FSK-18 Gildenstern
#1
Vorspiel
 
Samuel steht in der einfachen Stube und zittert vor Zorn. Er ist vierzehn Jahre und etwas schmalschulterig für sein Alter, doch nichts desto trotz sind die fassungslosen Gesichter welche ihm entgegenblicken geprägt von Schock und Angst. Kalter Hass trieft ihm aus jeder Pore und blanke Verachtung geht in greifbaren Wellen von ihm ab. Er ist der erstgeborene Sohn zweier candarischer Bauern und man hat ihm soeben mitgeteilt, dass man seinen jüngeren Bruder ihm vorzuziehen gedenkt. Man hat ihn seines Erbes beraubt, ihn zu einem Leben harter Arbeit und ohne Lohn, einem Leben der Knechtschaft verdammt. Aber das nimmt er nicht hin. Immer noch aufgewühlt schlägt er die Türe hinter sich zu, packt seine wenigen Habseligkeiten, stiehlt den Jagddolch seines Vaters und kehrt dem ländlichen Idyll für immer den Rücken.



Zwei Jahre sind ins Land gezogen. Als Samuel sein Zeichen unter den bindenden Vertrag des Freischärler Chors setzt ist er zu einem jungen Mann herangewachsen. Die Zeit der Entbehrungen hat ihn genügsam, nahezu asketisch gemacht. Zielstrebig, geradezu verbissen verfolgt er, was auch immer er sich in den Kopf setzt, koste es was es wolle. Die Tinte seiner Unterschrift ist noch nicht trocken als er sich freiwillig zu seinem ersten Einsatz meldet. Er hat sich in den Kopf gesetzt zu töten.



Sieben Jahre der Schlacht und der Scharmützel haben Samuel zu einer Waffe ohne Gewissen und ohne Zweifel geformt. Mit gnadenloser Effizienz treibt er den Dolch bis zum Heft aus Hirschhorn seitlich in den Nacken des silendirischen schweren Infanteristen. Als er die Klinge wieder herausreißt schreit er voll ungestümer Wildheit auf. Sein Opfer erbricht schwallweise frisches, rotes Blut und er erkennt den vertrauten Geschmack von Eisen in seinem eigenen Mund. Alles verschwimmt zu einer roten Wolke und er verliert jegliches Gefühl für Zeit. Er ist geschmiedet in der Feuersbrunst der Schlacht, seine Klinge säht Tod wohin sie auch fährt. Donnernde Hufe. Ein dumpfer Schmerz in der Seite treibt ihm die Luft aus den Lungen. Die Welt um ihn herum verblasst zu schwarz.
Als er wieder zu sich kommt hört er die qualerfüllten Schmerzensschreie seiner Kameraden nicht, fühlt nicht die abgebrochene Lanze in seinen Lenden. Alles was seine Augen erblicken ist das Licht. Reines, pures, gnadenloses Licht, und er befindet es für wunderschön in seiner unerbittlichen Rechtschaffenheit. Er öffnet sich, und das Licht flutet ihn, füllt jeden Winkel seiner selbst, jeden Gedanken vollends aus. Als ihn die Wundärzte auf improvisierten Tragen ins Feldlazarett zerren weiß er, dass er das Göttliche erblickt haben muss und als man ihn trotz heftiger Fieberkrämpfe von der Schwelle des Todes reißt ist sein einziges Verlangen, seine neu gefundene Berufung die Feinde des Herren des Lichts in dessen reinigendem Feuer zu läutern.

Der Kerl am Tresen spricht offen davon fremdartige Wesen die er die Schicksalsgötter nennt anzubeten und Samuel muss all seine Disziplin aufwenden um nicht augenblicklich Stahl zu ziehen. Anstelle dessen sitzt er weiterhin mit toten Augen in einer Ecke und erlaubt es dem rechtschaffenen Zorn sich in ihm zu sammeln wie ein Gewittersturm. Er bezahlt, verlässt die Taverne in Richtung des angemieteten Raumes direkt darüber und schwört bei der allabendlichen Selbstkasteiung die Sünde der Welt im heiligen Feuer des einzig waren Gottes zu taufen. Morgen würde die Überfahrt beginnen.
 

