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"Ihr habt Unrecht getan."
Es war spät geworden, viel später, als ihm vorgeschwebt hatte, als die Türe zum Kontor für Besucher verschlossen worden war. Die Zeit in der stillen Stube war immer rar, immer kostbar - ein Atemholen zwischen der Betriebsamkeit des Tages und den Forderungen der Familie im trauten Heim. Mit den Papieren zu arbeiten war einfach: Sie boten eine Verlässlichkeit, die strauchelnde menschliche Seelen einfach nicht bieten wollten. Sie liessen Zeit zu überlegen.
"Wie seid Ihr hier herein gekommen?"
Selbst im hellen Licht des Tages hätte es einige Momente gebracht, um das Gesicht zu erkennen, um den Zügen des ungerufenen Besuchers einen Namen zuzuordnen - im unruhigen Schein der flackernden Kerzen brauchte es ein wenig mehr als das.
"Ihr habt Unrecht getan."
Die Überraschung wandelte sich in Ärger - nicht glühenden Zorn, sondern grummelnden Verdruss ob der Störung des Friedens.
"Bitte. Diese alte Geschichte? Ihr habt Euch dämlich angestellt und dafür bezahlt. Betrachtet es als Gefallen und dann verschwindet, bevor ich die Stadtwache rufe."
"Ihr habt Unrecht getan."
"Das habe ich schon beim ersten Mal verstanden. Herr Mithras, wart ihr schon immer so verbissen? Versteht Ihr überhaupt, was damals passiert ist?"
"Ich verstehe. Kaltherzigkeit."
Das ungläubige Lachen blieb im Halse stecken, als sich .. etwas .. änderte.
Und der ungerufene Besucher lächelte, lächelte wie einer, der ein vollkommenes Tagewerk betrachtet und wandte sich zum Gehen. Ganz sacht folgten die Finger den verkrusteten Spuren der in den eigenen Leib geritzten Buchstaben, die sich - unsichtbar für jedes fremde Auge - zu einem Wort zusammensetzen.
Gerechtigkeit.
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Und was hatte ihr nun diese gnadenlose Ehrlichkeit gebracht, diese fanatische Wahrheitssucht?
Die Antwort war so simpel wie eindeutig: Ein Fass im Kerker der Kirche.
In jenem hockte Mai nun.
Fiebrig, am ganzen Körper zerschlagen von unzähligen Fausthieben, Schildkanten, Wurfdolchen und kräftigen Händen malträtiert. Einzig das noch leicht nach Wein duftende Holz des Fasses hatte sich wie schützend um sie gelegt und vermittelte ihr ein Gefühl von Geborgenheit. Nahezu anfallsweise war ihre Stimme noch klar verständlich, immer wieder fiel der Name Wilhelm Andras, abgelöst von einem weinerlichen Flehen nach Vergebung.
Je weiter die Nacht voran schritt, um so weniger Widerstand leistete sie. Sogar ihre Knochen schienen keinerlei Widerstand mehr leisten zu wollen, sie wurden nachgiebig, weich und sehr biegsam.
Ab und an war rasselnder Husten zu hören, später dann auch zu sehen, als der Schleim aus ihren Mundwinkeln rann.
Selbst ein Laie würde sehen können, dass das Ende der Katharine Maibach bevorstand.
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Ein Spiegel. Ein Mithrasverdammter Spiegel! Sah er etwa aus wie einer der Kesselflicker? Nein er war ein verdammter Grobschmied. Spiegel waren nicht sein Geschäft und er hasste es, etwas herzustellen oder zu bauen oder Mithrasweiswasnoch zu basteln, das nichts mit seinem eigentlichen Handwerk zu tun hatte. Das hatte nichts damit zu tun, dass die Vogtin über ihn verfügt hatte, wie über einen Leibeigenen und das obwohl er noch nicht mal Bürger ihrer Baronie war. Er hatte sie ja höflich darauf hingewiesen, dass sie sich etwas im Ton vergriffen hatte, daraufhin hatten sie und jene die ihr jeden Wunsch von den Augen ablasen ihn angestarrt als hätte er plötzlich Hörner bekommen - er fragte sich, ob er sonst einfach zu handzahm war, bei Aki hätte eine viel heftigere Erwiderung auf ihren barschen Befehl keinen verwundert, aber Goran war nun einmal prinzipiell erst einmal nett zu Menschen, das mochte wohl einer seiner Fehler sein, der andere dazu veranlasste zu glauben, er wäre ein Schaf über das sie nach Belieben verfügen könnten.
