FSK-18 Schlaflos
#1
Kein Geräusch durchdringt den Raum der Nacht
Ein paar Wolken ziehen
Als wollten sie entfliehen
Aus einer Welt, die scheinbar nicht verstummt
In der Gedanken kreisen
Die mich zum Wahnsinn treiben

Schlaflos quäle ich mich durch die Nacht
Schlaflos, was hast du mit mir gemacht


Schlaf ist eine so wichtige, so schöne Tätigkeit, ich hätte mir nie gedacht, ich würde ihn vermissen. Eigentlich habe ich immer gerne geschlafen, besonders nach durchwachten Tagen am Kessel. Bettschwere, so tief und intensiv, dass sie an jedem Knochen zieht, die Welt schwenkt und verzerrt, sodass man von selbst zu Boden fallen möchte, ist wie ein Auftakt zu einem Erlebnis, mit dem nicht einmal der Akt mit einem Mann sich messen kann.
Andererseits dachte ich mir an jenem Tag als die Schatten kamen, dass ich niemals wieder die Augen schließen wollen würde. Der Moment, an dem vom Körper nichts übrig bleibt, als eine kleine, kreischende Stimme im Kopf, zieht sich zu einer Ewigkeit. Die Erinnerung daran lässt mir jetzt noch das Herz klopfen. Ich wollte nie wieder schlafen, aus Furcht davor, nie wieder mit Herrschaft über meine Gliedmaßen aufwachen zu können. Ein Geist in einem fleischernen Gefängnis, für alle Zeiten... nein.
Ich mochte nie Blut. Blutwurst wohl, aber Wunden versetzten mich stets in eine gewisse Panik, und es war auch nicht zu verstecken. Selbst jetzt noch werde ich gerne "Mädchen" gerufen, und das obwohl ich wahrlich aus dem Kindesalter heraus bin. Wie beim Schlaf verhält es sich aber auch mit dem Blut; spiegelverkehrt. Statt das zu tun was ich liebe, nämlich schlafen und träumen, tue ich nun das, was ich mir in keinem Traum ausgemalt hätte: Blut trinken. Mindestens einmal täglich, wie ich feststellen musste, daran führt kein Weg vorbei den ich auch gehen wollen würde.
Mein Haus ist bescheiden, aber nicht ärmlich. Bequem und heimelig, aber nicht verlebt. Was mich zuvor dazu brachte, dort einzuziehen - die herrliche Aussicht nach Osten nämlich - ist nun der Grund, warum ich Vorhänge aufhängen musste. Hätte ich erwähnenswerte Nachbarn, müsste ich mir wohl einen besseren Trick ausdenken, um die Sonne fern zu halten; so habe ich Zeit es mir in Ruhe zu überlegen.
Oh, so viel Zeit. Keine Müdigkeit, kein Schlaf, und keine Finsternis, die meine Augen nicht durchdringen könnten. Keine Gnade für meinen gemarterten Verstand.

Ich beobachte meinen Mann schon seit einigen Stunden dabei, wie er da liegt und selig schläft. Der Anblick treibt meine Laune hinauf und hinunter, einmal will ich mich zu ihm legen und die Augen schließen, hoffe doch noch zu schlafen, und einmal will ich ihn garstig aufwecken, weil er etwas tut das ich nicht tun kann. Es ist eine kleine, feine Form von Wahnsinn in meinem Kopf, und mit jeder Nacht die ich wach verbringe, scheint sie stärker zu werden.
Ich will meine Zähne in die Rundung seines Brustmuskels rammen. Ihn austrinken. Sein Herz unter meiner Zunge ersterben fühlen. Es wäre die gerechte Strafe dafür, mich alleine zu lassen, finde ich. Nicht dass ich es tun werde... die Lektion meines... Vaters? Ist er mein Vater, oder besser, will ich ihn als Verwandtschaft sehen? Wie dem auch sei, die Lektion meines Erschaffers hat mich geprägt. Hunger ist widerlich, schmerzhafter als jede Folter, und nicht einmal wenn die Schatten die Kontrolle übernehmen, lässt mein Verstand sich zum Rückzug verlocken. Ich sah alles. Erlebte alles mit. Konnte nichts tun, während mein erstes Opfer unter meinen verschwitzten Klauen den Tod fand. Es lehrte mich, weder Hunger zu riskieren, noch den Tod meiner Nahrung, so schön das Gefühl von Macht auch sein mag.
Ich werde ihn nicht töten, ich liebe ihn doch. Und er kann unmöglich verstehen, wie es ist. Er wird es nie erleben, nie erfahren.

Müde lausche ich der Dunkelheit
Doch nichts als Schweigen
Wie eine Ewigkeit
Ungeduldig ersehne ich den Tag
Nur um dich zu sehen
Wie wird es weitergehen?

Schlaflos kämpfe ich mich durch die Nacht
Schlaflos, was hab ich nur gemacht

Ich blinzle, gebe seinem Kopf ein letztes Kraulen das ihn zum anregenden Räkeln bringt, dann erhebe ich mich leise aus dem Bett und schleiche mich auf den Speicher hoch. Dort oben habe ich all die Dinge verstaut, die meine Verflossenen hinterließen, oder meine Familie mir vererbt hat. Dort ist auch Kleidung, die ich nie wieder anziehen wollte. Es wäre beschämend, darin gesehen und erkannt zu werden. Aber was, wenn mich niemand erkennt? Nachts sind bekanntlich alle Katzen schwarz. Was habe ich zu verlieren?
Kurz lausche ich an der Luke hinab in die friedliche Nachtruhe meiner Schlafkammer. Vielleicht tut er dort unten im Bett das Gleiche, lauscht meiner schlaflosen Räumerei und wundert sich still. Es spielt keine Rolle. Wer nicht schläft, der muss etwas tun, und ich kann schwer zu früh damit anfangen, den brodelnden Wahnsinn unter Kontrolle zu bekommen.
Das Unterkleid ist weiß, hat hübsche, zarte, gehäkelte Rüschen an den Säumen. Katharina hat es genäht, damals als sie noch meine Nachbarin war. Hat gekichert, als sie es übergab, und mir mit roten Backen zugezwinkert. Es ist sehr fein, der Stoff dünn genug um einen Hauch von Haut darunter zu sehen, gerade noch sittlich genug um nicht von der Wache eingefangen zu werden. Ich trug es nur selten, aber trotzdem kenne ich es wie ein geliebtes Erbstück.
Das Überkleid ist einen Fuß kürzer, fester, gelber Stoff der auch Regen und Wind standhalten könnte, ungewohnt eng um die Taille und straff über den Schultern, für ein Dekolleté gemacht, das ich bei bestem Willen nicht aufbringen kann. Ich stopfe es gerade genug aus, um es natürlich aussehen zu lassen, dann stecke ich mir das Haar hoch und befühle mein Gesicht.
Meiner Mutter habe ich oft genug zugesehen, wenn sie sich das Gesicht bemalte, aber ich selbst habe es nie versucht. Ein Stück Kohle, eine Kirsche und etwas Steinmehl sind meine ersten Versuchsobjekte, aber der Blick in den Spiegel verrät, dass ich mehr wie eine Hafenhure nach durchzechter Nacht aussehe. Ich kräusle die Nase angewidert, drehe und wiege den Kopf während ich mein Spiegelbild betrachte, und beschließe dass es gut so ist. Die Woche ist beinahe um, der Tag des Herren beinahe da, und ein Großteil der Tagelöhner vermutlich betrunken genug, um mich durch den Boden ihres Bierglases als angemessene Schönheit zu sehen. Solange ich also nicht mit diesem Teufelszeug zurecht komme, muss ich eben mit ungewaschenen, stinkenden, verseuchten Säufern vorlieb nehmen.
Ich schnaube mit bitterer Belustigung. Von solchen Männern gibt es soviele, dass ich nie wieder hungern müsste.

