Warten auf die Dämmerung
#11
Die Dunkelheit war bereits hereingebrochen, doch sie war immer noch unterwegs gewesen. Selbst jetzt nach über zwei Wochen, hatte ihr Körper sich noch nicht gänzlich von den Strapazen erholt. Das beinahe Ausbluten Violettas machte sich nun nur noch subtil bemerkbar, sie war nicht mehr so blass wie vorher, aber sie selbst konnte leider zu präzise feststellen, dass sie immer noch zu leicht und zu schnell außer Atem geriet und es ihr den Schwindel in den Kopf trieb. Dennoch war sie heute Nacht unterwegs.

Der Weg aus der Stadt heraus war zugegebenermaßen einfach gewesen. Niemand begegnete ihr der wirklich zu ihr durchdrang, überall Stimmen wie entfernte Echos, nebelige blasse Straßen, Essen das nur einen faden Nachgeschmack hinterließ - sie konnte sich noch zu genau an die Spiegelwelt erinnern, und daran, wie ihren Begleitern durch die dumpfe Verzerrung aller Eindrücke der Mut geraubt wurde. Sie konnte sich daran erinnern, wie dies gänzlich an ihr vorbeizog. Und sie wurde daran erinnert, dass dies so war, weil sie "Hiersein" die meiste Zeit nicht anders empfand. Und dies war keine schöne Erinnerung.

Ihre eigenen Erinnerungen die wachgerufen wurden in dieser Spiegelwelt hatten obendrein geschmerzt, doch dieser verdrängte Schmerz konnte nur noch "so und so oft" weh tun. Irgendwann ertaubt jeder überanspruchte Nerv und wenn sie heute an das dachte was ihr geschah war es bestenfalls eine wütende Verbitterung die sie empfand, und diese richtete sich auf einige sehr bereitwillige Ziele.

Es war leicht gewesen, der Stadt den Rücken zu kehren, als die Stimmen die noch durchdrangen schmerzten oder sich entfernten. Keiner ihrer Überlebensinstinkte zuckte dabei auch nur mit der Wimper. Hohenquell. Sie erinnerte sich, dass sie dort noch ein paar Freunde hatte. Sie erinnerte sich daran, wie die Einsamkeit sie dort fortführte. Eine andere Art der Einsamkeit. Sie hatte zumindest einen Grund dort zur sein - einen Grund für den sie zumindest vorerst genügte, dessen Zweifel ihre eigenen waren. Das war ein Anfang.
 
Die Laterne hatte sie auf halbem Weg bereits gelöscht, im stockdunkeln wollte sie nicht durch den Kerzenschein auffallen, zumal sie die Wölfe in der Ferne schon heulen hören konnte und sie das Kerzenlicht nun wirklich nicht brauchte. Hohenquell war nicht mehr zu weit entfernt, aber ihr Atem ging bereits schwer.

Mit ihren Gedanken allein, kam sie nicht darum herum darüber nachzudenken ob sie wieder floh, doch ihr war mittlerweile klar dass es wohl nur einen Ausweg geben würde, wie immer blieb ihr also nicht mehr, als die Nacht durchzustehen und auf die nächste Dämmerung zu warten. Und wie so oft, um 4 Uhr in der früh, wenn dort nur noch sie und ihre Gedanken waren, fanden irgendwo zwischen den Zeilen oder quergeschrieben die selben Worte ihren Weg in das Notizbuch.

Ist dort draußen noch jemand?
Zitieren
#12
Es war kurz vor Sonnenaufgang, nicht der romantische Sonnenaufgang, sondern die zwei Stunden davor in denen sich jeder nur fragte "geht die verschissene Sonne endlich auf?" - in diesen Stunden ereignete sich dieses an sich nicht besondere Ereignis. Die Wächter am Stadttor waren bereits auf den Schichtwechsel eingestellt, als eine Frau mit blutdurchtränktem Rock sich dem Tor nährte. Als sie sie aufzuhalten versuchen fielen natürlich Widerworte, aber diese waren zu überzeugend, und einer der Wächter wusste zu berichten, dass es sich um eine der Schreiberinnen der Stadt, Violetta Winter handelte. 
Auf die Frage was mit ihr geschehen sei, folgte nur Schweigen, sie ein- und gen Heilerhaus vorzulassen war das einzige, was sie zur irgendeiner Raison zu bringen schien. Aber jeder der ihr begegnete wusste zu berichten, dass sie irgendwie wie ausgehöhlt schien, geistlos... und leider vielleicht angemessen im Anbetracht des blutgetrockneten Rocks mit dem sie in der Stadt erschien. Dass sie sich schreiend weigerte den blutgetrockneten Unterrock im Heilerhaus abzulegen, solange ihre Herrin, Eirene Kerlow, nicht anwesend war, mochte diesem Anblick einmal eine spezielle Misslichlchkeit verleihen...
Zitieren




Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste