Warten auf die Dämmerung
#1
Hätte es geholfen, sie hätte sofort etwas von dem Wein getrunken, der in einer Flasche zum hinteren Fußende des kargen Gasthausbettes lag.
Aber die Kopfschmerzen hatten sich wieder einmal durch den gesamten Tag gezogen; jetzt wo es dunkler wurde, ließen sie nach. Folgerichtig hatte sie beinahe den gesamten Tag geschlafen. Alles fiel schwer wenn man Sterne sah und da half auch kein Jammern.
Die Dämmerung lag bereits hinter ihr. Eine weitere Nacht.

Die nächtlichen Stunden waren die härtesten Stunden für sie um am Leben zu sein.

Mehr Schlaf oder Wein hätten 'dagegen' wiederum geholfen, aber sie hatte sich dagegen entschieden.
Die Kopfschmerzen wichen, aber machten Platz für den Schrecken, den sie zu sehr spürte. An manchen Nächten mehr, an manchen weniger.

Heute Nacht bereute sie es wieder kein Salz zu haben, aber sie konnte die Tür mit dem Bett verrammeln, und hatte dies bereits getan. Der Schankwirt fragte nicht und sie war sich sicher dass dem so war weil sie trotzdem einer der unkomplizierten Gäste war. Sie nahm keine Korrespondenz entgegen, bezahlte den Schankwirt aber als ob, damit er das meiste zerriss. Die unbeliebteren Zimmer waren ihr nur zu willkommen - kleines oder kein Fenster? Unbedingt. Sie empfing auch nie Besuch, legte Wert darauf oft das Zimmer zu wechseln und in keinem dieser Zimmer passierte je etwas.
Es würde eine lange Nacht werden und sie würde es bereuen den Wein an der Tür liegen zu lassen. Schrecken zehrte an den Nerven, folgerichtig nahm man ihn an jenen am meisten wahr, die von ihren Nerven im Stich gelassen wurden.

Man musste das Grauen schon kennen um es an ihr zu sehen. Mit angewinkelten Beinen saß sie auf ihrer Bettdecke auf dem Boden, das schmale Fenster und die Tür im Blick. Eine kleine Kerze stand neben ihr auf dem Boden, daneben der treue Foliant und etwas loses Pergament. Sie hatte ein paar Schreibarbeiten zu erledigen die sie nicht ewig aufschieben konnte. Zumal sie nicht wissen konnte wie morgen werden würde. Vielleicht würde es Schlaf geben, vielleicht Schmerz, vielleicht das Grauen, vielleicht würde sie dem Stillen wieder begegnen.

Ihre Augen und ihr Kopf schmerzten noch etwas als sie sich auf das Pergament im Kerzenschein konzentrierte und einen Schluck schalen, lauwarmen Wassers nahm.

Die nächtlichen Stunden waren die härtesten Stunden für sie um am Leben zu sein.
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#2
Vogelgesang weckte sie aus einem unerholsamen Schlaf. Durch das schmale, einzelne Fenster drang etwas Licht in ihr Zimmer - ein Anblick der sie beruhigte. Es war später morgen, denn der Rauch der kürzlich erloschenen Kerze lag noch in der Luft, und sie war noch hier.

Eine andere Nacht und ein anderer Morgen, aber die dumpfe Schwere in ihrem Kopf begrüßte sie wie gewohnt, auch wenn sie von weiterem Schmerz verschont blieb.

Kein Klopfen, kein Pochen, kein Scharren, es hatte die gesamte Nacht über Stille in dem Kämmerchen geherrscht. Eine angespannte Stille, aber Stille. Sie hatte abermals keinen einzigen deutlichen Gedanken zu Pergament gebracht, das hatte sie nach einer Stunde aufgegeben und so hatte sie gewacht bis sie irgendwann beim Anblick erster Sonnenstrahlen eingeschlafen war. Sie würde im Laufe des Tages noch mehr Schlaf nachholen müssen und war sich unschlüssig ob bereits ein neues Zimmer nötig sein würde.

Sie hatte ihre Sachen schnell gepackt, da sie sie von Beginn an erst gar nicht ausgepackt hatte - nicht viel wichtiges zu besitzen dass es mitzunehmen gilt war natürlich auch von Vorteil.
So vergingen nur wenige Momente ehe Schritte wohlgemessener Eile sie in den Flur, die Treppenstufen hinab, durch den oberen Schankraum hindurch, an Tischen und Hockern vorbei, die nächsten hölzernen Stufen hinab und in den rustikalen Hauptschankraum führten.

"Ihr geht?"

"Ich komme wieder. In ein paar Tagen."

