Auge um Auge...
#1






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Mondtag, 6. Hornung 1404




Leises Ein- und Ausatmen.

Der bald volle Mond, der durch das viel zu kleine Turmfenster in den viel zu kleinen Raum fiel, malte groteske Schatten an der granitenen Wand und beleuchtete das friedliche Gesicht des Schlafenden neben ihr.

Ein- und Ausatmen.

Normalerweise beruhigte es sie, dieses seichte und entspannte Luftholen, der Rhythmus und das so offensichtliche Loslassen vom Alltag. Doch nicht heute, nicht gestern und vermutlich auch nicht morgen.

Einatmen.

Sie wusste nicht mehr wie sie liegen sollte. Egal wie sie sich wand, die Rippen schmerzten und ließen ihr bis in die totale Erschöpfung hinein keine Ruhe.

Ausatmen.

Sie zog sich aus den haltenden Armen und ließ den Schlafenden allein auf seiner Bettstatt zurück. Er wirkte so klein, so allein im fahlen, matten Licht in der Kammer. Doch, sie würde ihn nur wecken wenn sie blieb. Also schlüpfte sie in ihre Kleidung und verließ das stille Zimmer.

Irgendwann würde sie sich für ihre nächtlichen Ausflüge verantworten müssen. Irgendwann, doch nicht jetzt und heute. Er stellte keine Fragen und das war vielleicht auch besser so. Vermutlich war ihm das tief im Inneren auch bewusst.

Vor der Tür angekommen wand sie den Blick zum Himmel. Der fahle Dreiviertelmond erhellte den Hof, die gähnende Wache kurz vor dem Einnicken und das ungastliche Interieur. Sie überquerte den kurzen Weg über den Wehrgang und folgte der Treppe hinab. Normalerweise zählte es kaum zwei Augenblicke, das steinerne Gefängnis zu verlassen, doch seit Tagen lief sie nur gemäßigten Tempo.

Verdammte Schmerzen!

Die Wut war längst abgeklungen. Heiß war sie gewesen, glühend wie der Hochofen in der Schmiede in rotgoldenen Farben. Sie ließ sie zittern und beben, ließ sie des Nächtens schreien und die Fingernägel in die Handballen bohren. Doch dann war sie verschwunden und überließ sie etwas anderem.

Etwas was dem im Gegenteil stand und gerecht wurde. Der kalte, eisige Stachel in ihren Eingeweiden, dieser Drang und tiefempfundene Sehnsucht ließ sie erneut erzittern und brachte ihr die Unruhe. Diesen einen Hunger, der noch nicht gestillt werden wurde.

Ohja, sie kannte ihn. Sie begrüßte ihn und fürchtete ihn gleichermaßen, denn noch nie hatte er sich so stark in ihr geregt.

Unbewusst schienen die kleinen Füße ihren Weg über das raue Pflaster der Stadt, mit den verdorrten Moosresten des letzten Sommers, gefunden zu haben. Sie sah über den stillen Marktplatz, der am Tage doch so rege besucht war und einem Ameisenhaufen glich. Am Pranger stand ein weiterer Wachmann und auch er gähnt. Wüsste sie es nicht besser, hätte sie schwören können, es wäre der Gleiche. Die meisten glichen sich seltsamerweise wie aufs Haar. Möglicherweise waren sie ja alle miteinander verwandt.

Ruhelos umrundete sie den Marktplatz einmal…zweimal, ohne ihn bewusst wahrzunehmen und sank dann auf die Holzstufen der Bühne nieder. Sie zog den Kopf zwischen den pelzigen Kragen ihres Mantels und betrachtete die Kirchenpforte.

Sie rührte sich nicht als der grazile Schatten neben sie trat und sich schweigend zu ihr auf die Stufen herabließ.