Nein es hatte etwas damit zu tun dass er nunmal Schmied war, kein Feinschmied, kein Maurer, kein Schreiner, kein Steinmetz oder sonst irgend etwas, sondern ein Schmied.
Aber hier ging es nun leider nicht um persönliche Vorlieben, sondern darum mehrere Waffenbrüder, die Seite an Seite mit ihm gegen diese Flut an pelzigen kleinen Plagegeistern und diesem seltsamen Schleim gefochten hatten, darunter auch ein Legionär, zu befreien.
Also musste er über seinen Schatten springen und sowohl außerhalb seines eigentlichen Handwerks arbeiten, als auch das tun, was diese überhebliche Adelige von ihm verlangt hatte. Ein Silberspiegel musste her!
Er starrte mehrere Minuten auf die Silberbarren in seinen Händen. Ein ordentlicher Spiegel mit hübschem Rahmen und dergleichen war nichts was ihm lag. Er erschuf Gebrauchsgegenstände die in erster Linie funktional waren und nur in seltenen Fällen, meistens dann wenn die Kirche bestellte und sein Werk somit Mithras ehren sollte, mühte er sich mit Verzierungen ab. Also würde auch der Spiegel schlicht und funktional sein, nicht mehr als eine auf Hochglanz polierte Silberplatte.
Er warf die Barren in den Schmelztiegel und stellte ihn auf die Esse. Mit kräftigen, routinierten Stößen fachte er die Glut in den Kohlen weiter an, bis sie kirchenrot glühten. Auf dieser Temperatur hielt er sie, bis die Barren vollständig geschmolzen waren. Während er auf das Schmelzen wartete nahm er vier Bretter zur Hand- zwei lange und zwei kurze. Er fegte mit einer unwirschen Armbewegung den Steintisch in der Schmiede frei von sämtlichem Gerümpel, was sich dort unnötigerweise befand. Beric, der daneben stand wollte eben zu tadelnden Worten ansetzen, da brachte ihn ein einziger, wütender Blick des Meisterschmiedes zum Schweigen. Er setzte zwei der Bretter in einem rechten Winkel aneinander und trieb mit wenigen gezielten Hammerschlägen ein paar Nägel ein. So fuhr er auch mit dem dritten und dem vierten Brett fort, bis er eine rechteckige, rudimentäre Form hergestellt hatte.
Er wackelte prüfend daran und stellte mit Zufriedenheit fest, dass sowohl der Schreiner, der die Bretter zu verantworten hatte, als auch der Steinmetz der den Tisch auf dem Gewissen hatte, mit Sorgfalt gearbeitet hatten, sodass sich kaum Luft zwischen den Brettern und dem Tisch befand.
Mit Handschuhen und Zangen bewaffnet nahm er den Schmelztiegel hoch und goss gleichmäßig das flüssige Silber in seine behelfsmäßge Form.
Sobald das Silber ausgehärtet war, würde die lästige Poliererei beginnen - aber das war nun einmal unabwendbar.
Am nächsten Morgen klopft es mehrmals recht früh gegen die Türe der Vogtei. Sobald jemand aufmacht wird er nur noch den rechteckigen, polierten Spiegel, mit ein paar Ösen zur Aufnahme von etwaigen Haken an der Rückseite, vorfinden. Vom Klopfer fehlt jede Spur...
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13.05.2017, 00:44
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 13.05.2017, 00:56 von Cois Mártainn.)