"Soll ich euch ein Zimmer bereithalten?"

"Bitte nicht. Das Ganze würde sonst keinen Sinn machen."


Violetta hatte während des kurzen Austausches kaum angehalten, aber der Wirt ließ sich nicht anmerken ob es ihn störte, und wahrscheinlich tat es das nicht. 'Ich komme wieder, in ein paar Tagen' war bei ihr ein weites Feld und der Schankwirt war sich nicht sicher ob sie es nicht mit Absicht so hielt, damit man erst gar nicht anfing zu "erwarten". Man konnte sich darauf verlassen was passierte wenn sie erschien - aber es war schwer zu sagen wann und wo sie auftauchen würde.
Für den Schankwirt gibt es da mit Abstand schlimmere Gäste.

Morgendlicher Nebeldunst war längst verflogen als sie auf die Straße trat, genaugenommen wurde es bereits Mittag. Sie war mit ihren wichtigsten Habseligkeiten bepackt aber ihre Schritte trieben sie dennoch zu einigen Läden.

Die dumpfe Schwere in ihrem Kopf wollte nicht weichen, und dass sie versuchte sich an Dinge zu erinnern, die zu sehr an andere Erinnerungen grenzten, verhieß keine rasche Besserung. Die wenigsten Außenstehenden hätten einen Unterschied bemerkt. Sie würde bald aufbrechen. Aber nicht heute.
Heute würde sie noch einmal Schlaf brauchen.

Eine andere Nacht und ein anderer Morgen. Einmal mehr war es nur das worauf sie hoffte.
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#3
Schlaf war schnell gekommen, und auch die Träume. Es muss Träume gegeben haben, denn sie erinnerte sich gelegentlich wachsam aufgewacht zu sein, und dann allmählich wieder weggedämmert zu sein. So schnell wie der Schlaf und die Träume gekommen waren, so beinahe spurlos waren sie vorübergezogen.

Der Morgen empfing sie mit der bleiernen, dumpfen Schwere im Kopf. Die Tage wurden dunkler und kälter, was eine enorme Erleichterung bedeutete.

Es war alles noch wo und wie sie es zurückgelassen hatte. Die Kerze, ihr Buch, der Mantel, das Salz auf der Türschwelle, das Bett dessen Gestell als Tisch diente, nun da sie in diesem Zimmer einen Tisch hatte mit dem sie die Tür verrammeln konnte, der Wasserkrug der samt Holzbecher neben ihrem Buch und der Kerze darauf wartete. Es wurde Zeit einmal wieder in einem Bett zu schlafen und etwas zu Essen das nicht aus einem Glas kam.

Ein großer Schluck Wasser vertrieb ein wenig von der Schwere in ihrem Kopf, für einen kurzen Moment - genug um in die Gänge zu kommen. Denn ja, sie würde dringend wieder richtigen Schlaf brauchen, und dafür brauchte sie einen Ort der wirklich sicher war, und dafür kam nur ein Ort in Frage.

Ihre Nachforschungen in Candaria waren ins Leere gelaufen, keine Spur soweit von Laura Pechstein. Sie hatte nicht unbedingt damit gerechnet, aber trotzdem ging sie den Spuren Schritt für Schritt nach, und die Mietswohnung in der sie einmal hauste komplett auf den Kopf zu stellen (diese dabei wahrscheinlich halb zerstörend) stand noch nicht ganz oben auf der Liste.

Es folgte ein letzter flüchtiger Blick in das Buch, der, so flüchtig er war, ganz genau wusste was er suchte. Es war alles so wie es sein sollte, und auch wenn sie nicht genau sagen konnte warum, beruhigte sie das, und sie würde am nächsten Morgen wieder nachsehen.

Der Gedanke brachte sie zu einem angrenzenden, der sie einen Moment länger aus dem Fenster starren ließ als sie eigentlich geplant hatte.
Auffällige Männer die des Nachts auftauchen. Unheimliche Männer. Ersteres war der Wortlaut, zweiteres was darin mitschwang. Da waren immer dunkle und unheimliche Gestalten, das war aber nicht was sie ihrer Gegenüber damals sagte. Da waren immer irgendwelche dunklen Gestalten irgendwo, immer irgendetwas das nur am Rande lauerte auf eine Gelegenheit zuzuschlagen, sich zu befreien, einen Weg zu finden... herzukommen. Oder zu bleiben. Das wusste sie.

Die dumpfe Schwere in ihrem Kopf fühlte sich einige Momente förmlich niederdrückend an. Ihr Nacken wurde schwer und sie wollte sich wieder schlafen legen, aber sie wusste, dass sie keine Ruhe finden würde.

