Mika
#21
Zwischen Küstenhof und Passwacht


Recht bald kehrte der Alltag nach der Trauung ein, wenngleich das Leben eine Oktave höher zu schwingen schien. Das junge Paar genoß sein Glück, musste sich dennoch den täglichen Arbeiten und Pflichten zuwenden. Mika widmete sich dem Küstenhof, die Tiere mussten versorgt und die Öfen im Haus beheizt werden. Das Ende des Winters war noch lange nicht absehbar, auch wenn an so manchem Morgen ein sanftes Lüftlein den Frühling erahnen ließ.
Mika war glücklich, sie hatte alles was ein Mensch sich nur wünschen kann und trotzdem mischte sich in stillen Momenten die Sorge um die Zukunft in ihre Gedanken.
Bald schon würde man wieder gen der Indharimer ziehn, vorbei wäre es mit den lauschigen Stunden in trauter Zweisamkeit. Dann würde sie neben ihrem Ehemann an der kaltnassen Front verweilen, den Feldscherrn helfen Frostbeulen, Fieber und Verletzungen zu heilen, im Notfall gar selbst den Bogen in die Hand nehmen müssen. „Die Götter geben und die Götter nehmen“, hatte Aughril einst zu ihr gesagt, und seine Worte spiegelten all die Verluste wieder, die sie beiden schon hatten durchleben müssen. Mika hatte sich fest vorgenommen, die Götter nicht zu verstimmen, ihnen zu zeigen, wie sehr sie dieses Geschenk genoß, und es auch als solches ehrte.

Dann jedoch berichtete der nortgarder Botschafter von einem wahnsinnigen Mörder aus Nortgard, einem, der seinen Opfern die Hände abhackte und wohl bald auch Ravinsthal erreichen könnte.
Noch in der Nacht des Winterfestes flüchtete Mika mitsamt Hund und Pferd an die Passwacht und verbrachte die Nächte in der Nähe ihres Ehemannes, unfähig eine weitere Nacht allein auf dem Küstenhof zu sein. Aughril tat seinen Dienst, schritt womöglich just in diesem Moment an den kalten Zinnen entlang, während Mika sich auf sein fellbedecktes Feldbett zurückgezogen hatte. Sie horchte in sich hinein, im Versuch das kleine, heranwachsende Wesen in sich zu spüren, zu ersinnen, welches Schicksal ihm bevorstünde. Es würde einen guten, gewissenhaften und ehrlichen Vater haben, eine Mutter, die zwar temperamentvoll, aber ebenso liebevoll sein konnte, Eltern die es liebten und beschützen und es mit ihrem Leben verteidigen werden. Mika‘s Hände schoben sich unter ihr Hemd und erfühlten ihren Bauch. „ Wir freuen uns auf dich," hauchte sie leise und ihr Blick hob sich, als Aughril ins Zimmer trat und sich zu ihr setzte, dem Bauch einen Kuss aufhauchte und lächelte.
Ein jeder dieser Momente war wertvoll, mit keinem Gold dieser Welt aufzuwiegen.
Nun kannst du dich nicht mehr als der -Letzte Daorah- vorstellen“, sprach Mika verliebten Blickes und Aughril drückte ihre Hand und nickte „Ich tat es seit dem Tag unserer Hochzeit nicht mehr, meine Sonne“, und Mika fühlte, wie Hoffnung durch das Herz des Kriegers zog.
Er war ihr Leben und ihr Schild, ihre Zuversicht – sie liebte ihn.
Alles wird gut- die Götter gaben uns ihren Segen“, und mit diesem Gedanken beruhigte Mika ihre aufziehenden Sorgen… „Alles wird gut!



[Bild: k7lrjdq2.jpg]
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#22
Fieber

Aughril kam bereits früher heim als erwartet und Mika‘s Blick wurde um eine Nouance sorgenvoller, als sie seines fiebrigem Blickes gewahr wurde. Begrüßend nahm er sie in seine Arme, leise murmelnd : “Verdammt, ich frier‘, als hätte ich eine Nacht im Eismeer verbracht… glaub‘, ich brauch einen Schnaps.“ Mika‘s flache Hand legte sich auf seine Stirn. „ Du brennst, Aughril, du solltest dich hinlegen, ich koche dir Tee!“ Und während er keine Einwände hatte und treppauf ins Schlafgemach ging, machte sich die junge Frau dran Rielayes Tees zu suchen, das Feuer zu schüren und Wasser zu kochen.

