FSK-18 Gezeitenwende
#1
Ein erregtes, leicht heiseres 'Jaaaa' rollte über ihre Lippen, als sie sich auf die Frau rollte, in deren kurzes Haar sich ihre Finger verkrallt hatten und jene wiederum ihre Nippel intensiv gelutscht hatte, bis sie sich fest zusammenkräuselten.
Gierig begann sie sich an ihr zu reiben, bis ihre empfindlichste Stelle, gänzlich unerwartet an etwas sehr Hartes stieß und ein jäher Schmerz sie aufkeuchen und ihr Tun unterbrechen ließ. Was zum Henker war das? Forschend und gänzlich aus ihrer Erregung gerissen starrte sie fassungslos auf die Ursache ihres Schmerzes. Ein Buch. Das Buch. Langsam glitt ihr Blick zum Gesicht der unter ihr Liegenden.
Noch im Erwachen hörte sie sich selbst schreien.

Eirene saß in ihrem Bett, keuchend und in allergrößter Verwirrung. Wie konnte sie nur in so einer schweren Zeit so etwas gänzlich verderbtes träumen?
Langsam tastete sie über das geschwollene rechte Auge und stellte fest, das die Schwellung jeden Tag mehr zurück ging und die Heilung regelrecht verlief. Hastig stieg sie aus dem Bett, zog sich an und versuchte krampfhaft nicht mehr an diesen Traum zu denken.
Schließlich war sie die Vogtin und es gab nun wahrlich Wichtigeres dieser Tage, als sich lustvoll durch die Laken zu wühlen.

Das Gebet würde sie heute einmal nicht in der Kirche abhalten.
Zitieren
#2
Es schien als würde der Alltag Einzug halten. Langsam aber sicher bekam Eirene die Dinge wieder in den Griff. Ordnung wurde wieder hergestellt. Der bleiche Truchsess war besiegt, samt Gefolgschaft, die Stadt war gereinigt, die Gäste abgereist und nun konnte die Zeit der Planungen anbrechen.

Und jetzt wo sie langsam zur Ruhe kam, kam was kommen musste: sie fühlte sich hundselend. Jeden Tag ein Stückchen mehr. Dazu kamen diese fürchterlichen Träume, die so plastisch waren, dass sie morgens eine Zeit brauchte, um zu realisieren, dass sie in ihrem Bett lag und alles normal schien.
Den Traum der letzten Nacht wurde sie bis Mittag nicht los und so schrieb sie ihn auf, in der Hoffnung ihn loszuwerden:

Alles ist fahl, karg, als wäre die Lebenskraft allmählich aus dem Land geronnen und hätte die Farben mitgenommen. Alles ist blass, alles ist grau, als läge ein Schleier aus Tristesse und Vergessen selbst über dem körnigen Sand unter den Füssen. Und Sand ist überall - bis zum Horizont zieht sich die bleiche Wüste in einem auf und ab windgeformter Dünen.

Es steht keine Sonne an diesem bleichen Himmel, kein Mond sieht herab und auch keine Sterne - alles hat die Farbe alten Bleis, eines Spiegels, der schon vor langer Zeit blind geworden ist.

Es gibt kein kalt und kein warm. Kein hell und kein dunkel.
Nur mich und die uneingeschränkte Weite und Leere der Wüste.
Zitieren
#3
Die Tage zogen sich in steter Arbeit dahin. Viele Dinge wollten erledigt werden. Es blieb Eirene nur wenig Zeit sich um sich zu kümmern. Einer der wenigen Lichtblicke war das Fräulein Winter, welche als neue Bibliothekarin angestellt war. Es war seltsam angenehm in ihrer Gesellschaft, sie verströmte eine kluge Ruhe, die etwas Herzliches und Warmes an sich hatte. Und da Eirene es nicht leicht mit dem Vertrauen hatte, blieb sie auch hier ein wenig auf Distanz. Die Wochen würden zeigen, wie es sich entwickeln würde.