Es dauert noch einen Moment, bis ich mich dazu durchringen kann, die Leiter wieder hinab zu pirschen, dieses Mal mit raschelnden Röcken und dem Geruch von verbrannten, staubigen Kirschen in der Nase. Er liegt noch im Bett, und ich kann an seinem Atem nicht abschätzen, ob er schläft oder sich nur schlafend stellt. Ich kann nur hoffen, dass er Verständnis hat. Dass er mir nicht folgt.

Dann stehle ich mich aus dem Haus und wandere hinüber zu den Pieren. Zeige Schenkel. Locke Blicke, locke Männer. Ziehe sie in eine Seitengasse.
Stille meinen Hunger.



(Text: Melotron - Schlaflos)
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#2
[Bild: jekic5ic.png]

(Stimmungslied im Bild)

Ich bin nicht mehr ich selbst. Ich fühle es wie einen Strudel, der mich tiefer saugt, mit jeder Stunde die vorbei tickt. Da ist nichts, was meine Paranoia, meine Angstspiralen, meine Sorgen, ausbremsen kann. Keine Müdigkeit, die einen Streit auf natürlichem Wege beenden würde. Kein Durst, der die Zunge träge machen könnte, nur der Hunger, der stetige Hunger.
Ich dachte, ich sei ein wenig Hunger gewohnt, und ich möchte mir nicht vorstellen, wie es reichen Pfeffersäcken gehen würde, sollten sie in meine Lage geraten. Die Gier plagt mich gar schrecklich, und egal wie oft ich meinen Durst stille, er mag niemals ganz verschwinden. Das Trinken selbst ist eine solche Extase, dass es schwer ist nicht süchtig zu werden. Ich fröne dem Hunger zu oft, zu viel, zu genüsslich. Andere erbrechen nach einem langen Abend Schnaps, ich erbreche Blut. Bisher konnte ich es vermeiden, eine weitere Person zu töten, aber wenn ich weiter so aus der Bahn gerate, wird sich das wohl bald ändern.
Ich weiß es ist falsch, aber wie soll ich etwas so Herrliches mäßigen?
Wie sehr ich die Kontrolle über mich verloren habe, merke ich erst durch die Streitereien mit meinem Mann. Ich bin mir sicher, dass meine Gründe rational sind, dass ich nicht zuviel von ihm fordere, dass ich ein paar Zugeständnisse verdient habe, aber die Art wie er das Gesicht verzieht, sich duckt, mürrisch abwendet, beißender antwortet, spricht eine andere Sprache. Wir haben nie wirklich gestritten, ab von ein paar Meinungsverschiedenheiten, aber wirkliche Streitigkeiten? Nein. Ich gab stets klein bei, fand einen Kompromiss, beendete das unwohle Thema um ihn nicht in Ecken zu drängen.
Diese Fähigkeit scheint mir irgendwo auf dem Weg durch schlaflose Nächte abhanden gekommen zu sein. Ich vermisse sie, dem lieben Frieden wegen.

Da ist sie wieder. Die Stimme im Winkel, aus den Schatten, aus weiter Ferne. Ich zucke, wie ich schon die Nächte zuvor zuckte, wenn ich glaubte etwas zu hören. Ich habe meinem Mann nichts davon erzählt, und nun, wo er sich ein paar Tage auf Reisen begeben hat, wünsche ich mir nichts sehnlicher als dass er hier ist und ich ihn fragen kann, ob er sie auch hört. Das Wispern. Das Zischen. Das ärgerliche Raunen.
Ich starre in die Ecke, wo ich die Quelle dieser Stimme vermute. Stehe auf und gehe näher, auf leisen, bloßen Sohlen, die Zehen gespreizt für einen besseren Halt, sollte ich schlagartig flüchten müssen.
Nichts. Niemand. Stille.
Ich gehe in die Hocke, strecke alle Sinne nach dem Murmeln, das sich in meinem Geist verheddert hat, lehne mich weiter und weiter vor, bis meine Nase beinahe den frischen Putz berührt. Meine Stimme ist kaum mehr als ein Hauchen, ein milder Windstoß in der Nacht.
"Ist da jemand?"

Ich öffne mich zu weit. Bin zu bereit, zu hören. Mergys springt mich an wie eine Banshee, rammt sich in meinen Verstand wie ein Poltergeist.
Die Wucht der Verbindung schleudert mich zurück und lässt meinen nackten Rücken über den Holzboden scharren, bevor ich zum Stillstand komme, die Augen weit und blicklos, während unsere Geister sich vermischen.
Dann bin ich fort, gefangen in der Vision, getrennt von meinem Körper.

Man sollte eben aufpassen, was man sich wünscht.
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#3
Es ist Tag, und ich beobachte die hübschen, pastellgelben Vorhänge, die mein Vormieter spendierte. Herbstwind ist etwas hässliches, kommt in Böen und beißt, aber selbst er kann aus den Fensterverhängen nichts Abstoßendes machen. Die letzten Tage waren gefüllt mit Säbelrasseln und wesentlich weniger rasselndem Herumschleichen und Spionieren, unterbrochen von Maergys' Besuchen und Einflüsterungen.
Ich tue manchmal was sie will, nur um keine weitere Vision zu riskieren. Die letzte war nicht sehr erbaulich... um nicht zu sagen, furchteinflößend.