Nach einer Weile, in denen sie gemeinsam die kondensierten Atemwölkchen in die Luft stießen, fragte sie endlich leise:

„Du auch?“


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#2
Als der erste Sonnenstrahl auf die bronzene Rüstung traf, erhellte sich das ernste Gesicht für einen Augenblick. Mithras war groß und sie dankbar, ihm dienen zu dürfen, hier, im Zentrum der zivilisierten Welt. Vor dem Tempel bestritt sie ihre Wacht, den Markt immer im Blick.
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#3






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Tag des Dienstes, 7. Hornung 1404


Sie schlich an der Wand entlang und, das am helllichten Tage. Die kleinen Finger tasteten dabei gespreizt über das poröse Mauerwerk ungeachtet dessen, was es mit der Sauberkeit ihrer Hände anrichtete oder auch den Fingernägeln. Das allein eine vorbeihuschende Ratte sie erschreckte sprach Bände. Der vorhergehende Abend hatte definitiv seine Spuren hinterlassen.

Eben noch war die Straße leer gewesen. Die Abenddämmerung hatte eingesetzt, labte sich am letzten grauen Licht des Tages und zog es allmählich in das dunkle Blau der Nacht. Die beiden städtischen Laternenanzünder stiefelten gemächlich an ihr vorbei in ihren schweren, grauen Kutscherumhängen und unterhielten sich über Löwensteins momentanes Lieblingsthema: Die freien Männer. Die Stange zum Öffnen und entzünden der Laternen, war locker geschultert und sie pafften beide ihre Pfeife. Ja, wer hier für die Verwaltung arbeitete, hatte es wohl ziemlich gut. Nicht zu vergleichen mit den Inseln, wo eigentlich alles in irgendeiner Art und Weise zum Überlebenskampf ausartete. Sie sah den beiden noch eine Weile nach und neidete ihnen ihre Gelassenheit. Mit geschürzten Lippen wand sie sich um und setzte an weiterzugehen als sie dem Grauen gewahr wurde:

Die schreiend rote Robe, selbstgefällig und sich stets der Überlegenheit bewusst. Eine Priesterin. Gefolgt von einem beladenen Packpferd, an den Zügeln geführt von einem jener schwer gerüsteten, üblen Fanatikern, die sich selbst „Legionäre“ nannten. Sie füllten den Weg und das Sichtfeld der kleinen Frau, blendeten Rest aus wie ein einzelner, drohender Farbklecks im grauen Farbenmeer. Ihr stockte der Atem.

Geh‘ einen Schritt zur Seite, lass sie passieren…grüße höflich und verhalte dich unauffällig.

Den Mithrasgruß überhörte sie dann beinahe doch und machte so ihren ersten fehler. Sie zögerte mit dem Gegengruß, haderte mit dem Würgereiz und spie dann endlich die Grußworte aus. Natürlich ohne die Erwähnung eines angeblichen Sonnengottes.

Verdammt…

Der Rotkutte schien es zu genügen Sie setzte sich in Bewegung und sie erlaubte es sich durchzuatmen. Doch der Zug hielt abermals inne und vor ihr stand der Gerüstete, sprach...nein brüllte und es hallte in ihren Erinnerungen wieder...

…dumpf dröhnend die Stimme, erfüllt von Eis und Stein. Geboren in blinder Wut und bewahrt in Hass…

Sie spürte in ihnen das Echo der Schläge, mit den Kettenschutzbewehrten Händen, des Trittes gegen ihren Körper und den Geruch des Blutes im Raum.

Es war der Peiniger, „das Mithras-Monster“ wie sie ihn heimlich für sich getauft hatte und ES hatte ihren Namen nicht vergessen.

Was auch immer er sagte, es drang nicht zu ihr hindurch. Nur diese erbarmungslose Stimme, die für sie den Untergang symbolisierte. Sie gingen weiter und er hielt den grausamen Blick fortwährend auf sie gerichtet, wie eine weitere Drohung…oder ein Versprechen. Einem unausgesprochenen Fluch gegen die Götter. Bis zuletzt...bis zu jenem Moment, wo sie aus dem Blickfeld entschwanden.

Sie sackte in sich zusammen, wankte und stolperte weiter und bemerkte das Zittern nicht einmal.

Am heutigen Morgen, rückblickend auf jenen Moment, folgte die Verbissenheit. Der bittersüße Gedanke nach Vergeltung, der durch die Adern rann wie Eis. Sie verharrte an der Mauerecke, den Blick über den Marktplatz schweifend… und lauerte…und suchte...

