FSK-18 Zeitenwende
#1
1. Silendir


“Unser Herzog? Tot?” Die tonlose, spröde Stimme der Frau liess die Rückfrage irgendwo zwischen fassungsloser Erkenntnis und dem zögernden Hoffen auf eine Verneinung mäandern. Ein unbequemer Kontrast zu dem perlenden Klang von Lachen und Musizieren, den das ausgelassene Fest draussen in die Wachstube herein schickte.

“Unbestätigt. Wie so vieles nach der Blutkonklave.” Unter anderen Umständen hätte der sonore Bass des alten Kämpen Zuversicht und Stärke verbreitet. Unter diesen Umständen aber war die sonstige Unerschütterlichkeit einer fahlen Ratlosigkeit gewichen.

Die Frau blickte auf die eisenbeschlagene Tür. Eine sonst trutzig unüberwindliche Barriere. Aber jetzt, in diesem Augenblick, geradezu lächerlich zerbrechlich, angesichts ihrer Aufgabe, sorglos feiernde Ahnungslosigkeit von bitterer Ungewissheit zu trennen. “Wissen sie es schon?”

“Der Edle und sein Weib?” Der alte Kämpe rieb sich mit einer schwieligen Kriegerhand über das Gesicht und den sauber gestutzten, grauen Bart. “Mithras bewahre, nein, noch nicht. Nicht am Tag ihrer Vermählung. Wir werden es ihm sagen, nachdem er in Ruhe einen Stammhalter hat zeugen können. Morgen früh.” Das sonore Brummen wandelte sich in der Aussicht auf die unausweichliche Unterredung zu einem unwilligen Knurren.

Die Frau sah wieder zu ihm. “Das wird die Machtverhältnisse vollständig …”

“... es gibt keine Machtverhältnisse mehr.” Der alte Krieger unterbrach sie mitten im Satz und starrte auf seine geballten Fäuste. “Das Reich steht am Abgrund. Der König und die meisten Hochedlen fort, tot oder durch diese mithrasverfluchte Brut gewandelt in ... “ Er liess den Rest der grausigen Erkenntnis unausgesprochen. Was es nur noch schlimmer machte. Mit noch immer geballten Fäusten blickte er zu der Frau. “Der Herzog von Silendir, Kayra! Unser Herzog! Unsere letzte und einzige Hoffnung auf ein starkes Reich nach Mithras Ordnung!” Fast hörte es sich wie eine Anklage an, wäre da nicht der dumpfe Klang von ratloser Hoffnungslosigkeit in seinen Worten gewesen. Etwas, das die Frau - mehr noch als all die schreckliche Kunde, die sie eben vernommen hatte - schaudern liess. Niemals zuvor hatte sie diesen unerschütterlichen, aufrechten Kämpen derart hoffnungslos erlebt.

“Valke wird sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen.” Versuchte sie die lähmende Hoffnungslosigkeit zumindest ein wenig durch einen Blick nach vorn zu kaschieren.

“Gewiss nicht. Keiner von uns traute dieser merkwürdigen Allianz, die sie “Herzogsring” genannt hatten, weiter, als ich einen candarischen Landadligen werfen könnte.” Er griff wieder nach der geheimen Eildepesche, welche die schreckliche Nachricht aus Löwenstein gebracht hatte, und lehnte sich zurück. “Ich bin mir sicher, Valke bereitet genau jetzt, noch während unser Adel ahnungslos feiert, seinen nächsten Schachzug vor.”

“Wie werden sich die Hierokraten verhalten. Ich nehme doch an, sie wissen bereits, …”

“Ja, natürlich wissen sie es. Ich bin mir sicher, Falkner hat seine Späher ebenso kundig im Reich verteilt wie wir.”

“Falkner, Valke - wer werden die weiteren Spieler auf dem Schachbrett sein?”

“Schwer zu sagen. Die Lage ist derzeit bestenfalls unübersichtlich. Wir brauchen mehr Informationen.” Mit diesen Worten sah er vom Schreiben auf und richtete seinen Blick vielsagend zu ihr.

“Was. Ich?”

“Ich brauche jemanden, dem ich vertrauen kann. Vertrauen ist ein seltenes Gut geworden in diesen Zeiten.”

“Aber … “ die Frau erfasste in jäher Erkenntnis die gesamte Tragweite seiner Absicht. “Ich stehe kurz vor der Aufnahme, meine Ausbildung hat eben erst begonnen!”

“Kayra!” Mit einem mal war da wieder der brachiale, unerbittliche Kasernenton, für den er berühmt und berüchtigt war. “Kayra …” er zügelte die Schärfe in seiner Stimme mühevoll. “Deine mangelnde Ausbildung gereicht uns hier vermutlich eher zum Vorteil. Auch, dass dich niemand kennt, wird nicht schaden. Ich brauche jemanden, der unauffällig genug ist, um inmitten dieses Nests aus Nattern unbehelligt Nachforschungen anzustellen, was wirklich mit unserem Herzog geschehen ist. Und wer die Drahtzieher sind.”

“Drahtzieher? Du glaubst, dass mehr dahinter steckt als ein Blutbad abyssalischer Kreaturen?”

“Ich bin zu lange in den Diensten unseres Adels, als dass ich noch an Zufälle glauben würde. Jedes schwächelnde Wild zieht unweigerlich geifernde Raubtiere an, welche nur auf den rechten Moment warten, um zuzuschlagen. Unser Reich war schon zu lange geschwächt - der König fort, das wieder aufflammende Mondwächtertum, schwache und zerstrittene Lehen rings um Silendir herum. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich eines der Raubtiere vorwagen würde.”

“Ravinsthal?”

“Ich weiss es nicht. Valke ist ein alter Fuchs, aber ein alter und sehr kluger Fuchs. Ich denke nicht, dass er dahinter steckt. Zumindest nicht alleine.”

Die Frau liess die Schultern sacken und starrte auf die Geheimdepesche in der Hand des alten Kämpen. “Also Löwenstein. Mitten hinein ins Schlangennest.”

“Ja. Löwenstein. Wir brauchen mehr Informationen.”

Sie blickte vom Schreiben auf zu ihm. “Was, wenn ich scheitere?”

Der alte Kämpe lächelte ein seltsam sanftes Lächeln. “Du bist zwar meine Tochter, aber ich denke du weisst, dass ich nicht rührselig genug bin, um dich alleine mit dieser Aufgabe zu betrauen. Dafür steht zu viel auf dem Spiel. Es wird noch andere geben.”

Sie erwiderte das Lächeln und nach einer Weile, in der sie sich nur schweigend angeschaut hatten, nickte sie langsam und zustimmend.

Das Reich mochte vor einer Zeitenwende stehen, aber solange noch Korn auf Silendirs endlosen Feldern wogte, würden des Herzogs treue Untertanen alles tun, damit Silendir und sein Adel ein Wörtchen bei dieser Zeitenwende würden mitreden können.
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