Mit leichten Schritten folgte sie ihrem Gemahl in die Schlafräume und sah noch, wie die Rüstung in die Ecke flog, die Stiefel ebenso und ein nackter, bis auf den Lendenschurz bekleideter Aughril tief unter den Bettdecken verschwand.
Ich hab‘ dich sicher angesteckt,“ murmelt sie, sich dicht an ihn auf die Bettkante setzend und die Decke warm über ihn ziehend. Aughril schaute ihr fiebrig entgegen, doch schlossen sich schon recht schnell seine Augen und er fiel in einen unruhigen Schlaf.
Es wurde Nacht und Mika kehrte mit einem Tablett mit Zwieback und heissem Kräutertee zurückkehrte, als Aughril sich bereits schweissgebadet in den Decken wälzte, leise stöhnte und gequält ihren Namen murmelte: „ Mika, Mika, es brennt.. Feuer!!! Wo bist du, ich seh dich nicht…!“ Eilig legte sie das Tablett zur Seite, ergriff seine Hand und fühlte mit der anderen seine heisse Stirn. Sein Fieber war gestiegen und beruhigend hauchte sie ihm zu:“ Ich bin hier Aughril, keine Sorge, es ist nur ein Traum, schlaf weiter, sorge dich nicht…“ Aughril fiel tatsächlich wieder in einen unruhigen Schlaf, doch der Traum schien ihn losgelassen zu haben.
Wadenwickel“, kam es ihr in den Sinn und sie tauchte bald schon einige Verbände in kühles Wasser und wickelte es um seine Waden, die Decke fort streifend. Immer wieder wiederholte sie diese Prozedur bis das Fieber allmählich sank. Sein Blick wurde klarer, Mika flößte ihm Rielayes fiebersenkenden Kräutertee ein, und ließ ihn weiter schlafen und schwitzen.
Denk erst garnicht dran“, ermahnte sie sich wütend, als ihr das Bild des sterbenden Vaters in Gedanken erschien und verwarf jegliche Form von Tod in ihrem Kopf.
Es ist nur eine Erkältung, kein Wunder wenn die Wachgänge sich über Nacht um Nacht in der eisigen Passwacht ziehen“.
Als Aughril‘s Albträume nicht mehr wiederkehrten, legte sie sich zu ihm ins Bett, ihn wärmend und sein feuchtes Haar aus der Stirn streichend.
Sie nahm sich vor Morgen in der Früh Rielaye oder Marie zu holen, so es ihrem Liebsten nicht besser ginge, doch für den Moment hatten die Wadenwickel geholfen…
Nur eine Erkältung… sicher bald besser“.
Doch die Nacht war dunkel, die Wölfe heulten  und Aughril's Fieber stieg....
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#23
An einen rechten Schlaf war nicht zu denken, Aughril schwitzte und zitterte abwechselnd, sodass Mika mehrmals die Laken tauschte und ihn anschliessend bis zum Hals einpackte, Schwitzen war gut, soviel wusste sie. In den Marschen waren Erkältungen dieser Art keine Seltenheit, sie selbst hatte oft genug Schnupfen, Kopf-und Gliederschmerzen durchstehen müssen und solange es keine Anzeichen für Lungenpest gab, bestand kein Grund zur Sorge. Angespannt lauschte Mika auf den Atem ihres Mannes. Nein, er hustete nicht und sie würde auch dafür Sorge tragen, dass es dabei blieb und stopfte ihm ein Kissen in den Rücken um seinen Oberkörper zu erhöhen. Zwischen diesen Prozeduren fiel Mika immer wieder in einen kurzen Schlaf und erwachte, als das Tageslicht bereits durch die Fenster des Schlafzimmers drang.
Schlaftrunken und übernächtigt strich sie sich die dunklen Locken aus der Stirn und bemerkte, wie Aughril sie ansah. Er war erwacht und versuchte sich in einem gequälten Lächeln. „Kätzchen, konntest du ein wenig schlafen? Ich hab‘ dir Arbeit gemacht, hm?“ Sie lächelte zurück und fühlte seine Stirn. „Ach was, du hast geschwitzt und das hat dein Fieber etwas gesenkt wie es scheint. Aber heiß bist du weiterhin. Lass mich dir helfen.“ Mit diesen Worten schlüpfte sie aus dem Bett, ging in den kleinen Raum und schöpfte aus dem Zuber frisches Wasser in welchem Lavendelblüten schwammen. Mit einem Handtuch und Waschlappen bewaffnet trat sie ans Bett und befreite ihn von Schweiss und schlechten Gerüchen, ließ den Waschlappen sorgsam über den noch fiebrigen Körper gleiten, über die vielen Narben und ausgeheilten Verletzungen. Aughril ließ es brummend über sich ergehen, und versuchte gar, sie kurz an sich zu ziehen, jedoch einsehend, dass seine Kräfte mehr noch nicht zuließen, sich stattdessen nur einen sehnenden Kuss stehlend. Mika trocknete ihn schmunzelnd ab und deckte ihn mit sauberen Laken und dicken Decken zu.
„Ich gehe Tee kochen, du bleibst liegen, ja? Aber dass du noch fieberst gefällt mir nicht, vielleicht sollte ich eine Heilerin kommen lassen, was meinst du?“ Aughril jedoch knurrte nur und drehte sich zur Seite, was wohl sowas wie ein unentschlossenes Nein bedeutet sollte. Sie würde abwarten und entscheiden. In dünnem Nachtgewand stieg sie treppab, begrüßte Goldi und machte sich daran den Ofen zu befeuern….
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#24
Die Frontvorbereitungen