Denn auch ein Monster muss verwundbar sein.


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#4
Ungewohnt unfokussiert ruht ihr Blick auf dem schäbigen durcheinander des Tisches. Einige Phiolen mit Flüssigkeiten unterschiedlicher Farbe und Konsistenz - alles nichts, was man freiwillig anfassen möchte. Ein feuchter Lappen, mit kristallklarer Flüssigkeit vollgesogen - der Geruch zugleich beruhigend wie beissend alkoholisch. Ein kleines Bündel Basteleien, sorgfältig an den hinteren Rand des Tisches gerückt, ausser Reichweite fahriger Hände und plötzlicher Bewegungen.

Ein plötzlicher Schnarchlaut hinter ihr reisst sie aus ihren Gedanken, lässt ihre ganze Gestalt zusammenfahren. Bereits einen Herzschlag später bereut sie ihre Reaktion. Verdächtig. Unverdient. Unnötig. Sie von den neusten und noch unerlebten positiven Gefühlen in ihr ablenkend. Wollte sie das? Nein.

Es war beruhigend und erbaulich zugleich gewesen, ihre Freundin des Nachts zu treffen. War Freundin der richtige Ausdruck? Vielleicht. Sie hoffte es.
Und so sehr sie hoffte, dass sie auch ohne diesen gemeinsamen Abgrund Freundinnen geworden wären (oder werden würden), so war ihr dennoch schmerzhaft bewusst, dass ihr diese Chance genommen worden war.

Jetzt war es die Demütigung. Der Schmerz. Die Wut. Die Rache.

Habt ihr zwei Sie irgendwie provoziert?

Sie musste es ihm erzählen.
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#5






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Wochenmitte, 8. Hornung 1404


Kinder, kommt und ratet,
was im Ofen bratet!
Hört, wie's knallt und zischt.
Bald wird er aufgetischt,
der Zipfel, der Zapfel,
der Kipfel, der Kapfel,
der gelbrote Apfel.

Leise sang sie die Zeilen des alten Kinderliedes vor sich her und biss dann in den Apfel, während sie am hölzernen Stand des Markthändlers lehnte. Sie verzog die Mundwinkel nach unten und kaute langsamer weiter, ohne die wachsame Gestalt auf den Stufen der Kirche aus den Augen zu lassen. Winteräpfel...pfui Spinne! Viel zu sauer und zu mehlig.

Es sei denn, man gab sie in den Backofen, übergossen mit Apfelwein, gewürzt mit gemahlenen Haselnüssen und süßem...

Konzentriere dich Nia!

Kinder, lauft schneller,
holt einen Teller,
holt eine Gabel!
Sperrt auf den Schnabel
für den Zipfel, den Zapfel,
den Kipfel, den Kapfel,
den goldbraunen Apfel!


Sie warf den Apfelgrieps in den nächsten Mülleimer und warf zielsicher dem barfüßigen Händler einen anderen aus dem Korb zu, der an ihrem linken Unterarm baumelte. Jener fing ihn gekonnt ein und grinste sie beifallsheischend an. Sie tat ihm den Gefallen und nickte beeindruckt. So würde er sie wenigstens nicht so schnell fortscheuchend.

Seine Schwester...

Die aufgehende Sonne ließ ihre Rüstung erstrahlen und erhellte den Blondschopf mit dem langen, geflochtenen Haar. Was machten diese Anwärter, Novizen und Legionäre in ihrer Freizeit? Flanieren, Haare kämmen und flechten und den Rest des Tages die Wehr polieren? Das aufsteigende Bild, in dem Die Schwester dem Bruder die Haare flocht, wollte sie schnellstmöglich wieder verdrängen.

Sie pusten und prusten,
sie gucken und schlucken,
sie schnalzen und schmecken,
sie lecken und schlecken
den Zipfel, den Zapfel,
den Kipfel, den Kapfel,
den knusprigen Apfel.

Seine verdammte...Schwester!


Sie lächelte versonnen vor sich her. Nicht fröhlich, nicht heiter, wie man es sonst so von ihr kannte. Es war eine grimmige Zufriedenheit, die nicht so recht zu dem jungen Gesicht passen wollte. Doch die Götter haben es endlich gut gemeint mit ihr.
Sehr gut.