Schattenlos
Verzweifelt versucht er die unzähligen Puzzleteile die er seit den Tagen vor der Blutkonklave aufgesammelt hatte weil sie so passend aussahen zu einem Bild zusammen zu Formen, doch es mochte ihm nicht gelingen. Ein Teil von ihm riet ihm unentwegt das es mehrere Bilder waren die er da anstarrte und doch, ein größerer Teil deutete mit einem riesengroßen Pfeil auf ein großes Ganzes das er nicht sehen konnte. Er war gerade dabei das Gedicht des Truchsess irgendwie in das Bild zu pressen als eine Stimme ihn aus den Gedanken riss:“ Druide!“ Eine der Legionärinnen, er war sich nicht sicher ob er ihren Namen kannte, er versuchte sich ihre Gesichter nicht zu merken, es war nie schön wenn der Feind ein Gesicht hatte. „ Gebt dem Spiegel Kraft, irgendwas... Dings, Bitte. Geht das?“ Seine ewig steinerne Miene täuschte über seine Überraschung hinweg. Eine Sonnenlegionärin, eine Dienerin des „ einen einzig Wahren unter all den anderen“ bat ihm, einen Diener jener anderen , diese um Hilfe zu bitten. Ihm war danach lauthals los zu lachen, stattdessen hob er nur eine Braue und richtete seinen blick auf den Spiegel. Er musste Anouk da raus holen... zu welchem Preis auch immer:“ Es handelt sich um ein hermetisches Ritual, aber, ich kann es versuchen.“ Er wusste der Preis würde nicht billig werden, und ein paar Kräuter oder verbrannte Felle übersteigen, er trat Richtung des Ritualkreises, sank auf die Knie herab und meinte ohne in eine spezifische Richtung zu sehen:“ Ich brauche Feuer.“ Schnell wurde ihm eine Laterne gereicht, welche er ihrer Kerze beraubte. Diese stellte er neben sich auf. Er striff sich seine Handschuhe von den Händen um dann ein Messer aus seinem Wurfmessergurt zu ziehen und sich in die Linke Hand zu schneiden. Er hatte dies schon so oft getan, er verzog nicht einmal eine Miene. Er ballte die Faust zusammen und lies ein paar Bluttropfen auf die Kerze hinab tropfen, dann legte er die blutige Hand auf den Rubin des Ritualkreises der ihm am nächsten war.
„Ogma“ Begann er in einem emotionaleren Ton als sonst zu sprechen " Ich bitte dich, ich flehe dich an, nimm mein Blut als Opfer, gib diesem Kreis, gib diesem Spiegel Kraft. Ogma, bitte erhöre mich." Er spührte etwas .. er sah Dinge... in Trance gab er wieder was sich ihm erschloss: “ Ein .... krümmender Weg.... der sich in unbestimmte Entfernung windet. Ein Riss... eine eingestürzte Brücke.... Zwei... sind eins. Doch.. sie finden sich nicht.... Oh Ogma.. Zwei Orte... sind einer... sie finden nicht zusammen... die Brücke... der Weg... ein Riss..“
„ Wie... Wie! Wie reparieren wir ihn?“ war der letzte klare Satz den er sprach. Seine Haut war inzwischen noch blasser als sonst. Sein Kopf reckte sich gen Decke, die Augen nach wie vor geschlossen. Die Antwort lag eindeutig in der Hermetik, er konnte hier nichts tun, noch nicht. Doch nun... wo er hier war, war er noch lange nicht zufrieden. Er wollte antworten, nicht nur über den Spiegel und die gebrochene Verbindung, nein... er musste den Zusammenhang verstehen. Der Schleim, die Schattenlosen, die Bleichen, die Wölfe, der Truchsess, sein Gedicht, die Steine, der Spiegel … alles. Er musste das Bild sehen, er brauchte antworten. Er musste tiefer... "Ghalates, ich brauche Antworten, ich brauche Einsicht.... ich brauche Hilfe."