Im Küstenhof lag allerlei herum, ein Beutel mit frisch zugeschnittenen, ausgekochten Verbänden, ein Beutel der Heiltränke aus Weidenrinde und Schlafmohn enthielt, fiebersenkend und schmerzlindernd, dann Kleidung, zweckmässig und warm. Lange überlegte sie was sie sonst noch benötigen würden, Brot und Zwieback, Braten und Käse, Schnaps für die Wunden, Tee für sich selbst, Cervisia für Aughril.

Mika überblickte das wilde Chaos, seufzte inbrünstig, verfluchte die Indharimer und wünschte sie zurück in deren weit entferntes Wüstenland. „Das Leben ist zu kurz um es nur mit Krieg und Angst zu verschwenden“, murmelte sie und versuchte das Chaos in den Griff zu kriegen.
Sicher würde Einar in den kommenden Tagen ins Horn blasen und zum Aufbruch rufen. Mika‘s Blick verweilte auf dem Grauwolfabzeichen welches sie seit gestern wieder angesteckt hatte. Die alte Familie, auch wenn sie schon lange nicht mehr mit allen Mitgliedern zurecht kam. Privates würde weggesteckt werden, vielleicht wird‘s so leichter fallen, es würde sich zeigen.
Sie würde sich demnächst der Heilerin zu Hohenquell vorstellen müssen, nur damit jene ihr Gesicht kannte und sie als Feldscherrin einordnen konnte. Mika gruselte ein wenig vor dem Gedanken zerfetzte Gliedmaßen und Bäuche zusammenflicken zu müssen, oft genug hatte sie es auf der Brigga getan, doch da war sie nicht schwanger und musste sich nicht allmorgendlich übergeben und bei jedem unguten Geruch durchatmen. Der Front fernzubleiben war ihr dennoch nicht möglich, immerhin würde Aughril mit seinem Schwert an erste Reihe stehen.  Sie wusste, dass er sein Kriegshandwerk beherrschte, doch wie auch Anouk,  würde sie nicht daheim am Herd bleiben und sich zu Tode sorgen. Statt dessen würde sie sich nützlich machen.
All diese Gedanken beiseite schiebend, ging sie treppab in die Küche des Küstenhofes.
Es war noch früh, das Treffen an der Garnison noch fern, der Hof lag in zartem Nebel ruhig und unberührt, die Pferde standen im Gatter, alles war ruhig. Mika nutzte die Gunst der Stunde und näherte sich Aughril, der in der Küche saß, rutschte sanft auf seinen Schoß, während er sie an sich zog und sie vergaßen Pflichten, Grauwölfe und Krieg für eine ganze Weile.
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#25
Frühlingsboten