"Mithras zum Gruße Anwärterin Stein"

Danke Avinia!


Schon zuvor war ihr die Ähnlichkeit aufgefallen.

Wie sie das standen auf den Stufen der Kirche. Auf sie herabsehend und ekelhaft überheblich, ja so unglaublich von sich selbst überzeugt und es mit jeder Pore ausstrahlend. Wie sie ihre Person abwerteten und verurteilten.

Ihr werdet schon sehen!

Er erlöste sie und zog sie weiter mit sich und zu sich. In die Sicherheit, in seine Arme und in seine Vertrautheit. Wie konnte er ihr immernoch so nah sein? Sie würde ihn fragen müssen, ihn bitten das unmögliche zu tun.

"Tut mir leid, dass ich so wenig Zeit für dich habe. Du wolltest mich sprechen und es scheint dringlich zu sein!"

Sie schwieg einen Moment, betrachtete seine Gesichtszüge. Einer dieser wenigen Momente, wo sie all' seine Gefühle widerspiegelten. Sie erkannte sie alle und wollte am liebsten jede Einzelne mit einem kleinen Kuss herabsammeln. Doch sie konnte nicht...Nicht jetzt, denn die nächsten Worte könnten alles verändern.

"Ich benötige etwas von Dir"

Er sah sie abwartend an und sie begann die Sachen aufzuzählen. immer schneller sprudelten die Worte hervor. Froh dem Gefängnis entronnen zu sein, bis der Wortschwall endlich verstummte. Er sagte eine Weile gar nichts und hob dann die Brauen.

"Wofür brauchst du das?"

"Bist du sicher, dass du das wirklich wissen willst?"

"Nein...nein, ich vertraue Dir. Komm mit, ich gebe sie dir..."


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#6






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Tag des Donners, 9. Hornung 1404


„Höher!“

Ihre Hände umgriffen den Stecken fester. Die kleinen Finger strichen über das glatte Holz und sie konzentrierte sich auf die schaukelnde Übungspuppe vor sich. Der Knüppel war viel zu schwer für sie und sie spürte bereits jetzt, nach nur fünfzehn Minuten, wie ihre Oberarme begannen taub zu werden. Sie holte wieder aus und schlug wieder fest zu, diesmal jedoch knapp oberhalb der Brust. Staub stob auf und verteilte sich in der Luft. Sievert stöhnte:

„Du hast der Zielperson die Schlüsselbeine gebrochen, herzlichen Glückwunsch! War das deine Absicht?“

Sie schüttelte den Kopf eilig.

„Nein? Verdammt Kind! Du brauchst eine Kiste!“

Ihr lag schon eine freche Erwiderung auf den Lippen, in etwa, dass sie ihn gleich in eine Kiste stecken würde, aber sie biss sich angestrengt auf die Zunge. Sievert war für einen seines Formats freundlich und half ihr ohne Fragen zu stellen. Also so er seine Götterverfluchte Kiste halt holen. Und das tat er. Irgendwas klapperte darin ominös und es schien schwer zu sein. Aber auch sie wollte keine Fragen stellen und stellte sich stattdessen lieber auf die Kiste.

Das war besser, aber sie würde sich eher die Zunge abbeißen, als ihm das zu verraten.

„Also gut, nochmal! Nicht zu fest! Beine weiter auseinander für einen sicheren Stand und Rücken gerade. Nein…Nicht so weit ausholen und nimm den Schwung aus der Schulter und nicht den Oberarmen!“

Welche Schultern? Sie spürte die nicht einmal mehr.

„Schlag zu!“

Bellte er über den Hof der Kriegerakademie, die zum Glück zu jener Zeit Menschenleer war, genau wie die Gasse dahinter. Sie schlug zu und diesmal stimmte die Höhe. Wieder erfüllte grauer Staub die Luft.

Himmel, wurden diese Puppen denn nie gereinigt?