Die umstehenden merkten wie der Druide wie ein Nasser Sack leinen zusammensackte und so verharrte er. Nur seine Atmung und das zucken seiner Augenlider verriet das der Mann noch am Leben war. Er bemerkte nicht, wie ihn eine der Wachen schüttelte, nicht wie sie seine Wunde verband, nicht wie die Wache und der Edle Savaen in aus der Kanalisation schleppten und ihn ins Heilerhaus brachten. Auch nicht wie sie ihm die Rüstung abnahmen und dann alleine in der Kammer ließen. Er lag nur da, wie ein Toter, abgesehen von seiner Atmung, und seinen zuckenden Augenlidern.
"Schattenlos..."
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18.05.2017, 11:34
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 18.05.2017, 11:35 von Armaud.)
Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis die Spur schliesslich aufgenommen wurde, aber so war es immer: Die Gerechtigkeit musste sich eilen, um dem überwältigenden Griff der Bürokratie zu entkommen, um nicht in den Mühlen menschengemachter Gesetze zermahlen zu werden, bis von ihr nur noch Staub blieb. Am Ende, dass realisierte der Mann, während er den Fahndungsaufruf betrachtete, würde es genau das sein, was ihm blühte.
'Aber davon darf die Gewissheit sich nicht schrecken lassen. Wo das Werk der Tugend getan werden muss, ist kein Raum für Zaudern und Zögern. Kein Raum für Angst vor dem Unausweichlichen.'
Ein Moment der Verwirrung, während die Augen weiterhin an den Zeilen hingen, den Gedanken folgend, die gerade durch seinen Geist gewandert waren. Wann hatte er das zuletzt gehört?
"Ein ganzer Gulden! Da kann man schon schwach werden, was?"
Die Frau hatte ihre besten Jahre ohne Zweifel schon hinter sich, ihre Finger waren gekrümmt, die Knöcheln geschwollen und der Satz zerschlissener Kleidung würde den Sommer nicht mehr erleben. In den Augen aber, in jenem Funkeln in Aussicht einer möglichen Belohnung, strahlte eine Erinnerung an früheres Feuer, an Emotionen und Wünsche. Glut, die zu Asche geworden war.
"Wir alle folgen unserer Pflicht. Manche ist einfach zu erfüllen, zu tragen wie ein bequemer Bärenfellmantel, wärmend und betörend. Und manche Pflicht fordert alles von Euch, was Ihr habt. Eure Ehre, euren Besitz, euer Leben."
Verständnislosigkeit mischte sich mit Vorsicht auf dem Gesicht, der Funke zog sich zurück um der Demut des täglichen Lebens Platz zu schaffen. Sich ducken. Ausweichen. Und schon war sie fort.
Eine weitere verlorene Seele in dieser Stadt und während er nach dem Spiegel in der Tasche tastete, lauschte er auf das Flüstern, das ihn sonst so zuverlässig geleitet hatte - aber die Stimme blieb stumm. Die Gerechtigkeit hatte nichts vor mit dieser Frau.
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Die Sünden hinterliessen immer ihre Zeichen an jenen, die sich ihnen unterwarfen. Manchmal dezent, meist aber recht offensichtlich und der fette Banker war ein gutes Beispiel dafür. Die Hemmungslosigkeit, die er in den täglichen Geschäften durch Verträge und Gesetze eingefangen und unterworfen hatte, offenbarte sich im Ventil der Fresssucht, schuf sich Raum in der Gier, mit der der Mann Essen verschlang. Am Liebsten, daran hatte Wilhelm Andras keinen Zweifel, würde er auf diese Weise auch Gold und Edelsteine, Wertbriefe und Grundbesitzurkunden verschlingen. Vielleicht sogar Menschen.
Das würde keine Rolle mehr spielen.
"Herr Areng?"
Die kleinen Äuglein verrieten nichts von der Gier, geschickt verbarg sich die Sünde hinter dem jovialen Lächeln des schnaufenden Mannes und seinem klebigen Händedruck. Das Schwitzen, da war Wilhelm sich plötzlich sicher, war auch einer der Preise, denn Areng dafür bezahlte sich in der Öffentlichkeit zu bezähmen.