Sie würde eine Silbermünze mehr für die Vorhänge hinterlassen müssen, an denen sie sich festgehalten hatte.
Nicht einmal etwas von dem Salz ließ sie zurück, als sie im Laufe des Morgens aufbrach und ihren Weg durch das nebelverhangene Greifanger, östlich ein Stück den Lauf der Küste entlang, und dann immer weiter nördlich, in Richtung des vertrauten Heimathafens einschlug.

Sie begegnete nicht Vielen, und an jenen denen sie begegnete, zog sie im Stillen vorüber, aber die frühen Stunden und das Wetter machten ohnehin niemanden sehr gesprächig.

Die Tage wurden dunkler und kälter und sie war vorbereitet.
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#4
Die bleierne Schwere im Kopf hatte sie bereits vor dem Krächzen und Krähen empfangen und ihr den neuen Tag angekündigt. Sie spürte sie schon eine ganze Weile, dieses niederdrückende Gefühl dass sich über Kopf und Nacken legte und auch an ihren Ellenbögen oft zu ziehen schien. Ein erstes Strecken am frühen Morgen würde es kurz fortjagen und ein paar helle Momente im Laufe des Tages würden es dämpfen.

Sie war natürlich allein in ihrem Zimmer. Ihr Foliant den sie für Notizen nutzte, lag wie sie ihn zurückgelassen hatte auf dem Nachttisch. Noch halb schlaftrunken trat sie, nachdem sie sich angekleidet hatte vor die Tür. Es herrschte noch Stille im Gasthaus, und diesen Moment nutzte sie, um den Halbkreis aus Salz der ihre Tür von außen umschloss, wieder verschwinden zu lassen.
Sie hatte in den letzten Tagen nicht mehr das Gefühl gehabt ihn zu brauchen und zufällig war zeitgleich ihr Schlaf über die letzten Tage besser geworden. Diese Nacht hatte sie nicht gewacht, und auch nicht das Zimmer umgeräumt. Es gab keine Glassplitter aufzukehren und die einzige Müdigkeit die sie überkam war jene die bedeutete, dass ein oder zwei Nächte halbwegs guten Schlafs die letzten Wochen allein nicht ganz vergessen machen konnte.

Die Notizen in ihrem Folianten gaben einen Hinweis darauf, dass ihre Nachforschungen in Candaria ins Leere gelaufen waren, und das Fehlen weiterer Verweise in den letzten Tagen zeigte deutlich, dass sie die aktive Suche aufgegeben hatte. Die Langeweile die aufkam, empfand sie als angenehm, aber da war noch etwas. Es drängte sich ihr auf wenn sie zu lange und zu konzentriert den Folianten anblickte oder über einige Begegnungen der letzten Tage nachdachte.

Und beides vermied sie tunlichst in diesen Tagen. Nachdem sie wieder abgeschlossen hatte legte sie sich wieder aufs Bett. Sie hatte noch 10 Stunden in diesem Zimmer und würde jede einzelne davon nutzen.
Sie schloss langsam wieder die Augen.
Sie war immer noch da, die bleierne Schwere, und sie würde nicht einfach so verschwinden. Jene Schwere hatte einen Zweck.
Aber nicht an diesem Tag.
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#5
Obwohl an jenem Morgen Wind wehte, prasselte der Regen nicht gegen das Fenster. Vielleicht war der Wind nicht stark genug, vielleicht wehte er nicht in die richtige Richtung.

Das einzige was der Wind brachte war Kälte. Und so waren die ersten Eindrücke die Violetta empfingen, als sie in ihrer Schlafmatte auf dem Boden ihres Zimmers und zu Füßen des Bettes erwachte, bleierne Schwere und Kälte. Da der Schornstein des Gasthauses durch ihre Nordwand ging, war es zumindest an dieser Wand des Zimmers nie wirklich kalt, dies verstärkte allerdings nur das morgendliche Bedürfnis, nicht unter der Decke hervorzukriechen.

So wie besagte bleierne Schwere war es allerdings auch dem Laufe ihres Lebens geschuldet, dass dieses Bedürfnis keinen sehr starken Standpunkt in ihrem Leben hatte und sich daher der empfundene Widerwillen kaum auf ihren Zügen abzeichnete, seit sie sich aus dem Schlafsack hervorgetraut hatte. Sie war in ihrer Morgenroutine nun dazu übergangen war, sich den engen Dutt zu binden, der in ein paar Stunden nur noch einen Preis für Mühe, aber nicht für Dauerhaftigkeit bekommen hätte. Der Blick durch ihr Zimmer verriet ihr, dass alles noch so war wie sie es zurückgelassen hatte, und dafür brauchte es keinen langen Blick. Zeit ihres Lebens hatte sie nie viel besessen und nie den Drang entwickelt Dinge zu sammeln für die keine Notwendigkeit bestand.