Sievert seufzte und schwieg einen Moment. Dann sagte er resigniert:

„Mädchen…du musst dich mehr unter Kontrolle haben. Der da steht jedenfalls nicht mehr auf.“

Es wurde eine der längsten Nächte ihres Lebens.


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#7






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Freiungstag, 10. Hornung 1404


Ihre nerve surrten angespannt. Mit der Kapuze tief im Gesicht stand sie im Schatten als sie die beiden näherkommen sah. Sie duckte sich tiefer und beobachtete die Blonde neben der verkleideten Freundin.

Widerlich. Wie gerne die sich reden hört. Hält sich für ein Geschenk was? Bist du auch...gleich gleich...

Eine Windböe trug das Geplänkel der beiden herüber. Natürlich. Um Kleider ging es. Wahrscheinlich hattte sie vorher noch groß und breit erzählt, ie sie ihre Haare zum glänzen bringt...oder ihre Wehr.

Verdammt, wieso trägt das Weib heute eine Wehr?

Egal, Hauptsache keinen Helm.

Ihre Hände legten sich fester um den Knüppel und sie lauerte weiter, bis die dumme Mithrasgans endlich Platz nahm.

Sie sprang von der Bank aus den Schatten, nahm den Schwung mit um den Knüppel gegen ihren Hinterkopf prallen zu lassen. genau so, wie Sievert es sagte: Mäßiger Schwung aus der Schulter und kontrolliert. Nicht zu fest und nicht wie...naja...ein Mädchen.

Das Biest schwankte, wollte Schreien, doch die Freundin war schnell genug um ihr die Hand auf den Mund zu pressen. Ihr gab es genug Zeit, den Knüppel am Gürtel zu verstauen. Die Nortgarderin sackte zur Seite. Sie packte sie an ihrem Zopf, zog den Kopf in den Nacken und nah eine Phiole aus der Tasche. Gekonnt, drückte sie den Daumen gegen den Verschluss und ließ ihn aufploppen. Ein Nicken deutete Dyn an, die Hand wegzuziehen und sie goss ihr den Schlafmohn in den nunmehr offenen Mund.
Sieh dir an wie sie schluckt, wie sie würgt! Wo ist ihr denn Gott jetzt?

Sie leerte den kompletten Inhalt in das eben noch so plappernde Mundwerk und versuchte den Flakon zurück in die Tasche zu schieben.

Verdammt!

Fluchte sie innerlich. Das Glas entglitt ihr und zerschellte auf dem Boden.

Egal...mach weiter...los...los...los!

Die nächstgrößere Flasche, die sie aus ihrer Tasche befreite, barg den Alkohol. Mit einer Hand weiter den Zopf haltend entkorkte sie auch jene. arit wehrte sich, zappelte und trat nach Dyn.

Beeilung Nia!

Der gelöste Korken ließ den Schnapsgeruch aus dem Flaschenhals entweichen und sofort, kippte sie die Flüssigkeit wieder in den und. Sie goss zu schnell und zuviel, es floss links und rechts aus ihren Mundwinkeln wieder heraus, doch zum Glück blieb auch genug darinnen, bis sie sich selbst die Hände vor den Mund schob, um den Fluss zu stoppen. Sie zog kleckernd die Flasche zurück und verkorkte sie schnell um sie sicher zu verstauen. Sie bäumte sich auf, trat noch einmal und mit hämischer Mimik beobachtete sie, wie das Laudanum seine Wirkung tat und erschlaffte.

Ein Nicken zur Anderen und sie hoben sie ohne Umschweife an.

Bei den Göttern? Was aßen die in der Kirche? Ganze Schweine?

Die Frau war schwer...viel zu schwer. Sie lief rückwärts, stieß an das Gartenmäuerchen und richtete sich rücklings wieder aus und tippelte rücklings zur Türe, jene mit den Ellenbogen aufdrückend. Langsam bugsierten sie die Frau in das leere Haus. An der Wand abgelegt, begannen sie jene zu entkleiden. Wehrstück um Wehrstück, Hemd und Hose, während das blonde Biest weichen Träumen nachhing.

Vermutlich vom nackten Mithras oder so...

Dynaeh hatte derweil die besorgte Kleidung ausgepackt und so nach und nach begannen sie, die große Frau in die Dirnenkleider zu hüllen. Dabei gingen sie sogar recht behutsam mit ihr um.