Mein Ahn lässt seine neu gefundenen Kinder hinter seinen Experimenten aufräumen. Weiß er, welch ein Herzklopfen er damit in mir weckt? Es kitzelt an meinen Nerven, durch die Gassen pirschen zu können, und nach Spuren suchen zu können, als hätte mein Leben einen Sinn. Vielleicht hat es den nun, vielleicht ist es ein guter Lebenszweck, der beste Nachwuchs zu sein, der ich sein kann. Ein Kind, auf das man vielleicht nicht stolz sein kann, sehr wohl aber zufrieden damit.
Noch habe ich nicht viele Spuren gefunden, eine Siedlung ist in der Hinsicht schlimmer als ein Wald. Soviele Verstecke, soviele Löcher und Lücken, Fluchtwege und Routen... Aber da sind die Spuren an der Wand. Ich habe die Sterblichen dabei beobachtet, wie sie diese mustern, ihre kleinlichen Diskussionen führen, und ich bin mir sicher: Mein Halbbruder war hier, und wen auch immer er attackierte, das Opfer hat Glück nicht im Grabe geendet zu sein.
Dann ist da noch die Sache mit meinem neuen "Freund". Er kann mir helfen, meinen Halbbruder zu finden, das sagte er zumindest. Aber traue ich einem Sterblichen? Einem Hexer noch dazu?
Bleibt mir etwas anderes übrig?
Er scheint gut genug in seinem Handwerk zu sein, immerhin wusste er sofort was los ist, als wir durch die mageren Behausungen gingen, und beide gleichzeitig stolperten. Was für ein seltsames Phänomen, nicht wahr?
Maergys lacht, irgendwo tief in meinem Hinterkopf, spöttisch und auf ihre einzigartige Art. Lacht mich aus, während sie mich beobachtet, weit außerhalb jener Teile meines Seins, die ich nach Belieben berühren könnte. Sie kommt und geht wie ein Ausschlag im Schritt, und ist ähnlich hilfreich.
Das Lachen reißt nicht ab, und ich werfe mit einem Stirnrunzeln und einer gehörigen Portion Frustration einen mentalen Blick auf meine letzten Gedanken. Was könnte sie so amüsiert haben? Dass ich gestolpert bin? Dass wir beide gestolpert sind?

In einem atemlosen Moment spüre ich, wie meine Pupillen sich ruckartig verengen und mein Herz still wird. Er verderbt den Boden den er berührt.
Dann schlage ich mir mit der Hand etwas zu fest vor den Kopf und verziehe das Gesicht. Natürlich, kein Wunder dass Maergys lacht! Ich bin blinder als ein Karnickel nach dem Häuten! Es wäre ein so guter Ort, sich zu verstecken...

Ich werfe dem Sonnenlicht hinter den in der Briese wiegenden Vorhängen einen prüfenden Blick zu. Noch ein paar Stunden, dann kann ich meinen Ahn informieren. Noch ein paar Stunden, dann wird er mich loben, oder zumindest zufrieden aussehen. Noch ein paar Stunden.
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#4
Die Herbstnacht raubt mir den Atem. Es ist nicht so sehr das Rascheln des Laubes in den Böen von kaltfeuchtem, kräuselndem Wind, und auch nicht ausschließlich der Geruch von Schnee und Frost, der Nachts in der Luft liegt. Es ist auch nicht das Prickeln der Wärme meines Kachelofens, die mir in den Rücken strahlt, während ich im Eingang meines Hauses stehe, und die Hitze in die Nacht entkommen lasse.
Es ist die Verbundenheit. Das Gewebe. Es kribbelt über meine Haut, durch sie hindurch, in mein Herz und von dort geradewegs in mein Hirn, wo es mit dem milden Zug im Nacken Gänsehaut auslöst, die bis zu meiner Steiß hinab kriecht. Mit einem Mal war es plötzlich da, wie eine Schelle aus dem Nichts. Am liebsten wäre ich zu Boden gesunken, aber das wäre eine Schwäche gewesen, die ich mir vor den Anderen nicht leisten konnte. Und seitdem ist es, als würde ich durch anschmiegsame Spinnfäden laufen, die meinen Bewegungen mit mal milderem, mal stärkerem Zug folgen.
Maergys ist begeistert. Seit Stunden, vielleicht sogar schon seit gestern Nacht, zupft sie an dem Gewebe, dem Netz wie ich es mir vorstelle, herum und drängt mich dazu, den Fäden zu folgen, die anderen zu finden, einfach so. Es ist eine Ablenkung, die mich aufatmen lässt. In letzter Zeit war sie fast schon in der Lage, mich zu verführen. Ihre Einflüsterungen dazu, was man mit den Töpfchen voller Teekräutern sonst noch so tun kann, außer krampflösende, schmerzlindernde oder berauschende Heißgetränke zu brauen, trieben mich beinahe dazu, es auszuprobieren, nur einmal, nur ein wenig, ohne böse Absicht, ehrlich.
Ich hingegen labe mich an dem so lange gemissten Gefühl von Zusammengehörigkeit, von Verbundenheit. Die Anderen mögen mich vielleicht noch nicht wahrnehmen, aber ich spüre sie, zu jedem Moment, egal wo sie sind. Ich wusste in meinem Kopf schon zuvor, dass ich nicht alleine bin; es zu fühlen ist allerdings etwas ganz anderes. Beinahe stillt es den immerwährenden Hunger, der im leeren Zentrum meiner Brust lauert, aber nur beinahe.
Der Raum hinter mir ist inzwischen besorgniserregend abgekühlt. Es stört mich nicht wirklich, aber es ist auffällig. Außerdem kann ich mich schwer bei offener Türe in mein Kostüm zwängen, und ohne meine Hurenaufmachung nach Nahrung zu suchen erscheint mir angesichts der vielen Warnungen und der allgemeinen Angst dann doch zu gefährlich.
Und vielleicht gebe ich ja Maergys' Drängen doch nach. Folge einem der Fäden, sehe wo er mich hinführt. Weide mich an der simplen Befähigung. Ja. Das sollte ich tun. Nie gehörte die Nacht mehr mir, als heute.
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#5
[Bild: spiegelschwarz.png]