Es ist früher Morgen, der Pier noch spärlich bewandert und Samuel rammt dem Königslästerer ohne Vorwarnung die Stirn ins Gesicht. Begleitet von einem Übelkeit erregenden Knirschen geht der Mann zu Boden. Samuel puhlt sich die Reste eines abgebrochenen Schneidezahns knapp unter dem Haaransatz heraus und bricht dem sich Aufrappelnden mit einem heftigen Tritt mindestens zwei Rippen. Der König erfüllt Mithras Willen hier auf Amhran. Jegliche Kritik an ihm ist in seinen Augen Gotteslästerung. Der Narr am Boden zuckt noch und blutiger Schaum sammelt sich vor seinem Mund, als er sich angewidert abwendet und den Steg entlang in Richtung des kleinen Kutters geht.



Er hört zu. Alleine der Gedanke an ein ganzes Land voller Ungläubiger das es zu Läutern gilt treibt den flammenden Eifer eines Zeloten in Samuels sonst oftmals trübe Augen. Die Geschichte des Seefahrers gefällt ihm. Sie handelt von Tapferkeit, von Ehre und vor allem von Opferbereitschaft. Er bewundert die tapferen Legionäre darin, und tief in ihm drinnen beneidet er sie auch. Das Schaukeln der Schiffsplanken unter ihm wird stärker als die Segel neu gesetzt werden. Zufrieden blickt er auf den Horizont aus welchem langsam die Silhouette Löwensteins erwächst und Kontur annimmt. Endlich.

Als er sich mit raschen, zielstrebigen Schritten den Marktplatz nähert hinter dem sich wundervoll drohend die Türme der heiligen Kirche erheben verschlägt es ihm beinahe den Atem. Der ganze Ort stinkt förmlich nach Magie. Als er zwei junge Kerle sieht, die mit dicken Wälzern unter den Armen umherstolzieren als gehöre ihnen die Welt wandert seine Rechte unwillkürlich zum Heft seines Schwertes. Er weiß nicht viel über das zaubernde Volk, aber für ihn trennt sie nur ein schmaler Pfad vom widernatürlichen Hexenwerk. Besser sie alle jagen und ausmerzen, als auch nur einen zu übersehen, denkt er, und leitet seine Beine weiter in Richtung Kirche.



Samuel blickt empor zu den Türmen und bleiverglasten Fenstern der Kirche und er ist sprachlos. Krieg und Pflicht führten ihn durch so manches Lehen, aber nirgends hatte er etwas so unfassbar Schönes, etwas so unvergleichbar Heiliges gesehen wie diesen Ort. Ganz egal was auch immer außerhalb von Amhrans Grenzen liegen mag, er ist sich zutiefst sicher, dass das hier, genau dieses Bauwerk der Mittelpunkt der Welt ist. Der Mittelpunkt seiner Welt.
 


Auftakt


Er kniet. Im stummen Gebet findet er Ruhe und Zuversicht. Keine Schritte hallen vom kalten Marmorboden des Tempels wieder, kein störendes Gemurmel durchdringt seine Meditation. Nichts als absolute Ruhe. Er verharrt seit Stunden in dieser Position, anrufend, lobpreisend, wartend. Niemand kommt. Die Kirche scheint verlassen.  Der schwere Geruch von Weihrauchschwaden benebelt seinen Geist, betört seine Sinne mit der Verheißung der herannahenden Ordnung. Seine Gebete sind ungebrochen. Ebenso sein Wille. Sein Mund ist trocken, seine Lippen spröde von dem unaufhörlichen Fluss aus Litaneien welche seinen Verstand wortgebunden erfüllen und ihn zunehmend in eine eifernde Trance wiegen. Augenblicke flimmern vor seinen Augen um rasend vollen Stundengängen zu weichen und Äonen in seinem Inneren verstreichen zu lassen. Er schließt die Augen. Zeit ist bedeutungslos. 
Bedeutungslos.