"Ich habe hier etwas, was Ihr Euch ansehen müsst. Ein Einzelstück."
Auf den ersten Blick war der Handspiegel nichts Besonderes: Eine ovale Silberscheibe in einem Rahmen aus einem hellem Holz. Wenn man ihn freilich in die Hand nahm, konnte man den Irrtum bemerken: Was wie Holz erschien, war etwas Anderes, Knochen vielleicht - nur, dass kein Knochen jemals in so eine Form wachsen konnte und Bearbeitungsspuren gab es keine an dem Stück. Während der Handgriff vollkommen glatt war, trug der Spiegelrahmen eine ganze Anzahl vermeintlicher Runen - in Wirklichkeit wohl einfach das zufällige Gekritzel eines Handwerkers, der seinem Stück einen besonderen Nimbus verleihen wollte.
"Das ist wirklich ein sehr hübsches Stück, Herr Andras."
Der kurze Moment von Verwirrung paarte sich mit aufflammendem Ärger und einer feinen Note geschmeichelter Verlegenheit.
'Er weiss, wer ich bin. Woher weiss der, wer ich bin?'
Nicht, dass das eine Rolle spielen würde.
"Seht nur hinein, Herr Areng. Ihr habt Unrecht getan. Seht die Maßlosigkeit.
Das Lächeln gefror auf den Lippen Wilhelms, als nichts geschah. Die Magie, sonst so zuverlässig, versagte einfach und es brauchte zwei Momente schockierter Verlegenheit, um den Grund zu begreifen: Der Banker war einfach so fett, dass seine Abbildung nicht in Gänze in den kleinen Spiegel hineinpasste.
"Ich würde Euch 20 Schilling dafür geben, Herr Andras. Wie ihr wisst, sammle ich hübsche Dinge."
Der Satz war an den Flüchtenden verschwendet: Es würde eine andere, bessere Gelegenheit geben. Die Gerechtigkeit würde nicht versagen. Die Gerechtigkeit konnte nicht versagen.
Sie musste sich nur eilen, denn die Liste war noch lang.
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21.05.2017, 22:34
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 21.05.2017, 22:40 von Leevin Waldwind.)
Die nicht chronologische und unvollständige Wiedergabe der Ereignisse auf der anderen Seite.
Seine Augenflüssigkeit schien zu erfrieren ob der plötzlichen eisigen Kälte im Theater. Die ohnehin schon miserable Sicht, die seit dem ungewollten Auftauchen der Sechs in diesem Zerrbild von Löwenstein sich mit jeder Stund verschlechterte, kam ihm abhanden. Reflexartig ergriff die linke Hand den hölzernen Geländerholm. Halt suchend in einer Welt, die im Rückzug begriffen war. Selbst das Holz strahlte umbarmherzige Kälte aus. Zeichen genug, die Augen trotz großer Müdigkeit offen zu halten und vor allem nicht zu verharren. Bei dieser klirrenden Kälte hilft Bewegung – wenngleich nicht für lang. Bloß nicht einschlafen, nicht stehen bleiben, nicht zur Eisskulptur verkommen. Die Augen öffnen sich, blicken ein letztes Mal zum abgerissenen Arm, der zu irgendeinem Körper gehörte. War es der Gesuchte? Er sah hinab, den Kotzwunsch unterdrückend, und mit Panik in Stimme mahnte er die Fünf zur Bewegung. Erfüllt von Trägheit schleppte er sich die Treppe hinab zu den anderen. Auf der quälend lange Reise dämmerte ihm, dass dies seine zur Wirklichkeit gewordene Erinnerung an die Umstände an Ravinsthal sind. Bedingungen, denen er sich durch die Abreise aus genannten Lehen entzog. Hinfort von unwirklichen, lebensfeindlichen Bedingungen, die er nicht länger ertragen wollte. "Heimatgefühle – fliegt doch einfach wie Schneeflocken davon!"