Spiegel waren eine meiner gedankenlosen Leidenschaften, bis mein Ahn mich an seine Seite nahm, um mir zu zeigen, wie sein Abbild darin aussieht. Seitdem betrachte ich die Spiegel in meinem Heim mit einer Mischung aus mild glimmender Panik, der flauen Gewissheit, dass ich sie eines Tages abnehmen und verhängen müssen werde, und pochender, rasender Gier danach, ihr Geheimnis zu entschlüsseln.
Mein Ahn beschreibt es als schwierig, sich sein eigenes Aussehen vorzustellen, und vielleicht wird es auch für mich eines Tages schwierig sein. So jung wie ich allerdings bin, mein Leben verbrachte ich damit, mir überaus bewusst darüber zu sein, wie ich aussehe, und dass eine jede Falte an meiner Kleidung richtig liegt, und ein jedes Haar seinen Platz an der richtigen Stelle findet. Ich glaube, ich könnte mir noch genau vorstellen wie ich aussehe, wenn ich für den Rest meines Lebens keinen Blick mehr auf mein Spiegelbild werfen könnte.
Ich glaube, für mich wäre es einfach, zu tun was mein Ahn tat.
Einfach.

Warum stehe ich also am anderen Ende meiner Kammer, so weit fort von dem polierten Spiegel, dass ich nichts von mir darin zu erkennen vermag?
Der vernunftbewusste Teil meines Kopfes erklärt mir mit dieser bemüht geduldigen Stimme, dass ich mir keine Sorgen zu machen brauche. Wie mein Ahn sagte, es gibt keine Möglichkeit, in einem fremden Aussehen stecken zu bleiben, denn es benötigt Kraft, dieses zu erhalten, ich möge mich also bitte nicht so zieren.
Der größere Teil meines Kopfes jedoch beäugt den Spiegel mit einem Argwohn, der einem unbelebten Objekt nicht zukommen sollte, und erinnert in verhaltenem Tonfall daran, dass wir schon ganz andere Dinge getan haben, die vermeintlich dümmlich und verquer und wahrlich nicht vernünftig waren, und etwas Vorsicht habe noch nie geschmerzt, vielen Dank.
Wer weiß schon, was bei einem bewussten Blick in den Spiegel alles schief gehen kann? Wer weiß schon, welche Sperenzchen mein zartes Haupt sich einfallen lässt? Immerhin gibt es einige Narben, die mich insgeheim schon immer störten, und wenn mein Kopf es beschließt, wer sagt dann, dass sie nicht verschwunden bleiben, bis mir jemand die Schlinge um den Hals legt, und mich über Wasser erhängt, um mich dann in die Flammen zu werfen?
Ein dünklerer Teil von mir verweist jedoch erneut auf die Gier. Was, wenn ich kein lächerliches Kostüm mehr brauchen würde, um mich Nachts auf die Pirsch zu begeben? Was, wenn ich mein Aussehen so verändern könnte, dass ich nicht mehr Gefahr laufe, erkannt zu werden? Anstatt der betrunkensten Fischermänner könnte ich mir leicht beschwipste Edelmänner zur Beute nehmen, deren Blut sicherlich weniger abstoßend schmeckt, und deren Lebenskraft mich besser nährt, als jenes der Ärmsten.
Oder mitten auf offener Straße die Konzentration verlieren, und doppelt entlarvt werden.

Mit einem Schaudern und einem Schütteln, das bis in die Fingerspitzen geht, laufe ich in einem Bogen zurück zum Spiegel und verhänge ihn wieder. Ich bin noch nicht bereit, das Risiko einzugehen. Noch nicht vorbereitet genug. Zu aufgeregt, zu nervös. Mein Ahn würde milde seufzen und das Thema wechseln, würde er mich so sehen - die größte Form der Enttäuschung.
Und meinem Mann würden nur dumme Ideen kommen, Gedanken, die ich nicht erwecken möchte, bevor ich sicher bin, dass ich diesen Mimikri auch ausreichend beherrsche.
Früher oder später werde ich mich dem Spiegel sicherlich stellen müssen. Vermutlich werde ich es auch demnächst einmal tun, denn meine Neugier ist zu stark und zu mächtig, um sie lange beiseite zu drängen. Aber nicht heute, nicht hier.
Noch nicht.
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#6
Falsch ist alles an dem Biedern:
Zähne, Waden, Teint und Haar.
All sein Fragen und Erwidern
immer falsch und niemals wahr.

Falsch sein Trauern, falsch sein Scherzen,
Falsch sein Ja und falsch sein Nein.
Fällt dem Kerl ein Stein vom Herzen –
Wett' ich, ist's ein falscher Stein!

