Ab ins Grab
#1
[Bild: BhKIFEQ.png]

Das magische Licht flackerte immer häufiger. Unweigerlich fragte sie sich was grausamer war? Die Ahnung der bald einsetzenden Dunkelheit oder dieses Licht, das einem die vage Hoffnung schenkte doch nicht in Rabensschwärze zu versinken? Letztlich spielte es keine Rolle. Ob nun von Anfang oder erst zur späteren Zeit, irgendwann wäre sie von Finsternis umgeben.

Sie versuchte eine bequeme Sitzposition zu finden, aber der steinige Untergrund gewährleistete diesen Luxus nicht. Immer fühlte sie einen kleinen Stein oder schlicht die Härte des Untergrunds. Wann war sie eigentlich so verweichlicht? In den alten Tagen, den blutigen Tagen, hatte sie an ganz anderen Orten geschlafen. Nun musste sie von Anderen an solch gefährliche Orte wie dieses Grab eskortiert werden. Bedauern empfand sie darüber aber nicht. Sie war, wo sie sein wollte und sie war, wer sie sein wollte.

Die Herausforderung der Nacht schmälerte das aber nicht. Sie war allein mit ihren Gedanken. Allein mit Geistern ihrer Vergangenheit und kriechenden Schrecken, die in der Dunkelheit lauerten. Hier nutzte ihre Maskerade nichts. Oben zogen Banditen die Runden, die sich sicherlich nicht von einem geschminkten Gesicht einschüchtern lassen würden und unten, in den Tiefen Eingeweiden der Erde, konnte noch ganz anderes lauern. Morkander hatte gesagt, sie solle auf keinen Fall tiefer hineingehen und sie empfand nicht genug Neugier um seinen Ratschlag in den Wind zu schlagen.

Das magische Licht flimmerte, flackerte und erstarb. Die Dunkelheit legte sich wie ein Tintenschleier über ihre Welt. Jeder Winkel des Grabs wurde in absolute Schwärze getaucht. Nun war sie wirklich allein mit den Dämonen ihres Seins. Angst schlich in Form von Eiseskälte ihr Rückgrat hinauf und ließ sie frösteln.

Es ist nur eine Nacht. Du bekommst das hin, Sarja. Nein, nicht Sarja. Todtänzerin! Sie bekäme das auf jeden Fall hin! Sie ist weise und sie versteht all die Schrecken aus der Dunkelheit. All die Abgründe im Herzen der Menschen. Werde sie, bleibe sie, vertreibe den Rest und überdaure.

Wissende Schatten der grauen Vorzeit gruben sich wie Krallen in das Fleisch ihres Gewissens. Impressionen von Blut und Fleisch und Zügellosigkeit. Der hedonistische Genuss der Gewalt, als Kunstwerk in Ehren Morrigús. Brennende Pferde auf weiter Steppe.

Sie zwang sich die Schatten mit einem kräftigen Pusten zu vertreiben, wie man es bei Kerzenrauch tut. Doch dieser Nebel war garstiger, widerborstiger. Eingefallene Gesichter zeigten sich ihr. Die Haut nur noch Pergament, wodurch die Schädel sichtbar waren. Wenn sie sprachen, schlugen ihre Zahnreihen klappernd aufeinander. Sie alle sagten das Gleiche, ein Chor aus dutzenden von Stimmen: „Keine Erlösung, kleiner Söldling. Kein Frieden. Kein Schlaf.“

Es perlt von mir ab, denn Sarja ist tot. Es perlt von mir ab, denn ich lache dem Ende ins Antlitz. Es perlt von mir ab, denn ich tanze im Angesicht des Verfalls. Es perlt von mir ab, denn ich bin die Tänzerin des Todes!

Aus Sekunden wurden Minuten, aus Minuten wurden Stunden und die Nacht näherte sich dem Ende. Wie ein Mantra wiederholte sie die Worte in ihrem Kopf. Sie rezitierte sie wie ein geliebtes Gedicht und ging ganz darin auf. Ihr Körper wurde zu Stein, an dem die Krallen der Vergangenheitsgeister sich stumpf wetzten.
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