Seine Augen öffnen sich neuerlich. Zurück im Spiegelraum, der ganz offenbar als Falle ausgelegt wurde, so nah an der Treppe und durch nur eine Türe geschützt. Sie sind vor Tagen mit wachsamen Augen hineingelaufen. Verschwunden und nun: Zurück
Freude kam nicht auf oder doch, er bemerkte es nicht. Er wollte weg. Hinfort von hier und hinein ins Bett. Und zu ihr. Zu ihr, obwohl sie ihm anfangs mit gehobener Distanziertheit begegnete. Wandlung durch Annäherung – vielleicht jedoch auch nicht. Und als ihm gerade ihr Gesicht im Geiste auftauchte, erklang es unweit seiner Wandanlehnposition "Mithras obsiegt" "Immer" "Immer" "Immer" – kehlte es siegestrunken zurück. Ein fahriger Blick seinerseits zu den Legionären des Lichts. Und in seiner Gedankenwelt überkam ihm eine andere Erinnerung, die die Sechs ein Glück nicht in der falschen Ebene aufsuchte. Vielleicht war seine Erinnerung auch zum Glück zu vage. Zum Glück und er dachte an die Worte von Fräulein Winter in der Akademie. Die detailose Erwähnung ihrer anderen Erinnerung. Glück und Glück.
"Mithras obsiegt!" "Immer" "Immer" "Immer" hallte es abermals, jedoch nur in seinem Kopf. Sein Gesicht war vor Anstrengungen, Hunger und Müdigkeit gezeichnet und so muss sein nunmehr angrifflustiges Mimikspiel kein Aufsehen erregt haben. Ein blauer Strich über ein blaues Meer fällt auch selten sofort auf. In seinem Kopf formte sich tobend die Aussage: "Mithras obsiegt mit oder ohne euren Dasein. Ihr beschissenen Knilche der Banalisierung. Wer zu jedem Anlass die göttliche Schaffenskraft erwähnt, wird irgendwann kein Gehör mehr finden."
Er entzog den Lichtgestalten die Aufmerksamkeit, es dröhnte zu sehr zwischen den Ohren. Blicke zum ohnmächtigen Fräulein Strastenberg. Prüfende Blicke – kein Blut, sie atmet, sie lebt. Die anderen fünf gleichsam. Auf dem Rückweg vom Löwen achtete er auf die Fünf, wenn auch nur blicktechnisch. Die anderen, die Retter – er kannte davon eh kaum wen – waren ihm gleich. Nur hier bleiben sollte niemand. Dieses Zerrbild verschlang sich selbst. Unschärfe gewann an Stärke und keine acht Schritt weiter, war einfach Nichts mehr zu sehen. Eventuell war dahinter auch wirklich Nichts mehr.
Nur hier bleiben sollte niemand. Fräulein Nadja, die die Gruppe vor einigen Tagen aufsuchte, blieb definitiv zurück – oder? Wie auch dieser grobschlächtig-verbale Typ vom Alten Hafen. Sie alle sind, oder waren, verknüpft mit Herr Andras. Soviel erfuhr er aus dem emotionslosen Verhör, dass er mit Fräulein Nadya führte. "Ihr seid tot" "Ihr wurdet tot gefunden – was macht ihr hier?" Emotionsloser Arsch, doch musste er egal wie, Antworten erhalten, auf dass Anouk es übermitteln konnte.
"Emotionsloser Arsch. Hah."
Ein Stück der Fassade perlte von ihm ab. Zeit, die Wunde zu behandeln, ehe es auffällt.
Zurück in Hohenquell, wo es herrlich nach Kuhscheiße duftet. Ein Geruch, der von Heimat kündet.
"Essen, endlich wieder Essen mit Geschmack...Und Trinken, Erdbeersaft!"
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21.06.2017, 21:56
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 22.06.2017, 10:23 von Leevin Waldwind.)
Wochen später, in einem Ort Namens Hohenquell.
Auf einem Balkon saß ein junger Mann auf einer bequemen Holzbank. Die Beine in wenig anmutender Haltung davon gestreckt, der Rücken leicht bucklig, das Hohlkreuz zeigend. Der Blick starr hinab gesenkt auf ein Schriftstück, was allgemein als Gösselpost bekannt ist. Die Mimik von Argwohn gezeichnet. Kurz zuvor ward die oberflächliche candarische Ruh von verfluchenden Worten gestört: "Welches von Mithras verlassene Rindskopf hilft diesem selbstgerechten Arschloch von Andras, in dem es den Namen seines Häschers verschriftlich. Diese Löwensteiner Drecksbande. Sich für keine Dummheit zu fein".
Schweigen. Der starre Blick wurd ungesund lange aufrecht gehalten. Unter Gestöhne erhebte sich der Mann und auf leisen Sohlen wird die Heimstätte verlassen. Noch in der Nacht in Richtung Löwenstein geritten. Fackel schwingend auf dem Wege dorthin. Er brauchte Antworten und wenn die Gösselpost so freizügig mit Informationen um sich warf, wer weiß, vielleicht findet sich in alten Ausgaben noch hilfreiches. Wäre kein schlechter Ausgleich dafür, dass ein besonders einfältiger Schreiberling mit seiner Drecksfeder seinen Namen in die Gösselpost verbannte. Alles zu seiner Zeit. Alles zu seiner Zeit. Sein Gemüt beruhigte sich zunehmend, ohnehin brauchte er alle Konzentration während des nächtlichen Ritts.
Leicht staubige Schriftstücke werden gewendet, belesen und Abschriften auf mitgebrachten Schriftstücken angefertigt. Die Mimik, verziert durch minimal angehobene Mundwinkel, ist Zeuge seines Sucherfolgs. Es wurd mehr gefunden, als erhofft war. Sekundenschlaf sucht den müden Leib auf, zieht und zerrt an ihm. Die Nacht wird nicht ganz zum Tage, denn irgendwann zieht es ihm hinfort. Eine Taverne wird aufgesucht, eine Stätte, die ihm schon in der Spiegelebene Zuflucht war. Dort ist es gewiss sicher.
Wenige Tage vor dem Wutanfall, wieder in Hohenquell.
Der Schmerz drückte von innen heraus gegen den Schädel. Der Kopf schwer, die Ohren voll von Klageleid und Sensibelkeiten anderer. Die anderen: Menschen, die er gerade an der Taverne verabschiedete und für deren Einsatz er sich höflich, dem Anstand folgend, bedankte
Eine kleine Gruppe fand sich zusammen. Gezielt seinerseits angeschrieben. Jeder von ihnen gehörte einer anderen Fraktion an, so möge sich das Ergebnis und notwendige Berichte ob der Suche von allein verbreiten. Gemein ist ihnen wohl nur die Wohnstätte Löwenstein. Er benötigte verschiedene Sichtweisen, Erfahrungen und Herangehensweise. Das war beabsichtigt. Er wollte den Erfahrungsschatz anderer zum Wohle der Suche einsetzen. Für die Suche nach dem Wihelm Andras schob er sogar seine Faulheit zur Seite. So halb wenigstens. So richtige viele Personen kennt er nicht und so war die Auswahl begrenzt.
Der Trupp, verstärkt durch zwei Gardisten aus Löwenstein, zog nach leidlicher Verzögerung aufgrund Unstimmigkeiten innerhalb der Gruppe los. Wer darf wo was und vor allem wie. Die Bedingungen müssen stimmen - jah, jah. Kaum in Greifanger angekommen und auf einen groben Plan geeinigt, schien die Last der vielen Augen, die aus dem Schatten heraus die Gruppe anstarrten, eine größere Last zu sein, als er sich ausmalte. Ekelhaft, als ob er auf einer Theaterbühne steht. Es wurd Nichts gefunden, nicht einmal die sterblichen Überreste eines Wilhelm Andras. Sehr bedauerlich. Doch die einst nur starrenden Augen zog es hinaus aus dem Schatten, hinweg von der Passivität zu einem gewaltverherrlichenden Stil. Es wurd eng und die Truppe zog es zurück nach Hohenquell.