Oh wie die Gedanken rennen, laufen, springen, gar niemals stillsitzen wollen! Der Schlaf entgeht mir seit Monaten, lange genug, dass selbst mein Mann seine Unruhe ob meiner fehlenden Nachtruhe aufgegeben hat, und wieder schläft wie ein vollgefressener Säugling. Meistens liege ich neben ihm, starre an die Decke, frage mich was ich aus der Nacht machen könnte, und gehe schließlich jagen, essen, fressen, den Kampf gegen das Biest ausfechten, das mich nimmer bremsen will, habe ich einmal begonnen.
Alles ist schwerer zu bremsen, sei es nun die Gier, die Lust, die Sorge oder die Unruhe. Ich will mich an Hausecken reiben wie ein Luchs auf der Pirsch, die elenden, halbtoten Landstreicher umarmen und herzen, mich zu den Toten legen, den Wachen unziemlich an den Leib fassen,... Dinge zerschmeißen, die Nachbarn erdolchen, das Haus auf der anderen Straßenseite anzünden. Und kein Schlaf, keine Müdigkeit kann diese Gedanken unterbrechen, keine Ablenkung die mich aus dem Strudel reißt, wenn mein Mann nicht da ist. Er weiß es zu schätzen und profitiert davon mich abzulenken, zumindest meistens. Manchmal gelingt es inzwischen nicht einmal mehr ihm.
Umso besser ist es, was meine Schwester tat. Meine Schwester, oh, ich sehe sie nur selten, aber es scheint gar, dass mit ihrem Erscheinen die Welt etwas beschwingter ihrer Wege geht, denn stets passiert etwas Unvorhergesehenes. Einmal sah ich in ihrer Anwesenheit jemanden einen Dämon beschwören, befehligen und wieder fortschicken, und einmal, da zeigte sie mir einen Stein. Den Stein, einen der Familie Berning. Sie sagte es sei der Letzte, und ich glaube ihr, auch wenn ich sie dafür hasse. Nein, liebe, aber ich hasse es, dass sie den Stein hat und nicht ich. Ich könnte ihn ihr ja vielleicht stehlen?
Ich schüttle den Kopf und unterdrücke den Drang mich herum zu wälzen, um meinen Mann nicht zu wecken. Es ist der Stein, nichts weiter, nur ein Echo dessen was ich darin spürte. Dieses Echo hallt durch die tiefen, schwarzen Höhlen meiner Gier und findet dort soviel Anklang, dass es schwer ist meine eigene Vernunft noch durch das Dröhnen zu hören. Es kommt nur Nachts, das Dröhnen, und dann werde ich unruhig und mache mich auf die Suche. Die beste Methode, dem Stein näher zu kommen, wird wohl oder übel die Jagd nach Berichten darüber sein. Es ist zwar fast unmöglich den Archiven nahe zu kommen, aber ich bin nichts, wenn nicht gut im Spielen von Rollen, die nicht meine eigene sind. Wenn ich also für den Stein gesellig und mithrasgläubig sein muss, dann bei Mithras, werde ich das auch tun!
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#7
»Mich ängstigt das Verfängliche
Im widrigen Geschwätz,
Wo nichts verharre, alles flieht,
Wo schon verschwunden, was man sieht;
Und mich umfängt das bängliche,
Das graugestrickte Netz.« –
Getrost! Das Unvergängliche,
Es ist das ewige Gesetz,
Wonach die Ros und Lilie blüht.

Mein Mund ist beschäftigt und meine Knie wund, als der Puls durch das Netz geht, Fäden sich kreuzen, ein Knoten herausquillt aus dem unnahbaren, undurchschaulichen Gewirr von Mächten. Maergys, unbegeistert von meinem Tun, wenn auch nicht mehr der Laune erliegend, meine Zähne dazu bringen zu wollen, sich um das weiche Fleisch zu schließen, ist unvermittelt in Alarmbereitschaft. Sie zerrt und zupft und streicht über die Fäden, weht wispernd und summend durch meinen Verstand und versucht mich dazu zu bringen, das Haus zu verlassen. Folge dem neuen Faden, folge ihm, an seinem Ende ist etwas Erkleckliches, etwas Essbares, etwas das schreien kann, wispert sie durch meinen Kopf.
Mich hingegen macht der neue Knoten zornig und auf meine eigene, kindliche Weise auch aufsässig. Statt ihm zu folgen, statt auf Maergys zu hören, bleibe ich wo ich bin, vollende was ich anfing, und brodle still vor mich hin. Ich werde dafür später mit wesentlich extremeren Taten zahlen, aber ich muss Linien ziehen. Vielleicht muss ich auch die anderen vor dem Wesen in meinem Kopf schützen. Vielleicht sind das alles nur Ausreden, die ich mir parat legte.

Den Spiegel habe ich gemeistert, oder meistere ihn zunehmend, je nachdem wie man es betrachten mag. Es fällt mir nicht mehr schwer, meine Charade mit den vollen Brüsten und den runden Hüften für einen Abend aufrecht zu erhalten, aber ich konnte meine Konzentration immer noch nicht in jeder Situation austesten, und es hinterlässt mich hungrig und mit leichten Kopfschmerzen, wann immer ich mein Glück zu lange ausreize. Bald schon wird der Tag kommen, an dem mein falsches Ich, Maergys' bevorzugte Hülle, stabil genug ist, um damit auch wagemutigere Dinge zu tun, wie zum Beispiel den Hexern entgegen zu treten und zu tun was wir - Maergys und ich - schon lange tun wollten, nämlich zu verhandeln, vielleicht gar einen Pakt zu schließen. Man kann nie genug Verbündete haben, und gerade in meiner Familie herrscht nur wenig Eintracht oder Zusammenhalt. Natürlich würden sie kommen und mich retten, wäre ich in echter Gefahr, und natürlich sind wir zivilisiert zueinander, aber die unbeholfen frostige Höflichkeit ist nun einmal ein Effekt dessen, dass eine Gruppe Fremder zur Familie erklärt wurde, eigentlich aber gar nichts gemeinsam hat. Nungut, bis auf das Trinken von Blut haben wir nicht viel gemeinsam. 
Hexer aber sind zahlreicher. Sie haben andere Mittel zur Verfügung, Mittel, mit denen mir Türen aufgestoßen werden, die mir vorher nicht offen standen. Für mich ist klar, dass ich auserwählt dafür bin, den Kontakt mit den Hexern herzustellen - keiner sonst beherrscht eine Form, die Lippen und Stimme und eine unauffällige Form hat, mit der man sich tatsächlich unterhalten kann. Man kann zwar zum Wolf sprechen, zum Hahn, zum Marder, zum Kater, aber man erhält keine Antwort und fühlt sich rasch unschicklich und ein wenig verlegen.

Mit dem nächsten Morgen werde ich meinen Abschied von meiner liebsten Bettgesellschaft nehmen, meinen Mann Aufwiedersehen küssen, und Maergys indignierter Aufforderung Folge leisten. Es gilt, einen neuen Knoten zu finden, und zu sehen wer sich dahinter verbirgt.


(Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe (1749 - 1832))
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#8
Ich habe mir einen Namen verdient. Mehr als ein Jahr schlaflos. Mehr als ein Jahr ungesehen. Unbekannt, das vertraute Fremde zwischen Lämmern und Wölfen, immer hungrig, immer auf der Suche. Mein Name ist Bijoux.
Ich halte Abstand zu den anderen wie ein scheues Reh. Ich kenne sie nicht gut genug um ihnen zu vertrauen, und Nähe macht mitschuldig. Der schwarze Ritter beweist mir wie klug meine Entscheidung war, auch wenn ich Neid spüre. Er ist berühmt, ich nicht. Ich bin niemand. Lebendig und sicher, versteckt und fern jeder Gefahr, aber ein niemand. Ich kann mich nicht entscheiden ob ich lieber in Sicherheit oder berühmt und in Lebensgefahr wäre. Mein Mann befindet den schieren Gedankengang für völligen Blödsinn und sagt dass ich mir zuviele Gedanken mache. Wer nicht schläft, kann viel denken, erkläre ich ihm dann. "Dann helfe ich dir dabei, nicht mehr zu denken." Seine Worte, seine Taten. Ohne ihn wäre ich schon längst dem Wahnsinn verfallen.
Die nagenden Gedanken kommen allerdings immer wieder, lauter und eindringlicher als zuvor, spottender, scharfkantiger. Ist es wirklich meine Vernunft die mich leitet oder bin ich einfach feige? Wieviel Gefahr besteht wirklich für mich und den Leib den ich besitze? 
Wenn ich will - und wenn ich Schattenkraft dafür opfere - bin ich schnell wie ein Pferd im gestreckten Galopp, kurzzeitig sogar schneller. Ich kann durch Schatten kriechen wie ein Wurm durch einen Muskel, hinein an einer Seite, hinaus an einer anderen, durch die Welt die die Sterblichen "Spiegelwelt" nennen, und die sich so verdächtig heimisch anfühlt dass ich mich oft am Zaum nehmen muss um nicht zu verweilen. Mein Körper verliert zunehmend seine Identität, lässt sich formen und verzerren, sodass meine Opfer mir später nicht nachstellen können. Meine Wunden heilen viermal so schnell wie zuvor und der damit einhergehende Schmerz verliert zunehmend seine Zähne und seinen Schrecken. Selbst die verhassten Pelzbrüder sterben schneller als ich. Ich bin mir nicht einmal sicher ob ich wirklich sterben kann. Eines Tages werde ich vielleicht versuchen es herauszufinden, wenn die Welt mich ermüdet und mein Dasein mich langweilt, aber dieser Tag liegt in ferner Zukunft.
Was also habe ich wirklich zu fürchten?
Ich betrachte mich im Spiegel, fixiere einen Schopf von Haar der die Farbe noch nicht völlig geändert hat und verenge meine Augen bis er gehorcht. Meine Vorsicht verhindert dass ich die Hexer finde und ich weiß es. Die Vorsicht der Hexer verhindert dass sie auf meine Kontaktversuche reagieren, aber auch dieses Wissen bringt mich nicht weiter. Der Wolf und der Panther hatten mehr Erfolg als ich, selbst der schwarze Ritter fand mehr Zutritt zu den Dämonendienern als meine vorsichtigen Angebote, und ich bin stolz und arrogant genug um mich darüber beinahe selbst in Fetzen zu reißen. Wie können sie es wagen! Wie können sie es wagen, mehr Erfolg als ich zu haben?
Die Antwort ist einfach: Weil sie es wagen, im Gegensatz zu mir.
Das hübsche Gesicht im Spiegel verzieht die Miene zu einem wenig hübschen Ausdruck von Missgunst. Der Anblick gefällt mir nicht, aber ich schaffe es nicht ihn fortzuwischen. Es kommt wie es kommen muss, ich muss mein Versteck, meine Sicherheit, meine Schleicherei aufgeben, oder mich endgültig mit meinem Platz abfinden.

Ich verlasse das Haus wie stets erst Stunden nach der Dämmerung, erst nachdem ich sicher gestellt habe dass meine Nachbarn schlafen. Sich nicht wundern was die hübsche Blondine dort getrieben haben mag. Der Weg ist weit und nicht ohne Gefahren, aber die Strauchdiebe sind mir heute - wie zumeist - eher willkommen als zuwider. Kaum einer vermisst sie, und wenn ich den Großteil in die Flucht geschlagen und mich an meinem auserkorenen Opfer gelabt habe bis es tot zu Boden sinkt, ist die Beseitigung des einen Leibes eine schlichte Angelegenheit des Schleppens. Schuldgefühle wegen des Ablebens eines Sterblichen habe ich schon vor meiner Wandlung nicht empfunden, und den letzten Ekel gegenüber der dreckigen, ungewaschenen Leiber hat mein Hunger mir schnell aberzogen. Nun sind sie nicht mehr als lästiges Gewicht das mir im schlimmsten Fall Ärger bereiten könnte, im besten Fall die lokalen Wölfe füttert und sie so von den Höfen fern hält.
Ich weiß wo der schwarze Ritter sich herumtrieb bevor das Pflaster zu heiß wurde, also beginne ich dort. Sehe mich um, wittere in den Wind. Meine Sinne sind nicht so scharf wie die der Pelzbrüder, zumindest nicht die körperlichen Sinne, aber mein Blick fürs Detail wurde nur noch geschärft, so sehr geschärft dass ich mich manchmal überfordert fühle. Ich nehme mir viel Zeit dafür, zwei Stunden, tarne mich als auf Kräutersuche wenn andere Nachteulen vorbei kommen, meine Aufmerksamkeit gilt allerdings den Trampelpfaden, Wegen, Fußabdrücken, geknickten Halmen, gestampftem Schnee, unüblichen Wuchsformen von Hecken.
Dann, als ich glaube mir sicher zu sein dass ich den richtigen Ort gefunden habe, sehe ich mich hastig um und deponiere meine Last. Ich habe lange darüber nachgedacht wie ich die Hexer auf mich aufmerksam machen soll, wo ich sie am Besten treffen kann, wo ich die besten Fluchtmöglichkeiten hätte, wo die wenigsten Unbeteiligten vorbeikommen würden. Die Auswahl war zuviel für mich, also habe ich es schlicht gehalten.
Ich bin nicht dumm. Ich nagle den Aushang nicht direkt dorthin wo ich das Schlupfloch der Hexer vermute, sondern an die Kreuzung davor, an den Ort wo die meiste Gelegenheit besteht, dass ein Hexer ihn lesen könnte. Das Geschenk verberge ich allerdings unter einem Stein den ich extra in den Weg lege, den ich so mühsam ausgespäht habe. Das Dämonenhorn glitzert unnatürlich im Mondschein. Kurz nage ich mir auf der Unterlippe, wäge ab ob mein Vorrat solche Großzügigkeit wirklich erlaubt, dann schüttle ich mich. Natürlich tut es das. Ich habe noch eine Ewigkeit vor mir, ich kann neue Dämonenhörner besorgen.
Die letzten Spuren werden verwischt, dann ziehe ich noch das zerrupfte Hemd meines Abendimbisses darüber um die Pelzbrüder auf falsche Ideen zu bringen und ziehe mich zurück.
Ich bin Bijoux, und ich bin nicht mehr lange unsichtbar.
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#9
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(Boy Epic - Wolf)