Nachdem sie sich angekleidet und frisiert hatte, setzte sie sich wieder auf den Schlafsack, also den Boden, neben ihrem Bett, sich auf die Matratze des Bettes stützend, welches als ihr Tisch herhielt. Dort lag ihr Foliant, dort stand eine Öllampe, ein seltsames Willkommensgeschenk, das sie aus einer seltsamen Sentimentalität heraus sehr schätzte, sowie eine Holzschüssel mit genau zwei Äpfeln.

Die Tage waren ruhiger geworden seit sie in Hohenquell eingezogen war, und sie hätte sich vor ein paar Wochen kaum vorstellen können sesshaft zu werden. Aber seltsamere Dinge passierten. Oder auch nicht. Denn die meisten dieser seltsamen Dinge die sie in den Monaten zuvor wach hielten, waren hier in eine gewisse Ferne gerückt. Wolfsangriffe, obskure Monster - das war hier alles in eine scheinbar weite Ferne gerückt und diese Ferne schaffte eine andere Perspektive. Diese Dinge drangen nun nur noch pointiert und vermittelt zu ihr durch, und dass sie nie aus Mund oder Feder jener denen sie vertraute und ihre Unterstützung anbot, zu ihr drangen, beruhigte sie.
Sie hatte aufgehört zur sehr an diese Dinge zu denken, und so war es eine Liste mit einfachen Besorgungen die sie an jenem Morgen beschäftigte, während der Regen elanlos prasselte, und der Wind in Kälte wehte. Und diese Liste las sich in etwa wie folgt:

Zitat:- Mehl (Weizen)
- Schrot (Mais)
- Fleisch (Schwein, Lamm ...)
- Innereien
- Bier
- Salz
- ein Spiegel
- ein Silberring/Amulett/Stift/Schlüsselanhänger
- Öl
- eine Armbrust
- solidere Kleidung
...
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#6
Die Straßen waren alles andere als ruhig. Minutenlange Stille, unterbrochen von einem gelegentlichen Schrei oder dem Eindruck dort draußen irgendetwas in den Schatten gesehen zu haben.
Violetta lehnte am Aufgang zur Bibliothek der Akademie der Hermetik am Fensterbogen und sah auf die Straße hinaus. Sie hatte geschlafen wie ein Stein, und das erste Mal seit einer Weile sogar relativ gut und die Retourkutsche des Kosmos kam auf schnellen Schwingen.

Die bleierne Schwere war sofort wieder da und verriet ihr, dass ihr Verstand und unterdrückte Erinnerungen brodelten. Wein war an dieser Stelle keine Option das Brodeln zu unterbinden und die vorantastenden Gedanken zurückzuweisen. Die Schreiberin und der Bibliothekar hatten sich hinter das Gitter des geschlossenen Bereichs zurückgezogen, nur darauf wartend, dass Violetta umgehend zurückgeeilt käme.

Die Totenstille in den Gängen hatte bereits genug verraten und das gute Gefühl sehr schnell verdrängt. Die Blicke in die Gesichter der beiden Bediensteten umso mehr. Keiner von beiden würde sich einfach so verbarrikadieren ohne dass dort draußen buchstäblich die Hölle los war. Niemand sagte ein Wort und die Grundstimmung des stillen Entsetzens war beinahe greifbar.
Violetta hatte keine Ahnung wonach sie an diesem Fenster eigentlich Ausschau hielt, aber niemand verlor wirklich ein Wort. Nicht die Angestellten - nicht der Meister der in Begleitung mit barschen Anweisungen einkehrte. Man konnte es niemandem verübeln. Jedermanns Nerven schienen blank zu liegen und diese Stimmung erfasste die Schwere in ihrem Kopf zielstrebig. Sie würde wissen wonach sie Ausschau hielt wenn es vor ihr stand und sie hasste diesen Gedanken bereits als er sich ankündigte.
Keiner hier würde sich einfach so verbarrikadieren ohne dass dort draußen buchstäblich die Hölle los war. Und so sehr sie auch versuchte auch diesen Gedanken zu formen - die Hölle war nicht nur Feuer und Schreien. Sie war Schrecken. Sie war auch der Schrecken der hinter der Stille stand.