Alles schien sich nach und nach zu ordnen. Wäre da nicht diese seltsame Einbildung gewesen, Eirene hätte schwören können, sie hätte den toten Truchsess für einen kurzen Moment schemenhaft gesehen. Aber das konnte nicht sein, sonst hätte Lisbeth was gesagt, wenn sie ihn auch gesehen hätte. Und dann diese Träume. Heute Nacht war sie wieder hochgefahren und auch dieser Alptraum hing ihr nach und so schrieb sie ihn nieder:

Alles ist in Tönen von grau in grau gehalten: Der bleiche Himmel, der weder Sonne noch Mond kennt und nicht einmal die Ahnung einer Wolke, das eintönige auf und ab der Wüste, die von Winden geformt wurde, die längst schon vergessen sind. Alles ist weit, so weit, dass es schmerzt bis zum Horizont zu blicken, weil der Schwindel ganz zuverlässig folgt. Etwas ist dort, dass der Verstand sich weigert zu greifen.

Bewegung kommt in den Sand und ich sinke bis zu den Knöcheln in die Masse lockerer, sich nun allmählich verschiebender Körner, die vor meinen Augen wachsen, Formen bilden: Ein aus Sand geformter Baum. Eine aus Sand geformte Strasse, gelegt aus der Nachbildung von Pflastersteinen aus zusammengedrängtem Staub. Aus Sand geformte Schatten von Häusern mit leeren Fenster, die teilnahmslos in die sich bewegende Wüste glotzen.

Der Sand knirscht während er sich bewegt, er knirscht, während ich meine Knöchel befreie und mit dem Geräusch kommen Einsicht und Verständnis: Was wie bleicher Sand aussieht, sind in Wirklichkeit zermahlene Knochen.
Zitieren
#4
Die Nächte wurden langsam ruhiger, schwere Träume waren es zwar immer, aber sie wachte nicht mehr vollkommen gerädert auf.
Und als Eirene schon glaubte, das Schlimmste wäre vorrüber, folgte in der nächsten Nacht ein weiterer Alptraum, den sie nieder schrieb:

Alle Wände sind blass in der toten Stadt, die aus dem zermahlenen Staub heraus wächst, als würden ganze Generationen in Augenblicken vorüberfliegen - zu rasch, als dass man ein Zeichen von lebendigem Einwirken entdecken könnte. Zerfallene Mauern entstehen geneigt und richten sich auf, herabgestürzte Torbögen erklimmen wieder die Höhen: Es ist ein wenig, als würde man beobachten, wie der unbarmherzige Strom der Zeit sich umkehrt und scheu die zuvor gerissenen Wunden wieder richtet.

Und dann, irgendwann, verliert sich die Blässe und schafft Raum für eine alles einhüllende Dunkelheit. Keine Sonne bescheint die Finsternis, kein Sternenglanz enthüllt die kargen, leblosen Mauern einer allen Lebens beraubten Stadt. Äonen, so könnte man glauben, ziehen vorbei, während die Welt in Stille und Dunkelheit schläft, ohne Wetter und Wind, ohne Vorwärts oder Rückwärts, als hätte die Zeit selbst ihren Pfad verloren.

Und dann, zu abrupt, als dass sich der Moment greifen lassen würde, explodiert alles in abrupter schemenhafter Veränderung, geprägt von kräftigen Farben, von der Spur des Lebens und der menschlichen Last von Tatkraft, Irrtum und Gier.

Wandel fliegt vorbei, einem bestimmten Augenblick entgegen ..
Zitieren
#5
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, daß er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein. Rilke


Die Tage vergingen schleppend langsam, eine endlose Aneinanderreihung von Terminen, Schreibarbeiten, Planungen und Maßregelungen. Fast schien es der Vogtin, als würde dieser Winter niemals enden, als würde es der Sonne in diesem Jahr nicht mehr gelingen, durch die dichten Wolken zu brechen und die tiefe Wintermelancholie zu vertreiben.
Selbst der Schlaf war nicht mehr erholsam, das Lachen klang nicht mehr in den Ohren nach, und des Nächtens hallte die Stille von den Wänden wieder.

....ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht. ...
ging es ihr durch den Kopf und sie wußte, wenn es ihnen nicht bald gelänge, den schemenhaften Truchsess aus ihrer aller Leben zu bannen, würde ihr Leben ein frühes Ende finden.

Und immer dann, wenn sie kaum noch wagte zu hoffen, sprudelte es tief in ihr hervor, das unbändige, kraftvolle Leben, welches so mitreißend war, dass es wie ein Jungbrunnen wirkte und ihr Kraft für all das Ungemach gab.
Zitieren
#6
Eirene warf sich von einer Seite auf die andere. Sie konnte in dieser Nacht nicht in den Schlaf finden, viel zu heftig stiegen die Bilder des Blutkonklave wieder auf und raubten ihr Schlaf und Gemütsruhe.

Wochenlang hatte sie nun gehofft, das Grauen hinter sich gelassen zu haben. Weder Lisbeth, Gotmar noch Darius hatten von weiteren Erscheinungen berichtet und so nährte sich ihre Hoffnung, dass das Kapitel der Bleichen endlich abgeschlossen war. Sicherheitshalber hatte sie sogar noch einmal die Durchkämmung der Kanalisation angeordnet, höchst zuversichtlich, hier keinerlei Ungereimtheiten mehr zu entdecken.

Und so traf sie die Nachricht wie ein Hammer. Wie hatte die Hermetikerin sich ausgedrückt? Die Energie erinnert an den Schleim, in diesem Raum ist etwas Grauenhaftes geschehen. Vor nicht allzu langer Zeit.
Einzig der widerwärtige Kirschgeist Maries hielt sie davon ab, einfach besinnungslos zusammen zu sinken und ruhige samttiefe Schwärze einzuatmen.

Nadya's spurloses Verschwinden, Gord Areng's Bemühungen zu vertuschen...wie hing das alles zusammen? Konnte es wirklich sein, dass die Bleichen zurück waren?

Vielleicht aber, waren sie auch niemals ganz fort gewesen und hatten die kurze ruhigen Wochen nur genutzt, ihre Kräfte zu sammeln? Und planten jetzt in einem verheerenden Angriff Löwenstein in eine Knochenwüste zu verwandeln?
Mit einem Satz war die Vogtin auf den Beinen, barfuß lief sie in ihrem schlichten weißen, am Kragen mit zarter Spitze abgesetztem Nachtgewand flatternd über die eisigen Steinböden des Palais. Auf und ab. Auf und ab. Sollte Violetta in dieser Nacht vor ihre Zimmertüre treten, würde sie vermutlich den Schreck ihres Lebens bekommen, sähe sie die geisterhaft anmutende Vogtin durch Räume und Etagen wandeln.

Wenn doch wenigstens Axis endlich zurückkehren würde. Er würde das Palais in eine Sicherheitsburg verwandeln, was ihr zwar jede Luft zum Atmen nehmen würde, aber immerhin wäre sie dann sicher. Er würde jeden der es auch nur wagte schief zu gucken, anschnauzen und grob zurück stoßen. Er wäre immun gegen ihre Versuche ihn milder zu stimmen. Letztlich würde sie eine seiner Predigten über sich ergehen lassen müssen, dann ließ er kein gutes Haar an ihr, hielt ihr frank und frei vor, sich unmöglich zu benehmen und absichtlich sein Sicherheitskonzept zu unterwandern, in dem sie einfach nur lebte. Sie musste Lächeln bei der Erinnerung an seine zornigen Reden und wenn sie ganz ehrlich war, hatte sie den einen oder anderen Ausbruch dieser Art provoziert. Irgendwie gefiel es ihr, gefiel er ihr, wenn er so hitzig lamentierte und sich nichts sagen lies. Das war sein Metier. Hier war er sicher, hier wußte er jederzeit was er tat.
Eines war absolut sicher: er würde es gewiss kein zweites Mal zulassen, dass sie in Gefahr geriet.
Zitieren




Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 2 Gast/Gäste