Der Mond ist nicht mehr ganz voll vor meinem Fenster. Angenagt. Abgebissen. Als hätte ein Gott in seinem unstillbaren Hunger versucht, ihn zu verschlingen. Vielleicht ist er daran erstickt.
Mein eigener Hunger schwankt wie die Gezeiten, nur unberechenbarer. Mal ist es ein Leichtes, ihn zu kontrollieren. Dann wieder muss ich an mich halten, meine Angestellte nicht zu verschlingen. Es hat nichts mit dem Erlernen von Kontrolle zutun, dafür alles mit diesem Knoten in meinem Bauch, der mich elend macht. Ich könnte nicht einmal schlafen, wenn ich schlafen könnte, und dort wo einst mein Zwerchfell seinen Dienst tat, herrscht nun ein stetiges, nervöses, unwohles Prickeln. Ein Zug an den Rippen, als könnte ich mich jeden Moment selbst ersticken. Ein Gefühl von drohendem Unheil, von einer Katastrophe, die mich sicherlich jeden Moment heimsucht.
Angst.
Ich kenne sie gut, sie war immer schon mein Begleiter. Bevor ich mit einem unheiligen Splitter erdolcht wurde und zu dem erwuchs was ich nun bin, bevor ich schlaflos wurde, kannte ich bereits die Angst. Angst vor Ablehnung, Angst vor Gelächter, Angst vor Enttäuschung, Angst vor Fehlern, Angst vor der Erkenntnis, dass eine andere hübscher sein könnte als ich, oder klüger, oder geschickter. Angst davor, dass ich eines Tages herausfinden würde, was meine Liebsten wirklich von mir halten.
Jetzt habe ich nur noch Angst um meinen Mann. Er kommt kaum noch von der Baustelle zurück, und da ich nicht schlafe, da meine Gedanken niemals ermüden oder erschlaffen, spinnt mein Kopf die wildesten Ideen zusammen. Vielleicht hat er mich über? Mich und meine Blutgier, mich und meine Sünden, mich und meine Makel. Ich könnte es ihm nicht verdenken, aber ich kann auch nicht von ihm ablassen.
Es ist dies die Art der Vampire. Sie klammern. Sie steigern sich in etwas hinein, bis es verteufelungswürdige Ausmaße annimmt. Da ist der schwarze Ritter mit seiner Manie für sein tragisches Ende und das Elsternspiel, und da ist die Katze, die so mit sich selbst beschäftigt ist, dass ich manchmal darum fürchte, sie könnte sich selbst und ihren Mann verzehren, nur um Beidem noch näher sein zu können. Und da bin ich, mit meiner Obsession für meinen Mann. Mein Leben dreht sich um ihn und ohne ihn kann ich nicht atmen, so erscheint es mir, und die Stimme in meinem Kopf gewinnt zunehmend an Stärke. Er hat eine andere, wispert Maergys, und bei jener ist er. Du solltest ihn verfolgen, rät sie, sehen wohin er geht. Das Weib töten, dessen Haus er betritt, reinen Tisch machen, sodass er zurück kehrt zu dir.
Ich widerstrebe. Natürlich widerstrebe ich. Der Teil in mir der ich ist, vertraut ihm. Der Teil aber der Maergys ist, der Splitter in meinem Innersten, er gewinnt zunehmend an Macht. Und Maergys vertraut niemandem, ganz besonders keinem Mann. Deshalb verabscheut sie mich, verabscheut mein kriecherisches Weinen nach seiner Gesellschaft. Deshalb frisst sie mich von innen auf, wie die Götter den Vollmond auffressen. Und irgendwann werde ich die Stimme in Maergys' Kopf sein, und sie der Herr über meinen Leib.

Mondlicht scheint durch die Fenster, blendet mich und scheucht mich zurück in eine dunklere Ecke der Stube. Mit gekräuselter Oberlippe blicke ich um mich, spüre das prickelnde Kriechen meiner Haut, das mich vor einer beginnenden Verwandlung warnt. Oh ja, ich kenne Mittel und Wege um Maergys zu bremsen, sie gefallen mir nur nicht. Ich lasse dem Tier in mir nicht gerne lockere Zügel, denn dann passiert Chaos. Blut und Tränen und soviele erzwungene Erklärungen, die ich mir fortan merken muss. Ich mag es wahrlich nicht, aber welche Wahl habe ich?
Nur drei. Meinen Mann finden, mein Tier füttern, oder mich Maergys ergeben. 
Was wähle ich also in dieser Nacht?