Sie fand dieser Nacht weder Wein noch Schlaf und verharrte lediglich wachsam und unauffällig am Fenster und wartete auf die Dämmerung...
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#7
Es war nicht mehr "mitten in der Nacht" und ihre Schritte waren schnell und zielgerichtet. Dies war kein Ort an dem sie sein sollte, und sie hätte Schwierigkeiten gehabt ihr Hiersein räsonabel zu erklären, auch wenn es ... zumindest halbwegs räsonabel war. Derlei Dinge waren nie ganz einfach zu erklären, entsprechend wurden ihre Schritte in den Gängen der Vogtei, in der sie des Nachts definitiv nichts zu suchen hatte, noch einmal etwas schneller. Durch das Schreibzimmer hindurch - etwas streifte ihre Beine. Die Katze. Ohne Aufhebens, wie es Katzen oft bei gerade jenen Taten, die ihnen nicht viel Aufmerksamkeit widmeten und sie entsprechend auch nicht irritierten. Weiter in die Gänge. Ein flüchtiger Blick zu den Türen, und auf leisen Sohlen Schritt sie weiter voran, dem Ziel entgegen. Die Tür am Ende des Ganges zu ihrer linken - leise öffnete sie diese.
Ihre rechte Hand wanderte in die Innentasche des Mantels - alles war da. Ein schneller Handgriff...

... und eine handvoll Zuckersteine fand ihren Weg auf den Beistelltisch des pedantisch untadeligen Kämmerchens, hinter dessen Vorhängen Fräulein Strastenberg schlief, und Violetta in diesem Moment einen Punkt daraus machte, aus Respekt keine Notiz davon zu nehmen, wie sie atmete oder schlief, um nicht in die Verlegenheit zu kommen beim Erfragen eine schmerzhafte Antwort durch einen Blick beweislastiger Sorge zu erzwingen. Niemand weiß Schlaf und die Privatheit des Schlafes so sehr zu schätzen wie jene denen er geraubt ist und für die er ein ernster Kampf ist, jede Nacht. Es lag ein ganz spezieller Segen darin die Dinge im Vagen lassen zu können, bis man sie mit sich selbst geklärt hatte. Und Violetta wäre dann schließlich immer noch da. Und natürlich würde es noch lange Zeit erfordern, bis die Vorfälle der letzten Wochen verarbeitet waren... aber die Spuren gänzlich zu verwischen als wäre es nie geschehen... das war nun nicht mehr möglich.

Ein kurzer Blick fiel auf das Nachtlager das Fräulein Strastenberg ihr auf dem Boden eingerichtet hatte. Sie hatte es sich nicht nehmen lassen ein Kissen mehr hinzuzulegen als Violetta gewollt hatte (keines), gerecht genug für sie - sie schlief selten anders. Sie würde das Kissen bei Seite legen wenn sie am frühsten Morgen wiederkam, sagte die wohlgemessene Widerspenstigkeit in ihr, der Anstand gebot ihr es zu nutzen, zu lächeln und dafür zu danken - es war eine reizende Geste.

Das kleine Kistchen aufhebend, das sie am Eingang zum Schlafgemach zurückgelassen hatte, schritt sie auf leisen Sohlen hinüber in den Gemeinschaftsraum um das Kistchen sorgsam auf dem Tisch zu entleeren, und dort eine reichhaltige Mahlzeit für den nächsten Tag, bestehend aus zwei gerösteten Schweinskeulen, etwas geröstetetem und eingelegtem Gemüse (aus Anstand und Gewissen - dies war eine Geste der Höflichkeit, kein Anschlag auf das Wohlbefinden des Beamtenapparats), einem gestern gebackenen Brot, und einem heute gebackenen Streuselkuchen ohne weitere Notiz bereitzulegen.
Sie hatte keine Eltern die es ihr je beigebracht hätten, aber sie war in vielen Haushalten auf unterschiedliche Art und Weise zu Gast gewesen. Selten höflich, oft schlichtweg nur um Spuren zu verwischen. Aber sie hatte gelernt sich nützlich zu machen wo sie als Gast empfangen wurde. Sie hatte gelernt, dass grundlegende Höflichkeit nie vergessen wurde.

Wenige Momente später hatte sie die Pforten der Vogtei wieder durchquert um der Nacht entgegenzublicken. Das tat sie nicht unbedingt mit Vergnügen.
Die Nacht war und blieb die schwierigste Zeit für sie um am Leben zu sein - und jedes Mal aufs Neue galt es sie durchzustehen. Und so spazierte sie noch eine Weile bemüht gedankenlos durch die Straßen Löwensteins. Erst als die Dämmerung näherrückte und ihr Frieden versprach, fand sie ihren Weg zum Nachtlager.
Und als die Schreiberin erwachte, schlief sie bereits auf ihrem Nachtlager am Boden, irgendwann zum frühen Morgen zurückgekehrt, beinahe wie ein streunendes Haustier unangekündigt, ohne weitere Spuren des nächtlichen Treibens, aber hier, in der gespürten Gesellschaft, vielleicht etwas friedlicher ruhend.
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#8
Zu behaupten sie hätte dieser Tage außerordentlich gut geschlafen wäre an Lüge grenzender Optimismus gewesen, aber sie war der Stadt heute nicht zwei Becher Birnenbrand voraus. Davon fühlte sie sich nicht sonderlich besser, aber somit war es keiner der schlimmeren Tage, ganze egal auf wievielen Ebenen sie diesem Gedanken bis ans Ende folgte.