Der Schnee verließ das Land, Chronos‘ Liebste kehrte zurück und mit ihr die Freude, die das Land erfüllte, so als würde die Kälte des Winters nun unwiderruflich gebrochen sein.
Mika‘s Zucht von ausdauernden und starken dunkelbraunen, sowie rotbraunen Pferden füllte die Gatter, die Hühner legten mehr Eier denn je und in den Stunden, an denen die Sonne den Küstenhof erreichte, zwitscherten erste Vogelstimmen um die Wette. Frühmorgens schon ließ Mika den Morgenwind durch ihr dunkles, langes Haar wehen und genoß den erwachenden Tag.
Lediglich die Abwesenheit ihres Liebsten, ihres Ehemannes versuchte sich als Schatten vor die aufkommende Freude zu schieben. Der Freiherr von Thalweide hatte Aughril auf eine geheime Mission gesandt, Küsse und Umarmungen, Versprechen und Mikas‘s Tränen ließen den Abschied nicht leichter werden, doch da waren die Götter, die wohlwollend auf sie blickten und ihnen ihren göttlichen Schutz versprachen, so zumindest redete Mika es sich ständig ein.
Die Dunkelhaarige würde nicht jammern und nicht klagen, sie würde auch nicht in Erwägung ziehen, dass ihrem Liebsten etwas zustoßen könnte, sie würde hoffnungsvoll und voller Zuversicht in jeden neuen Tag blicken, wissend, dass er bald wieder an ihrer Seite sein würde.
Allerdings gab es diese stillen, unguten Momente, an denen sie den Freiherrn regelrecht hassen wollte, verkniffen wünschte, jener wäre an Aughril‘s Stelle losgezogen.

Aughril sagte, du schickst ihn auf eine geheime Mission?
Einar stützte sich mit den Händen am Geländer des neuen Wachhauses ab und blickte über das Wasser während Mika sprach.
Du schickst ihn aber nicht in unsicheres Gebiet hoffe ich?
Besorgt suchte sie den Blick des Freiherrn.
Er ist alt genug und auch erfahren genug um das selbst einzuschätzen“, kam es nahezu emotionslos  über die Lippen des Mannes.
Also doch unsicheres Gebiet“.
Das wird sich noch zeigen.“ murrte der Freiherr, sichtlich auf Mika keine Rücksicht nehmend.
Mikas leisere Worte „Ich hoffe er ist bald zurück“, gingen im Wind und Knarren der Balken unter.

Doch bald schon gewann glücklicherweise die Vernunft oberhand, Mika war sich bewusst, dass sie einen Krieger zum Mann genommen hat und keinen sesshaften, langweiligen Bauern und beruhigte sich. Stolz erfüllte ihr Herz, und es half ihr die Furcht im Zaum zu halten, es festigte ihr Herz, denn es waren diese Männer, die es möglich machten, dass der Küstenhof ein Ort des Friedens blieb und die Schatten Amhrans nicht überhand nahmen.


Auch sie wollte sich nützlich machen und ritt trotz des langsam rundlicher werdenen Bauches gen Südwald um die Freundin Larija und Meister Animar auf die Reparatur des Küstenhofes anzusprechen. Nun, da der Frost nachließ, stand jenem gewiss nichts mehr im Wege – das Dach müsste geflickt und das Loch in der Ostwand zugemauert werden.
Alles war besser als grübeln...
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#26
Die Pferde waren bepackt, der Küstenhof leergeräumt, ein letzter Blick auf die Felder sowie die Gatter, um die sich die letzten Monate gekümmert hatte, wehmütig der Blick, doch es musste weiter gehen. Hier in Ravisnthal hatte sie wieder einmal das Glück verlassen.
Aughril blieb verschollen, auch sonst kümmerte sich niemand um sie, der Hof zu groß für eine Schwangere.
Tapfer führte Mika die kleine Karavane zur Grenze und weiter.
Zumindest galt es nun, eine Bleibe zu finden, einen Ort, an dem ihr Kind sicher zur Welt kommen konnte. Noch war Zeit, noch war sie kräftig und ihr Leib nur leicht gewölbt.
Fröhlich trabte Goldi neben ihr her, sichtlich gut aufgelegt, ja neugierig schnupperte sie dem neuen Ziel entgegen.
Mikas Gesicht jedoch blieb versteinert, so als könne zuviel Emotion nur noch mehr Unglück über sie bringen.
Ravinsthal gehörte wieder einmal der Vergangenheit an.
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#27
Das Leben endet noch nicht


