sehen." Mit einem müden Lächeln schob meine Mutter mir die Kartoffelsuppe etwas näher, dass ich fürchtete sie würde gleich auf meinem Schoß landen.
"Nein." Ich schob mir schnell zwei Löffel Suppe in den Mund, nicht etwa weil mir die Unterhaltung unangenehm war, sondern weil sie annahm ich würde ihr Essen nicht wollen.
"Habt Ihr nicht geredet?" 
"Sie haben geredet. Sie glauben ich sei dumm, weil ich nicht lache." Erneut ein Löffel.
"Ach, das ist doch quatsch, lass dich da nicht ärgern! Du bist ein kluges, nettes Mädchen!" Sie haute einmal auf den Tisch, wodurch vermutlich die Holzwürmer aus Nettigkeit ein Bein hoben um Reaktion zu zeigen. Sie war wirklich schwach geworden in den letzten Wochen und das bewegte mich kurz dazu sie nur anzustarren. "Sei bitte nicht traurig."
"Ich bin nicht traurig, Mutter." Mit einem Seufzen stand sie auf und tätschelte meine Schulter und griff dann nach meinem Teller, er war noch nicht einmal leer, aber sie hatte vor ihn aufzufüllen und ich wünschte mir sie würde sich so sehr bemühen ihren Teller zu leeren, wie sie meinen füllte.


"Widerspreche nicht der Wahrheit, sondern dulde den Spott,
wenn dich die Sache nicht getroffen hat."
Zitieren
#2
13. Hartung 1400 - Südwald

"Brauchst du etwas zu trinken, Mutter?"

Ich kannte die Antwort schon und nickte nur einmal und verließ wieder das Zimmer, ließ die Tür aber einen Spalt offen, so dass ich sie im Nebenraum hören konnte, sollte sie rufen. Ich stellte mich an die Arbeitsplatte und begann damit sie routiniert zu reinigen. Ich hatte sie bereits gereinigt, mehrfach und das Holz sah an manchen Stellen schon abgenutzter aus als vorher. Aber ich empfand es als dreckig, ich dachte man müsste noch ein wenig mehr wischen.

"Brauchst du etwas zu trinken, Mutter?" 

Sie antwortete eine halbe Stunde später wieder nur mit einem Kopfschütteln und ich blieb dieses Mal noch etwas länger in der Tür stehen. Ihr Gesicht war eingefallen und der Körper sogar zu müde um die Nase hoch zu ziehen. Obwohl sie Fieber hatte sah sie aus wie jemand, der eher noch mehr Decken brauchte. Aber mehr Decken hatten wir auch nicht im Haus. Also drehte ich mich wieder um, stellte mich erneut an die Arbeitsplatte und griff nach dem Leinenlappen. 

"Ygritte?" 

Ich unterbrach die Bewegungen mit der Hand und starrte eine Weile zum Fenster, als wollte ich nicht das sie meinen Namen aussprach. Es war wie ein Vorbote den ich nicht haben wollte. Und so starrte ich noch eine Weile, eine viel zu lange Weile, denn als ich den Raum betrat, war es kälter als sonst und sie war nicht mehr bemüht den Kopf in meine Richtung zu drehen. 

"Brauchst du etwas zu trinken, Mutter?"

Keine Reaktion. 

22. Brachet 1405 - Löwenstein

"Gerwulf, du schnarchst wieder..." Ich drehte mich wie aus einem Reflex zur Seite und holte lasch mit der rechten Hand aus. Aber alles was meine Handfläche berührte war kaltes Holz. Er war nicht da. Wie auch, er wohnte nicht hier. Ich wohnte hier und alles um mich herum wirkte so leer und doch so, als würde es mich ersticken. Ich atmete ein paar Mal tief durch, schloss die Augen wieder und versuchte erneut ins Land der Träume zu sinken, doch es klappte nicht. Also griff ich nach dem Stück Papier, welches ich eben immer griff wenn mir unbehaglich zu Mute war und ich hoffte etwas wie Halt darin zu finden.


Zitat:"Ygritte,

der Schmied hat gesagt, die größte Waffe schützt vor den meisten Feinden. Ich war deine größte Waffe, ich kann dich nur nicht mehr schützen aber vielleicht dieser Hammer. Größer ging es nicht.

Unhandlicher auch nicht, wirst du nun sicher sagen. Ich habe keine Ahnung davon, wirst du sagen.
Das stimmt. Aber ich habe ihn dir trotzdem gekauft.

Du bist ein wundervolles Mädchen,
Mama." 