Der Schrecken war aus ihren Gedanken gewichen. Als der Truchsess sie damals an sich gezerrt hatte, hatte sie ein seltsames und peinsam vertrautes Gefühl überkommen. Dass des Lebens das ihr langsam entzogen wurde, der Seele die langsam getrübt wurde, der Leere die sich in ihr ausbreitete um eine ebenso leere Hülle zurückzulassen - dies wiederum bei vollem Bewusstsein und einem Verstand der nur stumm schreien konnte. Und auch wie damals zeigten sich die Schatten die diese Erfahrung auf ihre Seele warfen erst später. Und dies nicht nur bei ihr.

Sie konnte auch nicht unbedingt behaupten dass die Dinge alles in allem besser wurden... sie war nicht die Mustergläubige, aber der Tod eines Priesters in diesen Tagen war ein Rückschlag, das sah sie bereits von selbst. Jeder starb einmal, auch Priester, und auch jene die mit dem Segen der Götter gehen, waren nicht frei davon einen unwahrscheinlichen, absurden oder schlichtweg unglücklichen Tod zu sterben. Allerdings traf es andere um sie herum hart, was dem Ganzen auch für sie seine Bedeutung gab.

Ihre Gedanken waren hierbei zum einen bei den Legionären und der Priesterschaft. Sie versuchte nicht sich auszumalen was in ihren Köpfen oder Herzen dieser Tage vor sich ging und war sich auch des Umstandes bewusst, dass sie nur wenig daran ändern könnte, mit der besten Hilfe ihrerseits vielleicht einfach nur die verlässliche, bescheidene Unterstützung zu bieten zu der sie in der Lage war.
Zum anderen, und wohl am Herausragendsten war hierbei die edle Vogtin. Auf der einen Seite war hier natürlich, dass sie ihr Dank schuldig war, aber da sie auf der anderen Seite sicher war, im Austausch dafür in Zukunft gute Arbeit zu leisten, mischte sich der Gedanke nur schwach in die empfundene Sympathie. Nein, da war ein Verständnis ihrerseits gegenüber der Vogtin. Die Auswüchse der Konklave lasteten immer noch schwer auf ihr, und sie kam nicht umhin zu sehen, wie die Last auf ihren Schultern sich dieser Tage stapelten. Während der ersten Unterredung die sie unter vier Augen führten geisterte Violetta nur eine Frage durch den Kopf: "Habe ich mit dieser Erschütterung im Blick damals in die Welt hinausgeblickt als es mir widerfuhr...?" und ihr Verstand hatte beinahe zu rasch die Antwort parat: "Nein, das ist der Blick den du heute hast, 2 Jahre später, wenn du dich allein und unbeobachtet wähnst" und während ein Teil von ihr sagte dass es zumindest für andere einen Ausweg geben müsste, kam ein anderer Teil nicht umhin Anerkennung dafür aufbringen zu können dass die Vogtin sich mit solcher Würde trug.

So düster dies alles klang, fiel es ihr doch leichter voranzuschreiten. Sie hatte eine Aufgabe die sie genoss, und die ihr gleichsam den Freiraum bot zur Stelle zu sein wo eine helfende Hand aus dem Hintergrund vielleicht etwas zu tun vermochte. Gleichsam war sie in dieser Position ihrer Meisterin Misitia unterstellt und wieder mehr in deren Nähe gerückt. Sie konnte ebenso Fräulein Strastenberg eine Kollegin nennen, deren Verbundenheit wahrscheinlich den Inbegriff des Sprichworts "krumme Vögel halten zusammen" darstellte.

Dies waren alles Lichtblicke, aber auch wenn der Schrecken nicht präsent war, die Spuren die er hinterließ waren es und die bleierne Schwere in ihrem Kopf und Nacken blieb. Nahezu jeden Tag schien es einfacher aufzugeben und ein Teil von ihr fragte sie gelegentlich warum sie weiterkämpfte, wissend dass sie nicht gewinnen könnte doch jeder Teil von ihr kannte die Antwort und auch diese kam wie immer prompt:
"...kann ich nicht. Aber jemand anderes wird, solange ich weiterkämpfe."
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#9
Es war kein schöner Anblick. Das Schlüsselbein war zumindest nicht gebrochen, aber eine Bewegung des rechten Arms schmerzte und es hatte sich ein unansehnlicher Bluterguss am Schulter- und Halsbereich gebildet. Starr blickte sie ihrem eigenen Spiegelbild eine sehr lange Weile in die Augen.

