FSK-18 Fügung
#1
Feucht und karg mochten sie wirken, die Kellergewölbe des einen Tempels, die mich doch in ihren sanften Bann zogen, mich lockten, sie zu entdecken, ihnen in ihrem Lied aus Stille und  Schatten zu lauschen, in die sie einst gewoben, nun friedlich schlummernd unter den schweren Steinen, aus denen Löwenstein erstand, auf Erweckung warten. Ihr Ruf, er drängte mich, zwang mich an ihre Seite und ließ mich ihre Stille neu erlernen, während in der Ferne nur das Laute und das Getöse zu finden war - der Krieg. Ich legte eine Hand an den kargen, kalten Stein und schloss die Augen, während sie, sonst ein Zustand, nun eine begehrenswerte, geräuschlose Manifestation, mir von ihrem Sein ein Lied zu singen begann, der Stille, der Einkehr, die mich an diesen lichtlosen Ort trieb, der den Prunk der Gegenwart vermissen ließ.

Wie in die Wiege meiner Geburt gebettet, verformt zu einem Säugling unserer Welt, der sich auf ein Neues in das Erleben seiner Existenz stürzt, ertasten meine Finger die Gewölbe neu, schmecken die erdige Luft und folgen den jahrhundertealten Fugen dieses grauen Spiegels bis zu den Beschlägen der alten Türe, die für mich nicht mehr nur ein Ort an Kuriositäten, Grauen und Abscheulichkeiten ist, sondern gleichwohl auch die Pforte zur Erkenntnis, die alles verändert. Immer und stets waren es die Lieder, die mich riefen, die mich in mich selbst vertieften und einem liebevollen Wahnsinn gleich, die Pforte zum Elysium etwas weiter öffneten.

Als ich das Aufschnappen der schwere Klinke höre, überschwemmt eine Empfindung meinen Geist, die es hinfort zieht, es in die jahrhundertealten Mauern meiner Umgebung zieht und dort versanden lässt, wie ein versunkenes Schiff, deren Schätze erst wieder offenbart werden können, wenn die Ozeane ausgetrocknet und die Welt in Flammen verschlungen worden ist. Die Klinke ist nun fern, die Pforte ist geöffnet und ich sehe die Regale, die Artefakte, diese Welt aus Dingen, die einem weniger starken Geist das Blut gefrieren und den Verstand der Zerstörung preisgeben würden, nur für den Moment eines Lidschlags, drängt sich doch die Erkenntnis auf, dass selbst dieser Raum nichts weiter ist als eine Illusion, ein veränderbares Rad im Uhrwerk von Mithras’ Ordnung. Ich erkenne das in Form gepresste Chaos, die chaotischen Wirbel einer Welt, in der vielleicht alles möglich, aber nichts sicher ist. Ich sehe durch diesen Vorhang, der sich wie ein Nebel lüftet, mich eine andere Luft atmen lässt, als die Steine mich glauben ließen, meine Finger tasten die Regale ab und erspüren ein anderes Holz und als ich den Blick durch den Schleier richte, spüre ich Tränen meine Wangen hinabrinnen, kann mein Geist doch nur langsam begreifen, was er sieht. Ich widerstehe dem Choral nicht, der meine Ohren füllt, ich wende den Blick nicht ab - soll das Licht des Einen mich blenden, so verliere ich mein Augenlicht im Wissen, dass es Perfektion gesehen hat, eine wundervolle Ebene des Seins, die unser Jetzt, selbst unsere Vergangenheit und die Zukunft so klein wirken lässt, dass sie mich taumeln lässt.

Meine Hände finden Halt im Nichts des Raumes, dessen Realität ich anzweifle, mein Taumeln ist Einbildung, unterdiszipliniertes Verhalten eines Leibes, der gelernt hat, an das Hier- und Jetzt zu glauben, es als gegeben hinzunehmen und sich seinen Regeln zu unterwerfen. Die Chöre, der Gesang in meinem Kopf hebt weiter an, wächst sich zu einem Opus aus, der die Welt weiter übertönt, während meine Augen nur das Licht sehen, auf welches sie sich richten und das Gefühl von endloser Heiligkeit und Herrlichkeit mich leicht werden lässt. Die Welt ist aus den Angeln geraten, in neuer Ordnung zusammengefügt und nach dem Vorbild des Lichtbringers geschmiedet worden.