Zugegebenerweise hatte der Verlust ihres Ehegatten eine tiefe Narbe in Mikas Seelenleben hinterlassen, wochenlang versuchte sie zu verdrängen, gestand sich die Möglichkeit auf ein Leben ohne Aughril nur zögernd ein.
Wie oft spürte sie seine Nähe sowie sie ihre Augen geschlossen hielt, wie oft ahnte sie seine Schritte, die sich ebenso rasch wieder in Nichts auflösten und Mika untröstlicher zurückließen als sie es bereits war.
Hier im Südwald fand sie nur langsam wieder zu sich, so als würde sie nach und nach aus einem schweren Fiebertraum erwachen und Stück für Stück, wenn auch zaghaft, das Krankenbett verlassen um vorsichtige Schritte zu unternehmen.

Immer noch war das Land durch Kriegswirren geplagt, die kleinen Höfe des Südwalds hatten Maßnahmen zu ihrem Schutz ergriffen, die Felder wurden nur notdürftig bepflanzt, man war auf der Hut, doch auch das zog an Mika wie etwas Unwirkliches vorbei, lediglich Larijas aufmunternden Worte boten einen Bezug zu etwas, was sich Leben nannte.

Zunehmend gelang es Mika wieder tiefer zu atmen, spürte, wie der schmerzhafte Druck in der Brust nachließ. Larija zwang ihr schon seit Wochen Nahrung auf, sorgte dafür, dass sie und ihr Ungeborenes nicht verhungerten, ließ frische Luft in die Räume des Hofes am kleinen Bach und ließ Mika spüren, dass sie nicht allein war, sondern sie Freunde hatte die sich um sie sorgten.

Dieser Tage brannte die Sonne heißer als zuvor, Mika hatte sich am kleinen Bach niedergelassen, die Füße im Wasser kühlend und lauschte mit geschlossenen Augen den Geräuschen des Sommers. Vom Jägerhof schall Larijas fröhliche Stimme herüber, aufgeregtes Gackern und Glucken war zu hören, auch ein Wiehern aus dem Gatter, Insekten summten umher, ein Grashüpfer zirpte nicht weit von Mika entfernt, während die Strahlen der Sonne diese Szene wie betäubend einfing. Mika legte ihre Hand auf den nun deutlich gewölbten Bauch, spürte die zarten Bewegungen, auch hier und da einen recht schwungvollen Tritt. Wie gern hätte sie Aughril daran teilhaben lassen, stellte sich vor, wie seine Hand das kleine wilde Leben erfühlt hätte.
Er kommt vielleicht nie wieder“, sprach Mika zu ihrem Kind, leise und zögerlich, die Augen nun öffnend und den Blick über dem Bauch ruhend. „Aber wir können trotzdem mit ihm reden, denn du sollst stets einen Vater haben.“ Und in Mika wuchs der Gedanke Briefe zu schreiben, so als wäre er nicht fern.
Schon am selben Abend nahm Mika Hadern, Tinte und Federkiel zur Hand und saß bei geöffnetem Fenster oben im Schlafgemach am kleinen Tisch. Es dauerte nicht lang, da flossen die Worte schon aufs Blatt...