Mein Arm fiel zur Seite und ich merkte wie die Tränen links und rechts an meinem Gesicht hinab liefen und in das widerwärtige Fuchsfell tropften. Ich zerknautschte ein wenig das Papier und wusste nicht ob ich wütend auf mich selbst war oder wütend über die Zeilen die diesmal nichts halfen. Ich konnte ohne dieses verdammte Schnarchen nicht schlafen.
Zitieren
#3
14. Hartung 1399 - Südwald

"Wenn du das Gefühl hast, irgendwo um dich herum droht Gefahr, dann lauf." 
"Aber was ist wenn ich mich irre?"
"Meistens irrt man sich da leider nicht."
"Aber sagtest du nicht, man sollte an das Gute glauben?"
"Wenn das Gute eine Klinge hält und sie dir an die Kehle drücken will, dann nein, mein Schatz, dann nicht."
"Also laufen."
"Laufen." 

23. Brachet 1405 - Löwenstein

+ Träume + 
Es war seltsam das Ganze von oben zu sehen, als wäre ich in einem Theater, witzig - als wäre ich jemals in einem Theater gewesen. Ich betrachtete mich selbst wie ich auf dem Tisch saß und mit den Beinen wackelte und Fragen über Fragen stellte. Ich war guter Dinge, ich war gut gelaunt aber mir fiel nicht auf, dass es bei ihm nicht so war. Nun konnte ich es klarer sehen, seltsam. Er war unruhig, sah immer wieder zu Tür, wie jemand der sich verfolgt fühlte. Er war nicht bei der Sache, etwas Anderes war präsenter bei ihm als meine Fragen oder meine Anwesenheit und bei der Betrachtung drängte sich ein unwohles Gefühl in meinen Magen und ich verspürte das Gefühl zu rennen. Doch dann stand er auf, daran erinnerte ich mich noch. Er kam auf mich zu, stellte sich zwischen meine Beine und zwängte mich ein. Das hätte theoretisch nun der Beginn eines schnulzigen Romanes sein können aber das war es nicht. Seine Hand drückte sich auf meinem Mund. Ihm waren die Fragen zu wider. Ich sollte schweigen und er hatte eine seltsame Art mir das mitzuteilen. Als ich so zusah wie wir dort waren, neigte ich den Kopf ein wenig zur Seite. Ich wusste das es so geschehen war aber ich sah viele Dinge, die ich in diesem Moment nicht wahr nahm. Er kämpfte, aber nicht gegen mich. Dann sah ich meinen Körper zucken.

So war das aber nicht.

Er hielt mir nicht nur den Mund zu sondern auch die Nase. Das hatte ich so nicht in Erinnerung. Eigentlich war es doch anders. Und dann sah ich zu wie er die andere Hand an meine Kehle legte. Er drückte zu, ungerührt und in seinem Gesicht wirkte es so, als hätte er irgendeine Schlacht verloren, sich hingegeben, aufgegeben. Meine Arme schellten in die Höhe und griffen an sein Handgelenk, ich versuchte mit den Füßen zu nach ihm zu treten aber ich war zu schwach. Natürlich warst du zu schwach, dachte ich mir beim zusehen, der Hammer war ja auch irgendwo anders und ohne bist du ein lächerliches Geschöpf. Ich konnte zusehen wie mir irgendwann die Kraft ausging und meine Arme hinab fielen. Ich konnte mein Gesicht nicht sehen aber ich nahm an Angst zu haben aber sein Gesicht änderte sich nicht. Es war nicht sein Gesicht. Das war nicht er.

So war das aber nicht.

Ich fiel auf den Tisch zurück und dann sah ich meine Augen, verquollen von den Tränen und leblos. Dann sah ich zurück zu ihm, in der Erwartung es würde irgendwas bei ihm bewegen, irgendeine Reaktion entlocken, aber es passierte nichts. Er stand da und starrte mich an wie jemand der noch nicht fertig war. Aber wieso? Ich war doch bereits tot? Seine Hände griffen neuerlich vor...

SO WAR DAS ABER NICHT! 

- - -

Ich schrie nicht im Traum, sondern das was ich sah schreckte mich auf, ließ mich das leere Haus zusammen schreien und ich rappelte mich auf, krabbelte hilflos über den Boden und griff nach meinem Hammer der in der Ecke stand. Ich griff nach meinem Hammer, setzte mich in die von ihm 'vorgewärmte' Ecke und versuchte an das Gute im Menschen zu glauben oder einfach nur daran, dass Träume nur Träume waren. Wenn du das Gefühl hast, irgendwo um dich herum droht Gefahr, dann lauf.
Zitieren




Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste