Götterreisen
#21
Gebet an die Schicksalsgötter

Oh, wie sie diese Frau verachtete!

Die Gedanken wirbelten durch ihren Kopf, auf dem Weg zurück. Erinnerungen stiegen auf. Der Empfang der Delegation anlässlich der Konklave '01. Wie ein läufige Hündin hatte sie sich präsentiert vor dem Herzog, an Peinlichkeit kaum zu überbieten. Und dann ihre Abkehr. Kaum, dass es Gerüchte gegeben hatte, dass der Patriarch sich zurückziehen würde, war sie vor anderen gekrochen, nicht schnell genug konnte sie damals das eine Abzeichen gegen das andere tauschen. Eine Opportunistin, wie sie im Buche stand, nichts anderes, als eine Verräterin. Verräterin an ihrer selbstgewählten Familie, Verräterin an ihrem Volk - wie Cois es nannte - Verräterin an ihrem Glauben.

Sie hasste sie nicht, das wäre zuviel der Ehre gewesen, denn für Hass hätte man zuvor Liebe empfinden müssen. Und doch, nach all den Jahren, war sie erstaunt darüber, wie wenig Souveränität diese Frau hatte, wie wenig Selbstsicherheit, trotz all ihrer Macht. Würde der Feind siegreich sein, dann wäre sie wohl die erste, die vor ihm auf dem Boden kriechen und die fremden Gottheiten anbeten würde, um ihr armseliges Leben und ihre Stellung behalten zu können. Persönliche Dinge für das Wohl der Gemeinschaft hintan zu stellen, selbst das hatte sie in all den Jahren nicht gelernt.

Mittlerweile war sie oben am Opferstein angekommen, nachdem sie noch einige Utensilien eingesammelt hatte. Sie atmete einige Male tief durch, um ihre Gedanken zu ordnen, sich auf das Gebet vorzubereiten, Ruhe einkehren zu lassen, ehe sie in die Zwiesprache mit ihren Göttern trat. Dann kniete sie sich hin, stellte den Beutel neben sich und holte eine noch feuchte Auster hervor, öffnete sie mit der Spitze ihres Dolches, klappte sie auseinander und legte sie auf den Opferstein:

"Chronos, Herr des Wassers, erhöre deine Tochter!" erklang ihre Stimme artikuliert und fest, den Kopf dennoch demütig gesenkt. "Hilf mir und schick dieser Frau deine Wasser, auf dass sie verfolgt werde davon! Sie ist eine Verräterin an dir, an ihrem Volk und an uns, den Gläubigen, und an allem, wofür wir stehen!" Hier machte sie eine kleine Pause und schloss die Augen. Bilder zogen vorbei. Bilder von einem alten Mann, einer Schwanenfeder, verlorener Liebe und starken Armen, die sie aus dem Nass retteten. Ein schwarzer Flügelschlag, das aufstoben und herumwirbeln von Rabenfedern und sie öffnete die Augen wieder.

Der nächste Gegenstand wurde aus dem Beutel geholt, ein Flachmann. Sie schraubte ihn auf, hielt die Öffnung über die Auster und während sie ihr nächstes Gebet sprach, tröpfelte der Inhalt langsam über die geöffnete Schale:

"Branwen, Gott des Rausches und der Leidenschaft! Erhöre deine Tochter! Lass diese Frau vertrocknen, wie eine wurmstichige Pflaume! Lass sie schrumpelig, verbittert und trocken werden, wie diese Pflaume, die niemand mehr essen möchte, weil sie runzlig und verdorben ist! Sie hat dich verraten, Branwen!" Und nachdem sich der Inhalt des kleinen Flachmanns ganz über die Muschel ergossen hatte, schloß sie wieder die Augen und ließ die Bilder auf sich einstürmen, Branwen ganz nahe. Lust, unsägliche Lust durchfloß ihren Körper für einen Moment, das Gefühl von wilder Leidenschaft und Extase durchzuckte sie, ehe es vom schwarzen Flügelschlag aufgelöst wurde.


[Bild: gebet1ehsvg.png]

Ein dritter Gegenstand wurde nun auf der Schale platziert. Einen Moment starrte sie auf den mondschimmernden Opal, ehe ihre Stimme erneut erklang:

"Galates, erhöre deine Tochter! Nimm dies als mein Opfer und erinnere dich an diese Frau, die dich und dein  Volk verraten hat! Schick ihr die Nachtmahre und Albträume, entziehe ihr den Schutz deiner dunklen, nachtschwarzen Schwingen, lass sie in ihren Träumen erzittern und Leid erfahren. Nimm ihr den Schlaf, oh mein geliebter Galates, auf dass Gerechtigkeit einkehre und sie für ihren Verrat gestraft werde!" Ihre Augen schlossen sich und beruhigende Schwärze breitete sich in ihr aus. Gedämpfte Geräusche, leises Wispern, das Rufen eines Käuzchens in weiter Ferne und dann das sanfte Licht des roten Mondes, tausendfach gespiegelt auf den leichten Wellen des Meeres. Der sanfte, schwarze Flügelschlag eines Rabens wischten die Gedanken und Bilder hinfort.

Nun musste sie die Herrin anrufen, sie atmete tief durch. Sie war sich nur allzu sehr bewusst, wie schwer es war, ihre Aufmerksamkeit zu erregen, ihre Gunst zu erlangen und dennoch gehörte sie ebenso wie die anderen zu ihren Göttern. Wieder fand der Dolch in die rechte Hand, sie krempelte den linken Ärmel hoch, und setzte die Spitze kurz unter der Innenseite des Ellenbogens an, ehe sie die Klinge in einem geraden Schnitt nach unten zog, auf die Handgelenke zu, wohlweislich darauf bedacht, die Runen nicht zu beschädigen. Scharf zog sie die Luft zwischen den Zähnen ein, als der Schmerz aufflammte, dann streckte sie den zitternden Arm über die Opferschale der Muschel und begann dieses Mal laut und kräftig ihr Gebet, während das Blut über die anderen Opfergaben rann, sich mit dem Alkohol vermischte und schließlich eine hellrote Pfütze auf dem Opferstein bildete:

"HERRIN! Erhöre deine Tochter! Vernichte dies Weib, räche und strafe ihren Verrat! Lass ihre Hand zittern, wenn sie zur Waffe greift! Lass ihre Ritter und Soldaten fehlen, wenn sie für sie kämpfen wollen! Sie hat DICH verraten, sie hat die Götter verraten, sie hat DEIN Volk verraten, so wie sie alles andere verraten hat! Gib mir die Kraft, es selbst zu tun, so du es willst, Herrin!" Bilder von Kampf, Blut und Grausamkeiten überfluteten ihren Kopf, als sie die Augen schloss, darüber thronend und herrschend die wilde Herrin. Einen Rabenflügelschlag später, öffnete sie die Augen wieder, sackte etwas zusammen, als sei ihre Kraft damit auch fast verbraucht und senkt demütig den Kopf. Mit leiserer, nun etwas zittriger Stimme, sprach sie erneut:

"Ich danke euch, dass ihr mich bis hierher gebracht habt, ich danke euch, dass ihr mich anhört, ihr Götter! Möge eure Weisheit, eure Rache und euer Schutz für eure Kinder ewig währen."


[Bild: gebet3q6syg.png]
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