Unfassbar! Sogar das Dirnengelb steht ihr noch gut!

Die Wehr wurde liegen gelassen im Haus, als sich die beiden Frauen daran machten, die bewusstlose Gestalt zur Vordertür hinaus zu bugsieren. Jene, bewacht von Amhrans besten Schmieresteher Lucian, wurde einfach offen stehen gelassen. Das schaukelnde Gewicht zwischen sich setzten sie dann unter der Laterne ab.

Perfekt, genau vor den beiden Ritterhäusern. Was haben wir für ein hübsches Geschenk für euch!

Sie richteten sie auf, richteten sie aus, richteten sie heraus und ihre Eitelkeit...richteten sie hin. Denn sie stellten ihr eine kleine Tafel zwischen die Beine, die keinen zweifel mehr daran lassen konnte, was Marit wirklich war.

Sie nickten sich zu und verschwanden durch den nächsten Durchgang. Sie striff die weite Robe ab um schneller laufen zu können und stopfte sie in die Tasche. Dyn streifte das Kleid ab und liess es noch an Ort und Stelle zurück, während sie in die Nacht davon rauschten.


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Die Rache fühle sich gut an, viel zugut. verboten gut! Sie rächte so vieles und jeden, der sich von den roten Fanatikern bedroht fühlte.

Für Dynaeh!
Für Shin
Für das Viertel
Für die Mondwächter!

und zuletzt,
auch für sich selbst!


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#8
Sie vermisste es, diesen allgegenwärtigen Geruch nach Salz. Das Brennen der Sonnenstrahlen auf ihrer Haut. Nur Wind und das Rauschen der Wellen. Wasser, soweit das Auge reicht. Selbst nach ihrer Rückkehr nach Löwenstein konnte sie es noch auf ihren Lippen schmecken, den Windstoß in ihrem Haar fühlen.

Das einzige was sie jetzt vor ihrem Auge sah, war das Blut. Das Blut, welches den bereits roten Teppich noch dunkler färbte. Den Bolzen im Hals der Frau. Die Frau, deren Tod auch sie zu verantworten hatte. Und die Frau, deren Tod noch ausstand, doch dessen Last sich bereits auf ihre Schultern gelegt hatte. Sie konnte es riechen, metallisch, süßlich. Nicht dass ihr der Geruch neu wäre. Nicht, dass sie nie verletzt hätte. Auch die blonde Anwärterin hatte ihr nicht Leid getan. Weshalb auch? War sie etwa zu gut für etwas, womit andere Frauen tagtäglich leben mussten? Ein kleiner Sturz vom hohen Ross hinab auf den dreckigen Boden der Realität hatte noch niemandem geschadet.

Und doch galten ihre Gedanken weder der Toten noch der Todgeweihten – sondern nur Ihm.

Es geht Euch nur ums Überleben? Das ist bemitleidenswert.
Sie hatte die arroganten Worte des Silendirers nicht vergessen. Nein, sie hatten stetig von innen heraus an ihr genagt. Was war falsch daran, das Überleben als oberste Prämisse zu sehen? Ging es Anderen denn nicht genauso? Sie hatte lange gebraucht, um sich einen Reim auf seine Aussage zu machen. Um sie durch klare und nicht durch verärgerte Augen zu betrachten. Denn plötzlich ging es nicht mehr nur um sie. Plötzlich hatte sie Angst um jemand anderen. Um die Person. Die Zeit mit dieser Person. Die Zukunft, so kurz sie sich auch gestalten würde. Da war mehr, als nur der Überlebenswille und die Kunst sich jeder Situation anzupassen. Es gab tatsächlich mehr. Sie konnte nicht anders, als sich erbärmlich zu fühlen. Erbärmlich dafür, dieses Gefühl erst so spät kennenzulernen. Erbärmlich dafür, dass sie es durch ihren kindischen Racheakt (und er hatte so gut getan!) gefährdet hatte. Oder erbärmlich dafür, dass sie es so weit hatte kommen lassen?

Sie vermisste den Geruch des Meeres.
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