Mein Tier leitet mich durch den Wald, wo wir einen einsamen Ziegenhirten verschlingen, ihm sein Leben durch das Loch in seinem Leib entreißen und uns gierig in seinen Überresten wälzen. Es gibt uns nichts, dieses makabre Spiel, aber mein Tier tut es weil es verboten ist. Und weil unser Mann der Spur folgen kann, wenn er es will.
Dann laufen wir weiter, hinauf in die Berge, den Schmugglerpfad entlang, wo wir den Ziegenhirten wieder erbrechen. Unser Magen ist nicht dafür gemacht, das Fleisch zu verzehren, aber das hindert mein Tier nicht daran, es trotzdem zu versuchen. Wieder und wieder.
Als ich mich das nächste Mal aus meinem Kopf wage, sind wir bereits in den Thalwäldern und steuern auf einen Ort zu, an dem ich mich zu jeder anderen Stunde nur unter großem Widerwillen aufhalten würde. Ich weiß bereits wohin meine Schritte mich führen, aber ich kann es nicht mehr aufhalten; das Bad im Chronosschrein ist kurz und oh so schmerzhaft, es bringt mich zum kreischen und strampeln. Mein Tier lacht gehässig zwischen den Schmerzlauten, lässt mich tanzen und springen wie ein Rumpelstielzchen und ergötzt sich an meiner Fassungslosigkeit. Es hasst mich fast so sehr wie Maergys, weil ich es an die Leine zwinge, es verleugne, versuche etwas zu sein das ich nicht mehr bin, und nun bekomme ich zu spüren wie es sich anfühlt am anderen Ende dieses Machtgefüges zu sitzen.
Wir brechen wieder auf, und innerlich bete und bettle und hoffe ich darauf, dass wir nicht in Rabenstein enden.
Eine halbe Stunde später stolpern wir durch das Tor und murmeln etwas von "Überfall", hastig in unserer Eile, der neugierigen Wache rasch zu entkommen. So ärmlich und zerrupft wie wir aussehen, macht die Wache sich gar nicht erst die Mühe nach dem üblichen Kopfgeld für die Täter zu fragen - jemand wie wir hat keine Münzen locker, das sieht sogar ein verschlafener Gardist.
Wohin auch immer mein Tier geht, der Weg ist sowohl vertraut als auch befremdend, und als wir auf den Rabensteiner Friedhof stolpern, erkenne ich mit gewisser Verblüffung, dass ich nur zweimal überhaupt hier war. Bei einem sehr spezifischen Grab. Dem Grab, auf das mein Tier nun zusteuert, kehlig kichernd. Soviel Spaß hatte es schon lange nicht mehr, und es wird sich seine Unterhaltung so schnell auch nicht rauben lassen, zumindest nicht von mir, wo ich es so schlecht behandelt habe.
Während mein Tier mit bloßen Händen durch das Erdreich scharrt, einem Erdmännchen gleich buddelt, versuche ich meine Vorstellungskraft zu bändigen und all die möglichen Ausgänge dieses makabren Ausflugs zu verdrängen. Verspreche hoch und heilig, mein Tier zukünftig besser zu behandeln, es öfters hervor zu locken, seine Impulse zu erhören wenn es möglich ist. Alles, alles was ich beitragen kann um nicht noch einmal in einem solchen erschreckenden Zustand des Kontrollverlusts zu enden. Gefangen im eigenen Leib, und das vielleicht für den Rest meiner unendlichen Existenz? Nein. Niemals. Eher lasse ich es willens einige Menschen töten.
Immer wieder müssen wir uns verstecken, die Arbeit unterbrechen, sei es weil ein Gardist vorbei patroulliert oder aber ein Einwohner trunken gen' Heimstatt schwankt, aber mein Tier ist unerbittlich. Gräbt, bis wir bäuchlings über den Grubenrand baumeln. Gräbt, bis es auf den Sarg stößt. Durchbricht das morsche Holz und wühlt jovial durch die Sickerwasserbrühe, in der Kleiderreste, Knochen und... andere Reste schwimmen. Hascht nach einem Knochen und zieht ihn hervor, umarmt ihn wie ein liebgewonnenes Spielzeug. 
Dann graben wir die Grube wieder zu und hechten davon, als ginge es darum, unserem Mann den Knochen zu apportieren wie ein gut erzogener Jagdhund. Nur dass mein Mann ihn nicht bekommen wird, oh nein. Auch ich sammle nämlich, und wenn ich schon meinen Mann nicht haben kann, dann gehört mir nun das einzige andere Ding, das er jemals liebte. Nach und nach werde ich mir alles holen was ihm gehört, und am Ende, am Ende wird er zurückkommen müssen.
Meins.
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#10
[Bild: dark-fantasy-3d-abstract_6.jpg]


Er riecht nach nichts. Sicher, nach Seife und Waffenöl und ein wenig auch nach dem Dreck der an seinen Stiefelsohlen klebt. Gott weiß welche Mixtur ein solches Odeur erzeugt, aber darunter ist nichts. Ein Puls, Blut, der Geruch von alten Schürfwunden, die er vermutlich nicht einmal bemerkt hat. Er selbst riecht nach nichts. Es ist das Seltsamste, was ich jemals erlebt habe. Jeder hat einen Geruch. Jeder riecht nach etwas.
Sein Charakter ist wie sein Geruch. Nicht dass er keinen hätte, aber er ist nicht greifbar. Glatt wie ein Ei aus frischem Eis. Jede Frage rutscht ab und fällt ins Nichts dahinter, und selbst seine Mimik gibt mir zwar kleine, winzige Zeichen, dass da irgendwo weit hinten etwas sein muss, aber die Vorderfront, die Auslage, die er der Welt präsentiert, ist leeres Spiel.

Ich will meine Klauen in sein Fleisch treiben. Sehen ob er schreien kann.

Ich tue es nicht, aber die Beherrschung kostet mich. Ich weiß, dass er mich in Stücke brechen könnte. Er weiß nicht, dass ich ihn in Stücke brechen könnte. Ich muss vorsichtig sein, stets vorsichtig, und ihn nicht unterschätzen. Nicht zu unbedarft sein in meinem Wissen, dass er keine Ahnung hat, was ich vollbringen kann. Wissen ist Macht. Weiß er zuviel, findet er Wege, die er nicht kennen sollte. Manchmal ist die Verantwortung ein Segen, in diesem Fall jedoch... Ein Fluch, nicht mehr.
Maergys findet ihn sowohl faszinierend, als auch widerlich. Seine Wahrnehmungsfähigkeit, die Art, wie er auf Details achtet, locken sie an wie es Licht bei einer Motte tut, aber darüber hinwegsehen, dass er ein Mann ist? Nein.
Ich hingegen, ich will alles von ihm. Sein Wissen. Seine Talente. Seine Erfahrung. Sein glattes, glitschiges, geruchloses Äußeres. Ich möchte ihn pellen wie ein hartgekochtes Ei, und wenn ich fertig bin-

Die Sonne beginnt zu steigen und ich blecke die Zähne gen' Horizont. Noch ist der Himmel nicht mehr als ein Band von dunklem Blau, aber ich fühle es in meinen Knochen. Hier oben auf dem Dach gibt es keinen Halbschatten, in den ich kriechen könnte, um die Nacht auszureizen, etwas länger zu bleiben. 
Besiegt von einer Scheibe aus Mithrasfeuer. Jämmerlich.
Und um dem Fass die Krone auszuschlagen, war er noch nicht einmal in Sicht. Blieb unten, wo ich nicht durch die Fenster sehen konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Vielleicht gar im Keller, ich kann mir nicht sicher sein. Sein Herzschlag blieb stetig, minimal langsamer für die meiste Zeit der Nacht, aber er war nicht fort. Nur... unsichtbar. Maergys hasst ihn nur noch mehr.
Ich finde ihn umso verlockender.
Mein Reißaus findet flink und gelassen statt. Ich rutsche vom Dach auf eine wackelige Passage, lasse mich von der Reling baumeln und lande zwischen rottendem Müll, schleimigem Straßenmatsch und den bröckeligen Häusern des Armenviertels. Mein Glück hat mich heute verlassen, aber es wird noch andere Tage geben. Viele andere Tage. Und wenn ich mit ihm fertig bin, wird entweder nichts mehr von ihm übrig sein, oder aber von mir.
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