"Liebster Aughril,
es ist bereits Sommer, die Luft dringt herrlich duftend ins obere Zimmer des kleinen Hofes am Bach. Weisst du noch, wie wir hier oben im Herbst beieinander saßen, ich deine Wunden verband und du nur lachtest und meintest, dass solch kleinen Kratzer keine Mühe wert sein verbunden zu werden? Und dennoch hieltest Du mich nicht auf, deinen Blick still auf mich gerichtet.
Hätten wir gewusst, wie wenig Zeit uns bleibt, hätte es einen Unterschied gemacht? "

Diese Worte bewirkten, dass Mika die Feder aus der Hand legte und noch lange wortlos sitzen blieb, den Blick zum Sternenhimmel gewandt. Erst viel später löschte sie die Kerze, ließ den Brief halb beendet. Sie sehnte sich nach tröstendem Schlaf, nichts mehr fühlen, nicht denken…
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#28
Es ist soweit

Mika‘s Bewegungen wurden mit jedem neuen Tag schwerfälliger, ihr Bauch so prall, als würde das Kind kaum mehr Platz haben, ein jedes Drücken und Schieben der kleinen Füßchen und Ellenbogen eine leise Qual. Schon längst hatte Mika mit der Niederkunft gerechnet, warum kam es nicht, hatte sie sich in der Zeit vertan? Sie rechnete die Monde zurück, überschlug es, rechnete erneut, doch letztlich gab sie dann doch auf, es würde nichts nützen, es hieß nun durchzuhalten.

Der Verlust ihres Gatten hatte Mika die Monde zuvor schwer zugesetzt, doch es kam der Punkt, an dem sich etwas veränderte, an dem sie ihre ganze Aufmerksamkeit dem kleinen Wesen in sich zuwandte. Sie war verantwortlich für dieses Leben und sie würde es schaffen, würde versuchen Mutter und Vater in einem zu sein, alles Jammern und Klagen war so sinnlos, es führte nur in die Schatten, in den Tod.

Mika hatte Hilfe von Margarete, einer älteren Magd von einem der kleineren Nachbarshöfe im Südwald. Sie versorgte die Pferde, putzte und kochte wenn Mika nicht mehr konnte, sie kümmerte sich sogar um die kleinen Felder und leistete der Schwangeren Gesellschaft, wenn Larija grad nicht zugegen war.
Margareta war es auch, die Mika‘s leises Stöhnen aus den oberen Räumen vernahm, es war später Nachmittag, die hatte die Pferde gefüttert und trat ins Haus um nach dem köchelnden Eintopf zu sehen den sie für Mika aufgesetzt hatte. Wieder ein Stöhnen, diesmal lauter und kläglicher – es ging los! Margarete eilte die Treppe hinauf und fand Mika mit schmerzgeplagter Miene am Bettpfosten lehnend.

„Margarete, ich glaub‘ es geht los, sieh nur!“ und Mika deutete auf die Pfütze zwischen ihren Füßen, das Fruchtwasser war abgegangen.
„Leg dich aufs Bett, ich werde alles vorbereiten Mädel, ganz ruhig, es wird alles gut.. bei den Göttern, wo ist nur Larija?

Margarete schien aufgeregt zu sein, doch Mika schien wie betäubt, starrte auf ihre nassen Füße und hob den langen Rock an um sich schliesslich doch auf‘s Bett zu legen. Die Wehen kamen nun regelmäßig, ein Schmerz, der sie zu zerreissen drohte, kein Gedanke war mehr denkbar, nur dieses Messer welches sie durchschneiden wollte. Mika versuchte ihr Stöhnen zu beherrschen, doch stattdessen quälten sich die Schreie aus ihrer Kehle. Margarete indess machte sich unten in der Küche nützlich, befeuerte den Ofen, kochte Wasser und machte Krach indem sie über die Höfe hinweg Larijas Namen brüllte. Am Jägerhof aber schien sich nichts zu rühren und die Magd schnaufte aufgeregt und eilte wieder herein um nach Mika zu sehen und um weitere Anweisungen zu geben.

Mika konnte nicht sagen wieviel Zeit verstrichen war, es war bereits Nacht als sie kraftlos auf ihrem Bett lag, schweißgebadet ihre Hände in die Laken krallte und mit letzter Kraft presste. Lange nach Mitternacht tönte ein heller Kindesschrei durchs Haus, ein kleines Mädchen erblickte das Licht der Welt. Mika und Margarete lächelten beide müde und dennoch froh. Das Kind lebte und schien gesund und kräftig, sie war wunderschön und garnicht so schrumpelig wie erwartet. Als Margarete Mika das kleine Wesen in den Arm legte, war es Mika als sei ihre Welt wieder heil, als wäre alle Trauer von ihr genommen worden und sie strich sich lächelnd die verschwitzten langen Haarsträhnen aus dem Gesicht und betrachtete ihre Tochter mit zärtlichem Blick. „Meine Kleine, da bist du ja endlich. Ich weiss, dass dein Vater ganz vernarrt in dich wäre, was bist du hübsch! Du sollst Yuni heissen. Wir werden gut auf dich achtgeben müssen!“