"Wir sind dünn geworden..."
"Wir waren nie wirklich kräftig."
"Du weißt wie ich das meine."

Die bleierne Schwere hatte sich auf ihre Stirn verlagert und fühlte sich wie ein Ziehen an und ließ es verlockend erscheinen einfach den Kopf auf die Platte der Anrichte sinken zu lassen.

"Wir könnten weglaufen. Wir haben seit Candaria alles gepackt."
"Und wohin?"
"Das hat uns noch nie gestört."
"Mich schon."

Die Bilanz war gewiss nicht sehr erbaulich - sie war lädiert, ausgehungert und hatte schon wieder eine ganze Weile nicht mehr ausgeschlafen. Die Tischplatte sah wirklich sehr verlockend aus. Aber sich einfach hinzulegen war ihr nie in den Sinn gekommen und nie ein sehr behaglicher Gedanke gewesen. Jetzt wo sie wieder hier war, hatte sie auch das Gefühl etwas essen zu können. Eine zubereitete Mahlzeit, mehr als ein Wegbrot zu sich zu nehmen, hatte für sie immer den Beigeschmack getragen dort wo man diese bekam auch, zumindest eine Weile bleiben zu wollen.

Ein voller Magen war träge, träge Beine sprinten nicht gut und Essen konnte vergiftet werden oder Bande knüpfen die man vermeiden wollte. Natürlich wollte sie daher nicht alles von jedem essen. Sie brauchte wieder einen eigenen Herd... so viel stand fest. Ein weiteres mal gingen ihre Gedanken etwas zu schnell für ihren eigenen Kopf. Wann hatte das Ganze begonnen sich so hochzuschaukeln? Ach... ja. Genau.

Die Dämmerung war noch ein gutes Stück entfernt, das Zimmer war dunkel, und sie konnte noch nicht mit Sicherheit sagen ob Marie bereits schlief, aber als sie sich aufrichtete, spazierte sie zielstrebig zum Bett der Verursacherin ihrer Blessur, kniete sich müde daneben und ließ ihren Kopf neben der schlafend gewähnten, auf die Arme gebettet, gen Matratze sinken. Das Schlüsselbein schmerzte bei der Positionsveränderung, schwieg aber als es durch die Matratze entlastet wurde. Sie konnte sich in just jenem Moment nicht daran erinnern einmal ein Bett besessen oder vermisst zu haben.

Dann schlief sie. Tief, fest und lange. Essen nach dem Aufstehen begann, nahtlos anschließend an die Liste vernachlässigter Bedürfnisse, attraktiv zu werden, aber noch war die Nacht nicht vorüber.
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#10
Der Tag war vorübergezogen, auch wenn nur die subjektive Sicht der Brünetten das Voranschreiten des Tages so unspektakulär betiteln würde. Ein objektiverer Beobachter hätte andere Worte dafür gefunden und hervorgehoben, dass sie sehr wachsam, wie jeden Tag gewesen war, immer auf sehr spezifische Zeichen achtend. Er hätte die Mühelosigkeit hervorgehoben mit der sie sich fast wie ein Geist zwischen den Menschen bewegte, und das ohne irgendeine bewusste Mühe. Er würde erwähnen, dass sie dieser Tage gut daran tat nicht so viel zu trinken und dass sie gut im Futter lag.
Doch der Tag war vorüber, und während sich die Szenerie nur unwesentlich veränderte, nahmen die Darsteller andere Rollen ein und die Kostüme wechselten.

"Der Tag ist vorübergezogen, und hat dir nichts gebracht, und hier bist du und ziehst allein durch die Straßen."

Die Bibliothek hatte sie nicht lange gehalten, auch wenn sie sich eigentlich auf einen langen Arbeitstag dort vorbereitet hatte. Sie hatte sich sogar einen Krapfen für die Arbeit besorgt. Gut, vielleicht ging es mehr um den Krapfen als um die Arbeit, und vielleicht ging es gar nicht um den Krapfen. Etwas fehlte.
Ihr einziger Vorteil war, dass sie es verstand zu denken ohne zu sprechen, was sie in die vorzügliche Lage versetzte beim Denken einen Krapfen zu essen, auch wenn sie von ihrem Meister nur 8/10 Punkte dafür geerntet hätte, denn ihre Miene verriet ihre innere Rastlosigkeit zu deutlich.