Einen Atemzug später erwache ich mit dem Kopf auf einem schweren Folianten, an dessen Inhalt ich mich nicht erinnern kann. Ich versuche ihn zu lesen, doch die Worte finden keinen Platz in meinem Kopf. Meine Lippen formen die Lieder, die mir eben noch so real vorkamen, als könnte ich die Kinder sehen, deren zarte Stimmbänder Lieder von ungezügelter Heiligkeit formten. In meiner Hand, eine Notiz. Die Nachricht eines Anwärters, dass meine Schwester im Kampf verletzt worden ist. Sie wird sich erholen. Heiliges Fleisch ist frei von den Gefahren, die den Tod umwittern, stellt sich ihm entgegen wie eine Naturgewalt aus Licht und Glaube und schlägt ihn in die Flucht. Und gelingt ihm doch, mit List und Tücke, eine heilige Seele aus dem Kreise der Gläubigen zu reißen, so beweine ich sie nicht, denn sie erwartet das Elysium, wo wir alle einander sehen und mit Mithras darauf harren werden, dass wir wieder in das Assam hinabfahren, als gleißende Sterne, die mit der Wucht des Lichtbringers auf den Boden aufschlagen und die Erde auftun, wo die Dunkelheit wohnt, sie nach oben zwingen und versengen unter dem Flammenmeer, das wir in beiden Händen mit uns führen.

“Nein.”, stammle ich mit der Fahrigkeit eines Mannes, der erst langsam die Gewalt über seinen Körper zurückgewinnt. Mein Platz ist hier, zwischen den Zeilen. An den Stufen der Pforte des Elysiums.
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#2
Freund aus Stahl.
Ich erwarte den Schlaf mit einer zwanghaften Beharrlichkeit, die nur aus Jahrzehnten gelebter Gewohnheit resultieren kann. Keinesfalls, so stelle ich fest, ist mein Versuch einer Nachtruhe ein Ergebnis von Notwendigkeit - obwohl die Kampfhandlungen des heutigen Tages, zumindest jene in den Koboldminen, dies eigentlich diktieren müssten. Ich verbanne diese weltlichen Pflichten jedoch mit der Impertinenz eines indoktrinierten Fanatikers, der ohne Scham um seine eigenen Scheuklappen weiß, sie sogar bisweilen abnimmt, wenn es erforderlich scheint. Während halb Amhran sich noch immer in Sorge ergeht, ob die Wüstenkinder überhaupt zu schlagen sind, scheinen mir derartige Zweifel fern.

Bis der Mantel der Nacht sich über Löwenstein gelegt und das Reich sich einmal mehr der Stille des zwielichten Zwischentages preisgegeben hatte, ist mir nicht klar, warum meine gottergebene Selbstsicherheit mich bislang unversehrt und wie eine Naturgewalt durch die schwarzen Körper Indharims hatte wüten lassen. Wenngleich Zweifel an meinem Glauben mir so fern sind wie dem Blinden das Augenlicht, so bemerkenswert ist doch der stete Kontrast zwischen mir und … dem Rest der Welt. Die Worte meiner Schwester, dass die Gefahr Indharims darin liegt, das schwarze Volk zu unterschätzen, zeugen von Weisheit, sind aber auch von der Furcht ihrer eigenen Erlebnisse geprägt. Hier, in meiner Kammer und in tiefster Nacht, erlaube ich mir, derlei fehlbare Empfindungen von meinem Geist zu schälen und mich in das Fruchtfleisch dessen vorzuarbeiten, was das Volk Indharims wirklich ist: Menschlich. Fehlbar. Besessen.