Als er seine verklebten Lider schwerfällig öffnet ist der gottgeschenkte Tag der finsteren Nacht gewichen. Er muss all seine Kraft aufwenden um sich zu erheben. An dem Fleck wo sein Knie auf dem Marmor verankert gewesen war hat sich eine kleine, rote Lache gebildet. Es kümmert ihn nicht. Schmerz ist Schwäche. Mit schwammigen Gelenken hievt er sich ein Ächzen unterdrückend in eine aufrechte Position und ehe er in die kalte, dunkle Stadt hinausschwankt wendet er sich zum Altar um und schlägt das Sonnenzeichen vor der Brust.
Seine Schritte hallen von dem unebenen Kopfsteinpflaster des Marktes wider als es ihn weiter und weiter Stadtauswärts zieht. Dann ein Klappern von Hufen. Er hebt den Kopf. Am Straßenrand hat eine junge Frau auf einem Pferd angehalten, schwere Säcke sind um des Rosses Rücken gelegt, die Satteltaschen quellen über. Er überlegt kurz, dann fragt er die Frau ob sie eine treue Dienerin des Lichts sei. Sie duckst herum, weicht aus. Sein Blick fällt auf einen runenbesetzten Anhänger. Götzenanbetung. Es widert ihn an. Sie verlangt nach seinem Namen, selbst namenlos bleibend. Es kümmert ihn nicht. Sie ist für ihn wertlos. Beinahe hysterisch versucht sie sich hinter einer Maske aus Bürgertum zu verstecken, zu verbergen wie blind sie für das Licht ist und erkennt dabei nicht, dass die weltlichen Belange in Glaubensfragen nichtig sind. Vor seinem inneren Auge will er sie vom Pferd reißen, sie schelten, sie läutern, sie der Gnade des Herrn überlassen, doch er unterlässt es. Ehe die rechtschaffene Wut ihn übermannt wendet er sich wortlos ab.

Seine Welt verschwimmt zu einer Kaskade aus Zorn als ostwärts voranprescht, kein Ziel vor Augen, seine Hände bebend. Er sieht den Wegelagerer beinahe nicht, doch sein Instinkt warnt ihn. Noch während der Bandit auf ihn zukommt lockert er das Breitschwert sachte in der Scheide. Ein kurzes Aufblitzen von Federstahl, ein Schritt zur Seite, Funken surren in emsigem Tanz durch die Luft als er den Hieb einer primitiven Klinge pariert. Der Knauf des Schwertes beschreibt eine winzige Drehung in seiner Handfläche… die Folgen sind verheerend. Blutiger Regen prasselt an die Blätter des nächstgelegenen Strauches als der leblose Körper vor ihm in sich zusammensackt. Eine Flut von roher Gewalt bricht tosend über ihn herein und er gibt sich ihr vollends hin, badet in ihr. Das Blut spült hinweg die Sünden der Welt. Voller Abscheu blickt er auf den Leichnam hinab. Welch Abscheulichkeit, ein fleischgebundener Feind des Lichts.

Seine Träume in dieser Nacht sind erfüllt von Feuer, welches reinigend und Wandlung verheißend an den Freveln Assams leckt, sich lodernd an jedem Laster festsetzt und wabernd jegliche Lästerung verschlingt, sie niederbrennt zu Asche aus der sich ein neuer Tag erheben wird. Er taucht ein in die klare Reinheit des unverfälschten Lichts, erlaubt es der Anspannung von ihm abzufallen. Sein Geist jedoch schwirrt rastlos umher, durchschreitet in fiebrigem Traum die Tore des Tempels und blickt die Kirche, so wie er sie sieht.  Kalter Marmor bricht sich in gleißend hellem Licht. Gewaltige Pfeiler aus kristallinem Kalkstein streben himmelwärts ohne dass ein Ende je in Sicht käme und ihre irdenen Schatten verharren regungslos auf den Kacheln die sich dem Licht an der gemeißelten Pforte hingebungsvoll entgegenstrecken wie Knechte die ihren Herren herbeifiebern. Morgen würde er die Kathedrale des Herrn wieder aufsuchen. Vielleicht würde er diesmal jemanden Antreffen.
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