Von Ruhe keiner Spur. Sitzend vor der Taverne wurden Feindseligkeiten hübsch in Worte verpackt und einander vorgeworfen. Es ging dabei nicht um die Suche nach Wihelm Andras. Wer hat welchen Gegenstand aus welchem Grunde und wird aus anderem Grunde diesen Gegenstand und jene Erkenntnis nicht teilen, weil irgendwann irgendwas gesagt oder nicht getan wurde. Alle das nicht zielführende Gerede war Quell seiner Kopfschmerzen. Eindeutig. Er musste gehen. Hinfort von diesem erlähmenden Gesprächen. Er wollte nur..., nur eine Gruppe finden, sich gemeinsam zur Suche aufraffen und körperlich unversehrt zurück. Minimalziel erreicht. Doch diese Gruppe, schwierig. Sehr schwierig.
Er war dennoch dankbar. Niemand ist zu Schaden gekommen und es wurd etwas getan. Ein Anfang und ein nicht einmal kleiner, angesichts dessen, wie Fremd sich die Beteiligten untereinander sind oder schon vor langer Zeit geworden sind. Da dachte er an Fräulein Strastenberg, die emsige Schöffin aus Löwenstein. Wie hält sie das nur aus? Welches Rezept wendet sie an, um nicht der Verrücktheit ein williges Opfer zu sein? Und gedanklich dankte er ihr, wo sie seine Suche an richtiger Stelle erwähnte und der Oberleutnant entsprechend zu handeln wusste und am Ende selbst anwesend war. Sehr schön. Es funktioniert doch
Kürzlich hat sich folgendes zugetragen, am alten Fürstenhof in Servano.
"Berninger....Berninger...oh ja natürlich, die Juweliere aus der Altstadtgasse.
Ja, die sind stadtbekannt."
"Nur Schmuck oder auch feinste Gegenstände, die eher ein Raum schmücken? Wie Gläser, Vasen oder Spiegel?"
"Ich meine hauptsächlich Schmuck und Schmucksteine...Spiegel...ich glaube, die wurden verziert, das kann ich aber nicht mehr mit Bestimmtheit sagen. Aber der alte Berninger wurde verrückt. Man sagt, das ihn die Steine, oder besser ein Stein irrsinnig gemacht hat. Aber das kann ich kaum glauben"
"Stein, jah. Was für eine Art Stein? Davon habe ich keinerlei Ahnung. Ihr meint eine Art Rubin?"
"Ich glaube ja, es war ein Rubin, es soll ein wunderschöner gewesen sein."
Gedankenverloren stopfte er sich die frischen Zuckersteine in den Mund. Lutschte an diesen unnötig lange herum. Die eben gehörten Worte versumpften gemählich im Kopf.
Zurück in Hohenquell, auf einem altbekannten Balkon.
Mit einem Anflug von Überheblichkeit erdachte er sich die Zukunft, wie es wäre, Wilhelm Andras zu treffen. Ihm gegenüber zu stehen. Er, der all das Leid erlitt und zu einem gewissen Zeitpunkt der falschen, vorgeblichen helfenden Hand, die ihm angeboten wurde, ergriff und sich aus dem Loch, in dem ihm andere und seine Blindheit führten, hervor ziehen ließ. Nur um später zum willigen Werkzeug verformt zu werden. Er würde Andras am liebsten umarmen. Wie der Vater sein Kind. Ihm sagen, wie bedauerlich er dies alles findet. Ihm sagen, dass Mithras ihm bei echter Reue vielleicht vergeben wird und dann, würde er Andras das Jagdmesser in den Rücken rammen. Ihn anlächeln und meinen, Mithras ist Perfekt und ich..., ich werde es nie sein. Ihn zu Boden geleiten. Einen Trunk der starken Schmerzminderung einflößen und Andras lebend häuten. Eine geringe Strafe für das, was Andras auf seinen selbstgerechten Feldzug der Rache anrichtete.
"Mithras straft alle. Vergeht unter seinem strahlenden Antlitz der Reinigung."
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