Die vielen kohlegleichen Leiber, mit eigenem Blut besudelt und zwischen den Aberrationen ihrer finsteren Magie liegend, zeigen mir die Sterblichkeit und Fehlbarkeit ihres Tuns. Ich erinnere mich der Probleme, die unsere Streitmächte anfangs mit dem Wüstenvolk hatten und doch ist mittlerweile unübersehbar, dass die lange Zeit des Feldzuges, die vielen Ländereien, die sie auf dem Weg bis nach Servano hätten sichern müssen, sie aufgerieben hat. Sie sind eine flüchtige, fleischige Masse an fehlgeleiteten Kreaturen - unumkehrbar auf einem Pfad verloren, dessen Ende für sie nur der Tod unter Mithras’ wachem Blick sein kann. Ich habe meine Klinge heute nicht gereinigt - denn sie soll Witterung aufnehmen. Sie soll sich die Beschaffenheit des Blutes einprägen, welches ich am heutigen Tage aus den Körpern der Sandfressern geschnitten habe und in die Welt ausfahren ließ. Sie soll sich daran laben und demeinst, wenn sie wieder gegen das schwarze Volk erhoben wird, von den Toten singen, die sie bereits eingebracht hat. Im Zwielicht der Nacht zeichnen die eingetrockneten, blutigen Schlieren auf der Klinge Muster, die einer Wolkenformation eines Sommertages gleich kommen. Ich denke an grüne Wiesen, denke an meine Heimat und daran, auf einer Decke eine Mahlzeit aus Brot, Käse und Trauben zu mir zu nehmen und mich zu fragen, mit welchen Taten ich diese Eintracht verdient habe. Meine gesamte Familie wohnt diesem Augenblick bei und ich bemerke, dass es der Fetzen einer längst in den Hallen des Mithrastempels verschollenen Erinnerung ist, die zu dem Leben gehört, welches ich mit Aufnahme meines Dienstes in die Sonnenlegion hinter mir gelassen habe. 

Es ist ein Moment, der nur noch in meinem Kopf existiert und in dessen Hintergrund die süßlich-schmerzhafte Erinnerung pocht, dass er sich nie wieder so erleben lässt - insbesondere nicht mit Mutter, die ihr Leben vermutlich für eines dieser Wendigo-Rituale lassen musste. Wo ich mir selber auferlege, Hass zu verspüren, tue ich mich schwer mit so einfach gestrickten Empfindungen, solch’ selbstsüchtigen Niederungen des eigenen Seins, die nur auf die Befriedigung der eigenen Rachelust aus sind. Sie stehen hinter der großartigen Gerechtigkeit zurück, die in jedem toten Indharimer liegt und die damit ein Ende finden wird, dass das Reich der verbrannten Lande, das Wüstenreich der Sandfresser, unter Mithras’ Faust untergehen wird. 

Ich ertappe mich bei einem mitleidigen Blick auf mein Rüstzeug - im Gegensatz zu meiner Klinge bereits penibel gereinigt - und verstehe endlich, dass meine empfundene Unverwundbarkeit gegenüber des Ketzervolkes nicht alleine das Ergebnis meiner Wehr und meines Trainings ist. Es ist Mithras’ Wille, ausgedrückt und geformt durch die Handlungen meines Leibes. In einem Anflug von Hybris frage ich mich, wie groß die Verzweiflung der Barbaren aus Indharim wohl wäre, würde ich ihre Körper in der Tat mit einer Sense vom Schlachtfeld ernten, ihre Sünde entzwei schlagen wie ein Bauer die Ären vom Korn trennt und am Ende ihre Seelen einbringen, um sie in die Mahlsteine des Purgatoriums zu werfen, wo aus ihren imperfekten Seelen am Ende Makellosigkeit hervorgebracht wird - oder aber im Zerrieb der Ewigkeiten die Fäule ihres Wesenskernes einzig den Abstieg ins Abyss erlaubt. Ich finde Gefallen an diesem Gedanken und erlaube die anmaßende Entgleisung dieser Vorstellung - zumindest für die heutige Nacht. 

Als ich meine Augen schließe, trifft mein Blick ein letztes mal auf meine besudelte Klinge, von der ich mich nun beobachtet fühle. Vielleicht sollte ich mich um ein weiteres Mordwerkzeug bemühen, welches ich meinem verdienten Schwert beistellen kann - die Einsamkeit meines Stahls ist in dem Anflug des Augenblicks, in welchem ich diesen Gedanken fasse, beinahe zum Schreien deutlich. Abgelenkt genug und endlich vom Zwang befreit, in den Schlaf zu finden, schließen sich meine Augen, ohne dass ich es merke. Der Gedanke, von meiner Klinge beobachtet zu werden, mahnend, wachend, hält an, ehe das lange Nichts eines traumlosen Schlafes mich umfängt und das letzte was ich spüre, ist der erhöhte Herzschlag einer Person, die nichts dagegen tun kann.
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