"...die Liste kann noch warten. Es ist nicht so als würden sich die Leute darum reißen. Die meisten würden lieber einen Troll erschlagen als sich einen vernünftigen Gedanken vorab zu machen oder ein Gespräch zu suchen."

"Das klingt nach dir."


"Hasenkotze. Du hast mir in der letzten Zeit nicht wirklich über die Schulter geschaut, oder hab ich mit dem Birnenbrand endlich signifikanten Schaden angerichtet?"

Indessen war sie aus einer Gasse herausgetreten, einige Stufen emporgeschritten und hatte sich die beiläufige mentale Notiz gemacht, dass Fräulein Rauh gerade auf einem Wachgang war, ehe sie sich voran auf eine nahe Brüstung stützte, den Blick in die Ferne gewandt.

"Dafür müsstest du mehr trinken."

"Geht schneller als du d..."

Die Trotzreaktion wurde allerdings jäh unterbrochen und das keineswegs unerwartet.

"Wie passend. Du würdest wenn du wolltest."

Es war nicht dass sie hasste wenn er das Offensichtliche feststellte, sie rügte sich dafür sich aus reinem Reflex hinter einem so fadenscheinigen Bluff versteckt zu haben.

"Warum bist du immer noch hier?"

"Fang nicht wieder damit a..."

"Du bist allein. Wir wissen dass 'all das' dich so sehr von ihnen trennt. Sieh dich an, nicht einmal der Vogtin kannst du dich anvertrauen, wenn sie die Hand nach dir ausstreckt. Du kannst mich nicht immer betrunken genug machen dass ich dir sage dass es nur ist um sie zu schützen."

Ihre Zähne begannen zu mahlen, denn dieses Gespräch hatten sie öfter geführt, und jedes Mal hatte sie es gehasst an diesen Punkt zu kommen.
Sie war sich nicht ganz sicher wann ihre Hände den Weg in ihre Manteltaschen gefunden hatten. Das Gefühl des kalten, nicht allzu harten Metalls wirkte sofort vertraut und die Geste mit der sie sich den Ring in der rechten Manteltasche über den Ringfinger streifte wirkte sehr routiniert, ehe sie die Hand in der Tasche zur Faust ballte.

"Ach. Deswegen? Du denkst nicht dass du das etwas überbewertest?"

Die Beobachtungsgabe wunderte sie nicht, sie war eigentlich sogar stolz darauf, das war nur nicht der richtige Zeitpunkt dafür... ganz und gar nicht.

"Du erinnerst dich daran wie ich uns rettete indem ich dich außer Gefecht setzte?"

"..."

"Also solange du mich nicht gerade ins Hafenviertel eilen und Matrosen aus dem Bett deiner Mutter zerren siehst bleibst du bei deinen Aufgaben und ich bei meinen"


Diese spontane Hasstirade war schnell geformt und es war die Vehemenz die hier neben dem plötzlichen Redefluss den Ton angab. Dazu kam dass es natürlich sehr befriedigend war.

"Hast du gerade..."

"Ja."
Sie konnte das zufriedene Lächeln dazu nur schwer unterdrücken, und ehrlich gesagt beruhigte es sie von Herzen, dass sie den selben selbstironischen Humor stets teilten.

"Ich bin stolz auf dich."

"Ich werde sie nicht im Stich lassen.

"Verstanden."

"Danke."
Es war der sachliche Abschluss dieses Austauschs, der die Rastlosigkeit niederrang, auch wenn das Gespräch keinesfalls sachlich war. Sie hätte von Anfang verloren wenn dem so gewesen wäre.

Sie hatte gar nicht recht mitbekommen wie sie sich währenddessen weiterbewegt hatten und längst nicht mehr an der Brüstung standen. Nicht dass es Aufmerksamkeit erregt hätte, denn kurz darauf war sie wieder allein in ihren Gedanken und auf den Straßen Löwensteins.
Irgendwo mitten auf der Straße hielt sie in ihren Schritten noch einmal inne um träge zum Firmament emporzublicken. Es fiel von außen schwer zu sagen wonach sie Ausschau hielt. Ob die Sterne noch richtig standen? Ob die Sterne für etwas Bestimmtes richtig stehen? Eine Sternschnuppe? Oder gar der Stand des Mondes?
Aber nach kurzer Zeit wirkte sie zufrieden. Zufrieden genug um mit einem Lächeln leichter Wehmut wieder in Richtung der Bibliothek zu marschieren.

"Huh... hatte ich nicht einen Krapfen?"
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