Margarete betrachtete Mutter und Kind gerührt und stolz, war es doch immer wieder ein Wunder wenn Kinder gesund und wohlbehalten zur Welt kamen.
Mika fiel schon bald in einen traumlosen Schlaf,  während die Magd das Kind wusch und in saubere Tücher legte.
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#29
Winterzeit

Das Feuer prasselte im Ofen und wärmte das kleine Haus. Margarete war Mika seit der Geburt des Kindes nicht mehr von der Seite gewichen und half wo sie nur konnte, um der jungen Mutter wieder zur benötigten Kraft zu verhelfen. Mika hatte zuviel Blut verloren, ihre Genesung ließ auf sich warten, doch trotz allem sah man, wie sie sich immer wieder vom Bett erhob und nach den Pferden schaute. Feu, das Pferd ihres Gatten, wurde dem Stallmeister zur Pflege übergegeben, es musste geritten werden, Mika schaffte es einfach nicht mehr, einige Pferde wurden verkauft und ein ausgesuchter Rest auf der Weide am Hof belassen. Es waren gute Pferde welche alle guten Eigenschaften vereinten, Schnelligkeit, Stärke und Ausdauer. Mika hatte zuvor viele Monde mit der Zucht verbracht und konnte nun tatsächlich zufrieden auf diesen besonderen Schlag blicken. Aber nun war Winter, die Tierwelt wurde ruhiger, ja fiel teils in den warmen Winterschlaf, Eichhörnchen, Igel und Mäuschen schliefen und träumten von weicher Wolle die ihnen Wärme und Erholung schenkte.

Margarete hatte die Hände voller Mehl und summte den Brotteig knetend vor sich her, als Mika mit der kleinen Yuni auf dem Arm die Treppe herabstieg und ihr zulächelte. „ Margarete, was denkst du, wird‘s dem Kind schaden ein wenig kalte Schneeluft zu atmen? Es hat so wie du angekündigt hast, tatsächlich geschneit!
Mika war noch blass, doch zeigten ihre Augen wieder einen ersten Lebensfunken und zunehmend schwand der graue Schleier.
Das vergangene Jahr hatte es nicht gut mit ihr gemeint, zu viel Hass und Misstrauen unter den Menschen, zu viel Machtgier und schliesslich noch der Verlust ihres frisch angetrauten Ehemannes hatten sie geschwächt. Die Frauen der Höfe des Südwalds tuschelten damals ob nicht gar der Tod eine Erlösung für Mika wäre und wunderten sich, dass entgegen aller Erwartungen ein gesundes Mädchen die Welt erblickte und die Mutter am Leben blieb.

Margarete blickte auf, nickte, die beiden mütterlich betrachtend „Aber sicher, klirrende Kälte stärkt die Lungen, warm genug hast du sie ja eingepackt!“ Der Säugling war in warme Felle gehüllt, sodass nur die Augen und die Nasenspitze herauslugten, Mika trug dicke warme Stiefel, Wams, Schal und Handschuhe und hatte das dunkle lange Haar unter ein warmes Tuch gesteckt. „Geht nur, wenn ihr zurück seid, gibt es warmes Brot mit Butter!“ Margarete lachte herzlich auf, ihr waren die beiden zur Familie geworden, auch wenn sie selbst weiterhin zwischen zwei Höfen hin und herpendelte, nahm sie die zusätzliche Arbeit gerne auf sich und half Mika unermüdlich.

Die Haustür knarrte als Mika sie aufzog und eisige klare Luft schlug ihnen entgegen. Die Sonne fiel auf den weißen Schnee und verwandelte ihn in viele tausend glitzernde Diamanten. Mika kniff die Augen zusammen, geblendet von dem strahlenden Licht und stapfte mit dem Kind hinaus in den Schnee. Die gute Margarete hatte gar einen kleinen Pfad freigeschaufelt bis hin zum Gatter und weiter zur Strasse hin.
Mika machte sich auf den Weg zum Jägerhof, es war Zeit ihr Kind vorzustellen.
Yuni gluckste fröhlich vor sich her, offensichtlich das Licht, den Zauber des weißen Winters geniessend.

Aus der Ferne schon sah sie Rauch aus dem Schornstein des Hofes aufsteigen, ob Ley und Larija Tee auf dem Feuer hatten?
Mika stapfte weiter mutig durch den Schnee, es war noch mühsam und sie pustete ordentlich, das Kind fest an sich gedrückt.


[Bild: 8shahitx.jpg]
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#30
Alte Freundschaften

Mika schloß nach getaner Arbeit das Pferdegatter. Yuni‘s klägliches Weinen drang aus dem Schlafzimmerfenster und die junge Mutter blickte in Richtung des Hauses. Wie aus dem Nichts stand dort im abendlichen Nebel eine schlanke Gestalt. Unwillkürlich schlug Mikas Herz einen Takt schneller, war denn das möglich? Trotz des Nebels und der zunehmenden Dämmerung erkannte sie langes rotes Haar welches gelockt über die Schultern fiel. Obwohl ihr Impuls ihr entgegenzugehen, sie an den Händen zu fassen stark war, blieb sie wie zu Eis erstarrt stehen. Auch der Rothaarigen schien es nicht besser zu gehen. 
Erst als Yuni‘s Beschwerden lauter wurden, löste sich Mika aus der Starre, schritt auf die langjährige Freundin zu und ergriff deren Hände.
Marie, bist du es wirklich?“ "Mika", doch zu mehr Worten kam es nicht, Marie kullerten bereits Tränen über die kalten Wangen. Nach einer innigen Umarmung wurde Marie ins Haus geführt, hinauf zur protestierenden Yuni.
Das Kind nuckelte an den kleinen Fäusten, den Blick neugierig auf die fremde Frau geheftet, so überrascht, dass es das Weinen vergaß.
Marie beugte sich vorsichtig über die Kleine. „Yuni heisst sie?“ Und schon ging das Gespräch ums Tanzen lernen und andere Zirkuskünste für die die rote Marie so berühmt war.

Später als das Kind schlief, saßen die beiden Frauen in der warmen Küche, vor sich frischen, heißen Tee. Mika betrachtete Marie diskret, war doch die Freundin um Einiges ruhiger geworden, oder war da gar eine Nouance Ernst zu erkennen? Verglichen mit der bunten Leichtigkeit des früheren Paradiesvogels, glich Marie nun eher einer erwachsenen Frau.

Habt ihr in der Zwischenzeit geheiratet?“ vorsichtig traute sie sich diese Frage zu stellen. Nach und nach erzählte Marie dann von Einar, davon dass der Krieg viele Grauwölfe hat nicht mehr wiederkehren lassen, ihr Verlobter seitdem nicht mehr der Alte sei . Mika nickte und legte tröstend ihre Hand auf Maries. „Es gibt auch keine Spur von Aughril.“ Marie seufzte tief und schüttelte nur sachte das Haupt. Noch vor einem Jahreslauf hatten sie beide übermütige Hoffnungen und Träume, Einar ließ das Anwesen umbauen, wollte seiner Zukünftigen nur das Beste bieten, Mika war eine frisch verheiratete Frau und nichts konnte ihr Glück trüben. Weit gefehlt, denn nahezu einen Mondlauf später zogen sich die Schatten über die Leben beider Freundinnen.

Dunkelheit senkte sich über den kleinen Hof am Bach, alles schlief, doch innerhalb der Mauern erhellten Kerzen die Küche, der Wasserkessel pfiff, frischer Tee wurde aufgebrüht.
Noch lange saßen die beiden beisammen, die Nacht war lang und es gab noch so viel zu erzählen.
"Was würdest du tun, wenn er wiederkäme?" fragte Marie. Mika erwiderte die Frage mit einer Gegenfrage, sie Stirn deutlich gerunzelt " Du meinst nachdem er aus dem Bett einer anderen gehüpft ist?" "Und du, was machst du mit Einar?" Und ein weiterer Holzscheit flog in die Glut.

[Bild: re9fxqo3.jpg]
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